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LG Cottbus: Widerrufsrecht auch bei personalisierter Ware möglich

Das Widerrufsrecht des Verbrauchers greift nicht, wenn er Ware kauft, die speziell nach seinen individuellen Wünschen hergestellt wurde. Das LG Cottbus (Urt. v. 29.9.2022 – 2 O 223/21) entschied nun, dass diese Ausnahme nicht greift, wenn sich die Personalisierung ohne Substanzverletzung der Ware entfernen lasse.

Die Beklagte vertreibt Faksimiles historischer Bücher. Am 28.5.2020 schloss der Kläger in seiner Wohnung mit einem Vertreter der Beklagten einen Kaufvertrag über ein Faksimile zu einem Preis von 7.920 €. Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen steht Verbrauchern wie bei Fernabsatzverträgen grundsätzlich ein Widerrufsrecht nach § 312g BGB zu. Auf der Bestellurkunde befand sich ein Kästchen mit dem nachfolgenden Text „Personalisierung gewünscht / Name und Editionsnummer auf Messingschild (Widerrufsrecht nach Lieferung ausgeschlossen)”, welches händisch angekreuzt wurde. Ein solches Messingschild kostete die Beklagte weniger als 20 € und wurde mit Schrauben oder Nieten befestigt. Es ließ sich ohne Substanzbeeinträchtigung an der Ware wieder entfernen und durch ein anderes Messingschild ersetzen.

Der Bestellurkunde lagen auch eine Widerrufsbelehrung und ein Widerrufsformular bei. Die Widerrufsbelehrung enthielt den Hinweis, dass der Widerruf „mittels einer eindeutigen Erklärung (z.B. ein mit der Post versandter Brief, Telefax oder E-Mail)“ auszuüben sei. Eine Anschrift, eine Telefaxnummer oder eine E-Mail-Adresse der Beklagten enthielt die Widerrufsbelehrung jedoch nicht. Der Kläger zahlte den Kaufpreis und erhielt daraufhin das Faksimile. Auf der Innenseite des Einbandes war ein gefaltetes Blatt Papier eingeklebt. Auf der linken Seite dieses Blattes wurde mit einer „Notariellen Beurkundung” bekundet, dass das Faksimile eine bestimmte Nummer trage. Auf der rechten Seite des Blattes befand sich ein vorgedruckter Text: „Dies ist das persönliche Exemplar für” , wobei handschriftlich der Name des Klägers eingetragen wurde. Ein Messingschild enthielt das Buch jedoch nicht.

Mit Schreiben vom 25.1.2021 erklärte der Kläger sodann den Widerruf des Vertrags. Daraufhin antwortete die Beklagte, dass die Widerrufsfrist bereits abgelaufen sei und der Widerspruch ohnehin ausgeschlossen sei, da der Kläger ein personalisiertes Buch erhalten habe. Der Kläger ist der Ansicht, dass es sich bei der in das Faksimile eingeklebten „Beglaubigung” um eine aufgedrängte Personalisierung handele, durch die das Widerrufsrecht nicht ausgeschlossen sei. Da ein Messingschild trotz Vereinbarung nicht angebracht wurde, sei das Widerrufsrecht ohnehin nicht ausgeschlossen.

Dieser Auffassung schloss sich das LG Cottbus an. Das Widerrufsrecht sei nicht gem. § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen. Der Kläger habe auch noch nach sechs Monaten wirksam widerrufen können, da er nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt wurde.

Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises

Zunächst stellte das Gericht fest, dass der Kläger einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Faksimiles aus §§ 357 Abs. 1, 355 Abs. 1, 312g Abs. 1, 312b, 312 BGB habe. Der Vertrag sei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen worden, sodass grundsätzlich ein Widerrufsrecht bestehe.

