Als “Forum-Shopping” oder zu deutsch: “Gerichts-Einkaufsbummel” bezeichnet man die gezielte Auswahl eines Gerichts, das mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Klage stattgeben wird. Da bei Wettbewerbsverletzungen im Internet der sog. “fliegende Gerichtsstand” gilt, wird auch hier reichlich von dieser Gelegenheit Gebrauch gemacht. So ist z.B. ein Antrag auf Unterlassung unwirksamer AGB-Klauseln durch einen Konkurrenten vor dem Kammergericht Berlin erfolgreich, während vor dem OLG Köln eine solche Klage scheitern würde. Besonders interessant ist auch, welche Unterschiede es bei der Streitwertbemessung gibt, die für die Höhe der Abmahnungskosten maßgeblich ist.
Wer bietet mehr? Lesen Sie hier, was eine Abmahnung wegen einer falschen Widerrufsbelehrung bei verschiedenen Gerichten kostet.
Gemäß § 3 der Zivilprozessordnung wird der Wert eines Anspruchs vom Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt. Maßgeblich ist also nicht der tatsächliche Umsatzverlust, den ein Online-Händler durch eine falsche Widerrufsbelehrung des Konkurrenten erlitten hat. Und hier schätzen die Gerichte in letzter Zeit sehr unterschiedlich. Zwischen 15.000 und 900 EUR ist alles dabei.
Das OLG Stuttgart (Beschluss v. 23.8.2007, 2 W 46/07) bewertete die Verletzung der Impressumspflichten und der Hinweispflichten auf ein Widerrufsrecht bereits im einstweiligen Verfügungsverfahren mit 15.000 EUR. Begründung:
“Zwar mögen das Fehlen der Anbieterdaten und der fehlende Hinweis auf ein Widerrufs- und Rückgaberecht als solche nicht geeignet sein, die Kaufentscheidung zu Gunsten des Verletzers und zum Nachteil seiner sich gesetzestreu verhaltenden Konkurrenten zu beeinflussen, da sie erst im Falle einer Vertragsstörung Bedeutung erlangen (vgl. hierzu OLG Frankfurt a.a.O. 6 W 117/06). Doch geht es bei den hier betroffenen Normen (§ 6 TDG und § 312c BGB i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und Nr. 10 BGB-InfoVO) weniger um Irreführung im Sinne einer Anlockung zur Befassung mit dem Angebot, sondern allgemein um die Sicherung von Verbraucherschutzrechten in der Abwicklung von solchermaßen zu Stande gekommenen Geschäftskontakten.”
Das OLG Hamm (Beschluss v. 28.3.2007, 4 W 19/07) kommt auch bei durchschnittlich zu bewertenden Wettbewerbsverstößen wie Verstößen gegen die PAngV bei eBay-Verkäufen im einstweiligen Verfügungsverfahren immerhin auf einen Gegenstandswert in Höhe von 10.000 EUR.
Das OLG Hamburg (Beschluss v. 30.10.2007, 3 W 189/07) setzte den Streitwert in Fällen eines Verstoßes gegen die fernabsatzrechtlichen Informationspflichten auf 5.000 EUR fest. Hierzu die Hanseatischen Richter:
“Es mag sein, dass etwaige durch die konkrete Verletzungshandlung gefährdeten Umsätze der Antragstellerin, die hier ohnehin nicht messbar sein dürfte, kein taugliches Kriterium für die Bemessung deren wirtschaftlichen Interesses an zukünftiger Unterlassung der störenden Handlung bilden mögen. Darauf kommt es aber auch schon nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats zur Verletzung von Informationspflichten der hier streitigen Art jedenfalls nicht mehr entscheidend an. Wesentliche Kriterien sind in solchen Fällen vielmehr die Schwere des Verstoßes sowie der Umstand, dass jedenfalls durch die Vielzahl von Anbietern, die sich – gerichtsbekannt – gerade im Bereich der vom Gesetz vorgeschriebenen Aufklärung der Verbraucher über deren Rechte im Fernabsatz nicht strikt an das Gesetz halten, die Wettbewerbsposition der rechtstreuen Wettbewerber tendenziell verschlechtert sein dürfte. Letzteres schon deshalb, weil ein um rechtstreues Verhalten bemühter und ggf. auch Geld für Beratungsleistungen darauf verwenden muss, um die Verbraucher zutreffend über ihre Rechte belehren zu können.”
