Grundsätzlich steht Verbrauchern gem. § 312g Abs. 1 BGB bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht zu. Wer Verbraucher über ein ihnen zustehendes Widerrufsrecht täuscht, handelt unlauter, wie nun das LG Berlin (Urt. v. 11.2.2025 – 15 O 287/24) entschied. Zudem stufte das Gericht die Ausgestaltung der Bestellseite als Dark Patterns ein, also als manipulative gestaltete Benutzeroberfläche und damit als unzulässig.
Die Beklagte betreibt unter der URL https://copecart.com eine digitale Verkaufsplattform. Anbieter, die selbst keinen Onlineshop aufbauen und sich nicht um die Rechnungserstellung und die Forderungsbeitreibung kümmern möchten, können sich auf der Plattform der Beklagten als sog. „Vendoren“ registrieren und ihre Produkte hierüber durch die Beklagte verkaufen lassen. Die Beklagte fungiert auf ihrer Plattform stets als Wiederverkäuferin des jeweils betroffenen Produktes und im Verhältnis zum Endkunden als Verkäuferin der betreffenden Produkte. Nach Durchführung einer jeden Bestellung auf der Webseite der Beklagten erhält der Endkunde eine Bestellbestätigung, die ihm gegebenenfalls - je nach bestelltem Produkttyp - nach Weiterleitung auf die Webseite des Dritten, dessen Produkt oder Dienstleistung erworben wird, angezeigt wird.
Auf der Verkaufsplattform konnten Kunden ein Buch für 4,95 € kaufen. Vor der Bestellung mussten Verbraucher bestätigen, dass sie der Ausführung des Vertrags vor Ablauf der 14-tägigen Widerrufsfrist zustimmen und zur Kenntnis nehmen, dass sie dadurch ihr Widerrufsrecht verlieren.
Allerdings führte der Bestellbutton nicht direkt zur Bestellbestätigung. Stattdessen erschien eine Werbeseite mit einem „persönlichen“, angeblich nur in den nächsten 15 Minuten erhältlichen Angebot eines „Sichtbarkeits-Bundle“ zum reduzierten Preis von 199 statt 899 Euro. Ein eingeblendeter Countdown zählte die Sekunden bis zum Ende der 15 Minuten herunter. Auf dieser Werbeseite erschein folgender Hinweis: „ACHTUNG! Klicke nicht auf „zurück" und schließe diese Seite unter keinen Umständen, um eine doppelte Abbuchung zu vermeiden! STOPP! Fast geschafft!“
Ihnen bleib deshalb nichts anderes übrig, als eine Entscheidung zu treffen: Entweder sie klickten auf den großen, rot hervorgehobenen Button mit der Aufschrift „JA! JETZT ZUR BESTELLUNG HINZUFÜGEN!“. Oder sie klickten auf die in viel kleinerer Schrift gedruckte Erklärung: „Nein, danke. Ich verzichte auf dieses einmalige Angebot…“. Ein Verzicht führte zu einer weiteren Werbeseite. Diesmal wurde ein „Sichtbarkeits Mini-Bundle“ für 99 Euro statt sonst angeblich 399 Euro angepriesen – wieder mit einem Countdown, der bei 15 Minuten startete. Erst nach dem erneuten Verzicht auch auf dieses Angebot wurde die Buchbestellung endlich bestätigt.
Der Kläger, der Bundesverband der Verbraucherzentralen vzbv, mahnte die Beklagte erfolglos ab. Die geforderte Unterlassungserklärung gab sie nicht ab.
Das LG Berlin entschied, dass die Beklagte Verbraucher über das ihnen zustehende Widerrufsrecht getäuscht und damit unlauter gehandelt habe. Zudem stufte das Gericht die Ausgestaltung der Bestellseite als Dark Patterns ein, also als manipulative gestaltete Benutzeroberfläche und damit als unzulässig. Der vzbv hat die Entscheidung veröffentlicht.
