Ab 13.12.2024 gilt die neue europäische Verordnung über die allgemeine Produktsicherheit VO (EU) 2023/988 (engl. General Product Safety Regulation, nachfolgend GPSR). Neben allgemeinen Vorgaben für die Sicherheit von Verbraucherprodukten enthält sie auch neue Vorgaben speziell für den Fernabsatz, die alle Onlinehändler künftig beachten müssen.
Mit den neuen Vorschriften sollen wichtige gesellschaftliche Veränderungen angegangen werden, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten auf die Sicherheit von Verbraucherprodukten ausgewirkt haben wie die zunehmende Digitalisierung, neue technologische Entwicklungen und globalisierte Lieferketten. Die neuen Vorschriften sollen sicherstellen, dass Verbrauchern nur sichere Produkte angeboten werden, unabhängig von der Herkunft der Produkte sowie davon, ob sie in Geschäften oder auf Online-Marktplätzen verkauft werden.
Die neuen Vorgaben betreffen alle Wirtschaftsakteure im Zusammenhang mit Produkten. Der Begriff „Wirtschaftsakteur“ umfasst nach Art. 3 Nr. 13 GPSR
den Hersteller, den Bevollmächtigten, den Einführer, den Händler, den Fulfilment-Dienstleister oder jede andere natürliche oder juristische Person, die Pflichten im Zusammenhang mit der Herstellung von Produkten oder deren Bereitstellung auf dem Markt gemäß dieser Verordnung unterliegt.
Auch für die Anbieter von Online-Marktplätzen gelten mit Art. 22 GPSR besondere Vorgaben (dazu unten).
Die neuen Vorgaben gelten grundsätzlich für alle Produkte, soweit keine besonderen europäischen Vorschriften gelten, die ebenfalls die Sicherheit des entsprechenden Produkts betreffen. Der Begriff „Produkt“ umfasst dabei nach Art. 3 Nr. 1 GPSR
jeden Gegenstand, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Gegenständen entgeltlich oder unentgeltlich — auch im Rahmen der Erbringung einer Dienstleistung — geliefert oder bereitgestellt wird und für Verbraucher bestimmt ist oder unter vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen wahrscheinlich von Verbrauchern benutzt wird, selbst wenn er nicht für diese bestimmt ist.
Vom Anwendungsbereich ausgenommen sind u.a. Human- und Tierarzneimittel, Lebensmittel, Futtermittel, lebende Pflanzen und Tiere, tierische Neben- und Folgeprodukte, Pflanzenschutzmittel, Beförderungsmittel, die nicht vom Verbraucher direkt bedient werden, Luftfahrzeuge und Antiquitäten.
Zunächst bestimmt Art. 5 GPSR allgemein, dass nur sichere Produkte in den Verkehr gebracht oder auf dem Markt bereitgestellt werden dürfen. Welche Pflichten speziell für Händler gelten, bestimmt Art. 12 GPSR.
Hierzu gehören zunächst gewisse Kontrollpflichten nach Art. 12 Abs. 1 GPSR. Bevor Händler ein Produkt auf dem Markt bereitstellen, müssen sie sich vergewissern, dass der Hersteller oder ggf. der Einführer
Solange sich ein Produkt in ihrer Verantwortung befindet, müssen die Händler gewährleisten, dass die Lagerungs- oder Transportbedingungen die Konformität des Produkts, also die zuvor genannten Bedingungen, nicht beeinträchtigen, Art. 12 Abs. 2 GPSR.
Die Wirtschaftsakteure müssen zudem sicherstellen, dass sie über interne Verfahren zur Gewährleistung der Produktsicherheit verfügen, die es ihnen ermöglichen, die einschlägigen Anforderungen dieser Verordnung zu erfüllen, Art. 14 GPSR.
Wenn ein Händler aufgrund der ihm vorliegenden Informationen der Auffassung ist oder Grund zu der Annahme hat, dass ein Produkt nicht die oben genannten Anforderungen erfüllt, darf der Händler das Produkt nicht auf dem Markt bereitstellen, es sei denn, die Konformität des Produkts wurde hergestellt, Art. 12 Abs. 3 GPSR.
In einem solchen Fall oder wenn es sich um ein gefährliches Produkt handeln sollte, legt Art. 12 Abs. 4 GPSR das Verfahren fest, wie der Händler sich verhalten soll. Der Händler muss zunächst
Hierfür muss der Händler die ihm vorliegenden sachdienlichen Informationen über das Risiko für die Gesundheit und Sicherheit von Verbrauchern, die Zahl der betroffenen Produkte und etwaige bereits ergriffene Korrekturmaßnahmen angeben.
Zudem muss der Händler, der von einem Unfall, der durch ein von ihm in Verkehr gebrachtes oder auf dem Markt bereitgestelltes Produkt verursacht wurde, Kenntnis hat, unverzüglich den Hersteller davon unterrichten, Art. 20 Abs. 3 GPSR.