Das LG Münster (Urteil v. 4.4.2007, 2 O 594/06) geht bei falschen Widerrufsbelehrungen im einstweiligen Verfügungsverfahren von einem Streitwert i.H.v. 4.000 EUR aus. Falsche Widerrufsbelehrungen könnten ohne größeren Arbeitsaufwand bearbeitet werden und seien als “tägliche Routinearbeit” einzustufen.
Das OLG Celle (Beschluss v. 19.11.2007, 13 W 112/07) sieht eine falsche Widerrufsbelehrung mit 3.000 € ausreichend bewertet, und zwar sowohl mit Blick auf die geschäftlichen Belange des Mitbewerbers als auch mit Blick auf den Aufwand des Abmahners:
“Der Umstand, dass eine Widerrufsbelehrung inhaltlich nicht den gesetzlichen Vorschriften entspricht, erscheint dem Senat zunächst nur als bedingt geeignet, die Kaufentscheidung des Verbrauchers zu Gunsten des Verletzers und zum Nachteil seiner sich gesetzestreu verhaltenden Konkurrenten zu beeinflussen. In der Regel wird der Verbraucher seine Kaufentscheidung nicht von der konkreten Ausgestaltung der Widerrufsbelehrung abhängig machen, zumal fraglich sein dürfte, ob der durchschnittliche, rechtlich nicht vorbelastete Verbraucher den gesetzlich vorgeschriebenen Inhalt einer Widerrufsbelehrung überhaupt kennt … Die vorliegende Sache ist nach Art und Umfang zudem auch einfach gelagert. … Dem Senat ist aus eigener Erfahrung bekannt, dass es sich hierbei um einen häufig vorkommenden Standardfehler in den im Internet verwendeten Widerrufsbelehrungen handelt. Diesbezügliche Abmahnungen sind einfachen Charakters, da sie sich aus verschiedenen Textbausteinen zusammensetzen. Die Abmahnungen in diesem Bereich wiederholen sich in einer Vielzahl von ähnlich gelagerten Fällen und müssen, wenn überhaupt, nur geringfügig angepasst werden (vgl. auch LG Münster, Urteil vom 4. April 2007 – 2 O 594/06).”
Einmalig ist bislang das OLG Düsseldorf (Beschluss v. 5.7.2007, I-20 W 15/07), das davon ausgeht, dass es ein nicht häufig vorkommender Zufall sei, dass ein Kaufinteressent sich wegen einer falschen Belehrung über das Widerrufsrecht für das Angebot des Rechtsverletzers entscheidet statt für das des rechtstreuen Konkurrenten. Ein Gegenstandswert in Höhe von bis zu 900 € sei für solche Fälle angemessen, so die Richter des 20. Zivilsenats, dem übrigens Trusted Shops Beiratsmitglied Prof. Dr. Thomas Hoeren angehört.
Was bedeutet das für die Praxis? Der Gegenstandswert ist maßgeblich für die Höhe der Anwaltskosten im Fall einer Abmahnung durch Konkurrenten. Ausgehend von einer (durchschnittlichen) 1,3fachen Gebühr gem. §§ 13, 14 RVG, Nr. 2300 VV RVG ergeben sich inkl. Auslagenpauschale und Mwst folgende Anwaltskosten für eine Abmahnung (Berechnung z.B. hier):
Gegenstandswert |
Anwaltskosten |
900 € |
120,67 € |
3.000 € |
316,18 € |
4.000 € |
402,82 € |
5.000 € |
489,45 € |
10.000 € |
775,64 € |
15.000 € |
899,40 € |
Wird man von der Wettbewerbs- oder Verbraucherzentrale abgemahnt, ist es günstiger. Hier wird unabhängig vom Gegenstandswert immer nur eine Pauschale i.H.v. ca. 200 EUR zzgl. Mwst geltend gemacht. Pech hatten diejenigen, die vor einiger Zeit im Auftrag eines Media-Marktes von Rechtsanwalt Steinhöfel abgemahnt wurden. Hier wurde regelmäßig mit einem Gegenstandswert von mindestens 62.500 EUR gearbeitet – Anwaltskosten: 1.761,08 EUR.
Wenn Sie uns nun fragen, wie es sein kann, dass ein Abmahner sich das Gericht einfach aussuchen darf und die Gerichte so unterschiedlich entscheiden: Das liegt am deutschen Rechtssystem. Aber verstehen können wir es auch nicht so richtig. (cf)
Na herzlichen Dank für die ausführliche Preisliste! Jetzt weiß jeder Abmahner ohne große Suche wo er die größte Summe abzocken kann. Durch die Nennung der Gerichte werden Abmahner und deren Anwälte nur weiter unterstützt!