Zunächst entschied das Gericht, dass die Beklagte die Verbraucher über das ihnen zustehende Widerrufsrecht getäuscht habe. Nach§ 5 Abs. 2 Nr. 7 UWG ist eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers. Die Angabe, dass bei Zustimmung mit der Ausführung des im Fernabsatz geschlossenen Vertrags zur Lieferung von Waren vor Ablauf der Widerrufsfrist das Widerrufsrecht erlöscht geht, sei unwahr. Aufgrund dieser Aussage könne der Verbraucher von der Geltendmachung seines Widerrufsrechts absehen.
Indem die Beklagte im Zusammenhang mit Fernabsatzverträgen zur Lieferung von Waren über das Erlöschen des Widerrufsrechts in Form der aus dem Tenor zu Ziff 1a) ersichtlichen Formulierung informiert, verstößt sie gegen § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Fall 1 und Fall 2 Nr. 7 UWG.
Nach§ 5 Abs. 2 Fall 1 und Fall 2 Nr. 7 UWG ist eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers.
Die Angabe, dass bei Zustimmung mit der Ausführung des im Fernabsatz geschlossenen Vertrags zur Lieferung von Waren vor Ablauf der Widerrufsfrist das Widerrufsrecht verloren geht, ist unwahr.
Gemäß § 312g Abs. 1 BGB steht dem Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB zu. Dieses konnte jedenfalls bei der Lieferung des dem streitgegenständlichen Vertrag zugrunde liegenden Buches (vgl. Anlage K4) nicht gem. § 356 Abs. 5 BGB erlöschen. Voraussetzung für das Erlöschen des Widerrufsrechts ist nach dieser Vorschrift u.a., dass es sich um Verträge über die Bereitstellung von nicht auf einem körperlichen Datenträger befindliche digitale Inhalte handelt. Digitale Inhalte sind gern. § 327 Abs. 2 Nr. 1 BGB Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden. Dies war vorliegend nicht der Fall, es handelt sich um ein gedrucktes Buch. […]
Die Angabe, dass bei Zustimmung mit der Ausführung des im Fernabsatz geschlossenen Vertrags zur Lieferung von Waren vor Ablauf der Widerrufsfrist das Widerrufsrecht verloren geht, ist aus den unter aaa) dargelegten Gründen auch eine sonstige zur Täuschung geeignete Angabe über die Rechte des Verbrauches aus § 312 ff. BGB. Denn durch die streitgegenständliche Angabe geht der Verbraucher davon aus, dass ihm bei der Lieferung von Waren und im speziellen des streitgegenständlichen Buches kein Widerrufsrecht mehr zusteht, so dass er von der Ausübung seines Widerrufsrechts absehen könnte.
Zudem habe die Beklagte durch die Anzeige der rückwärtslaufenden Uhr gegen Nr. 7 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG verstoßen. Stets unzulässig i.S.d. Nr. 7 zum Anhang des § 3 Abs. 3 UWG ist die unwahre Angabe, bestimmte Waren oder Dienstleistungen seien zu bestimmten Bedingungen nur für einen sehr begrenzten Zeitraum verfügbar, um den Verbraucher zu einer sofortigen geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, ohne dass dieser Zeit und Gelegenheit hat, sich auf Grund von Informationen zu entscheiden. Tatsächlich war vorliegend das Angebot nicht auf den angegebenen Zeitraum begrenzt, sondern nach Ablauf des angezeigten Zeitraums durch Aktualisierung der Webseite nach wie vor zu den preisreduzierten Konditionen erhältlich.
Indem die Beklagte mit preisreduzierten Angeboten wirbt und dabei das Ende des Angebotsszeitraums mit einer rückwärts laufenden Zeitanzeige ankündigt, obwohl das Angebot tatsächlich jedenfalls nicht auf den angezeigten Zeitraum begrenzt ist, sondern nach Ablauf des angezeigten Zeitraums durch Aktualisierung der Webseite nach wie vor zu den preisreduzierten Konditionen erhältlich ist, verstößt sie jedenfalls gegen Nr. 7 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG (Tenor zu 1. b)).