Unter bestimmten Umständen können die Herstellerpflichten nach Art. 9 GPSR auch für andere Marktteilnehmer gelten. Diese Fälle regelt Art. 13 GPSR. Als Hersteller gilt danach auch derjenige, der ein Produkt unter seinem Namen oder seiner Handelsmarke in den Verkehr bringt, Art. 13 Abs. 1 GPSR, oder das Produkt wesentlich verändert, sofern sich diese wesentliche Änderung auf die Sicherheit des Produkts auswirkt, Art. 13 Abs. 2 GPSR.
Eine physische oder digitale Änderung eines Produkts gilt nach Art. 13 Abs. 3 GPSR dann als wesentlich, wenn sie sich auf die Sicherheit des Produkts auswirkt und die folgenden Kriterien erfüllt sind:
Werden Produkte online oder über eine andere Form des Fernabsatzes auf dem Markt bereitgestellt, enthält Art. 19 GPSR die Anforderungen, die in diesem Fall erfüllt werden müssen. Teilweise gelten diese Vorgaben bereits jetzt, wie z.B. die Pflicht zur Angabe von Warnhinweisen bei bestimmten Produkten wie Bioziden oder Spielzeug. Solche Kennzeichnungs- und Sicherheitsinformationen versucht die GPSR künftig besser zur Geltung zu bringen. Ebenso muss in bestimmten Bereichen bereits der Hersteller angegeben werden. Neu ist die Pflicht, ein Produktbild darzustellen und die Ausweitung dieser Pflichtinformationen auf alle Produkte.
Das Angebot muss folgende Angaben enthalten:
Art. 22 GPSR bestimmt umfangreiche Pflichten für die Anbieter von Online-Marktplätzen. Nachfolgend werden nur die Anforderungen dargestellt, die Händler unmittelbar betreffen. Online-Marktplätze müssen nach Art. 22 Abs. 9 GPSR ihre Online-Schnittstelle so gestalten und strukturieren, dass dort tätige Händler für jedes angebotene Produkt mindestens die folgenden Informationen bereitstellen können und dass sichergestellt ist, dass die Informationen den Verbrauchern in der Produktliste angezeigt werden oder auf andere Weise leicht zugänglich sind:
Zudem müssen Online-Marktplätze das Angebot von Händlern, die häufig Produkte anbieten, die gegen die ProduktsicherheitsVO verstoßen, für einen angemessenen Zeitraum und nach vorheriger Warnung aussetzen, Art. 22 Abs. 11 GPSR.
Im Falle einer Sicherheitswarnung müssen die Wirtschaftsakteure und Online-Marktplätze im Einklang mit ihren entsprechenden Verpflichtungen sicherstellen, dass alle betroffenen Verbraucher, die sie ermitteln können, direkt und unverzüglich unterrichtet werden, Art. 35 Abs. 1 GPSR. Unter einer Sicherheitswarnung ist ein Produktsicherheitsrückruf oder der Umstand zu verstehen, dass Verbrauchern Informationen zur Kenntnis gebracht werden müssen, um die sichere Verwendung eines Produkts zu gewährleisten. Wirtschaftsakteure und gegebenenfalls Anbieter von Online-Marktplätzen, die personenbezogene Daten ihrer Kunden erheben, nutzen diese Informationen für Rückrufe und Sicherheitswarnungen.
Wenn nicht alle Verbraucher erreicht werden können, müssen die Wirtschaftsakteure und Anbieter von Online-Marktplätzen entsprechend ihrer jeweiligen Pflichten über andere geeignete Kanäle eine klare und sichtbare Rückrufanzeige oder Sicherheitswarnung verbreiten, um die größtmögliche Reichweite zu gewährleisten, einschließlich, falls verfügbar, über die Website des Unternehmens, Kanäle auf sozialen Medien, Newsletter und Verkaufsstellen sowie gegebenenfalls Ankündigungen in Massenmedien und anderen Kommunikationskanälen, Art. 35 Abs. 4 GPSR. Diese Informationen müssen auch für Menschen mit Behinderungen zugänglich sein.
Wenn Wirtschaftsakteure und Anbieter von Online-Marktplätzen Produktregistrierungssysteme oder Kundenbindungsprogramme anbieten, die die Identifizierung von von Kunden gekauften Produkten zu anderen Zwecken als der Übermittlung von Sicherheitsinformationen an ihre Kunden ermöglichen, müssen sie ihren Kunden die Möglichkeit geben, gesonderte Kontaktdaten hinterlegen zu können, Art. 35 Abs. 2 GPSR. Diese Daten dürfen nur genutzt werden, um Verbraucher im Falle eines Rückrufs oder einer Sicherheitswarnung zu kontaktieren. Die zu diesem Zweck erhobene personenbezogenen Daten müssen sich auf das erforderliche Mindestmaß beschränken.
