OLG Stuttgart: Postwerbung nach der DSGVO zulässig

Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist gem. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist und die Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person im Rahmen einer Abwägung nicht überwiegen. Das OLG Stuttgart (Hinweisbeschl. v. 2.2.2024 – 2 U 63/22) entschied, dass die Datenverarbeitung zur postalischen Direktwerbung mit dem Ziel der Pflege von Bestandskunden und der Gewinnung von Neukunden danach rechtmäßig sei und daher keinen Schadensersatzanspruch des Empfängers nach Art. 82 DSGVO begründen könne.

Der Kläger erhielt an seiner Wohnanschrift postalische Werbung für Produkte einer Lebensversicherung. Diese Werbung wurde nicht von der Versicherung direkt, sondern von der Beklagten als Dienstleisterin für Werbetreibende an ihn versendet. Daraufhin machte der Kläger gegenüber der Beklagten von seinem Recht auf Löschung gemäß Art. 17 DSGVO Gebrauch und forderte sie auf, ihm Auskunft zur Verwendung seiner Daten zu erteilen sowie die bei der Beklagten vorhandenen personenbezogenen Daten des Klägers zu löschen. Die Beklagte antwortete hierauf und teilte u.a. mit, dass sie die Daten des Klägers von einer Firma mit Sitz in der Schweiz für Werbezwecke erhalten habe. In der Folge erhob der Kläger außergerichtlich Schadensersatzansprüche wegen Verletzung seiner Rechte aus der DSGVO, welche die Beklagte zurückwies.

Die Vorinstanz, das LG Stuttgart, entschied, dass die Zusendung der Postwerbung rechtmäßig gewesen sei. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten vor dem OLG Stuttgart, die das Gericht beabsichtigt, durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

Datenverarbeitung war rechtmäßig

Zunächst stellte das Gericht fest, dass die Vorinstanz zu Recht festgestellt habe, dass die Zusendung des Werbeschreibens und die dem zu Grunde liegende Verarbeitung der Adressdaten i.S.d. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO rechtmäßig gewesen sei. Außerdem erfordere Direktwerbung entgegen der Ansicht des Klägers keine bestehende Kundenbeziehung. Dafür fehle es an einer gesetzlichen Grundlage.

Insbesondere hat das Landgericht zutreffend und überzeugend herausgearbeitet, dass sowohl die Erhebung der öffentlich zugänglichen Daten als auch die der Übersendung des Werbeschreibens zugrundeliegende Verarbeitung der Daten in Übereinstimmung mit Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 lit. f DS-GVO erfolgte.

Entgegen der Auffassung der Berufung ist für die Rechtmäßigkeit einer Direktwerbung nicht Voraussetzung, dass bereits eine Kundenbeziehung besteht. Bei seiner Auslegung des Artikels 6 Absatz 1 Satz 1 lit. f DS-GVO hat das Landgericht überzeugend den Erwägungsgrund Nr. 47 herangezogen, der die Direktwerbung beispielhaft als berechtigtes Interesse im Sinne der genannten Norm anerkennt. Unter diesem Begriff versteht die Verordnung – etwa in Artikel 21 Absatz 2 DS-GVO – jede unmittelbare Ansprache der betroffenen Person, etwa durch Zusendung von Briefen (Buchner/Petri in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 4. Aufl. 2024, Artikel 21 DS-GVO Rn. 26). Weder aus Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 lit. f DS-GVO noch aus den Erwägungsgründen ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Direktwerbung nur innerhalb einer bestehenden Kundenbeziehung als berechtigtes Interesse anerkannt wird. Unter dem Begriff der berechtigten Interessen sind vielmehr sämtliche rechtlichen, wirtschaftlichen oder ideellen Interessen zu verstehen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. Januar 2021 – 11 LA 16/20, juris Rn. 16), die auch außerhalb oder im Vorfeld einer Kundenbeziehung liegen können. Zutreffend hat das Landgericht auch gesehen, dass das berechtigte Interesse eines Dritten – hier das Interesse der X. Lebensversicherung AG an der Verteilung der Werbebotschaft – dem Interesse des Beklagten als Verantwortlichen gleichsteht.

Datenverarbeitung war erforderlich

Zudem sei die Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Klägers auch im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO erforderlich gewesen. Dies habe das LG Stuttgart ebenfalls zu Recht angenommen. Erforderlich sei eine Datenverarbeitung, wenn kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung stehe, die Interessen des Verantwortlichen zu erreichen. Insbesondere sei die Versendung elektronsicher Nachrichten keine Alternative, da die Versendung elektronischer Nachrichten ohne vorherige Einwilligung grundsätzlich eine unzumutbare Belästigung darstelle.

