Noch immer sind Desinfektionsmittel stark nachgefragt. Hierbei handelt es sich jedoch um Produkte, für die neben speziellen Kennzeichnungsvorschriften auch besondere Vorgaben für die Werbung gelten. Der BGH (Vorlagebeschluss v. 20.4.2023 – I ZR 108/22) beschloss nun, ein Verfahren auszusetzen und dem EuGH die Frage vorzulegen, ob ein Desinfektionsmittel als „hautfreundlich“ beworben werden dürfe.
Die Beklagte, eine Drogeriemarktkette, bewarb auf ihrer Internetseite ein Desinfektionsmittel mit der Aussage „ökologisches Universal-Breitband-Desinfektionsmittel“. Neben dieser Aussage waren zudem auf dem Etikett die Angabe „Hautfreundlich“ und „Bio“ zu lesen. Die Klägerin, die Wettbewerbszentrale, mahnte sie wegen dieser Darstellung ab. Die Beklagte zahlte weder die Abmahngebühren noch gab sie die geforderte Unterlassungserklärung ab. Der Hersteller des Produkts ist dem Streit im Laufe des Verfahrens als Nebenintervenient beigetreten.
Das LG Karlsruhe hatte die Beklagte zur Unterlassung verurteilt. Die beanstandeten Werbeaussagen seien irreführend und verstießen gegen die Biozid-VO. Auf die Berufung der Beklagten hin hatte das OLG Karlsruhe entschieden (Urt. v. 6.2.2022- 6 U 95/21), dass der Begriff „hautfreundlich“ kein „ähnlicher“ und damit ein zulässiger Begriff im Sinne des Art. 72 Abs. 3 S. 2 Biozid-VO sei und wies die eingelegte Berufung zurück.
Mit ihrer anschließenden Revision verfolgt die Klägerin ihren Unterlassungsantrag hinsichtlich der Werbeaussage „hautfreundlich“ weiter. Der BGH hat das Verfahren nun ausgesetzt und dem EuGH Auslegungsfragen der europäischen Vorschriften zur Vorabentscheidung vorgelegt. Dabei stellte der BGH jedoch klar, dass aus seiner Sicht die Bewerbung eines „hautfreundlichen“ Desinfektionsproduktes zulässig sei.
Bei Desinfektionsmitteln handelt es sich um Biozidprodukte. Sie fallen daher in den Anwendungsbereich der Biozid-VO (VO [EU] Nr. 528/2012). Anhang V der Verordnung enthält eine Liste der unter diese Verordnung fallenden Arten von Biozidprodukten mit ihrer Beschreibung. Zur Hauptgruppe 1 zählen Desinfektionsmittel.
Neben den allgemeinen Vorschriften gelten mit Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO zusätzliche Anforderungen an die Werbung für Biozide. Danach darf das Produkt nicht in einer Weise dargestellt werden, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend ist und diese verharmlost.
(3) In der Werbung für Biozidprodukte darf das Produkt nicht in einer Art und Weise dargestellt werden, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend ist. Die Werbung für ein Biozidprodukt darf auf keinen Fall die Angaben „Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial“, „ungiftig“, „unschädlich“, „natürlich“, „umweltfreundlich“, „tierfreundlich“ oder ähnliche Hinweise enthalten.
Der BGH stellte klar, dass der Erfolg der von der Klägerin eingelegten Revision davon abhängig sei, wie der Begriff der in einer Werbung für Biozidprodukte verbotenen „ähnlichen Hinweise“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 S. 2 Biozid-VO über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten auszulegen sei. Diese Frage sei entscheidungserheblich und bislang noch nicht durch den EuGH ausgelegt worden. Die richtige Auslegung des Unionsrechts sei außerdem nicht derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bliebe. Demzufolge wurde dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind „ähnliche Hinweise“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 nur solche in einer Werbung enthaltenen Hinweise, die genauso wie die in dieser Vorschrift ausdrücklich aufgezählten Begriffe die Eigenschaften des Biozids hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit in pauschaler Weise verharmlosen, oder fallen unter „ähnliche Hinweise“ alle Begriffe, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit einen den konkret aufgezählten Begriffen vergleichbaren verharmlosenden, nicht aber zwingend auch einen generalisierenden Gehalt wie diese aufweisen?
