Die Frage, ob Matratzen aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene vom Widerrufsrecht ausgeschlossen sind, ist beim EuGH angekommen. Nun hat der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen seine Auffassung zu der Angelegenheit bekanntgegeben.

Drei Jahre nach der ersten Entscheidung des AG Mainz ist die Frage “Sind auch Matratzen Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind?” beim EuGH angekommen.

Nachdem sowohl das AG als auch das LG Mainz diese Frage verneint und dem Kläger den Anspruch auf Rückerstattung des Kaufpreises + Speditionskosten für die Rücklieferung der Matratze gewährt hatten, rief der BGH den EuGH an.

BGH stellt drei Fragen

Im Speziellen stellte der BGH drei Fragen:

  1. Ist Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 (VRRL) dahin auszulegen, dass zu den dort genannten Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind, auch Waren (wie etwa Matratzen) gehören, die zwar bei bestimmungsgemäßem Gebrauch direkt mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen können, aber durch geeignete (Reinigungs-)Maßnahmen des Unternehmers wieder verkehrsfähig gemacht werden können?
  2. Falls die Frage 1 zu bejahen ist:
    1. Welche Voraussetzungen muss die Verpackung einer Ware erfüllen, damit von einer Versiegelung im Sinne von Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 gesprochen werden kann?
    2. Hat der vom Unternehmer vor Eintritt der Vertragsbedingung zu erteilende Hinweis nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. k der Richtlinie 2011/83 in der Weise zu erfolgen, dass der Verbraucher unter konkreter Bezugnahme auf den Kaufgegenstand (hier: Matratze) und die angebrachte Versiegelung darauf hingewiesen wird, dass er das Widerrufsrecht bei Entfernung des Siegels verliert?

Enge Auslegung

Zunächst legt der EuGH-Generalanwalt die Rahmenbedingungen für die Auslegung der fraglichen Vorschriften dar. So seien bei der Auslegung von Vorschriften des Unionsrechts, die nicht auf das Recht der Mitgliedsstaaten verweisen, nicht nur deren Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele der Regelung zu der sie gehören, zu berücksichtigen.

Zudem sei stets der Auslegung Vorzug zu geben, die die Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus sowie ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts wenigstmöglich gefährdet.

Schließlich sei eine enge Auslegung der Vorschriften geboten. Unionsrechtliche Vorschriften, die einen Ausnahmecharakter haben, und die zu Schutzzwecken gewährte Rechte einschränken, seien einer Auslegung, die über die ausdrücklich vorgesehenen Fälle hinausgeht nicht zugänglich.

Dennoch seien die Wirksamkeit dieser Einschränkung zu wahren sowie deren Ziel zu beachten.

Generalanwalt verneint Ausschluss

Vor diesem Hintergrund verneint Generalanwalt Henrik Saugmansgaard Øe die erste Frage des BGH. Damit schließt er sich der Ansicht sowohl des BGH als auch der italienischen Regierung wie der Kommission an.

Einem Verbraucher, der einen Fernabsatzvertrag geschlossen hat, müsse grundsätzlich möglich sein, die Ware, die er gekauft hat, ohne sie zu sehen, zu prüfen und zurückzusenden, wenn er nach dieser Prüfung nicht mit ihr zufrieden ist.

“Meines Erachtens ist daher die Auslegung vorzuziehen, die für eine Begrenzung des Anwendungsbereichs der Ausnahmen vom Widerrufsrecht spricht, d.h. diejenige, nach der es einem Verbraucher möglich sein muss, eine Ware zurückzusenden, die wieder zum Verkauf angeboten werden kann, nachdem sie gereinigt wurde, ohne dass dies eine übermäßige Belastung für den Unternehmer darstellen würde, und nicht die gegenteilige Auslegung, die die Möglichkeiten des Verbrauchers zum Widerruf einschränkt.”

(Nicht) “definitiv nicht mehr verkehrsfähig”

Zusammen mit dem BGH vertritt der Generalanwalt die Meinung, dass das Widerufsrecht nur ausgeschlossen sein darf, wenn die Ware nach Entfernung der Versiegelung aus echten Gründen des Gesundheitsschutzes oder Hygienegründen definitiv nicht mehr verkehrsfähig ist, weil es dem Unternehmer aufgrund ihrer Beschaffenheit unmöglich ist, Maßnahmen zu ergreifen, um sie wieder zum Verkauf anzubieten, ohne hierdurch dem einen oder dem anderen dieser Ziele zuwiderzuhandeln.

Im Fall von Matratzen sei dies nicht anzunehmen. Bereits die Benutzung von Hotelbetten durch aufeinanderfolgende Gäste oder der das Bestehen eines Marktes für gebrauchte Matratzen zeige, dass auch bereits genutzte Matratzen noch benutzbar und marktfähig seien.

