OLG Brandenburg: Einmalig geforderte überhöhte Vertragsstrafe indiziert keinen Rechtsmissbrauch

Mit Inkrafttreten des Anti-Abmahn-Gesetzes wurden in § 8c Abs. 2 UWG bestimmte Fallgruppen missbräuchlicher Abmahnungen aufgenommen, u.a. auch dann, wenn offensichtlich überhöhte Vertragsstrafen gefordert werden. Das OLG Brandenburg (Urt. v. 6.8.2024 – 6 U 88/23) entschied nun, dass eine einzige offensichtlich überhöhte Vertragsstrafe jedoch keinen Missbrauch indiziere. Auch ein Verstoß gegen § 13a Abs. 3 UWG und die darin vorgesehene Begrenzung der Vertragsstrafe in bestimmten Fällen könne nicht ohne Weiteres einen Rechtsmissbrauch begründen.

Die Beklagte betreibt an drei Standorten ein Küchenstudio. Sie beschäftigt weniger als 100 Mitarbeiter und erzielte im Geschäftsjahr 2020 einen Bilanzgewinn von 1.653.826,29 €. Sie wirbt damit, der größte Händler der Region zu sein, den größten Küchenfachmarkt in der Landeshauptstadt zu betreiben und mehr als 1000 Küchen pro Jahr zu verkaufen.

Die Beklagte hatte im Jahr 2018 im Zusammenhang mit der Bewerbung von Küchen Kühlgeräte zum Kauf angeboten und dabei als Spektrum der einschlägigen Effizienzklassen jeweils A+++ bis G angegeben. Der Kläger hatte sie deshalb wegen Verstößen gegen Art. 6 VO (EU) 2017/1369 abgemahnt, woraufhin sie eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hatte.

Am 15.3.2022 warb die Beklagte auf ihrer Internetseite für verschiedene Küchen jeweils mit Bezeichnung der dazu angebotenen Kühlschränke und Geschirrspüler mit konkreter Artikelnummer, allerdings ohne Preisangabe. Im Text gab die Beklagte jeweils die Energieeffizienzklasse der beworbenen Geräte an und informierte dazu in einem Sternchenhinweis, dass für Kühlgeräte und Geschirrspüler das Spektrum A-G gelte. Die nach den zwischenzeitlich in Kraft getretenen delegierten Verordnungen (EU 2019/2016 (Kühlgeräte) und 2019/2017 (Haushaltsgeschirrspüler) geforderte grafische Darstellung der Effizienzklassen auf einem farblich unterlegten Pfeil fehlte allerdings.

Der Kläger mahnte die Beklagte daraufhin mit Schreiben vom 7.4.2022 ab und forderte die Abgabe einer erneuten strafbewehrten Unterlassungserklärung, die Erstattung pauschalierter Abmahnkosten in Höhe von 228,02 € und die Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 7.500 €. Die Beklagte kam dem nicht nach.

Das LG Potsdam (Urt. v. 23.9.2023 – 51 O 103/22) hatte der Klage hinsichtlich des Unterlassungsanspruches und der Abmahnkosten stattgegeben und sie hinsichtlich der Vertragsstrafe abgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten, die das OLG Brandenburg nun als unbegründet zurückwies. Das Gericht entschied, dass eine einzige offensichtlich überhöhte Vertragsstrafe keinen Missbrauch indiziere. Auch ein Verstoß gegen § 13a Abs. 3 UWG und die darin vorgesehene Begrenzung der Vertragsstrafe in bestimmten Fällen könne nicht ohne Weiteres einen Rechtsmissbrauch begründen.

Kein Rechtsmissbrauch

Die Beklagte hatte sich damit verteidigt, dass die Klägerin rechtsmissbräuchlich handle. Zur Feststellung sei eine Gesamtwürdigung aller Umstände erforderlich, so das Gericht.

Der begründete Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Vorgehens setzt voraus, dass der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruches überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen (BGH, Urteile vom 6.4.2000 – I ZR 76/98, GRUR 2000, 1089, 1090 – Missbräuchliche Mehrfachverfolgung; vom 26.4.2018 – I ZR 248/16, juris Rn. 21 – Abmahnaktion II; vom 4.7.2019 – I ZR 149/18, juris Rn. 33 – Umwelthilfe). Missbrauch im Sinne von § 8c Abs. 1 UWG bezieht sich dabei auf die Geltendmachung des Unterlassungsanspruches, d. h. auf die Begleitumstände des vorprozessualen oder prozessualen Vorgehens. Es ist nicht erforderlich, dass legitime wettbewerbsrechtliche Ziele fehlen oder vollständig zurücktreten, vielmehr reicht es aus, dass die sachfremden Ziele überwiegen.

