Die Auswahl einer Anrede im Bestellprozess eines Online-Shops wird häufig als Pflichtfeld gekennzeichnet. Das OLG Frankfurt a.M. (Urt. v. 21.6.2022 – 9 U 92/20) entschied nun, dass eine solche verpflichtende Auswahl zwischen der Anrede „Herr“ und „Frau“ im Registrierungs- und/oder Bestellprozess Personen mit nicht binärer Geschlechtsidentität in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletze und gegen das Benachteiligungsverbot nach AGG verstoße. Das Gericht sprach der klagenden Person eine Entschädigung i.H.v. 1.000 € zu.

Die Beklagte ist die Vertriebstochter eines deutschlandweit tätigen Eisenbahnkonzerns. Bei der Buchung einer Fahrkarte über ihren Internetauftritt muss der Kunde die Anrede „Herr“ oder „Frau“ wählen. Eine geschlechtsneutrale Anrede war nicht verfügbar. Die Auswahl kann nicht offengelassen werden. Auch die Registrierung als Kunde erforderte die Festlegung als „Herr“ oder „Frau“. Die klagende Person besitzt eine nicht-binäre Geschlechtsidentität. Sie ließ die Beklagte abmahnen und forderte Unterlassung dieses Auswahlzwangs und die Zahlung einer Entschädigung. Das LG Frankfurt a.M. (Urt. v. 3.12.2020 – 2-13 O 131/20) entschied, dass der klagenden Person der Unterlassungsanspruch zustehe, ein Anspruch auf Entschädigung bestehe jedoch nicht. Gegen diese Entscheidung richten sich die Berufungen der beiden Parteien.

Das OLG Frankfurt hat nun die Unterlassungsansprüche der klagenden Person bestätigt, der Beklagten jedoch hinsichtlich des Unterlassungsgebots teilweise eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende eingeräumt. Zudem hat es der klagenden Person eine Entschädigung i.H.v. 1.000 € zugesprochen. Ähnlich entschied zuletzt auch das OLG Karlsruhe.

Die Entscheidung liegt noch nicht im Volltext vor, das Gericht hat jedoch bereits eine Pressemitteilung veröffentlicht.

Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot

Während die Vorinstanz keinen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sah, nahm das OLG Frankfurt einen solchen Verstoß an.

Die klagende Person könne wegen einer unmittelbaren Benachteiligung im Sinne der §§ 3, 19 AGG aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität bei der Begründung und Durchführung von zivilrechtlichen Schuldverhältnissen im Massenverkehr Unterlassung verlangen, begründete das OLG seine Entscheidung. Das Merkmal der Begründung eines Schuldverhältnisses sei dabei weit auszulegen und nicht nur auf konkrete Vertragsanbahnungen zu beziehen. Es umfasse auch die Verhinderung geschäftlicher Kontakte, wenn Menschen mit nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit gezwungen würden, für einen Online-Vertragsschluss zwingend die Anrede „Herr“ oder „Frau“ auszuwählen.

Teilweise Umstellungsfrist gewährt

Hinsichtlich des von der Beklagten zur Verfügung gestellten Buchungssystems für Online-Fahrkarten, das sich nicht nur an die klagende Person richtet, hat das Gericht der Beklagten eine Umstellungsfrist bis zum Jahresende eingeräumt. Ab dem 1.1.2023 habe sie es zu unterlassen, die klagende Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit dadurch zu diskriminieren, dass diese bei der Nutzung von Angeboten des Unternehmens zwingend eine Anrede als „Herr“ oder „Frau“ angeben muss. Die gewährte Umstellungsfrist habe das Gericht nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit im Hinblick auf den für die Anpassung erforderlichen erheblichen Aufwand bemessen.

Anders sieht es hingegen hinsichtlich der individuellen Kommunikation mit der klagenden Person aus. Hier hat das OLG der Beklagten keine Umstellungsfrist gewährt.

Keine Umstellungsfrist hat das OLG der Beklagten dagegen gewährt, soweit sich der Unterlassungsanspruch der klagenden Person auf die Ausstellung von Fahrkarten, Schreiben des Kundenservice, Werbung und gespeicherte personenbezogene Daten bezieht. In der diesbezüglichen individuellen Kommunikation sei es für die Beklagte technisch realisierbar und auch im Hinblick auf den finanziellen und personellen Aufwand zumutbar, dem Unterlassungsanspruch ohne Übergangsfrist zu entsprechen.

Anspruch auf Entschädigung i.H.v. 1.000 €

Zudem sprach das Gericht der klagenden Person wegen der Verletzung des Benachteiligungsverbots aus dem AGG eine Entschädigung i.H.v. 1.000 € zu.

Die klagende Person habe infolge der Verletzung des Benachteiligungsverbots einen immateriellen Schaden erlitten, begründet das OLG. Sie erlebe „die Zuschreibung von Männlichkeit“ seitens der Beklagten als Angriff auf die eigene Person, welche zu deutlichen psychischen Belastungen führe. Die Entschädigung in Geld sei angemessen, da sie der klagenden Person Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung und Zurücksetzung verschaffe. Abzuwägen seien dabei die Bedeutung und Tragweite der Benachteiligung für die klagende Person einerseits und die Beweggründe der Beklagten andererseits. Die Benachteiligungen für die klagende Person sei hier als so massiv zu bewerten, dass sie nicht auf andere Weise als durch Geldzahlung befriedigend ausgeglichen werden könnten. Zu Gunsten der Beklagten sei aber zu berücksichtigen, dass keine individuell gegen die Beklagte gerichteten Benachteiligungshandlungen erfolgt seien. Zudem handele es sich bei der Frage der Anerkennung der Persönlichkeitsrechte von Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität um eine neuere gesellschaftliche Entwicklung, welche selbst in der Gleichbehandlungsrichtlinie aus dem Jahr 2004 (RL 2004/11/EG) noch keinen Niederschlag gefunden habe. So sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei Einführung ihrer Software in Bezug auf den Online-Ticketkauf bewusst oder absichtlich zur Benachteiligung nicht-binärer Personen eine geschlechtsneutrale Erwerbsoption ausgespart habe. Allerdings habe die Beklagte ihre IT-Systeme im Unterschied zu anderen großen Unternehmen bislang nicht angepasst. Zudem sei ihr vorzuhalten, dass sie gerade in der individuellen Kommunikation mit der klagenden Person – so etwa hinsichtlich der BahnCard – nach wie vor eine unzutreffende männliche Anrede verwende.

Fazit

Um Ihren Kunden diskriminierungsfreie Bestellungen zu ermöglichen, sollten Sie die Auswahlmöglichkeit für die Anrede nicht als Pflichtfeld ausgestalten. Eine Auswahl ist für den Abschluss und die Ausführung des Vertrags grundsätzlich nicht erforderlich. Alternativ können Sie eine dritte Auswahlmöglichkeit aufnehmen, um auch Kunden mit nicht-binärer Geschlechtsidentität eine Einordnung zu ermöglichen.

r.classen/Shutterstock.com

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