Die fehlerhafte Kennzeichnung von Lebensmitteln ist häufig ein Grund für Abmahnungen. Die Werbung ist in diesem Bereich durch die EU streng reglementiert. Das LG Hamburg (Urt. v. 23.2.2024 – 315 O 175/22) entschied nun, dass Aussagen wie „95 % weniger Zucker“ und „70 % weniger Fett“ zu einem Lebensmittel ohne Bezugsgröße unzulässig seien.
Die Beklagte vertreibt selbstproduzierte Lebensmittel, wobei ihre Zielgruppe vornehmlich Personen sind, die auf eine proteinreiche und kalorienarme Ernährung Wert legen. Ohne ausdrücklich eine Bezugsgröße anzugeben, bewarb sie ab dem 6.2.2022 auf Instagram die von ihr vertriebene „Total Vegan Protein Brownie Bowl“ mit den Werbeaussagen „95 % weniger Zucker“, „70 % weniger Fett“ und „Perfekt für jede Diät“. Der Kläger, die Verbraucherzentrale NRW, sah hierin einen Verstoß gegen die LMIV. Verbraucher würde durch diese herausgestellten Werbeaussagen in die Irre geführt. Die Beklagte zahlte weder die Abmahngebühren noch gab sie die geforderte Unterlassungserklärung ab.
Das LG Hamburg verurteilte die Beklagte nun zur Unterlassung der entsprechenden Werbeaussagen und zur Zahlung der geforderten Abmahnkosten. Die Verbraucherzentrale NRW hat die Entscheidung veröffentlicht.
Neben dem allgemeinen Irreführungstatbestand des § 5 UWG enthält Art. 7 LMIV für Lebensmittel besondere Vorgaben. Danach dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein.
(1) Informationen über Lebensmittel dürfen nicht irreführend sein, insbesondere
a)in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung;
b)indem dem Lebensmittel Wirkungen oder Eigenschaften zugeschrieben werden, die es nicht besitzt;
c)indem zu verstehen gegeben wird, dass sich das Lebensmittel durch besondere Merkmale auszeichnet, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel dieselben Merkmale aufweisen, insbesondere durch besondere Hervorhebung des Vorhandenseins oder Nicht-Vorhandenseins bestimmter Zutaten und/ oder Nährstoffe;
d)indem durch das Aussehen, die Bezeichnung oder bildliche Darstellungen das Vorhandensein eines bestimmten Lebensmittels oder einer Zutat suggeriert wird, obwohl tatsächlich in dem Lebensmittel ein von Natur aus vorhandener Bestandteil oder eine normalerweise in diesem Lebensmittel verwendete Zutat durch einen anderen Bestandteil oder eine andere Zutat ersetzt wurde.
Diese Anforderungen gelten nach Art. 7 Abs. 4 lit. a LMIV auch für die Werbung.
Besonderer Irreführungsmaßstab
Das Gericht stellte zunächst klar, dass nach § 5 Abs. 2 UWG eine geschäftliche Handlung immer dann irreführend sei, wenn sie unwahre oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben enthält. Bei der Bewerbung von Lebensmitteln sei zudem der besondere Irreführungstatbestand nach Art. 7 LMIV zu berücksichtigen.
Eine geschäftliche Handlung ist immer dann irreführend, wenn sie unwahre oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben enthält (vgl. § 5 Abs. 2 UWG). […] Dabei hat sich die Auslegung des allgemeinen, wettbewerbsrechtlichen Irreführungstatbestands des § 5 UWG hinsichtlich der Bewerbung von Lebensmitteln am besonderen Irreführungstatbestand des Art. 7 LMIV auszurichten (Busche in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 3. Auflage 2020, § 5, Rn. 382). So dürfen nach Art. 7 Abs. 1 lit a) LMIV Informationen über Lebensmittel hinsichtlich seiner Eigenschaften, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung nicht irreführend sein. Bei der Beurteilung, ob eine werbliche Anpreisung nach Art. 7 LMIV irreführend ist, ist das Verständnis des angesprochenen Verkehrs, in der Regel das eines situationsadäquat aufmerksamen Durchschnittsverbrauchers maßgebend […], der die Werbung mit dem Wissen und den Erfahrungen eines durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers zur Kenntnis nimmt […].
