EuGH muss entscheiden: Beginnt die Widerrufsfrist auch ohne Muster-Widerrufsformular?

Die formalen Anforderungen an die Widerrufsbelehrung sind komplex und in der Praxis sehr fehleranfällig. Besonders die Pflicht zur Bereitstellung des Muster-Widerrufsformulars steht seit Jahren in der Kritik – es ist für die Praxis vollkommen ungeeignet. Der BGH (Beschl. v. 22.10.2025 – I ZR 192/24) hat nun ein Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage vorgelegt, ob das Fehlen des Muster-Widerrufsformulars tatsächlich den Beginn der Widerrufsfrist hindert. Zudem möchte der BGH beantwortet wissen, ob das Widerrufsrecht bei Verträgen über die Erbringung von Dienstleistungen trotz vollständiger Vertragserfüllung fortbesteht.

Die Beklagte, eine Maklerin, bot auf einer hierfür erstellten Internetseite ein Reihenendhaus in zum Kauf an. Der Kläger stellte über ein dort von der Beklagten bereitgestelltes Kontaktformular Anfang Februar 2020 eine Objektanfrage. Die Beklagte übersandte ihm am 15.2.2020 eine E-Mail mit der Bitte, einen darin enthaltenen Link anzuklicken sowie die dortige Widerrufsbelehrung zu lesen und zu bestätigen, um das Exposé zu erhalten. Der Kläger klickte den Link an und wurde auf eine Webseite der Beklagten weitergeleitet, auf der sich eine Widerrufsbelehrung fand. Auf der Webseite fand sich außerdem die Erklärung, dass der Verbraucher ausdrücklich den Beginn der Ausführung der beauftragten Dienstleistung vor Ende der Widerrufsfrist verlange und Kenntnis davon habe, dass sein Widerrufs-recht vor Ablauf der Widerrufsfrist erlösche, wenn die Dienstleistung vollständig erbracht und mit ihrer Ausführung erst nach Erteilung der ausdrücklichen Zustimmung begonnen worden sei. Der Kläger bestätigte durch Anklicken eines Häkchens, die Widerrufsbelehrung gelesen und akzeptiert zu haben, und betätigte den Button „Bestätigung senden“. Darauf übersandte ihm die Beklagte noch am 15.2.2020 eine E-Mail mit dem Betreff „Bestätigung der Widerrufsbelehrung“, in der sich nochmals die Widerrufsbelehrung nebst Hinweis auf das beigefügte Muster-Widerrufsformular fand. Ob der E-Mail das Muster-Widerrufsformular als Anhang beigefügt war, steht zwischen den Parteien im Streit. Am 4.32020 erwarb der Kläger gemeinsam mit P. T. die Immobilie zu einem Kaufpreis von 480.000 €. Die Beklagte stellte ihm eine Provision in Höhe von 25.704 € in Rechnung, die der Kläger beglich. Mit Schreiben vom 4.6.2020 und 11.1.2021 widerrief er den Maklerauftrag.

Der Kläger hat die Beklagte auf Rückzahlung der Maklerprovision nebst Zinsen sowie auf Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Das LG Mannheim (Urt. v. 22.2.2024 – 8 O 13/24) hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers vor dem OLG Karlsruhe (Urt. v. 16.10.2024 – 15 U 311/24) ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der BGH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Die Vorlagefragen des BGH

Der BGH hat dem EuGH zunächst die Frage vorgelegt, ob die Widerrufsfrist nach der VRRL auch zu laufen beginnt, wenn der Unternehmer das Muster-Widerrufsformular nicht zur Verfügung gestellt hat. Mit seiner zweiten Vorlagefrage möchte der BGH beantwortet wissen, ob ein Widerrufsrecht des Verbrauchers nach Art. 9 Abs. 1 VRRL fortbesteht, obwohl sowohl der Verbraucher als auch der Unternehmer einen zwischen Ihnen geschlossenen Fernabsatzvertrag vollständig erfüllt haben. Zudem möchte der BGH wissen ob dies jedenfalls dann gilt, wenn der Unternehmer dem Verbraucher das Muster-Widerrufsformular nicht zur Verfügung gestellt hat.