Da der Missbrauch eine Prozessvoraussetzung betrifft, ist er von Amts wegen im Wege des Freibeweises zu prüfen. Ein „non liquet“ geht gleichwohl zulasten des Beklagten, da grundsätzlich von der Zulässigkeit der Geltendmachung des Anspruches auszugehen ist (Feddersen aaO § 8c Rn. 42). Es ist daher im Streitfall die Sache der Beklagten, Tatsachen für das Vorliegen eines Missbrauchs darzulegen und dafür Beweis anzubieten. Dem steht nicht entgegen, dass § 8c Abs. 1 UWG im Wege einer Zweifelsregelung typische, für einen Rechtsmissbrauch sprechende Umstände anführt. Diese indizieren zwar einen Rechtsmissbrauch, begründen aber keine Vermutung im Sinne von § 292 ZPO (vgl. BT-Drs 19/22238, S. 17; Feddersen aaO Rn. 12). Es obliegt, auch bei Verwirklichung eines Fallbeispiels, deshalb nicht dem Unterlassungsgläubiger, sich von dem Vorwurf eines vermuteten Rechtsmissbrauchs zu exkulpieren, vielmehr setzt die positive Feststellung rechtsmissbräuchlichen Handelns eine Gesamtwürdigung aller – von dem Unterlassungsschuldner geltend zu machender – Umstände voraus.

Einmalig überhöhte Vertragsstrafe genügt nicht

Die Beklagte verwies auf eine aus ihrer Sicht überhöhte Vertragsstrafe. Dieser Punkt ist nach § 8 Abs. 2 Nr. 4 UWG ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch. Hiervon sollen nach der Gesetzesbegründung nur eindeutige und ohne Weiteres erkennbare Fälle erfasst werden. Allerdings genüge eine einmalige Überhöhung noch nicht, so das Gericht. Erforderlich sei nach dem Wortlaut des Gesetzes die die Vereinbarung mehrerer offensichtlich überhöhter Vertragsstrafen.

Die Beklagte macht geltend, das Unterlassungsverlangen des Klägers sei rechtsmissbräuchlich, weil er im Zusammenhang mit der Abmahnung vom 7.4.2022 eine offensichtlich überhöhte Vertragsstrafe gefordert habe (§ 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG). Das Kriterium der „offensichtlichen“ Überhöhung ist im Gesetzgebungsverfahren an die Stelle der zunächst vorgesehenen Formulierung einer „erheblichen“ Überhöhung getreten (BT-Drs 19/12084, S. 30), um damit dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Bestimmung einer Vertragsstrafe mit vielen Unsicherheiten belegt ist (vgl. Feddersen aaO § 8c Rn. 20). Nach der Gesetzesbegründung sollen deshalb nur eindeutige und ohne weiteres erkennbare Fälle erfasst werden, nicht aber Fälle, in denen dem Abmahnenden bloße Flüchtigkeitsfehler unterlaufen oder in denen sich die Forderung aus anfänglicher Sicht noch im üblichen Rahmen hält (BT-Drs 19/22238, S. 17). Nach § 13 Abs. 1 UWG ist bei der Bestimmung einer angemessenen Vertragsstrafe auf Art, Ausmaß und Folgen der Zuwiderhandlung, ihre Schuldhaftigkeit, die Größe, Marktstärke und Wettbewerbsfähigkeit des Abgemahnten sowie sein wirtschaftliches Interesse Rücksicht zu nehmen, deshalb kann die Höhe eines Vertragsstrafenverlangens einen Rechtsmissbrauch nur dann indizieren, wenn sie außerhalb des vertretbaren Bereichs angesiedelt ist (vgl. Feddersen, aaO).