Die Angaben „95 % weniger Zucker“ und „70 % weniger Fett“ seien zumindest ohne jede Bezugsangabe unzulässig, da sie den angesprochenen Verkehr irreführe. Zwar werde ein überwiegender Teil des angesprochenen Verkehrs die Werbung auch ohne Angabe einer Bezugsgröße dahin verstehen, dass ein Vergleich zu herkömmlichen Brownies mit deutlich höherem Fett- und Zuckeranteil gezogen werde. Ein erheblicher Teil der Verkehrskreise werde die Werbung allerdings auch so verstehen, dass sich der Vergleich auf seine frühere Zusammensetzung bezieht. Eine solcher Vergleich sei gerade bei Lebensmitteln, die als gesundheitsfördernd gelten, üblich.
Die werblichen Anpreisungen „95 % weniger Zucker“ und „70 % weniger Fett“ sind - zumindest ohne jede Bezugsangabe - irreführend, da diese bei einem erheblichen Anteil des angesprochenen Verkehrs in Bezug auf die Eigenschaften der beworbenen Protein-Brownie-Mischung hinsichtlich ihrer Zusammensetzung Fehlvorstellungen hervorrufen, (Art. 7 Abs. 1 lit. a) LMIV).
Zwar ist zu konstatieren, dass ein überwiegender Teil der angesprochenen Verkehrskreise die Werbeaussagen auch ohne die Angabe einer Bezugsgröße so verstehen dürfte, dass ein Vergleich mit herkömmlichen Brownies mit deutlich höherem Fett- und Zuckergehalt gezogen wird. Indes werden die Anpreisungen mangels Angabe einer Bezugsgröße von einem erheblichen Anteil der angesprochenen Verkehrskreise auch dahingehend verstanden, dass sich das beworbene Produkt, verglichen mit seiner früheren Zusammensetzung, nunmehr durch einen noch geringeren Fett- und Zuckergehalt auszeichnet.
Gerade bei Lebensmitteln, die als gesundheitsfördernd gelten, ist es üblich, dass eine (vermeintlich) noch gesündere Zusammensetzung entsprechend der hier beanstandeten Werbung beworben wird. Derartige Werbeversprechen sind in der Regel besonders effektiv, da den Rezipienten der Werbung vermittelt wird, dass das beworbene Produkt im Vergleich zu seinem Vorgänger nun aus einer besonders gesunden Zusammensetzung besteht, der Geschmack jedoch nicht leidet. Der Kammer ist zudem wohlbekannt, dass entsprechende Werbeaussagen insbesondere im Zusammenhang mit Lebensmitteln getätigt werden, die sich von dem „Originalprodukt“ durch eine Ersetzung des Zuckeranteils durch Süßstoffe auszeichnen (etwa “Light”-Softdrinks). Ebendies ist auch bei den von der Beklagten vertriebenen Produkten der Fall. So wird bei dem durch die angegriffenen Anpreisungen beworbenen Produkt der üblicherweise in Brownies enthaltene hohe Zuckeranteil durch die Zugabe des Süßstoffes Erythrit ersetzt.
Zwar könne eine Fehlvorstellung durch einen klarstellenden Hinweis wieder beseitigt werden. Ein solcher fehle jedoch vorliegend.
Ebenjene Fehlvorstellung, die durch die Werbeaussage bei einem erheblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufen wird, wird auch nicht durch einen klarstellenden Hinweis auf die tatsächliche Bezugsgröße, nämlich herkömmliche Brownies mit höherem Zucker- und Fettgehalt, beseitigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann in Fällen, in denen der Blickfang für sich genommen eine fehlerhafte Vorstellung vermittelt, der dadurch veranlasste Irrtum regelmäßig durch einen klaren und unmissverständlichen Hinweis ausgeschlossen werden, der selbst am Blickfang teilhat (vgl. BGH, Urteil vom 18.12.2014, Az.: I ZR 129/13, Rn. 16, zitiert nach juris – Schlafzimmer komplett). Ein solcher findet sich in dem streitgegenständlichen Instagram-Post jedoch nicht.