Erste Frage: Beginn der Widerrufsfrist ohne Muster-Widerrufsformular?

Das Berufungsgericht habe angenommen, dass die Widerrufsfrist nach § 356 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht zu laufen beginnt, wenn dem Verbraucher das Muster-Widerrufsformular nicht übermittelt wurde. Fraglich sei jedoch, ob diese Beurteilung bei richtlinienkonformer Auslegung zutreffe.

Nach bisheriger Rechtsprechung des EuGH und BGH setze eine ordnungsgemäße Belehrung voraus, dass das Formular dem Verbraucher tatsächlich zur Verfügung gestellt wird; fehle es, beginne die Frist grundsätzlich nicht.

Der EuGH habe jedoch zum Widerrufsrecht nach der Verbraucherkreditrichtlinie entschieden, dass eine unvollständige Information nur dann fehlerhaft sei, wenn sie den Verbraucher irreführt oder seine Fähigkeit zur Ausübung des Widerrufsrechts beeinträchtigt. Daran anknüpfend hat der BGH bei Verbraucherdarlehen angenommen, dass geringfügige Informationsmängel den Fristbeginn nicht hindern, wenn der Verbraucher sein Widerrufsrecht dennoch klar erkennen und ausüben kann.

Fraglich sei jedoch, ob diese Voraussetzungen für den Beginn der Widerrufsfrist nach der Verbraucherkreditrichtlinie auch für den Beginn der Widerrufsfrist nach der VRRL gelten.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zum Widerrufsrecht des Verbrauchers nach Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/48/EG über Verbraucherkreditverträge entschieden, dass eine unvollständige oder fehlerhafte Information zu einer Pflichtangabe nach Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie nur dann als fehlerhafte Belehrung anzusehen ist, wenn der Verbraucher durch sie in Bezug auf seine Rechte und Pflichten irregeführt und somit zum Abschluss eines Vertrags veranlasst wird, den er möglicherweise nicht geschlossen hätte, wenn er über vollständige und inhaltlich zutreffende Informationen verfügt hätte (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2023 - C-38/21, C-47/21 und C-232/21, NJW 2024, 809 [juris Rn. 253 und 264] - BMW Bank u. a.). Von einer Irreführung in diesem Sinne kann nicht ausgegangen werden, wenn der Vertrag andere Elemente enthält, die es dem Verbraucher ermöglichen, die noch fehlenden Infor-mationen leicht zu ermitteln (vgl. EuGH, NJW 2024, 809 [juris Rn. 254 und 256] - BMW Bank u. a.). Erweist sich eine dem Verbraucher gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/48/EG erteilte Information als unvollständig oder fehlerhaft, beginnt die vierzehntägige Widerrufsfrist nach Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/48/EG mithin nur zu laufen, wenn die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit dieser Information nicht geeignet ist, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner Rechte und Pflichten aus der Richtlinie einzuschätzen, oder auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken und ihm gegebenenfalls die Möglichkeit zu nehmen, seine Rechte unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie denen auszuüben, die vorgelegen hätten, sofern die Information vollständig und zutreffend erteilt worden wäre (EuGH, NJW 2024, 809 [juris Rn. 265 und 267] - BMW Bank u. a.). Es ist Sache der nationalen Gerichte, dies zu prüfen (vgl. EuGH, NJW 2024, 809 [juris Rn. 265] - BMW Bank u. a.). […]

Fraglich ist, ob die Voraussetzungen für den Beginn der vierzehntägigen Widerrufsfrist bei einer unzureichenden Information über die nach Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/48/EG vorgeschriebenen Angaben gleichermaßen gelten, wenn die nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83/EU vorgeschriebene Information über das Muster-Widerrufsformular unzureichend ist. Dieser Klärung dient die Vorlagefrage 1.

Übernahme der Grundsätze zur Verbraucherkreditrichtlinie?

Der BGH tendiert dazu, die vom EuGH entwickelten Maßstäbe zum Beginn der Widerrufsfrist bei fehlerhaften oder unvollständigen Informationen nach Art. 10 Abs. 2 Verbraucherkreditrichtlinie auch auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. h VRRL zu übertragen.

