Nach dem neuen Anti-Abmahngesetz enthält § 8c Abs. 2 UWG bestimmte Indizien, bei deren Vorliegen von einem Rechtsmissbrauch ausgegangen werden kann. Nachdem das OLG Frankfurt (Beschl. v. 12.5.2021 – 6 W 23/21) zuletzt entschied, dass bei 51 in kurzer Zeit ausgesprochenen Abmahnungen und hohen Gegenstandswerten und Vertragsstrafeversprechen nicht von einem Rechtsmissbrauch auszugehen sei, nahm das LG Osnabrück (Urt. v. 23.7.2021 – 366/20) hingegen in einem anderen Verfahren gegen denselben Abmahner einen Rechtsmissbrauch an.

Die Parteien sind Wettbewerber beim Vertrieb von Werbeartikeln an gewerbliche Abnehmer. Mit Schreiben vom 3.12.2020 hat die Verfügungsklägerin über ihren Prozessvertreter die Verfügungsbeklagte hinsichtlich dreier von dieser vertriebenen Bio-Artikel abgemahnt und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bis zum 9.12.2020 aufgefordert, da die Verfügungsbeklagte über keine Öko-Zertifizierung verfügte. Den Entwurf einer „Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung“ hatte die Verfügungsklägerin ihrem Schreiben beigefügt. Danach würde sich die Verfügungsbeklagte verpflichten, für jeden Fall der Zuwiderhandlung unter Ausschluss der Handlungseinheit eine Vertragsstrafe von 10.000 € an die Verfügungsklägerin zu zahlen. Ferner hätte die Verfügungsbeklagte die Kosten der anwaltlichen Abmahnung aus einem Gegenstandswert von 100.000,00 €, nämlich einer 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG zuzüglich Auslangepauschale, zu erstatten. Die Antragsgegnerin gab die geforderte Unterlassungserklärung nicht ab. Im Zeitraum vom 3.12.2020 bis 4.1.2021 versendete die Antragsstellerin insgesamt 50 weitere Abmahnungen an Wettbewerber, die alle überwiegend die gleichen Produkte betrafen.

Auf Antrag der Verfügungsklägerin hat das LG Osnabrück eine einstweilige Verfügung erlassen, mit der es der Verfügungsbeklagten untersagt wurde, Bio-Produkte zu verkaufen und das entsprechende Gemeinschaftslogo zu verwenden, ohne einem entsprechenden Kontrollsystem unterstellt zu sein. Hiergegen legte die Verfügungsbeklagte Widerspruch ein.

Das LG Osnabrück hob die einstweilige Verfügung nun auf und wies den Antrag der Verfügungsklägerin als rechtsmissbräuchlich zurück.

Gesamtumstände sprechen für einen Rechtsmissbrauch

Das Gericht stellte klar, dass den neuen Fallgruppen missbräuchlicher Abmahnungen Indizwirkung zukomme und eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände notwendig sei.

Ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen ist dann anzunehmen, wenn die vollständige Betrachtung der gesamten Umstände ergibt, dass der Antragsteller mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der Vorschrift des § 8c UWG entsprechende Leitlinien kodifiziert, anhand derer eine Rechtsmissbräuchlichkeit zu prüfen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die in § 8c Abs. 2 UWG niedergelegten Indizien, die auf eine Rechtsmissbräuchlichkeit hindeuten können, keineswegs isoliert – jedes Indiz für sich – betrachtet werden können, sondern dass bei Vorliegen mehrerer Alternativen des § 8c Abs. 2 UWG diese in ihrer Gesamtheit ein Bild zeichnen können, welches den Schluss des Rechtsmissbrauchs zulässt.

Diese Prüfung und Abwägung führe hier zu dem Ergebnis, dass die Verfügungsklägerin keine für sich genommenen schutzwürdigen Interessen und Ziele verfolge.

Abmahnung einer erheblichen Anzahl gleichartiger Verstöße

Die Verfügungsklägerin habe bei Antragstellung im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht dargelegt, dass sie mehrere gleichlautende oder zumindest dem Sinn nach vergleichbare Abmahnungen im engen zeitlichen Zusammenhang getätigt hat. Dies sei ein Verstoß gegen das Gebot vollständigen und wahrheitsgemäßen Vortrags aus § 138 ZPO.

Dieses Gebot erlangt vor dem Hintergrund des § 8c Abs. 2 Nr. 2 UWG deshalb besondere Bedeutung, weil danach eine erhebliche Anzahl von Verstößen gegen die gleiche Rechtsvorschrift durch Abmahnungen einen Rechtsmissbrauch indizieren kann. Dadurch, dass die Verfügungsklägerin diesen Umstand nicht von sich aus mitteilte, sondern dass er in das vorliegende Verfahren durch den Vortrag der Verfügungsbeklagten eingeführt werden musste, wird ersichtlich, dass die Kammer bei Erlass der einstweiligen Verfügung über einen wesentlichen Punkt im Unklaren gelassen worden ist. Es gehört jedenfalls seit Einführung des § 8c UWG zum vollständigen Vortrag eines Antragstellers, die Mitteilung zu machen, ob weitere vergleichbare Abmahnungen in einem zeitlichen Zusammenhang erfolgt sind.