Ob der Beklagten darin zu folgen ist, dass die Höhe der von dem Kläger verlangten Vertragsstrafe um das 7,5fache und damit im Sinne des § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG „offensichtlich“ überhöht ist, weil er eine Vertragsstrafe allenfalls in Höhe von 1.000 € hätte fordern dürfen, bedarf keiner Entscheidung. Denn eine Indizwirkung käme einer solchen – einmaligen – Überhöhung für sich genommen noch nicht zu. Gemäß der vor Einfügung des § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG in das Gesetz zum 2.12.2020 ergangenen Rechtsprechung lag ein Indiz für einen Missbrauch im Sinne einer im Vordergrund stehenden Einnahmeerzielungsabsicht vor, wenn der Abmahnende systematisch überhöhte Vertragsstrafen verlangte (vgl. BGH, Urteile vom 6.10.2011 – I ZR 42/10, juris Rn. 13 – Falsche Suchrubrik; sowie vom 3.3.2016 – I ZR 110/15, juris Rn. 15 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon). Das Regelbeispiel übernimmt die Forderung nach „systematisch“ überhöhten Vertragsstrafen zwar nicht. Nach dem Wortlaut müssen aber (mehrere) offensichtlich überhöhte Vertragsstrafen vereinbart oder gefordert werden. Es bleibt also unter Geltung des neuen § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG dabei, dass eine einzige offensichtlich überhöhte Vertragsstrafe einen Missbrauch nicht indiziert (OLG Nürnberg, Urt. v. 18.7.2023 – 3 U 1092/23 – angemessene Vertragsstrafe, Augenvitamine, WRP 2023, 1130).

Anwendung der Ausnahmevorschrift war nicht erkennbar

Zudem führte die Beklagte an, dass nach § 13a Abs. 3 UWG allenfalls eine Vertragsstrafe i.H.v. 1.000 € angemessen sei. Nach § 13 Abs. 3 UWG sind Vertragsstrafen in einfach gelagerten Fällen auf maximal 1.000 € begrenzt, wenn der Abgemahnte in der Regel weniger als 100 Mitarbeiter beschäftigt. Aber auch daraus ergebe sich nicht ohne Weiteres ein Rechtsmissbrauch. Ein Verstoß gegen § 13a UWG könne nur dann den Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Vorgehens begründen, wenn sich unter Bewertung aller weiteren Umstände ergebe, dass sachfremde Erwägungen die eigentliche Triebfeder des Klägers darstellten, so das Gericht. Aufgrund des Auftretens der Beklagten hinsichtlich der Größe ihres Betriebs habe die Klägerin nicht davon ausgehen müssen, dass die Beklagte weniger als 100 Mitarbeiter beschäftige.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich der Kläger – nach Ansicht der Beklagten – über das in § 13a Abs. 3 UWG enthaltene Verbot hinweggesetzt hat, wonach Vertragsstrafen eine Höhe von 1.000 € nicht überschreiten dürfen, wenn die Zuwiderhandlung angesichts ihrer Art, ihres Ausmaßes und ihrer Folgen die Interessen von Verbrauchern, Mitbewerbern und sonstigen Markteilnehmern in nur unerheblichem Maße beeinträchtigt und wenn der Abmahnende in der Regel weniger als 100 Mitarbeiter beschäftigt. Dass ein Verstoß gegen dieses Verbot für sich genommen nicht für die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Vorgehens genügt, zeigt sich bereits daran, dass der Gesetzgeber innerhalb der Norm des § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG nicht auf das Verbot des § 13a UWG Bezug genommen hat. Ein entsprechender Verstoß stellt zudem auf objektive Tatbestandsmerkmale ab und berücksichtigt nicht das von dem Abmahnenden verfolgte Ziel, die eingesetzten Mittel, die zutage getretene Gesinnung oder die eingetretenen Folgen, aus denen sich Hinweise auf sachfremde Motive ergeben könnten. Ein Verstoß gegen § 13a UWG kann deshalb nur dann den Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Vorgehens begründen, wenn sich unter Bewertung aller weiteren Umstände ergibt, dass sachfremde Erwägungen die eigentliche Triebfeder des Klägers darstellten.