Da beide Normen demselben Zweck dienen – dem Verbraucher vor Vertragsschluss ausreichende Informationen zur Vertragsentscheidung und zur Ausübung seines Widerrufsrechts zu verschaffen –, solle auch hier entscheidend sein, ob die Informationsmängel geeignet sind, die Fähigkeit des Verbrauchers zu beeinträchtigen, den Umfang seines Widerrufsrechts einzuschätzen oder dieses sachgerecht auszuüben.

Der Senat neigt dazu, dass die Maßstäbe für den Beginn der Widerrufsfrist bei der Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit einer Information nach Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/48/EG ebenso bei der Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit der nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83/EU zu erteilenden Information über das Muster-Widerrufsformular anwendbar sind.

Die Pflichtangaben nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83/EU zum Widerrufsrecht des Verbrauchers sollen - ebenso wie diejenigen nach Art. 10 Abs. 2 Buchst. p der Richtlinie 2008/48/EG - sicherstellen, dass der Verbraucher vor Abschluss eines Vertrags die Informationen über die Vertragsbedingungen und die Folgen des Vertragsschlusses, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob er sich vertraglich an einen Unternehmer binden möchte, sowie die Informationen erhält, die zur Ausübung seines Widerrufsrechts erforderlich sind (vgl. EuGH, NJW 2024, 809 [juris Rn. 169 und 288] - BMW Bank u. a.; zur Richtlinie 2008/48/EG vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 C33/20, C-155/20 und C-187/20, NJW 2022, 40 [juris Rn. 124] - Volkswagen Bank u. a.; zur Richtlinie 2011/83/EU vgl. EuGH, Urteil vom 5. Mai 2022 C179/21, NJW 2022, 1871 [juris Rn. 26] - Victorinox). Das spricht dafür, für den (fehlenden) Beginn der vierzehntägigen Widerrufsfrist bei einer den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2011/83/EU nicht genügenden Information ebenfalls darauf abzustellen, ob eine unvollständige oder fehlerhafte Information geeignet ist, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seines Widerrufsrechts einzuschätzen oder sich auf seine Entscheidung, den Vertrag zu schließen, auszuwirken und ihm gegebenenfalls die Möglichkeit zu nehmen, sein Widerrufsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei der Erteilung vollständiger und zutreffender Informationen auszuüben (so auch BGH, Beschluss vom 25. Februar 2025 - VIII ZR 143/24, NJW 2025, 1268 [juris Rn. 25]; Beschluss vom 22. Juli 2025 - VIII ZR 5/25, ZIP 2025, 1932 [juris Rn. 12]).

Ist ein fehlendes Muster-Widerrufsformular relevant?

Der Senat erörtert, ob die unionsrechtlichen Maßstäbe auch dann gelten, wenn der Unternehmer den Verbraucher nur unzureichend über das Muster-Widerrufsformular informiert hat. Für den Beginn der Widerrufsfrist spreche, dass der Verbraucher bereits durch die Widerrufsbelehrung ausreichend über Bedingungen, Fristen und Verfahren des Widerrufs aufgeklärt wird und das Formular für seine Vertragsentscheidung oder die Ausübung des Widerrufsrechts nicht zwingend erforderlich ist. Zudem könne der Widerruf auch formlos erfolgen, und im Streitfall wurde auf das Formular hingewiesen.

Demgegenüber betont der Senat, dass die Richtlinie 2011/83/EU die Bereitstellung des Formulars ausdrücklich als zusätzliche Pflichtinformation vorsieht, um die Ausübung des Widerrufsrechts zu erleichtern. Das Fehlen dieser Information könnte daher ein wesentliches Informationsdefizit darstellen, das den Beginn der Widerrufsfrist hindert und andernfalls sanktionslos bliebe.

Fraglich ist allerdings, ob die vorgenannten Grundsätze auch dann gelten, wenn der Unternehmer den Verbraucher entgegen Art. 6 Abs. 1 Buchst. h, Art. 8 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2011/83/EU allein unzureichend über das Muster-Widerrufsformular informiert hat.