Weiter hat das Landgericht überzeugend herausgearbeitet, dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten erforderlich war. Insbesondere steht der Erforderlichkeit nicht der Einwand der Berufung entgegen, dass auch eine Übersendung der Werbung per elektronischer Post möglich wäre. Zwar sollen personenbezogene Daten nicht verarbeitet werden, wenn der Zweck der Verarbeitung in zumutbarer Weise durch andere Mittel erreicht werden kann, die weniger stark in die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen eingreifen (EuGH, Urteil vom 4. Juli 2023 – C-252/21, Rn. 108). Dabei kann der Kläger die Beklagte allerdings nicht darauf verweisen, die Zusendung elektronischer Nachrichten sei weniger belastend für Betroffene. Nach der Wertung der deutschen Rechtsordnung stellt die Versendung elektronischer Nachrichten ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung vielmehr eine unzumutbare Belästigung dar (vgl. § 7 Absatz 2 Nr. 2 UWG), während die Zusendung eines Briefes mit einer sofort als Werbung erkennbaren Botschaft als zulässig bewertet wird (BGH, Urteil vom 30. April 1992 – I ZR 287/90, juris Rn. 14 – Briefwerbung; BGH, Urteil vom 3. März 2011 – I ZR 167/09, juris Rn. 19 – Kreditkartenübersendung).

Kein Überwiegen der Interessen des Empfängers

Zudem habe das LG richtigerweise angenommen, dass bei der vorzunehmenden Interessenabwägung der widerstreitenden Interessen des Klägers und der Beklagten ein Überwiegen der Interessen des Klägers vorliegend nicht anzunehmen sei.

Weiter hat das Landgericht auch überzeugend die Interessen der Streitparteien miteinander abgewogen und ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten des Klägers die Interessen der Beklagten und ihrer Auftraggeberin jedenfalls nicht überwiegen. Alleine das Interesse des Klägers, keine Werbung zu erhalten, führt nicht zu einer ihm günstigen Interessenabwägung. Erst wenn er einen Widerspruch erhebt, ist die künftige Direktwerbung unzulässig (Artikel 21 Absatz 2 DS-GVO).

Keine datenschutzrechtlichen Verstöße, kein Schaden

Davon abgesehen, dass der Beklagte nicht gegen die DSGVO verstoßen habe, habe der Kläger zudem nicht ausreichend dargelegt, einen Schaden erlitten zu haben. Das OLG Stuttgart verwies hierbei auf zwei ergangene Entscheidungen des EuGH. Der EuGH hatte zum einen entschieden, dass allein die Befürchtung einer betroffenen Person, dass ihre personenbezogenen Daten durch Dritte missbräuchlich verwendet werden könnten infolge eines Verstoßes gegen die DSGVO, einen immateriellen Schaden darstellen könne, andererseits jedoch, dass ein bloßer Verstoß gegen die DSGVO keinen Schadensersatz begründe.

Unabhängig davon, dass datenschutzrechtliche Verstöße nicht feststellbar sind, hat der Kläger auch nicht ausreichend dargelegt, einen Schaden erlitten zu haben. Zwar ist es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht erforderlich, dass der Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit überschreitet. Gleichwohl löst der bloße Verstoß gegen Bestimmungen der Verordnung einen Schadensersatzanspruch noch nicht aus. Es muss vielmehr festgestellt werden, dass tatsächlich ein Schaden entstanden ist (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 – C-300/21, Rn. 42, 51). Insoweit beruft sich der Kläger auf eine mit dem Verlust der Daten seelisch belastende Ungewissheit über das Schicksal der Daten. Dieser Vortrag genügt nicht für die Darlegung eines Schadens, denn es muss festgestellt werden können, ob die Befürchtung einer künftigen missbräuchlichen Datenverwendung unter den gegebenen besonderen Umständen und im Hinblick auf die betroffene Person als begründet angesehen werden (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2023 – C-340/21, Rn. 85). Dies ist jedoch nicht ersichtlich auf der Grundlage der überzeugenden und unangefochtenen Feststellung des Landgerichts, dass die Beklagte die personenbezogenen Daten nicht an Dritte übermittelt hat. Zudem hat die Beklagte die Daten gelöscht bzw. intern mit einem Sperrvermerk versehen, um künftige Werbesendungen zu verhindern.

Fazit

Die Entscheidung des OLG Stuttgart ist für das sog. Lettershop-Verfahren äußerst praxisrelevant und verdeutlicht nochmals, worauf es für die Zulässigkeit der Postwerbung auf Grundlage des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO ankommt.

02.09.24