Stets unzulässig i.S.d. Nr. 7 zum Anhang des § 3 Abs. 3 UWG ist die unwahre Angabe, bestimmte Waren oder Dienstleistungen seien zu bestimmten Bedingungen nur für einen sehr begrenzten Zeitraum verfügbar, um den Verbraucher zu einer sofortigen geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, ohne dass dieser Zeit und Gelegenheit hat, sich auf Grund von Informationen zu entscheiden. Die Situation muss sich demnach derart darstellen, dass der Verbraucher sich veranlasst sehen kann, das Produkt sofort zu kaufen, ohne seine Qualität und Preiswürdigkeit näher zu prüfen und ggf. nach Angeboten von Mitbewerbern Ausschau zu halten (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 42. Aufl. 2024, UWG Anhang (zu § 3 Abs. 3) Rn. 7.10, beck-online).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Bei dem angegebenen Zeitraum von 15 Minuten handelt es sich nach Auffassung der Kammer um einen sehr begrenzten Zeitraum, der es dem Verbraucher nicht ermöglicht, das Angebot hinreichend zu prüfen und nach Angeboten anderer zu suchen. Dieser Druck erhöht sich auch deshalb, da das Angebot im Rahmen eines bereits bestehenden Bestellvorgangs erfolgt, der dem Verbraucher eine anderweitige Suche nochmals aufgrund der Sorge erschwert, dass auch der aktuelle Bestellvorgang bei zu langem Zuwarten abgebrochen werden könnte.
Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt auch eine unwahre Angabe vor, eine Ware sei nur für einen sehr begrenzten Zeitraum verfügbar. Denn unstreitig ist das Angebot nicht auf die im Angebot angegebenen 15 Minuten begrenzt, vielmehr kann der Zeitraum durch Aktualisieren der Seite verlängert werden.
Zudem habe die Beklagte, indem sie nach dem Abschluss einer Bestellung durch Anklicken eines Buttons mit der Aufschrift „Jetzt kostenpflichtig bestellen" auf zwei weitere Webseiten mit Werbung weiterleitet und die Bestätigung, dass die Bestellung erfolgreich war, erst nach zweimaliger Ablehnung der weiteren Angebote anzeigt, gegen § 4a Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3, S. 3 UWG verstoßen. Danach handelt unlauter, wer eine aggressive geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die dieser andernfalls nicht getroffen hätte. Auch bei dem Einsatz von Dark Patterns könne eine solche unzulässige Beeinflussung vorliegen. Entscheidend sei die Ausgestaltung im Einzelfall.
Indem die Beklagte nach dem Abschluss einer Bestellung durch Anklicken eines Buttons mit der Aufschrift „Jetzt kostenpflichtig bestellen" auf zwei weitere Webseiten mit Werbung weiterleitet und die Bestätigung, dass die Bestellung erfolgreich war, erst nach zweimaliger Ablehnung der weiteren Angebote anzeigt, verstößt sie jedenfalls gegen § 4a Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3, S. 3 UWG (Tenor zu 1. c)).
Nach § 4a Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3, S. 3 UWG handelt unlauter, wer eine aggressive geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die dieser andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist aggressiv, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers durch unzulässige Beeinflussung erheblich zu beeinträchtigen. Eine unzulässige Beeinflussung liegt vor, wenn der Unternehmer eine Machtposition gegenüber dem Verbraucher zur Ausübung von Druck, auch ohne Anwendung oder Androhung von körperlicher Gewalt, in einer Weise ausnutzt, die die Fähigkeit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt. […]
Eine unzulässige Beeinflussung i.S.v. § 4a Abs. 2 S. 2 Nr. 3 UWG kann allerdings darin bestehen, dass ein Unternehmer manipulative Techniken oder Gestaltungen einsetzt, um geschäftliche Entscheidungen in eine bestimmte Richtung zu lenken. Verstärkt diskutiert werden insbesondere sog. ,.Dark Patterns", die vor allem im Online-Bereich gegenüber Verbrauchern zu finden sind, z.B. bei der Gestaltung von Benutzeroberflächen, Bestellabläufen, Einwilligungsabfragen usw. (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Alexander, 42. Aufl. 2024, UWG § 4a Rn. 1.81a, beck-on line).