Für den Beginn der vierzehntägigen Widerrufsfrist in einem solchen Fall könnte sprechen, dass der Verbraucher durch die ihm zur Verfügung gestellte Widerrufsbelehrung Kenntnis von den Bedingungen, den Fristen und dem Verfahren für die Ausübung seines Widerrufsrechts erlangt sowie in die Lage versetzt wird zu entscheiden, ob er den Fernabsatzvertrag mit dem Unternehmer abschließen möchte oder nicht. Die Überlassung des Muster-Widerrufsformulars ist demgegenüber nicht geeignet, die Entscheidung des Verbrauchers zu beeinflussen, den Fernabsatzvertrag zu schließen oder nicht (EuGH, NJW 2019, 1363 [juris Rn. 46] - Walbusch Walter Busch). Der Verbraucher ist auch nicht gezwungen, zur Ausübung seines Widerrufsrechts auf das Muster-Widerrufsformular zurückgreifen, sondern kann - wie vorliegend geschehen - den Widerruf in anderer Form erklären. Im Streitfall enthielt die Widerrufsbelehrung der Beklagten zudem - anders als in dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20. Februar 2025 (NJW 2025, 1479 [juris Rn. 3 und 26]) zugrundeliegenden Fall - einen Hin-weis auf das Muster-Widerrufsformular. Dem Verbraucher wurde dadurch die erforderliche Kenntnis vermittelt, um sich das Muster-Widerrufsformular - falls er darauf zurückzugreifen beabsichtigte - selbst zu beschaffen.

Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Unionsgesetzgeber die Zurverfügungstellung des Muster-Widerrufsformulars vorgesehen hat, um das Ver-fahren zur Ausübung des Widerrufsrechts zu vereinfachen (vgl. Erwägungsgrund 44 Satz 2 der Richtlinie 2011/83/EU). Bei fehlender Bereitstellung des Muster-Widerrufsformulars wird der Verbraucher daran gehindert, sein Widerrufsrecht unter denselben (erleichterten) Bedingungen auszuüben, wie wenn der Unternehmer ihm das Muster-Widerrufsformular zur Verfügung gestellt hätte (vgl. BGH, NJW-RR 2021, 177 [juris Rn. 64 und 67]; NJW 2025, 1479 [juris Rn. 25 f.]). Außerdem hat der Unionsgesetzgeber in Art. 6 Abs. 1 Buchst. h, Art. 8 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2011/83/EU die Bereitstellung des Muster-Widerrufsformulars ausdrücklich zusätzlich zu der Erteilung der Widerrufsbelehrung vorgeschrieben. Die unterbliebene Zurverfügungstellung des Muster-Widerrufsformulars führt daher zum vollständigen Fehlen einer gesetzlichen Pflichtinformation. Dies könnte dafür sprechen, dass die Überlassung des Muster-Widerrufsformulars kraft Gesetzes eine wesentliche Information darstellt (vgl. BGH, NJW 2025, 1479 [juris Rn. 25 f.]), deren Vorenthaltung den Beginn der vierzehntägigen Widerrufs-frist hindert. Dabei könnte zu berücksichtigen sein, dass der Verstoß des Unter-nehmers gegen seine gesetzliche Pflicht, das Muster-Widerrufsformular zur Ver-fügung zu stellen, andernfalls sanktionslos bliebe (zur Richtlinie 2008/48/EG vgl. EuGH, NJW 2022, 40 [juris Rn. 125] - Volkswagen Bank u. a.).

Die Vorlagefrage 1 ist entscheidungserheblich. Ist eine fehlende Bereitstellung des Muster-Widerrufsformulars geeignet, ein relevantes Informationsdefizit des Verbrauchers zu begründen, hat die vierzehntägige Widerrufsfrist nicht begonnen, selbst wenn der Kläger im konkreten Fall an der rechtzeitigen Ausübung seines Widerrufsrechts nicht gehindert gewesen sein mag. Der Kläger hat den Widerruf dann fristgerecht erklärt. Die Höchstfrist des § 356 Abs. 3 Satz 2 BGB von zwölf Monaten und 14 Tagen war zur Zeit der Widerrufserklärungen noch nicht abgelaufen. Hat die vierzehntägige Widerrufsfrist dagegen trotz der möglicherweise fehlenden Bereitstellung des Muster-Widerrufsformulars begonnen, war das Widerrufsrecht des Klägers bereits im Zeitpunkt seiner ersten, mehr als zwei Monate nach Abschluss des Maklervertrags abgegebenen Widerrufserklärung erloschen.