Das lässt sich vorliegend allerdings auch dann nicht feststellen, wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgeht, der Kläger habe objektiv gegen § 13a Abs. 3 UWG verstoßen. Es kann auch dann nämlich nicht zugrunde gelegt werden, dass der Kläger die Vertragsstrafendeckelung – aus sachfremden Erwägungen heraus – bewusst missachtet hat. Der Kläger hat ausgeführt, dass er aufgrund des Auftretens der Beklagten im geschäftlichen Verkehr – mit drei Standorten, werbend mit den Attributen „größter B…-Händler der Region“, „größter Küchenfachmarkt in der Landeshauptstadt P…“ und mit einem Umsatz von mehr als 1000 Küchen pro Jahr – sowie aufgrund des veröffentlichten Bilanzgewinnes von etwa 1,6 Mio € nicht davon ausgehen musste – und nicht davon ausgegangen ist, dass die Beklagte die Anforderungen an die Eigenschaften des nach der Gesetzesbegründung durch § 13a Abs. 3 UWG zu schützenden „kleinen Gewerbetreibenden“ erfüllt. Dass die Beklagte weniger als 100 Mitarbeiter beschäftigt, sei ihm nicht bekannt gewesen. Anhaltspunkte, die an dieser Darstellung Zweifel begründen, trägt auch die Beklagte nicht vor. Dies zugrunde gelegt, hat der Kläger das Verbot des § 13a Abs. 3 UWG allenfalls fahrlässig nicht eingehalten. Dass er, wie die Beklagte eingewandt hat, die Zahl ihrer Mitarbeiter unschwer hätte ermitteln können, was sich daran zeige, dass er auch Kenntnis von der Höhe ihres Bilanzgewinnes des Jahres 2020 erlangt habe, steht dieser Bewertung nicht entgegen, sondern könnte ebenso allenfalls einen Fahrlässigkeitsvorwurf und jedenfalls nicht den Anschein eines Vorgehens aus sachfremden Erwägungen begründen.

Werbung muss Energieeffizienzklasse und Spektrum inkl. Pfeildarstellung enthalten

Die Beklagte habe gegen die Pflicht zur Darstellung des Pfeilsymbols in der Werbung verstoßen. Damit habe sie Verbrauchern eine wesentliche Information vorenthalten und zugleich in spürbarer Art und Weise gegen eine Marktverhaltensregelung verstoßen, mit der Folge, dass dem Kläger ein entsprechender Unterlassungsanspruch zustehe.

Dem Kläger steht ein Anspruch nach § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3, §§ 3, 3a UWG bzw. § 5a Abs. 1 UWG auf Unterlassung der Werbung für Kühlgeräte und Haushaltsspülmaschinen zu, die das nach der VO (EU) 2017/1369 i.V.m. den delegierten Verordnungen VO (EU) 2019/2017 und VO (EU) 2019/2016 Verbrauchern zur Verfügung zu stellende Pfeilsymbol nicht enthält. Entgegen der Ansicht der Berufung hat das Landgericht insoweit dem Kläger nicht etwas zugesprochen, was sich aus den Verordnungen nicht ergibt. Wie unter Ziff. 1 ausgeführt ist der Klageantrag und entsprechend der wortgleiche Tenor des angegriffenen Urteils nicht dahin auszulegen, dass der Beklagten untersagt werden soll, für die von ihr angebotenen Kühlschränke und Spülmaschinen zu werben, ohne zu jedem beworbenen Gerät ein Pfeildiagramm mit der Energieeffizienzklasse B abzubilden.

Vielmehr soll die Beklagte nicht für entsprechende Geräte werben, ohne das zu der Energieeffizienzklasse des jeweils angebotenen Gerätes passende Pfeildiagramm abzubilden. Dies entspricht den in den angesprochenen delegierten Verordnungen begründeten Verpflichtungen.

Dass die am 15.3.2022 auf der Internetseite der Beklagten abrufbare Werbung, wie sie Gegenstand der Anlagen K5 bis K12 ist, diese Kennzeichnung nicht enthielt, ist unstreitig. Damit hat die Beklagte, wie bereits das Landgericht zutreffend entschieden hat, Verbrauchern eine wesentliche Information vorenthalten und zugleich in spürbarer Art und Weise gegen eine Marktverhaltensregelung verstoßen, mit der Folge, dass dem Kläger als nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 für die Geltendmachung entsprechender Ansprüche qualifizierter Verband ein Anspruch auf Unterlassung dieses unlauteren Verhaltens zusteht.

Fazit

Der Vorwurf „Rechtsmissbrauch“ wird bei vielen Abmahnungen schnell erhoben, in den wenigsten Fällen erkennen die Gerichte diesen Einwand allerdings an. Mit Inkrafttreten des Anti-Abmahngesetzes am 2.12.2020 wurden in § 8c UWG gewisse Fallgestaltungen für die Annahme rechtsmissbräuchlicher Abmahnungen ins Gesetz aufgenommen. Ihnen kommt jedoch nur Indizwirkung für einen Missbrauch zu. Erforderlich ist auch hier eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände.

05.11.24