Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO ein Schaden entsteht, hat gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter. Diese vage Formulierung lässt in der Praxis viele Fragen offen. Insbesondere die Geltendmachung immaterieller Schäden beschäftigen zunehmend die Gerichte. Der EuGH (Urt. v. 14.12.2023 – C-340/21) entschied nun, dass allein die Befürchtung einer betroffenen Person, dass ihre personenbezogenen Daten durch Dritte missbräuchlich verwendet werden könnten infolge eines Verstoßes gegen die DSGVO, einen immateriellen Schaden darstellen könne.

Die bulgarische Nationale Agentur für Einnahmen (NAP) ist dem bulgarischen Finanzminister unterstellt. Sie ist u. a. mit der Feststellung, Sicherung und Einziehung öffentlicher Forderungen betraut. In diesem Rahmen ist sie für die Verarbeitung personenbezogener Daten verantwortlich. Am 15. Juli 2019 wurde in den Medien darüber berichtet, dass in das IT-System der NAP eingedrungen worden sei und infolge dieses Cyberangriffs in diesem System enthaltene personenbezogene Daten von Millionen von Menschen im Internet veröffentlicht worden seien. Zahlreiche Personen verklagten die NAP auf Ersatz des immateriellen Schadens, der ihnen aus der Befürchtung eines möglichen Missbrauchs ihrer Daten entstanden sein soll. Das bulgarische Oberste Verwaltungsgericht legte dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Auslegung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zur Vorabentscheidung vor. Es möchte klären lassen, unter welchen Bedingungen eine Person, deren personenbezogene Daten, die sich im Besitz einer öffentlichen Agentur befinden, nach einem Angriff von Cyberkriminellen im Internet veröffentlicht wurden, Ersatz des immateriellen Schadens verlangen kann.

Das vorlegende Gericht wollte u.a. wissen, ob Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen ist, dass allein der Umstand, dass eine betroffene Person infolge eines Verstoßes gegen die DSGVO befürchtet, dass ihre personenbezogenen Daten durch Dritte missbräuchlich verwendet werden könnten, einen „immateriellen Schaden“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann.

Die Entscheidung des EuGH

Der EuGH beantwortete die Vorlagefrage nach dem Schaden mit einem klaren ja. Art. 82 Abs. 1 DSGVO sei dahin auszulegen, dass allein der Umstand, dass eine betroffene Person infolge eines Verstoßes gegen die DSGVO befürchtet, dass ihre personenbezogenen Daten durch Dritte missbräuchlich verwendet werden könnten, einen immateriellen Schaden im Sinne dieser Bestimmung darstellen könne.

Kein Schadensersatz bei bloßem DSGVO-Verstoß, aber keine Erheblichkeitsschwelle

Der EuGH verwies zunächst auf den Wortlaut des Art. 82 Abs. 1 DSGVO und eine bereits ergangene Entscheidung (EuGH, Urt. v. 4.5.2023 – C-300/21). Darin hatte das Gericht klargestellt, dass ein bloßer Verstoß gegen die DSGVO keinen Anspruch auf Schadensersatz begründe. Es müsse ein Verstoß gegen die DSGVO vorliegen, aus dem ein kausaler materieller oder immaterieller Schaden resultiere. Zudem müsse für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs ein Kausalzusammenhang zwischen dem entstandenen Schaden und dem DSGVO Verstoß bestehen. Auf eine Erheblichkeitsschwelle komme es hingegen nicht an.

Was erstens den Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 DSGVO betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass dieser Folgendes vorsieht: „Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.“

Insoweit hat der Gerichtshof festgestellt, dass aus dem Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 DSGVO klar hervorgeht, dass das Vorliegen eines „Schadens“, der entstanden ist, eine der Voraussetzungen für den in dieser Bestimmung vorgesehenen Schadenersatzanspruch darstellt, ebenso wie das Vorliegen eines Verstoßes gegen die DSGVO und eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Schaden und dem Verstoß, wobei diese drei Voraussetzungen kumulativ sind (Urteil vom 4. Mai 2023, Österreichische Post [Immaterieller Schaden im Zusammenhang mit der Verarbeitung personenbezogener Daten], C‑300/21, EU:C:2023:370, Rn. 32).

Darüber hinaus hat der Gerichtshof Art. 82 Abs. 1 DSGVO auf der Grundlage von Erwägungen zu Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck dahin ausgelegt, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, die den Ersatz eines „immateriellen Schadens“ im Sinne dieser Bestimmung davon abhängig macht, dass der der betroffenen Person entstandene Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit erreicht hat (Urteil vom 4. Mai 2023, Österreichische Post [Immaterieller Schaden im Zusammenhang mit der Verarbeitung personenbezogener Daten], C‑300/21, EU:C:2023:370, Rn. 51).

Angst vor Missbrauch ausreichend

Allein der Umstand, dass eine betroffene Person infolge eines Verstoßes gegen die DSGVO befürchtet, dass ihre personenbezogenen Daten durch Dritte missbräuchlich verwendet werden könnten, könne einen „immateriellen Schaden“ darstellen. Der Wortlaut unterscheide nicht zwischen einem bereits erfolgten Missbrauch und der Befürchtung einer künftigen missbräuchlichen Verwendung.

Weiter ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass Art. 82 Abs. 1 DSGVO nicht danach unterscheidet, ob der infolge eines erwiesenen Verstoßes gegen die Bestimmungen der DSGVO von der betroffenen Person behauptete „immaterielle Schaden“ mit einer zum Zeitpunkt ihres Schadenersatzantrags bereits erfolgten missbräuchlichen Verwendung ihrer personenbezogenen Daten durch Dritte verbunden ist oder ob er mit ihrer Angst verknüpft ist, dass eine solche Verwendung in Zukunft erfolgen könnte.