Zweite Frage: Erlöschen des Widerrufsrechts bei vollständiger Erfüllung?

Das Berufungsgericht nahm an, das Widerrufsrecht des Klägers sei trotz noch laufender Frist erloschen, da der Maklervertrag vollständig erfüllt worden sei. Der BGH möchte wissen, ob diese Auslegung unionsrechtskonform ist. Nach EuGH- und BGH-Rechtsprechung zur Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG erlischt das Widerrufsrecht bei vollständiger Vertragserfüllung, auch bei fehlerhaften Informationen. Offen ist jedoch, ob dieser Grundsatz auf die VRRL übertragbar ist.

Der BGH zeigt erhebliche Zweifel: Die VRRL enthalte eigene Regelungen (insb. Art. 12–16), die dafür sprechen, dass das Widerrufsrecht auch nach beiderseitiger Vertragserfüllung fortbestehen könnte, wenn der Unternehmer den Verbraucher unzureichend über das Muster-Widerrufsformular informiert hat. Anders als die Verbraucherkreditrichtlinie kenne die VRRL keinen generellen Ausschluss bei vollständiger Erfüllung.

Zudem würde Art. 10 Abs. 1 VRRL, der eine Höchstfrist von 12 Monaten und 14 Tagen vorsieht, weitgehend leerlaufen, wenn das Widerrufsrecht bereits mit Vertragserfüllung endete.

Das Berufungsgericht hat angenommen, ungeachtet der möglicherweise unterbliebenen Bereitstellung des Muster-Widerrufsformulars und deshalb noch laufenden Widerrufsfrist sei das Widerrufsrecht des Klägers im Zeitpunkt der Widerrufserklärungen bei richtlinienkonformer Auslegung des § 356 BGB erloschen gewesen, weil die Beklagte die geschuldete Maklerleistung erbracht und der Kläger die dafür geschuldete Provision entrichtet habe und der Vertrag daher von beiden Parteien vollständig erfüllt gewesen sei. Fraglich ist, ob diese Annahme im Lichte der Bestimmungen der Richtlinie 2011/83/EU zutrifft. […]

Der Senat neigt zu der Annahme, dass sich aus den - von den Regelungen der Richtlinie 2008/48/EG abweichenden - Bestimmungen der Richtlinie 2011/83/EU ergibt, dass das Widerrufsrecht des Verbrauchers jedenfalls bei einer unzureichenden Information über das Muster-Widerrufsformular nicht schon wegen der vollständigen Erfüllung des Vertrags durch beide Parteien erlischt.

Erlöschen auch bei Fehlen des Muster-Widerrufsformulars?

Der BGH hält die zweite Vorlagefrage für entscheidungserheblich: Wenn das Muster-Widerrufsformular nicht bereitgestellt werde, liege ein wesentliches Informationsdefizit vor, das den Beginn der Widerrufsfrist hindert. Sei das Widerrufsrecht nicht durch vollständige Vertragserfüllung erloschen, bleibe es auch nach § 356 Abs. 4 S. 1 BGB a.F. bestehen. Nach dieser Vorschrift erlischt das Widerrufsrecht nur, wenn der Unternehmer die Dienstleistung vollständig erbracht und der Verbraucher ausdrücklich zugestimmt und bestätigt hat, dass er sein Widerrufsrecht dadurch verliert. Diese Bestätigung setzt aber voraus, dass der Verbraucher zuvor ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht – einschließlich des Muster-Widerrufsformulars – informiert wurde.

Fehle diese Information, könne der Verbraucher keine wirksame Kenntnis und damit keine wirksame Zustimmung zum Verlust seines Widerrufsrechts haben.