Ich bin zuversichtlich, dass die Darstellung der “Preisliste” die Gerichte zum Überdenken der eigenen Praxis veranlasst, weil die abweichenden Entscheidungen dort häufig nicht bekannt sind.
Informationen über Abmahnungsgründe und Abmahnwellen sind immer zweischneidig, weil sie nicht nur aufklären und Gegenpositionen deutlich machen, sondern auch zu Missbrauch verleiten können.
Aber sollen wir deswegen gar nicht mehr darüber berichten?
Sehr geehrter Herr Föhlisch,
ich denke, Sie überschätzen Ihre Möglichkeiten bei weitem. Glauben Sie ernsthaft an die von Ihnen geschilderte Möglichkeit eines Überdenkens?! Im ürbigen kennen Gerichte diese “Preisliste” und werden ganz sicher nicht bei shopbetreiber-blog nachsehen… Aber eben potentielle Abmahner bzw. deren Auftraggeber!
Gruß
Frank Decker
Sehr geehrter Herr Decker,
ich denke, Sie unterschätzen, wie viele Anwälte auf der “passiven” Abmahnseite diesen Beitrag lesen, bei den Gerichten in die Verhandlungen einbringen und sich weitere Argumente ausdenken. Mit Informationen haben wir schon ganze Abmahnwellen gestoppt.
Ich verstehe auch nicht ganz, wie Sie darauf kommen, dass alle Gerichte z.B. die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf kennen. Und warum sollten nicht auch Richter bei uns nachsehen? Manche sollen ja tatsächlich schonmal im Internet gesurft sein.
Und natürlich glaube ich ganz entschieden daran, dass Gerichte die Richtigkeit ihrer Rechtsprechung überdenken. Es ist ja ein Teil unseres Jobs, die Rechtsprechung mit zu prägen und Fehlurteile zu verhindern. Dafür schreiben wir nicht nur an dieser Stelle. Zuweilen greift sogar das Bundesjustizministerium unsere Vorschläge auf (Musterbelehrung). Was wir zu manchen Entscheidungen denken, wird – glaube ich – an den Kommentaren recht klar.
Aber nochmal zu meiner Frage: sollen wir nicht mehr über neue Urteile berichten und diese kommentieren, damit niemand auf die Idee kommt, die Informationen für eine Abmahnung zu nutzen? Was meinen Sie?
Warum findet sich eigentlich nicht die Handelskammer oder ein Unternehmen wie EBay in der Lage, gemeinsam mit Betroffenen gegen die Abzocke vorzugehen.
Schliesslich müsste es ja gerade von bei diesen ein immenses Interesse sein, den Missbrauch endlich einzudämmen.
EBay laufen deshalb unter anderem auch die Leute weg und bei der IHK ist das Vertrauensverhältnis von Kleinunternehmern zur Organisation nicht besser.
gruß
Raimund Popp, Bazar.de
Hallo
gilt der fliegende Gerichtsstand denn nur in Deutschland oder auch im Ausland. Sprich, bin ich aus Italien oder Schweiz, kann mich jemand auch nach Deutschland verklagen?
Grüße
Wenn das Angebot auf den deutschen Markt abzielt, gilt das sog. Marktortprinzip, d.h. maßgeblich ist auch hier das deutsche Wettbewerbsrecht inkl. Gerichtsstand. Auch bzgl. Widerrufsrecht und weiterer Verbraucherrechte nützt eine Verlagerung des Firmensitzes nichts, weil das Verbrauchervertragsrecht des Landes, in dem der Verbraucher sitzt, hierdurch nicht ausgehebelt werden kann (Art. 29 EGBGB bzw. Parallelvorschriften in den Kollisionsrechtsordnungen der anderen Staaten). Gleichwohl sind Unternehmen mit Sitz außerhalb Deutschlands von Abmahnern nur mit erhöhtem Aufwand greifbar. Das hält allerdings viele davon nicht ab.
Nicht, dass die damit befassten Mandatsträger das nicht sowieso wüssten: Der Perfektion halber wäre dennoch darüber nachzudenken, diesen lesenswerten Beitrag bezüglich des Gebührentatbestandes zu korrigieren. Sie verweisen auf die §§ 13, 14 RVG, Nr. 2400 VV RVG. Wegen des Wegfalls der Beratungsgebühr ist die Geschäftsgebühr seit dem 1. Juli 2006 im VV jedoch unter Nr. 2300 aufgeführt.
Vielen Dank für den Hinweis, Herr Niemeyer, ich habe den (Tipp-) Fehler korrigiert.