Die Auswahl einer Anrede im Bestellprozess eines Online-Shops wird häufig als Pflichtfeld gekennzeichnet. Das OLG Karlsruhe (Urt. v. 14.12.2021 – 24 U 19/21) entschied nun, dass eine zwingende Auswahl nur zwischen den Anreden „Frau“ oder „Herr“ im Registrierungs- und Bestellprozess gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstoße und Personen nicht binären Geschlechts in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzte. Entsprechend entschied zuletzt bereits das LG Frankfurt a.M.

Die klagende Person, in deren Personenstandsdaten beim Standesamt „keine Angabe“ unter der Rubrik „Geschlecht“ eingetragen ist, hatte im Herbst 2019 auf der Website der Beklagten, einem Bekleidungsunternehmen, verschiedene Kleidungsstücke bestellt. Sowohl für die Registrierung als auch den Kauf war eine Auswahl zwischen den beiden Anreden „Frau“ oder „Herr“ erforderlich. Eine dritte Auswahl gab es zum damaligen Zeitpunkt nicht. Die klagende Person tätigte die Käufe unter der Anrede „Herr“.

Die klagende Person machte einen Unterlassungsanspruch geltend und forderte eine Geldentschädigung von 2.500 €. Das LG Mannheim (Urt. v. 7.5.2021 – 9 O 188/20) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der klagenden Person blieb nun ohne Erfolg. Es liege zwar ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der klagenden Person vor, ein Anspruch auf eine Entschädigung stehe ihr jedoch nicht zu.

Die Entscheidung liegt noch nicht im Volltext vor, das Gericht hat jedoch bereits eine Pressemitteilung veröffentlicht.

Verstoß gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

Das Gericht stellte zunächst Verstöße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der klagenden Person fest.

Nach den Ausführungen des 24. Zivilsenats liegt zwar eine nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verbotene unmittelbare Benachteiligung der klagenden Person wegen des Geschlechts bei der Begründung eines zivilrechtlichen Schuldverhältnisses im Rahmen eines sog. Massengeschäfts vor. Die klagende Person konnte – anders als eine Person mit männlichem oder weiblichem Geschlecht – den Kaufvorgang nicht abschließen, ohne im dafür vorgesehenen Feld eine Angabe zu machen, die der eigenen geschlechtlichen Identität nicht entspricht. Hierdurch wurde zugleich das Allgemeines Persönlichkeitsrecht der klagenden Person in seiner Ausprägung des Schutzes der geschlechtlichen Identität verletzt.

Kein Anspruch auf Unterlassung

In der Zwischenzeit hat die Beklagte im Anredefeld die zusätzliche Auswahlmöglichkeit „Divers/keine Anrede“ hinzugefügt. Weitere Verletzungen des Benachteiligungsverbots seien damit nicht mehr zu befürchten, so das Gericht. Damit sei die für den Anspruch auf Unterlassung erforderliche Wiederholungsgefahr entfallen.

Ein Anspruch auf Unterlassung besteht mangels einer dafür erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht. Zwischenzeitlich hat das beklagte Unternehmen im Anredefeld neben den Bezeichnungen „Frau“ und „Herr“ die Auswahlmöglichkeit „Divers/keine Anrede“ aufgenommen. Sie hat damit eine geschlechtsneutrale Anrede für die Zukunft sichergestellt. Die klagende Person wird bei der Auswahl dieses Feldes nur noch mit der Höflichkeitsform „Guten Tag [Vorname Nachname]“ angesprochen. Ihr wird nicht mehr zugemutet, sich mit der Wahl einer geschlechtsspezifischen Anrede einer Identität zuzuordnen, die der eigenen nicht entspricht. Deshalb sowie nach den weiteren Umständen des Streitfalles sind weitere Verletzungen des Benachteiligungsverbots nicht mehr ernsthaft zu erwarten.

Kein Anspruch auf Entschädigung

Ein Anspruch auf Entschädigung in Geld wegen Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei jedoch im Ergebnis abzulehnen. Nicht jede Rechtsverletzung löse einen solchen Anspruch aus.

Auch ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung in Geld steht der klagenden Person nicht zu. Nicht jede Berührung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts löst einen Anspruch auf Geldentschädigung aus. Dafür erforderlich ist vielmehr eine schwerwiegende Verletzung des Benachteiligungsverbots, die eine gewisse Intensität der Herab- und Zurücksetzung erreicht. Diese Voraussetzungen liegen im vorliegend zu entscheidenden Einzelfall jedoch nicht vor. Die Benachteiligung wurde nur im privaten Bereich und nicht in der Öffentlichkeit vorgenommen; sie wiegt deshalb weniger schwer. Der Grad des Verschuldens der Beklagten ist gering. Ihr kam es ersichtlich nicht darauf an, einer kaufinteressierten Person eine Angabe zu ihrer geschlechtlichen Zuordnung abzuverlangen; Zweck der vorzunehmenden Auswahl war lediglich, eine im Kundenverkehr übliche korrekte Anrede der bestellenden Person im Rahmen der weiteren Abwicklung des Massengeschäfts zu ermöglichen. Zudem hat sich die Beklagte bereits auf eine erste Beschwerde der klagenden Person hin bemüht, deren Anliegen durch eine Änderung des Internetauftritts Rechnung zu tragen.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Fazit

Um Ihren Kunden diskriminierungsfreie Bestellungen zu ermöglichen, sollten Sie die Auswahlmöglichkeit für die Anrede nicht als Pflichtfeld ausgestalten. Eine Auswahl ist für den Abschluss und die Ausführung des Vertrags grundsätzlich nicht erforderlich. Alternativ können Sie eine dritte Auswahlmöglichkeit aufnehmen, um auch Kunden mit nicht-binärer Geschlechtsidentität eine Einordnung zu ermöglichen.

sergign/Shutterstock.com

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