Anschließend führte der BGH aus, dass die Bewerbung eines Desinfektionsmittels als „hautfreundlich“ aus seiner Sicht zulässig sei. Zwar lasse sich die Frage, was unter „ähnlichen Hinweisen“ zu verstehen sei, anhand des Wortlaut des Art. 72 Biozid-VO nicht beantworten. Allerdings spreche der Zweck der Norm für die Zulässigkeit der Werbeaussage. So sei mit der Verordnung der Ausgleich des freien Verkehrs von Biozidprodukten und ein hohes Schutzniveau für Mensch und Tier angestrebt.
Allein anhand des Wortlauts des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO lässt sich die Frage, was unter „ähnliche Hinweise“ zu verstehen ist, nicht beantworten. […] Aus den Erwägungsgründen 1 und 3 Biozid-VO geht hervor, dass der Unionsgesetzgeber den freien Verkehr von Biozidprodukten und ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt in einen spezifischen Ausgleich bringen wollte. Eine am Wortlaut orientierte Auslegung von Art. 72 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 1 und 3 Biozid-VO ergibt, dass der Bereich der Angaben über die mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken, die in der Werbung für diese Erzeugnisse verwendet werden dürfen, vom Unionsgesetzgeber vollständig harmonisiert wurde […].
Daran anknüpfend stellte der BGH fest, dass eine Auslegung des Irreführungsverbots aus Art. 72 Abs. 3 S. 2 Biozid-VO unter Berücksichtigung des angestrebten Gesundheitsschutzes für die Zulässigkeit der Werbeaussage „hautfreundlich“ spreche. Eine pauschale Verharmlosung des Risikopotenzials beim Einsatz und der Verwendung von Biozidprodukten sei gerade nicht anzunehmen. Stattdessen würde sich die Werbung auf spezifische Aspekte des Produkts beziehen und damit potenzielle Nebenwirkungen nicht negieren.
Gerade weil die Angaben, die nach Auffassung des Senats nicht unter „ähnliche Hinweise“ fallen, das Biozidprodukt nicht pauschal verharmlosen, sondern sich (nur) auf spezifische Aspekte des Produkts beziehen und damit denkbare schädliche Nebenwirkungen nicht negieren, besteht keine Gefahr, dass der Verkehr bei Hinweisen dieser Art die grundsätzliche Gefährlichkeit des Biozidprodukts aus den Augen verliert. Nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Verkehrsverständnis unterscheidet der Verkehr zwischen der Wirksamkeit eines Desinfektionsmittels im Allgemeinen und dessen einzelnen Wirkungsaspekten. Er entnimmt dem Attribut „Hautfreundlich“ im Zusammenhang mit einem Desinfektionsmittel, dessen Wirkung bestimmungsgemäß gegen die Integrität bestimmter Organismen gerichtet ist und das herkömmlicherweise nicht wegen einer unmittelbar gesundheitsförderlichen Wirkung seiner Inhaltsstoffe angewendet wird, nur eine Relativierung schädlicher Nebenwirkungen. Damit besteht auch nicht die Gefahr, dass Verbraucher ein Biozid weniger kritisch einsetzen, weil sie einen (nicht irreführenden) spezifischen, auf das Produkt bezogenen Hinweis erhalten.
In Art. 72 Abs. 3 S. 2 Biozid-VO sei ein Irreführungsverbot flankiert, nach welchem Biozidprodukte in der Werbung nicht dergestalt beworben werden dürften, dass Risiken der Produkte für die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt in den Hintergrund rücken würden oder nur auf einzelne Merkmale des Produkts abgestellt werde. Dies spreche für die Zulässigkeit des Desinfektionsmittels als „hautfreundlich“.
Für die hier befürwortete Auslegung von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO spricht ferner, dass die dort genannten Angaben einem von einer Irreführungsgefahr unabhängigen Totalverbot unterliegen. Dieses partielle Totalverbot wird von dem in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Biozid-VO verankerten Irreführungsverbot flankiert, nach dem ein Biozidprodukt in der Werbung nicht in einer Art und Weise dargestellt werden darf, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend ist. In einer Gesamtschau wirkt die Regulierung der Werbung für Biozidprodukte in Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO deshalb auch bei der vom Senat befürworteten Auslegung der Variante „ähnliche Hinweise“ in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO der Gefahr entgegen, dass der Absatz von Biozidprodukten mit Werbetexten gefördert wird, welche die den Produkten inhärente Schädigungseignung in den Hintergrund rücken und nur auf einzelne Merkmale des Produkts abstellen.
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