Wenn Verbraucher schriftlich über einen Produktsicherheitsrückruf informiert werden, muss dies in Form einer Rückrufanzeige erfolgen, Art. 36 Abs. 1 GPSR. Eine solche Rückrufanzeige muss für den Verbraucher leicht verständlich sein und in der oder den Sprachen des Mitgliedstaats verfügbar sein, in denen das Produkt auf dem Markt bereitgestellt wurde. Was eine solche Rückrufanzeige beinhalten muss, bestimmt Art. 36 Abs. 2 GPSR:
a) eine Überschrift, die aus den Worten „Produktsicherheitsrückruf“ besteht,
b) eine klare Beschreibung des zurückgerufenen Produkts, einschließlich
i) Abbildung, Name und Marke des Produkts,
ii) Produktionskennnummern, wie etwa Chargen- oder Seriennummer, und gegebenenfalls einer grafischen Darstellung, wo diese auf dem Produkt zu finden sind, sowie
iii) Angaben dazu, wann, wo und von wem das Produkt verkauft wurde (sofern verfügbar);
c) eine klare Beschreibung der mit dem zurückgerufenen Produkt verbundenen Gefahr, wobei Elemente zu vermeiden sind, die die Risikowahrnehmung der Verbraucher beeinträchtigen können, wie etwa die Verwendung von Begriffen und Formulierungen wie „freiwillig“, „vorsorglich“, „im Ermessen“, „in seltenen Situationen“ oder „in spezifischen Situationen“ oder Hinweise, dass keine Unfälle gemeldet wurden,
d) eine klare Beschreibung, wie Verbraucher vorgehen sollten, einschließlich einer Anweisung, die Verwendung des zurückgerufenen Produkts unverzüglich einzustellen,
e) eine klare Beschreibung der den Verbrauchern gemäß Artikel 37 zur Verfügung stehenden Abhilfemaßnahmen,
f) eine gebührenfreie Telefonnummer oder einen interaktiven Online-Dienst, bei dem Verbraucher mehr Informationen in der oder den jeweiligen Amtssprachen der Union erhalten können, und
g) eine Aufforderung, die Informationen über den Rückruf gegebenenfalls an andere Personen weiterzuleiten.
Eine entsprechende Vorlage, die es allen Wirtschaftsakturen ermöglicht, eine Rückrufanzeige leicht zu erstellen, soll die Kommission festlegen und zur Verfügung stellen, Art. 36 Abs. 3 GPSR. Ein entsprechender Entwurf wurde bereits veröffentlicht.
Art. 37 GPSR verpflichtet den für den Produktrückruf verantwortlichen Wirtschaftsakteur zu bestimmten Abhilfemaßnahmen gegenüber Verbrauchern. Unbeschadet anderer Abhilfemaßnahmen muss er den betroffenen Verbrauchern mindestens zwei der folgenden Abhilfemaßnahmen kostenlos anbieten:
Die Abhilfemaßnahme darf keine erheblichen Unannehmlichkeiten für den Verbraucher mit sich bringen, lässt zivilrechtliche Ansprüche des Verbrauchers unberührt und muss vollständig kostenfrei für den Verbraucher sein, Art. 37 Abs. 5 GPSR.
Die Mitgliedstaaten müssen entsprechende Vorschriften über Sanktionen, die bei Verstößen gegen die Produktsicherheits-VO durch die Wirtschaftsakteure und Anbieter von Online-Marktplätzen zu verhängen sind, erlassen und alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass sie im Einklang mit dem nationalen Recht umgesetzt werden. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.
Deutschland hat die entsprechenden Sanktionsvorschriften noch nicht erlassen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat jedoch bereits einen Referentenentwurf zur Änderung des Produktsicherheitsgesetzes und weiterer produktsicherheitsrechtlicher Vorschriften veröffentlicht. Danach soll es sich bei einem Verstoß gegen Art. 19 GPSR, also die Pflichten im Fernabsatz, um eine Ordnungswidrigkeit handeln, die mit einem Bußgeld bis zu 10.000 € geahndet werden kann, § 29 Abs. 2 Nr. 29 ProdSG-E. Zuständig sind hier die jeweiligen Marktüberwachungsbehörden der Länder. Bereits jetzt stehen Kennzeichnungsverstöße gegen spezielles Produktrecht jeden Monat ganz oben in unserem Abmahnradar. Künftig droht damit zusätzlich noch eine behördliche Verfolgung.
Am 16.4.2024 um 11 Uhr findet unser Webinar „Das neue Produktsicherheitsrecht - neue Anforderungen für alle Onlinehändler“ statt. Hierzu können Sie sich in Ihrem Legal Account anmelden.
Andrey_Popov/Shutterstock.com