Auch die Werbung mit der Aussage „Perfekt für jede Diät“ sei irreführend, da dem Produkt hiermit Eigenschaften und Wirkungen zugeschrieben werden, die es nicht besitze. Zwar werde ein Großteil des angesprochenen Verkehrs die Aussage dahingehend verstehen, dass der geringe Zucker- und Fettanteil zu einer gesunden Ernährung beitrage. Allerdings könne diese Aussage auch von einem erheblichen Teil des angesprochenen Verkehrs so verstanden werden, dass das Produkt auch für andere Arten von Diäten mit anderen Zielen „perfekt“ geeignet sei. Dies sei jedoch nicht der Fall.
Auch die Werbeaussage „perfekt für jede Diät“ ist irreführend, da diese der beworbenen Protein-Brownie-Mischung Wirkungen und Eigenschaften zuschreibt, die sie nicht besitzt (Art. 7 Abs. 1 lit. b) LMIV).
Zwar ist auch im Hinblick auf diese Werbeaussage zu konstatieren, dass ein Großteil der angesprochenen Verkehrskreise die Anpreisung so verstehen dürfte, dass gerade der geringe Zucker- und Fettanteil dazu beiträgt, sich kalorienbewusst zu ernähren und deshalb das Produkt „perfekt für jede Diät“ sei. Zu sehen ist jedoch, dass auch diese Anpreisung von einem erheblichen Anteil des angesprochenen Verkehrs derart verstanden wird, dass das beworbene Produkt der Beklagten auch „perfekt“ für solche Diäten sei, die nicht (primär) auf die Gewichtsreduktion ausgerichtet sind. Gemeinhin anerkannt und auch bei den angesprochenen Verkehrskreisen bekannt ist, dass eine Diät nicht ausschließlich mit dem Ziel der Gewichtsreduktion einhergeht, sondern mit unterschiedlichen Zielen verbunden werden kann. Beispielsweise kann eine Diät auch zur Behandlung einer Krankheit angezeigt sein. Gerichtsbekannt (§ 291 ZPO) ist jedoch, dass die von der Beklagten beworbene Brownie-Mischung jedenfalls nicht „perfekt“ für jede Art von Diät ist. Als Beispiele seien hier etwa Diäten genannt, bei denen man auf den Verzehr von Gluten oder Protein verzichtet."
Die Beklagte versuchte sich erfolglos damit zu verteidigen, dass es sich bei der Aussage „perfekt für jede Diät“ um eine Meinungsäußerung handle. Dies sei jedoch nicht der Fall, so das Gericht. Die Werbeaussage stelle vielmehr eine Tatsachenbehauptung dar.
Die Beklagte kann sich zudem nicht auf den rechtlichen Standpunkt verlegen, die Werbeaussage „perfekt für jede Diät“ sei deshalb nicht irreführend, da es sich dabei um eine für die angesprochenen Verkehrskreise erkennbare Meinungsäußerung handele. Die angegriffene Werbeaussage stellt nämlich eine Tatsachenbehauptung dar. Werturteile oder Meinungsäußerungen werden durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt, wohingegen eine Tatsachenbehauptung einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich ist. Dies scheidet bei Werturteilen und Meinungsäußerungen aus, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet sind und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen […]. Die angegriffene Werbeaussage „perfekt für jede Diät“ ist einer Überprüfung zugänglich und insoweit eine „Angabe“ im Sinne des § 5 UWG. Elemente des Dafürhaltens oder Meinens, etwa im Sinne von „Ich finde, dass dieses Produkt perfekt für jede Diät ist“, enthält die Werbeaussage gerade nicht.
Bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln handelt es sich um ein komplexes Thema, welches ständigen Neuerungen unterworfen ist. Als Kunde unserer Legal Produkte finden Sie in Ihrem Legal Account umfangreiche Whitepaper, auch zur Kennzeichnung von Lebensmitteln.
r.classen/Shutterstock.com