Insofern seien Matratzen mit Kleidungsstücken vergleichbar, deren Rückgabe an den Unternehmer der Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehen hat. Und dort, wo der Verbraucher die Ware übermäßig genutzt habe, könne man einem etwaigen Wertverlust mit einer Wertersatzpflicht begegnen.

Gerade diese Möglichkeit nach Art. 14 Abs. 2 VRRL bestätige die Auffassung, dass das Widerrufsrecht nach Art. 16 Buchst. e VRRL nur ausgeschlossen sein sollte, wenn der erneute Verkauf vollständig unmöglich ist.

“Dementsprechend ist Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 meines Erachtens dahin auszulegen, dass Waren wie etwa Matratzen, die zwar bei bestimmungsgemäßem Gebrauch direkt mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen können, aber durch geeignete Maßnahmen, insbesondere Reinigungsmaßnahmen, des Unternehmers wieder verkehrsfähig gemacht werden können, nicht unter den Begriff ‘versiegelte Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind’, im Sinne dieser Vorschrift fallen.”

Voraussetzungen einer “Versiegelung”

Zwar war die zweite Frage nur für den Fall einer positiven Antwort auf die erste Frage gestellt. Dennoch geht der Generalanwalt auch hierauf ein.

Das Ziel, das mit den “Versiegelungen” nach Art. 16 Buchst. e VRRL verfolgt würde, sei es, alle Waren vom Widerrufsrecht auszuschließen, die zu tatsächlichen Zwecken des Gesundheits- oder Hygieneschutzes versiegelt werden müssen, also zu verhindern, dass der Verbraucher sie an den Unternehmer zurücksendet, weil sie, nachdem ihre Schutzverpackung entfernt wurde, unwiderruflich ihren Wert verlieren, was die Hygiene- bzw. Gesundheitsgarantie angeht, so dass sie nicht wieder verkehrsfähig sind.

Daher sei es für Schutzfolien erforderlich, die Sauberkeit der von ihnen umschlossenen Ware zu garantieren, um als “Versiegelung” zu gelten. Die Keimfreiheit der Ware sicherzustellen, wie es etwa die italienische Regierung gefordert hatte, sei dagegen nicht notwendig. Da Art. 16 Buchst. e VRRL nicht nur Gesundheits-, sondern auch bloße Hygienegründe erfasse, sei ein derart hoher wirtschaftlicher Aufwand von Unternehmern nicht zu erwarten.

Bezüglich einer spezifischen Kennzeichnung, die auf der Verpackung anzugeben sei, spreche nichts dafür, dass ein solches Kriterium zu erfüllen sei. Hätte der Unionsgesetzgeber eine solche Information für erforderlich gehalten, hätte er dies ohne Zweifel ausgedrückt.

Konkrete Information über Ausschluss des Widerrufsrechts

Auch diese Frage war nur für den Fall gestellt, dass der EuGH die erste Frage bejahte. Trotz seiner gegenteiligen Auffassung äußert sich der Generalanwalt auch hier.

Es ging darum, ob Unternehmer verpflichtet sind, Verbraucher ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass sie mit Entfernung der Versiegelung ihr Widerrufsrecht verlieren. Alternativ steht dem gegenüber, dass der Unternehmer nur abstrakt vor dem Vertragsschluss auf das Widerrufsrecht und damit auch auf die Ausnahme hinweisen müsste.

Hier spricht sich Generalanwalt Saugmansgaard Øe für Ersteres aus. Damit stimmt er mit der belgischen und der italienischen Regierung sowie mit der Kommission, die diese Ansicht hilfsweise geäußert hatte, überein. Dabei argumentiert er auf der Grundlage des Wortlauts von Art. 6 Abs. 1 Buchst. k VRRL. Dieser betrifft Fälle, in denen “gemäß Artikel 16 kein Widerrufsrecht besteht”.

Hier verlangt die Vorschrift ausdrücklich, dass der Verbraucher informiert wird, “dass [er] nicht über ein Widerrufsrecht verfügt, oder gegebenenfalls [über] die Umstände, unter denen [er] sein Widerrufsrecht verliert”.

Zwar finde sich in der Vorschrift keine Angabe über den Inhalt der Information. Allerdings sei in Übereinstimmung mit dem Ziel der VRRL, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, nur eine Auslegung dahingehend möglich, dass der Unternehmer den Verbraucher sofort ausdrücklich und konkret darüber informieren muss, dass er das ihm zustehende Widerrufsrecht verlieren wird, wenn er eine bestimmte Handlung begeht, durch die er dieses Recht verliert, d.h., wenn er die Versiegelung der betreffenden Ware entfernt.

Dieser Hinweis sollte außerdem die bestimmte Ware konkret nennen und deutlich angeben, dass sie versiegelt ist. Gem. Art. 6 Abs. 1 S. 1 VRRL muss der Hinweis erfolgen, “bevor der Verbraucher durch einen Vertrag … gebunden ist”.

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