Somit schließt der Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 DSGVO nicht aus, dass der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff „immaterieller Schaden“ eine Situation wie die vom vorlegenden Gericht beschriebene umfasst, in der sich die betroffene Person, um Schadenersatz nach dieser Bestimmung zu erhalten, auf ihre Befürchtung beruft, dass ihre personenbezogenen Daten aufgrund des eingetretenen Verstoßes gegen die DSGVO in Zukunft von Dritten missbräuchlich verwendet werden.

Bloßer Kontrollverlust über Daten bereits vom Schadensbegriff erfasst

Die DSGVO bezwecke ein hohes Schutzniveau personenbezogener Daten. Um diesem Zweck zu genügen, sei ein Verständnis des Schadensbegriffes, dass einen befürchteten Missbrauch personenbezogener Daten nicht umfasst, unvereinbar. Der Unionsgesetzgeber wollte unter den Begriff des Schadens insbesondere auch den bloßen Kontrollverlust über die eigenen Daten infolge eines DSGVO-Verstoßes fassen, unabhängig davon, ob bereits ein Missbrauch erfolgt ist.

Diese wörtliche Auslegung wird zweitens durch den 146. Erwägungsgrund der DSGVO bestätigt, der speziell den in Art. 82 Abs. 1 DSGVO vorgesehenen Schadenersatzanspruch betrifft und in dessen drittem Satz es heißt, dass „[d]er Begriff des Schadens … im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs weit auf eine Art und Weise ausgelegt werden [sollte], die den Zielen dieser Verordnung in vollem Umfang entspricht.“ Eine Auslegung des Begriffs „immaterieller Schaden“ im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO, die nicht die Fälle umfasst, in denen die von einem Verstoß gegen die DSGVO betroffene Person sich auf die Befürchtung beruft, dass ihre eigenen personenbezogenen Daten in Zukunft missbräuchlich verwendet werden, entspräche jedoch nicht einer weiten Auslegung dieses Begriffs, wie sie vom Unionsgesetzgeber beabsichtigt ist (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Mai 2023, Österreichische Post [Immaterieller Schaden im Zusammenhang mit der Verarbeitung personenbezogener Daten], C‑300/21, EU:C:2023:370, Rn. 37 und 46).

Zudem heißt es im ersten Satz des 85. Erwägungsgrundes der DSGVO, dass „[e]ine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten … – wenn nicht rechtzeitig und angemessen reagiert wird – einen physischen, materiellen oder immateriellen Schaden für natürliche Personen nach sich ziehen [kann], wie etwa Verlust der Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten oder Einschränkung ihrer Rechte, Diskriminierung, Identitätsdiebstahl oder ‑betrug, finanzielle Verluste … oder andere erhebliche wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile für die betroffene natürliche Person“. Aus dieser beispielhaften Aufzählung der „Schäden“, die den betroffenen Personen entstehen können, geht hervor, dass der Unionsgesetzgeber unter den Begriff „Schaden“ insbesondere auch den bloßen „Verlust der Kontrolle“ über ihre eigenen Daten infolge eines Verstoßes gegen die DSGVO fassen wollte, selbst wenn konkret keine missbräuchliche Verwendung der betreffenden Daten zum Nachteil dieser Personen erfolgt sein sollte.

Drittens und letztens wird die in Rn. 80 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung durch die Ziele der DSGVO gestützt, denen die Definition des Begriffs „Schaden“ in vollem Umfang entsprechen muss, wie es im dritten Satz des 146. Erwägungsgrundes der DSGVO heißt. Eine Auslegung von Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin, dass der Begriff „immaterieller Schaden“ im Sinne dieser Bestimmung keine Situationen umfasst, in denen sich eine betroffene Person nur auf ihre Befürchtung beruft, dass ihre Daten in Zukunft von Dritten missbräuchlich verwendet werden, wäre jedoch nicht mit der Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für natürliche Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten in der Union vereinbar, die mit diesem Rechtsakt bezweckt wird.

Beweislast liegt bei Betroffenen

Die Beweislast für den immateriellen Schaden trage die betroffene Person. Insbesondere müsse das angerufene nationale Gericht in einem Fall, in dem sich die betroffene Person auf einen immateriellen Schaden aufgrund eines befürchteten Missbrauchs ihrer Daten beruft, prüfen, ob die Befürchtung als begründet angesehen werden könne.

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass eine Person, die von einem Verstoß gegen die DSGVO betroffen ist, der für sie negative Folgen gehabt hat, nachweisen muss, dass diese Folgen einen immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82 DSGVO darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Mai 2023, Österreichische Post [Immaterieller Schaden im Zusammenhang mit der Verarbeitung personenbezogener Daten], C‑300/21, EU:C:2023:370, Rn. 50).

Insbesondere muss das angerufene nationale Gericht, wenn sich eine Person, die auf dieser Grundlage Schadenersatz fordert, auf die Befürchtung beruft, dass ihre personenbezogenen Daten in Zukunft aufgrund eines solchen Verstoßes missbräuchlich verwendet werden, prüfen, ob diese Befürchtung unter den gegebenen besonderen Umständen und im Hinblick auf die betroffene Person als begründet angesehen werden kann.

Nach alledem ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen ist, dass allein der Umstand, dass eine betroffene Person infolge eines Verstoßes gegen die DSGVO befürchtet, dass ihre personenbezogenen Daten durch Dritte missbräuchlich verwendet werden könnten, einen „immateriellen Schaden“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann.

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