Dem Kläger stand gemäß § 312g Abs. 1 BGB ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu. Der Kläger hat mit der Beklagten einen Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB über die Lieferung eines Faksimiles „Liber Scivias – Die göttlichen Visionen der Hildegard von Bingen“ geschlossen und sich zur Zahlung eines Kaufpreises i.H.v. 7.920,00 € verpflichtet. Für eine Einschränkung des Anwendungsbereiches der Widerrufsvorschriften nach § 312 Abs. 2 bis 6 BGB bestehen keine Anhaltspunkte. Es handelt sich um einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag im Sinne des § 312b BGB, denn jedenfalls hat der Kläger hat sein Kaufangebot bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit eines Vertreters der Beklagten in seiner Wohnung abgegeben, was gem. § 312b Abs. 1 Nr. 2 BGB ausreichend ist. Insofern kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte das Angebot sogleich in der Wohnung des Klägers durch ihren Vertreter oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durch die Lieferung des Faksimiles angenommen hat.

Aufgedrängte Individualisierung

Das Widerrufsrecht sei auch nicht gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen. Auf das eingeklebte Blatt, welches die „Notarielle Beurkundung“ und die handschriftliche Eintragung des Käufers enthalte, komme es nicht an. Aus den Bestellunterlagen gehe nicht hervor, dass der Kläger eine derartige Individualisierung des Faksimiles bestellt habe. Damit handele es sich um eine aufgedrängte Individualisierung der Beklagten, so das Gericht.

Auf die handschriftliche Eintragung des Namens des Klägers in die eingeklebte „Notarielle Beurkundung“ kommt es nicht an, denn eine derartige Individualisierung des Faksimiles hat der Kläger nicht bestellt. Vielmehr ist in der Bestellurkunde eine Individualisierung durch ein Messingschild angekreuzt. Zwar hat die Beklagte behauptet, dass der Kläger eine Individualisierung durch eine notarielle Beurkundung gewünscht habe. Für diese – vom Inhalt der Bestellurkunde abweichende – Behauptung hat die Beklagte jedoch keinen Beweis angetreten. Durch eine ohne ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers vom Unternehmer vorgenommene und damit aufgedrängte Individualisierung wird das Widerrufsrecht nicht gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen.

Irreführende Widerrufsbelehrung

Anschließend führte das Gericht aus, dass das Widerrufsrecht auch nicht durch die vom Kläger bestellte Individualisierung in Form der Anbringung eines Messingschildes mit seinem Namen gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen gewesen sei, da ein solches Messingschild tatsächlich nicht geliefert wurde. Das Gericht betonte unter Berufung auf die Rspr. des EuGH auch noch einmal, dass es unerheblich sei, wann eine vereinbarte Individualisierung der Ware vorgenommen werde. Im vorliegenden Fall könne sich die Beklagte jedoch nicht auf dem Ausschluss des Widerrufsrechts gem. § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB berufen, da sie den Kläger in den Bestellunterlagen irreführend darüber belehrt habe, dass das Widerrufsrecht nach Lieferung ausgeschlossen sei, obwohl dieses generell ausgeschlossen sei. Ein durchschnittlicher Verbraucher dürfte dies so verstehen, dass der Widerruf vor Lieferung noch möglich gewesen sei.

