Nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG ist für die Klagebefugnis eines Interessenverbands u.a. erforderlich, dass es ihm bei der Rechtsverfolgung um eine ernsthafte kollektive Wahrnehmung der Mitgliederinteressen geht. Diese Voraussetzung sah das LG Bonn (Urt. v. 29.9.2020 – 11 O 44/19) beim IDO nicht als erfüllt an. Ihm gehe es um die Generierung von Gebühren und nicht um die Wahrnehmung von Mitgliederinteressen.
Die Beklagte ist Hobbyschneiderin und war als gewerbliche Verkäuferin bei DaWanda angemeldet. Sie bot dort einen in verschiedenen Farben erhältlichen Schal an, der von ihr eingekauft wurde. Bei allen anderen Artikeln handelte es sich um von ihr selbst angefertigte Seidentücher. Auf die Beschwerde eines Mitglieds hin nahm der IDO von dem Angebot Kenntnis und mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 13.9.2017 wegen Fehler bei der Textilkennzeichnung des Schals und fehlender Information zur Vertragstextspeicherung ab. Sie gab jedoch weder die geforderte Unterlassungserklärung ab noch zahlte sie die Abmahngebühren. Die Beklagte hatte ihre Tätigkeit auf DaWanda bereits nach Erhalt der Abmahnung eingestellt. Ebenso hat DaWanda selbst den Geschäftsbetrieb Ende 2018 eingestellt.
Der IDO hatte die Beklagte zunächst im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens auf Unterlassung in Anspruch genommen. Diesen Antrag hat das LG Bonn als unzulässig zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des IDO hatte er in der Verhandlung zurückgenommen.
Das LG Bonn entschied nun im Hauptsacheverfahren, dass die Klage unzulässig und der IDO nicht klagebefugt sei. Im Vordergrund stehe nicht die Wahrnehmung der Mitgliederinteressen, sondern die Generierung von Gebühren und Vertragsstrafen.
Das Gericht hob zunächst die Voraussetzungen der Klagebefugnis hervor.
Nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG stehen die Ansprüche aus Absatz 1 rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen zu, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmen angehört, die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, wenn sie insbesondere nach ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung imstande sind, ihre satzungsgemäßen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher und selbständiger beruflicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen und soweit die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt.
Genau diese kollektive Wahrnehmung der Mitgliederinteressen sah das LG Bonn vorliegend nicht. Das Gericht bezog sich auf bisherige BGH-Rechtsprechung. Dem Zweck des Gesetzes, die Klage- bzw. Antragsbefugnis der Verbände auf solche Fälle zu beschränken, die die Interessen einer erheblichen Zahl von Wettbewerbern berühren, die Mitglieder des Verbandes sind, werde nach Auffassung des BGH dann hinreichend Rechnung getragen, wenn das Gericht im Rahmen des Freibeweises die Überzeugung gewinnen kann, dass es dem Verband bei der konkreten Rechtsverfolgung nach der Struktur seiner Mitglieder um die ernsthafte kollektive Wahrnehmung der Mitgliederinteressen geht. Diese Überzeugung konnte das Gericht gewinnen.
Der Kläger geht hier gegen eine – ehemalige – Kleinstgewerbetreibende vor, die fast ausschließlich selbst genähte Artikel auf dem Handarbeits- und Künstlerforum DaWanda vertrieben hat. Er beanstandet allein einen der von der Beklagten angebotenen Artikel, den in Rede stehenden, von der Beklagten aus Italien zum Verkauf nach Deutschland importierten Wollschal. Die Beklagte hatte in der Überschrift ihres Angebots mitgeteilt, dass es sich um einen „Wolle-Kaschmir“-Schal handelte. Im Hinblick auf die Vorgaben der Textilkennzeichnungsverordnung fehlte allein die genaue Rohstoffzusammensetzung. Es handelt sich um Wettbewerbsverstöße von geringer Bedeutung, zumal die Beklagte ihr Kleingewerbe seit inzwischen mehreren Jahren aufgegeben hat und die Kammer es auch aufgrund der inzwischen gemachten Erfahrungen und erworbenen Kenntnisse für nahezu ausgeschlossen hält, dass sich ein wettbewerbsrechtlicher Verstoß bei der Beklagten wiederholen wird. Doch selbst wenn man eine Widerholungsgefahr annimmt, wäre die von einer möglichen Wiederholungshandlung ausgehende Gefahr für die Mitbewerber, die Mitglieder des Klägers sind, sehr gering einzustufen.