Die erforderliche Machtposition des Unternehmers kann sich daraus ergeben, dass dieser über den Ablauf des Entscheidungsprozesses bestimmt und damit in der Lage ist, aufgrund des Einsatzes von verhaltenspsychologischen Erkenntnissen gezielte Verzerrungen im Entscheidungsablauf zu „designen".
Ob die Voraussetzungen von § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG erfüllt sind, hängt von der konkreten Ausgestaltung im Einzelfall ab (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Alexander, 42. Aufl. 2024, UWG § 4a Rn. 1.81a, beck-online). Nach S. 102 der Leitlinien zur UGP-Richtlinie kann insb. ein sog. ,.Confirmshaming", bei dem der Verbraucher durch mehrfache emotionale Botschaften (..Es tut uns leid, dass Sie gehen", .Hier sind die Vorteile, die Sie verlieren") und "visuelle Eingriffe" (auffällige Bilder, die den Nutzer ermutigen, das Abonnement fortzusetzen, anstatt es zu kündigen) aufgefordert wird, seine Entscheidung zu überdenken, Verstöße gegen Artikel 7 (Irreführen de Unterlassungen: § Sa UWG) und Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe d (Verhinderung der Ausübung vertraglicher Rechte wie Kündigung oder Wechsel Geschäftspartner: § 4a Abs. 2 Nr. 4 UWG) der UGP-Richtlinie darstellen.
Nach den oben genannten Grundsätzen sehe das Gericht eine unzulässige Beeinflussung in der Zusammenschau aus konkreter Ausgestaltung der Webseite, der Erforderlichkeit des zweifachen Wegklickens der weiteren Angebote sowie deren konkreten Wortlauts und dem hervorgerufenen Zeitdruck.
Denn durch die Wahl der Gestaltung des Bestellprozesses, in Form der Überleitung zu zwei weiteren Angeboten und des Zwangs diese beiden Angeboten entweder aktiv auszuwählen oder abzulehnen - zumal unter dem bereits zu lit. b) geschilderten Zeitdruck -, sichert die Beklagte sich gegenüber den Verbrauchern eine Machtposition. Die Verbraucher erhalten nach Anklicken von „Jetzt kostenpflichtig bestellen“ nicht unmittelbar eine Rückmeldung, ob ihre Bestellung angenommen wurde und der Vertrag zustande gekommen ist, sondern werden - wenn sie den Text in kleiner blauer Schrift überhaupt als anklickbaren Button wahrnehmen - auf Webseiten weitergeleitet, welche ihnen sogar eine dahingehende Ungewissheit belässt (,,ACHTUNG! Klicke nicht auf „zurück" und schließe diese Seite unter keinen Umständen, um eine doppelte Abbuchung zu vermeiden! STOPP! Fast geschafft!" in Verbindung mit „75 %" bzw. ,,85 % vollständig"). Die Verbraucher werden sodann von der Beklagten gezwungen, hinsichtlich eines weiteren Angebots eine Entscheidung zu treffen und sind dieser damit im Rahmen des Bestellprozesses völlig ausgeliefert. Indem die Beklagte sodann zusätzlich die von den Verbrauchern erzwungene Willenserklärung zur Ablehnung des Angebots in der streitgegenständlichen Art und Weise ausgestaltet (kleine blaue Schrift, der schon nicht als Link erkennbar ist), setzt sie die Verbraucher unter Druck und beeinflusst sie damit unangemessen bei ihrer geschäftlichen Entscheidung.
Soweit die Beklagte auf die Entscheidungen des OLG Frankfurt verweist, sind diese auf den vor liegenden Fall schon nicht übertragbar. Denn die Frage, ob eine unzulässige Beeinflussung vor liegt, ist eine solche des konkreten Einzelfalls. Insbesondere können die Umstände, dass neben der eigentlichen Leistung weitere angeboten werden oder dass mehrfach nachgefragt wird, nicht einzeln betrachtet werden. Vielmehr ergibt sich aus der Gesamtschau des Bestellvorgangs und dessen konkreten Ausgestaltung die Unzulässigkeit.
Die Entscheidung des LG Berlin ist nicht rechtskräftig. Die Revision ist bei KG unter dem Az. 5 U 32/25 anhängig.