Unangemessen hoher Gegenstandswert

Nach Ansicht des Gerichts habe die Verfügungsklägerin zudem den Gegenstandswert der Abmahnung unangemessen hoch angesetzt. Dieser Punkt ist nach § 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG ebenfalls ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch. Sie hatte den Gegenstandswert ihrer Abmahnung auf 100.000 € beziffert. Das OLG Frankfurt hingegen hatte in einem Verfahren gegen denselben Abmahner Gegenstandswerte zwischen 50.000 € und 100.000 € zwar als hoch, jedoch nicht als unangemessen hoch eingestuft.

Dass sie vor diesem Hintergrund den Gegenstandswert ihrer Abmahnung auf 100.000 € beziffert hat, lässt besorgen, dass diese Bezifferung vornehmlich der Generierung von Gebühren diente. Es tritt hinzu, dass in dem Entwurf der Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung die Kosten der anwaltlichen Abmahnung nur abstrakt umschrieben worden sind; eine Bezifferung, wie hoch die Gebühr in Euro tatsächlich ist, fehlt. Dies deutet aus Sicht der Kammer darauf hin, dass die Verfügungsbeklagte im Unklaren gelassen werden sollte, wie hoch die Kosten der anwaltlichen Abmahnung tatsächlich waren. Es versteht sich nicht von selbst, dass eine Naturalpartei in der Lage ist, die Gebühr eines Rechtsanwalts aus einem Gegenstandswert berechnen zu können.

Mit 100.000 € ist der Gegenstandswert unangemessen hoch angesetzt. Die Kammer geht von einem Gegenstandswert von 30.000 € auf. Die Verfügungsklägerin hat damit einen um mehr als dreimal hören Gegenstandswert angesetzt.

Offensichtlich überhöhte Vertragsstrafe

Zudem sei die von der Verfügungsklägerin geforderte Vertragsstrafe offensichtlich überhöht i.S.v. § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG.

Zudem sieht die Kammer die von der Verfügungsklägerin geforderte Vertragsstrafe als offensichtlich überhöht im Sinne von § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG an. Die Verfügungsklägerin hat eine Vertragsstrafe von 10.000 € je Verstoß gefordert. Es ist für die Kammer nicht ersichtlich, dass diese Vertragsstrafe in irgendeinem angemessenen Verhältnis zum Umsatz der Verfügungsklägerin oder -beklagten mit “Bio”-Artikeln steht. Es kommt hinzu, dass die Zertifizierung lediglich etwa 500 € kostet und von der Verfügungsbeklagten an nur einem Tag erfolgreich beantragt werden konnte und sie diese sogleich erhalten hat. Es besteht insoweit auch nicht die Gefahr einer Ablehnung durch die Zertifizierungsstelle, wie sich aus dem Sitzungsprotokoll ergibt, sondern vielmehr um eine Formalität. Vor diesem Hintergrund handelt es sich aus Sicht der Kammer um einen Verstoß von eher unterdurchschnittlichem Gewicht. Dieser steht in keinem Verhältnis zu der geforderten Vertragsstrafe.

Die Höhe der Vertragsstrafe erscheint auch deshalb offensichtlich überhöht, weil die Verfügungsbeklagte eine Haftung unter Ausschluss der Handlungseinheit begehrte. Zwar kann der Ausschluss der Handlungseinheit durchaus einem nachvollziehbaren Anliegen folgen; für den vorliegenden Fall vermag die Kammer dies indes nicht zu erkennen. Die ursprüngliche Abmahnung der Verfügungsklägerin bezog sich auf drei Artikel der Verfügungsbeklagten. Die – spätere – Zertifizierung erlaubte der Verfügungsbeklagten ohne Differenzierung zwischen diesen Produkten, selbige zu vertreiben. Der Ausschluss der Handlungseinheit diente aus Sicht der Kammer einzig dazu, in der Summe höhere Vertragsstrafen zu generieren und deutet weniger auf ein Interesse an einem fairen Wettbewerb hin als vielmehr auf die Generierung finanzieller Mittel. Im Übrigen liegt darin auch ein Verstoß gegen § 8c Abs. 2 Nr. 5 UWG, weil die Verfügungsklägerin damit mehr gefordert hat, als ihr zusteht.

Gesamtschau entscheidend

Die Verfügungsklägerin versuchte sich damit zu verteidigen, dass es ihr möglich sein müsse, sämtliche Mitbewerber abzumahnen, die gegen die Verpflichtung zur Zertifizierung verstießen. Falls der Gegenstandswert oder die Vertragsstrafe im Einzelfall zu hoch bemessen sein sollte, handle es sich um ein Versehen. Das OLG Frankfurt, das in dem Vorgehen der Abmahnerin keinen Rechtsmissbrauch sah, nahm ebenfalls an, dass ein Mitbewerber gegen alle Verletzter müsse vorgehen können. Das sah das LG osnabrück jedoch anders.

Indes deutet aus Sicht der Kammer die Vielzahl der Indizien in ihrer Gesamtschau überwiegend darauf hin, dass es der Verfügungsklägerin vorliegend nicht um die Frage eines fairen Wettbewerbs ging, sondern vielmehr um die Generierung von Einnahmen durch die von ihr vielfach ausgesprochenen Abmahnungen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Verstoß – wie dargelegt – kein besonderes Gewicht hatte.

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