Zudem bemängelte das Gericht die Höhe des Streitwerts und die hiermit anfallenden Kosten.
Trotz dieser Umstände beziffert der Kläger den Streitwert seines Unterlassungsbegehrens mit 10.000 €; damit würden – wenn man als Gericht diesen Streitwert übernehmen würde – in der 1. Instanz Gerichtskosten iHv 723 € sowie Anwaltskosten von rund 3.500 € anfallen, mithin rund 4.200 E; in zweiter Instanz sind die Kosten noch höher.
Das Gericht stellte klar, dass diese Umstände auch kein Einzelfall seien, sondern vielmehr verglichen mit den Verfahren, die der IDO in den letzten Jahren bei der Kammer anhängig gemacht hat, den Regelfall darstellen und zählte beispielhaft einige Verfahren auf.
So drehte sich das Verfahren 11 O 57/17 um eine selbständige Näherin, die ebenfalls auf der Plattform DaWanda […] eine Boucle-Strickmütze für einen Verkaufspreis von 10 € zum Verkauf angeboten hatte. Die dortige Beklagte war seit 5 Jahren auf der Plattform aktiv und hatte in diesem Zeitraum lediglich 139 Produkte verkauft, d.h. im Schnitt 2,3 Produkte monatlich. Die meisten der von ihr angebotenen Waren bewegten sich im Preisraum bis 20 €. Trotz dieser Umstände bezifferte der Kläger einen Streitwert der – wenn auch auf mehrere Verstöße gestützten Unterlassungsklage – mit 15.000 €.
In einem anderen Rechtsstreit vor der Kammer (Az. 11 O 15/18) ging es um 100 Nieten in Rosenform, die die dortige Beklagte zu einem Preis von 5,20 € auf der Verkaufsplattform eBay unter der Rubrik „Bastel- und Künstlerbedarf“ zum Verkauf anbot. Der Kläger beanstandete zwar mehrere formale Verstöße; die dortige Beklagte verkaufte aber nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vortrag Schneider-Zubehör von meist unter 10 € pro Artikel im notwendigen Nebenerwerb, der nicht zu nennenswerten Überschüssen führte. Die Streitwertangabe des Klägers in der Klageschrift war hier „20.000 €“.
In dem Verfahren 11 O 50/17 beanstandete der Kläger, dass der Händler bei der Preisangabe eines angebotenen Energieriegels auf der Plattform eBay in der Überschrift des Angebots einen um 52 Cent abweichenden Preis pro kg (Verstoß gegen die PAngVO) angegeben hatte. Den Streitwert des Klageverfahrens gab der Kläger damals mit 10.000 € an.
Das Gericht hob hervor, bei der Kammer bislang kein Verfahren anhängig gewesen sei, das sich gegen einen „großen“ Gewerbetreibenden gerichtet hat oder bei dem der Anbieter höherwertige Güter zum Verkauf angeboten hat.
Dem Ido gehe es nur um die Generierung von Gebühren und Vertragsstrafen.
Vor diesem Hintergrund sprechen nach Auffassung der Kammer klare Umstände dafür, dass auf Klägerseite eher das Interesse, Gebühren zu verdienen, maßgeblich ist.
Zutreffend beschreibt das Gericht das Geschäftsmodell. Während die eigentliche Abmahnung relativ günstig sei und den Betroffenen verleite, den Gang vor Gericht zu scheuen und lieber eine kleine Summe zu bezahlen sowie eine Unterlassungserklärung abzugeben, entstehen die eigentlichen Kosten durch die Vertragsstrafen im Nachgang.
Dies ist zum einen möglich durch Abmahnpauschalen, deren Zahlung der Kläger außergerichtlich stets mit der Abmahnung zusammen verlangt und die bei jeweils rund 230 € liegen. Hinzu kommen – soweit der Kläger vorgerichtlich eine strafbewehrte Unterlassungserklärung erhalten hat, Vertragsstrafenzahlungen, die der Kläger im Fall eines erneuten Verstoßes häufiger und auch gerichtsbekannt oftmals in Höhe mehrerer 1.000 € von dem jeweiligen, meist ein Kleingewerbe betreibenden Schuldner einfordert und bei Zahlungsverweigerung gerichtlich einklagt. Erfasst werden – entgegen der Ansicht des Klägers – auch Gebühren, die im Fall des Obsiegens im Rechtsstreit allerdings naturgemäß seinen Bevollmächtigten zufließen.