Das Widerrufsrecht war schon deshalb nicht ausgeschlossen, weil die Beklagte ein Faksimile mit der bestellten Individualisierung durch ein Messingschild nicht geliefert hat. Zwar ist es für das Eingreifen des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB […] grundsätzlich unerheblich, ob der Unternehmer die vereinbarte Individualisierung im Zeitpunkt des Widerrufs bereits vorgenommen hat. Insofern ist allein entscheidend, ob sich die Parteien über eine tatbestandsmäßige Individualisierung der Kaufsache geeinigt haben. Wann der Unternehmer diese Individualisierung vornimmt, spielt keine Rolle […]. Vorliegend kann sich die Beklagte auf einen Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB vor der Lieferung eines entsprechend personalisierten Faksimiles jedoch nach Treu und Glauben aus § 242 BGB nicht berufen, denn sie hat den Kläger in der Bestellurkunde über einen Ausschluss des Widerrufsrechts irreführend belehrt, indem sie dort darauf hingewiesen hat, dass das Widerrufsrecht im Falle der Personalisierung „nach Lieferung“ ausgeschlossen sei. Der durchschnittliche Adressat der Bestellurkunde ohne besondere Rechtskenntnisse konnte diesen Hinweis ohne Weiteres dahingehend verstehen, dass ein Widerrufsrecht vor der Lieferung des entsprechend personalisierten Faksimile noch nicht ausgeschlossen ist. An diesem von ihr unmittelbar durch die Gestaltung der Bestellurkunde vermittelten (rechtlich unzutreffenden) Eindruck muss sich die Beklagte unbeschadet des Umstandes festhalten lassen, dass sie in der Widerrufsbelehrung (rechtlich zutreffend aber abstrakt) darauf hingewiesen hat, dass das Widerrufsrecht im Falle einer Individualisierung der Ware generell ausgeschlossen ist.

Kein Ausschluss des Widerrufsrechts

Unbeschadet der Hinweise in der Bestellurkunde sei das Widerrufsrecht auch nicht ausgeschlossen, da sich das vom Kläger bestellte Messingschild ohne Einbuße an der Substanz des Faksimiles wieder entfernen und durch ein anderes gleich großes Messingschild ersetzen ließe. Entscheidend sei, ob die Individualisierung nicht ohne Substanzeinbuße oder Verlust der Funktionsfähigkeit bzw. nur mit unverhältnismäßigem Aufwand wieder rückgängig machen ließe. Rückbaukosten unter 5 % seien jedenfalls als verhältnismäßig anzusehen, so das Gericht. Es berief sich hierbei auf die Rspr. des BGH aus dem Jahr 2003, die auch nach der aktuellen Rechtslage Anwendung finde.

Nach dem Sinn und Zweck des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB soll ein Widerruf in Fällen ausgeschlossen sein, in denen die Angaben des Verbrauchers, nach denen die Ware angefertigt wird, die Sache so individualisieren, dass diese für den Unternehmer im Falle ihrer Rücknahme wirtschaftlich wertlos ist, weil er sie wegen ihrer vom Verbraucher veranlassten besonderen Gestalt anderweitig nicht mehr oder allenfalls noch unter erhöhten Schwierigkeiten und mit erheblichem Preisnachlass absetzen kann. Entscheidend ist, ob die Anfertigung der Ware bzw. deren Zuschnitt auf die Bedürfnisse des Verbrauchers nicht ohne Einbuße an Substanz und Funktionsfähigkeit ihrer Bestandteile bzw. nur mit unverhältnismäßigem Aufwand wieder rückgängig zu machen ist [BGH, Urt. v. 19.03.2003 – VIII ZR 295/01 – Juris, Rn 15]. Rückbaukosten jedenfalls unter 5 % des Warenwerts sind dabei als noch verhältnismäßig anzusehen […]. An dieser Rechtsauffassung ist auch nach Inkrafttreten der Verbraucherrechterichtlinie vom 25.10.2011 (Richtlinie 2011/83/EU) unverändert festzuhalten [vgl. Buchmann, Das neue Fernabsatzrecht 2014 (Teil 3), in: K&R 2014, S. 369 (372); Wendehorst, in: MüKo-BGB, 9. Auflage 2022, § 312g Rn. 17]. Auf dieser Grundlage sind die Voraussetzungen eines Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB durch die Vereinbarung der Anbringung eines Messingschildes mit dem Namen des Klägers nicht gegeben. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers ließe sich das Messingschild problemlos wieder entfernen und durch ein anderes, gleich großes Messingschild mit dem Namen eines anderen Käufers ersetzen. Der Wert des Messingschildes liegt unbestritten unter 20,00 € und damit weit unter 1 % des vereinbarten Kaufpreises. Die Beklagte könnte ein durch ein Messingschild für den Kläger personalisiertes Faksimile daher ohne Überschreiten der Opfergrenze wieder verkehrsfähig machen und erneut zum Kauf anbieten.