Wenn also das Formular fehle, müsse das Berufungsgericht prüfen, ob es dem Kläger später noch übermittelt wurde. Ein Anspruch auf Rückzahlung der Maklerprovision entfalle nicht wegen unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB). Auch ein Wertersatzanspruch der Beklagten (§ 357 Abs. 8 BGB a.F.) bestehe nicht, weil dieser bei einem erheblichen Informationsdefizit ausgeschlossen ist.

Die Vorlagefrage 2 ist entscheidungserheblich. Liegt im Fall der fehlenden Bereitstellung des Muster-Widerrufsformulars ein wesentliches, den Beginn der vierzehntägigen Widerrufsfrist hinderndes Informationsdefizit des Klägers vor und ist sein Widerrufsrecht nicht dadurch entfallen, dass beide Parteien den Maklervertrag vollständig erfüllt haben, so ist es auch nicht nach § 356 Abs. 4 Satz 1 BGB in der bei Abschluss des Maklervertrags geltenden Fassung er-loschen.

Nach der - der Umsetzung von Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/83/EU dienenden - Vorschrift des § 356 Abs. 4 Satz 1 BGB in der bis zum 27. Mai 2022 geltenden Fassung (aF) erlischt das Widerrufsrecht bei einem Fernabsatzvertrag zur Erbringung von Dienstleistungen auch dann, wenn der Unternehmer die Dienstleistung vollständig erbracht hat und mit der Ausführung der Dienstleistung erst begonnen hat, nachdem der Verbraucher dazu seine ausdrückliche Zustimmung gegeben hat und gleichzeitig seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass er sein Widerrufsrecht bei vollständiger Vertragserfüllung durch den Unternehmer verliert.

Die Erklärung des Verbrauchers, er habe Kenntnis davon, dass sein Widerrufsrecht bei vollständiger Vertragsdurchführung durch den Unternehmer erlischt, setzt seine Kenntnis vom Widerrufsrecht voraus (vgl. BGH, NJW-RR 2021, 177 [juris Rn. 63]; zu § 312d Abs. 3 BGB aF vgl. BGH, WM 2019, 1985 [juris Rn. 32 und 35]). Hierfür ist erforderlich, dass der Unternehmer den Verbraucher ordnungsgemäß über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren zur Ausübung seines Widerrufsrechts belehrt und ihm die erforderliche Widerrufsbelehrung nebst Muster-Widerrufsformular zur Verfügung gestellt hat, damit dieser sein Widerrufsrecht ungehindert ausüben kann (vgl. BGH, NJW-RR 2021, 177 [juris Rn. 67]). Hat die Beklagte das Muster-Widerrufsformular nicht bereitgestellt und dem Kläger dadurch relevante Informationen vorenthalten, so hatte dieser keine Kenntnis von seinem Widerrufsrecht und dessen Verlust, die er hätte bestätigen können.

Sollte im Fall der fehlenden Bereitstellung des Muster-Widerrufsformulars das Widerrufsrecht des Klägers im Zeitpunkt einer seiner Widerrufserklärungen noch nicht erloschen gewesen sein, wird das Berufungsgericht zu klären haben, ob die Beklagte dem Kläger das Muster-Widerrufsformular als Anhang zu der Widerrufsbelehrung in ihrer E-Mail vom 15. Februar 2020 übermittelt hat. Seine Entscheidung, einen Anspruch des Klägers auf Erstattung der gezahlten Makler-provision abzulehnen, stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Mit den vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen kann die Ausübung des Widerrufsrechts nicht als nach § 242 BGB unzulässige Rechtsausübung des Klägers angesehen werden. Im Fall des wirksamen Widerrufs steht der Beklagten die vereinnahmte Maklerprovision auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Wertersatz-anspruchs aus § 357 Abs. 8 Satz 1 BGB aF zu, weil ein solcher Anspruch bei einem wesentlichen Informationsdefizit des Klägers gemäß § 357 Abs. 8 Satz 2 BGB aF ausgeschlossen ist (vgl. BGH, NJW-RR 2021, 177 [juris Rn. 72]).

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04.11.25