Der Kläger übersieht zudem, dass bei kleinen Geschäftstreibenden, die oftmals durch den Erhalt einer Abmahnung, jedenfalls aber durch den Erhalt einer Klage, ein – verglichen mit ihren oftmals geringen Einnahmen – beträchtliches Kostenrisiko auf sich zukommen sehen, ein großer Druck entsteht. Das Risiko eines Rechtsstreits über zwei Instanzen stellt sich für viele dieser – jedenfalls unter Zugrundelegung der klägerseits angedachten Streitwerte – geradezu existenzgefährdend dar, so dass sich diese oftmals außergerichtlich bereits unterwerfen oder auch in erster Instanz anerkennen, um die Kosten sicher möglichst gering zu halten.
Bei Unterlassungsklagen sei der Gegenstandswert eines Verfahrens in erster Linie aus der Bedeutung der Sache für den Kläger nach billigem Ermessen zu bemessen. Entscheidend sei bei Unterlassungsanträgen das Interesse des Klägers an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße, das maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit und Schädlichkeit für die Träger der maßgeblichen Interessen bestimmt wird. Zudem müsse auf das Ausmaß der Gefahr abgestellt werden, das von möglichen Widerholungshandlungen ausgeht.
Hiernach scheint der Kammer eine Festsetzung von 500 € angemessen und ausreichend. Die Beklagte ist inzwischen seit Jahren nicht mehr gewerblich tätig. Die fehlenden Angaben betrafen allein einen Artikel, den die Beklagte überhaupt damals angeboten hatte und der mit einem Preis von 59 € nicht hochpreisig war. Es liegt eine geringe Gefährlichkeit und Schädlichkeit vor. Die Verletzungen waren fahrlässig und nicht vorsätzlich und zeigten sich zudem allein Handarbeitsinteressierten, die sich auf die Plattform DaWanda begaben. Auch hierin liegt ein Unterschied zu z.B. Inseraten auf der weitaus größeren Handelsplattform Amazon. Der Verstoß der Beklagten war auch nicht „auffällig“, sondern fand auf einer Internetseite eines kleineren Onlineportals statt. Eine Widerholungsgefahr hält die Kammer für sehr gering.
Zwar sei auch die Festsetzung des Streitwerts in vergleichbaren Fällen zu berücksichtigen. Dieses Kriterium stelle jedoch u.a. auch darauf ab, was für eine Person in Anspruch genommen wird, inwieweit diese am Markt überhaupt teilnimmt, welche Umsätze sie erzielt und mit welchen Gütern sie handelt.
Andernfalls hätte die Auffassung des Klägers zur Folge, dass es allein Verfahren mit einem Streitwert von mehreren tausend Euro und aufwärts gibt, auch wenn es sich um einen Kleinstgewerbetreibenden mit Waren aus dem Niedrigpreissegment handelt. Dies entspräche aber weder dem vom Gericht zu bewertenden Interesse des Klägers und wäre zudem auch nicht gerecht; der jeweilige Einzelfall mit seinen jeweiligen Umständen ist maßgeblich. Dieser rechtfertigt hier die vorgenommene Streitwertfeststetzung.
Die Entscheidung des LG Bonn ist nicht die erste dieser Art. Bereits in anderen Verfahren vor dem OLG Koblenz und dem LG Rostock war es dem IDO nicht gelungen, seine Aktivlegitimation in bestimmten Bereichen nachzuweisen. Allerdings hat bisher noch kein anderes Gericht derart herausgestellt, dass das maßgebliche Interesse des IDO in der Generierung von Gebühren und Vertragsstrafen bestehe und nicht in der Wahrnehmung der Mitgliederinteressen.
Zu einem Rechtsmissbrauch durch den IDO äußerten sich zuletzt das OLG Rostock, das LG Heilbronn und das OLG Celle.
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