Fehlerhafte Widerrufsbelehrung

Anschließend stellte das Gericht klar, dass die allgemeine Widerrufsfrist von 14 Tagen (§§ 355 Abs. 2 Satz 1, 312g Abs. 1 BGB) gem. § 356 Abs. 3 S. 1 BGB noch nicht zu laufen begonnen habe, da die Beklagte den Kläger nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht unterrichtet hatte. Die Beklagte habe unzulässigerweise durch die Ausgestaltung ihrer Widerrufsbelehrung den Eindruck erweckt, dass das Widerrufsrecht nach Lieferung nicht mehr bestehe. Außerdem sei die Widerrufsbelehrung fehlerhaft, da sie entgegen der Informationspflichten ihre Anschrift nicht angegeben habe. Dementsprechend betrage die Widerrufsfrist vorliegend 12 Monate und 14 Tage.

Grundvoraussetzung für eine ordnungsgemäße Belehrung über die Bedingungen für die Ausübung des Widerrufsrechts gem. Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB ist die Belehrung darüber, dass ein Widerrufsrecht überhaupt besteht. Die Beklagte hat durch die Gestaltung des Bestellformulars, wonach bei Ankreuzung des Kästchens zur Personalisierung durch das Messingschild ein Widerrufsrecht nach Lieferung ausgeschlossen sei, jedoch den unzutreffenden Eindruck erweckt, dass ein Widerrufsrecht im konkreten Fall jedenfalls nach Lieferung nicht mehr bestehe. Dieser unmittelbar durch die Bestellurkunde erweckte unzutreffende Eindruck wird auch nicht dadurch ausgeräumt, dass die Voraussetzungen eines Ausschlusses des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB in der Widerrufsbelehrung in abstrakter Weise korrekt dargestellt worden sind. Darüber hinaus ist die Widerrufsbelehrung jedoch auch deshalb fehlerhaft, weil entgegen Art. 246a § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EBGBG die Anschrift der Beklagten nicht angegeben ist. Insofern weicht die Widerrufsbelehrung auch von dem Muster nach Anlage 1 zu Artikel 246a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB ab, nach dessen Gestaltungshinweis Nr. 2 in die Widerrufsbelehrung den Namen, die Anschrift, die Telefonnummer und die E-Mail-Adresse des Unternehmers einzutragen sind. Die Ausschlussfrist gem. §§ 356 Abs. 3 S. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 lit. a BGB von zwölf Monaten und 14 Tagen ab Lieferung war zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung im Januar 2021 noch nicht verstrichen.

Fazit

Das Urteil des LG Cottbus bestätigt, dass die BGH-Rspr. zum Ausschluss des Widerrufsrechts bei Kundenspezifikation gem. § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB nach wie vor Anwendung findet. Für einen Ausschluss müssen zwei Voraussetzungen vorliegen: Zunächst kommt es darauf an, dass der Händler die vom Kunden veranlasste Anfertigung der Ware nicht ohne Weiteres rückgängig machen kann. Der Aufwand und die wirtschaftlichen Einbußen für einen Rückbau sind dem Unternehmer zuzumuten, wenn diese weniger als 5 % des Warenwerts ausmachen. Zweitens darf es dem Unternehmer – unabhängig von der „Zerlegbarkeit“ – wirtschaftlich betrachtet nicht zumutbar sein, die individuell angefertigte Ware zurückzunehmen, weil er sie nicht mit verhältnismäßigem Aufwand weiterverkaufen kann.

Zudem zeigt das Urteil die Bedeutung einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung. Bei fehlerhaften Widerrufsbelehrungen drohen nicht nur kostspielige Abmahnungen, sondern auch die Verlängerung des Widerrufsrechts des Verbrauchers. Die Muster-Widerrufsbelehrung und das -formular wurden zuletzt zum 28.5.2022 geändert.

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