Nach wie vor ist umstritten, ob Verstöße gegen die DSGVO abgemahnt werden können. Nachdem das LG Magdeburg diese Frage verneint hat, kam die Berufung nun zu einem anderen Ergebnis. Hintergrund ist die Frage, ob es sich bei den Vorschriften der DSGVO um Marktverhaltensregeln handelt und inwiefern die DSGVO die Durchsetzung dieser Rechte abschließend regelt. Im betreffenden Fall ging es um den Vertrieb von apothekenpflichtigen Medikamenten eines Apothekers über Amazon.
Das OLG Naumburg (Urt. v. 7.11.2019 – 9 U 6/19) entschied, dass es sich bei bestimmten Regelungen der DSGVO um Marktverhaltensregelungen handle.
Das Gericht stellte zunächst die unterschiedlichen Ansichten in der Literatur und Rechtsprechung dar und nahm auf ein Urteil des OLG Hamburg Bezug, nach dem die jeweilige Norm der DSGVO konkret darauf überprüft werden müsse, ob es sich um eine Marktverhaltensregelung handelt. Das OLG Naumburg schloss sich dieser Entscheidung ausdrücklich an.
Der Senat schließt sich der Auffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg an. Selbstverständlich schützen Datenschutzregeln in erster Linie das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen. Gleichwohl verfolgt die DSGVO auch andere Zielsetzungen: In den Erwägungsgründen 6 bis 8 der DS-RL heißt es, dass die Richtlinie auch den grenzüberschreitenden Verkehr personenbezogener Daten auf ein einheitliches Schutzniveau heben soll (Erwägungsgründe 6 und 7), weil ein unterschiedliches Schutzniveau ein Hemmnis für die Ausübung von Wirtschaftstätigkeiten auf Gemeinschaftsebene darstellen und den Wettbewerb verfälschen könne (Erwägungsgrund 7 Satz 2), und die Regelungen der Richtlinie auch der Beseitigung solcher Hemmnisse diene, um einen grenzüberschreitenden Fluss personenbezogener Daten kohärent in allen Mitgliedsstaaten und in Übereinstimmung mit dem Ziel des Binnenmarktes zu regeln (Erwägungsgrund 8).
Bereits vor Inkrafttreten der DSGVO sei in der Rechtsprechung anerkannt gewesen, dass es sich bei der Nutzung von Daten zu Werbezwecken nach § 28 Abs. 3 BDSG a.F. um eine Marktverhaltensregelung handelte.
Zudem handle es
sich bei den Daten, die Amazon für den Bestellvorgang erfasst, um Gesundheitsdaten
i.S.v. Art. 9 DSGVO, für deren Verarbeitung eine ausdrückliche Einwilligung des
Betroffenen erforderlich ist. Vorliegend wurden nicht nur medizinische
Standardprodukte verkauft, sondern auch apothekenpflichtige Produkte. Durch den
Vertrieb über den Amazon Marketplace habe der Beklagte die Plattform
gleichzeitig als Werbeträger einbezogen.
Die Daten, die Amazon für den Bestellvorgang erfasst, stellen sicher keine Gesundheitsdaten im engeren Sinne dar, wie z.B. ärztliche Befunde. Gleichwohl können aus den Bestelldaten Rückschlüsse auf die Gesundheit des Bestellers gezogen werden. Soweit der Beklagte einwendet, dass eine Internetbestellung auch für Mitglieder der Familie und andere Personen erfolgen könne, trifft dies zu. Dies senkt aber nur die Wahrscheinlichkeit, mit der der gezogene Rückschluss zutrifft. Dies reicht nach Auffassung des Senates nicht aus, um die Gesundheitsbezogenheit der Daten entfallen zu lassen. Dies würde zu einer Absenkung des Schutzniveaus führen. […]
Insbesondere die Kombination aus mehreren apothekenpflichtigen Medikamenten lässt durchaus einen Rückschluss auf den Gesundheitszustand des Bestellers zu, wenn auch die Wahrscheinlichkeit eines zutreffenden Rückschlusses durch die Möglichkeit der Drittbestellung - wie bereits ausgeführt - an Sicherheit gemindert ist.
Das Gericht stellte
klar, dass vorliegend zwei verschiedene Datenverarbeitungen vorliegen – die Datenverarbeitung
durch Amazon und die Datenverarbeitung durch den Beklagten selbst. Die Datenverarbeitung
durch Amazon und inwieweit diese dem Beklagten zugerechnet werde könne, war
jedoch nicht Gegenstand des Verfahrens.
Die Datenverarbeitung durch die Plattform Amazon Marketplace ist keine Auftragsdatenverarbeitung für den Beklagten im Sinne der DSGVO. Die allgemeinen Geschäftsbedingungen von Amazon enthalten diesen Passus. Eine Auftragsdatenverarbeitung ist auch von keiner Seite behauptet worden; der Beklagte räumt sie selbst ein, dass es sich nicht um eine Auftragsdatenverarbeitung handelt.
Eventuelle Datenschutzverstöße der Plattform Amazon Marketplace sind nicht Teil des Rechtsstreits; der Kläger weist hierauf ausdrücklich hin […]. Insoweit geht es auch nicht um die Frage, ob eventuelle Datenschutzverstöße der Plattform dem Beklagten zugerechnet werden können.
Entscheidend
war damit die Datenverarbeitung durch den Beklagten selbst. Für diese fehle
eine wirksame Einwilligung i.S.d. Art. 9 Abs. 2 a DSGVO.
Nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO kommt es nicht auf die Erhebung, sondern auf die Verarbeitung der dort genannten personenbezogenen Daten an. An einer Einwilligung für die Verarbeitung durch den Beklagten im Sinne des Art. 9 Abs. 2 Buchst. a DSGVO fehlt es hier. Eine ausdrückliche Einwilligung der Kunden beim Bestellvorgang ist von keiner Seite behauptet worden.
Angesichts des Wortlauts des Art. 9 Abs. 2 Buchst. a DSGVO („ausdrücklich eingewilligt“) dürfte eine konkludente Einwilligung die Voraussetzung dieser Vorschrift nicht erfüllen. Darüber hinaus ist die Verpflichtung des Apothekers zur Einholung einer schriftlichen Einwilligung berufsrechtlich durch die Berufsordnung der Apothekenkammer Sachsen-Anhalt konkretisiert.
Dem Kläger
stand damit der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu. Das Gericht hat die
Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen.
Die Frage, ob Mitbewerber Datenschutzverstöße abmahnen können, ist von den Gerichten bislang unterschiedlich entschieden worden. Das OLG Naumburg hat sich jedoch ausdrücklich der Entscheidung des OLG Hamburg angeschlossen. Demnach muss im Einzelfall geprüft werden, ob die DSGVO-Norm, gegen die verstoßen wird, als sog. Marktverhaltensregel einzustufen ist. Ist dies der Fall, steht einer Abmahnung auch durch Konkurrenten nichts im Weg, so das OLG. Zumindest bis ein anderes OLG anders entscheidet, werden diese beiden Entscheidungen der Maßstab für die nächste Zeit sein.
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