Seit drei Jahren gilt bereits das Anti-Abmahn-Gesetz, das auch den fliegenden Gerichtsstand bei Verstößen einschränkt, die in Telemedien oder im elektronischen Geschäftsverkehr begangen werden. Die Auslegung beschäftigt die Gerichte jedoch weiterhin. Das OLG Hamburg (Urt. v. 7.9.2023 – 5 U 65/22) entschied nun, dass die Beschränkung des fliegenden Gerichtsstands gem. § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG nicht für solche Fälle gelte, in denen von einer besonderen Gefahr des Missbrauchs in Form eines massenhaften Vorgehens nicht auszugehen ist.

Die Klägerin, die digitale Unternehmensberatung und zumeist onlinebasierte Coachingdienstleistungen erbringt, mahnte den Beklagten, einen als Coach tätigen Online-Kanalbetreiber aufgrund der Inhalte/Äußerungen eines von diesem veröffentlichten Videos ab. In dem Video setzte sich der Beklagte mit einem von der Klägerin zuvor veröffentlichten Video (kritisch) auseinander und nutzte dafür u.a. Ausschnitte aus diesem Video. Die Klägerin sah darin eine unlautere geschäftliche Handlung und verlangte Unterlassung, Schadensersatz und Erstattung von Abmahnkosten. Sie erhob Klage vor dem Landgericht Hamburg. Der Beklagte verteidigte sich, indem er die kritisierten Passagen als zulässige Meinungsäußerungen und sachliche Kritik darstellte. Zusätzlich rügte der Beklagte die örtliche Unzuständigkeit des Gerichts. Er beantragte die Klageabweisung durch Erlass eines Versäumnisurteils.

Vorinstanz entschied anders

Während sich die Vorinstanz, das LG Hamburg (Urt. v. 19.5.2022 – 310 O 44/21), auf § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG berief, der besagt, dass der fliegende Gerichtsstand nicht für Rechtsstreitigkeiten wegen Zuwiderhandlungen im elektronischen Geschäfts-verkehr oder in Telemedien gilt, und die Auffassung vertrat, dass diese Vorschrift sämtliche im Internet begangenen Verstöße erfasse, sprach sich das OLG Hamburg nun für eine einschränkende Auslegung des § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG aus. Es nahm damit die örtliche Zuständigkeit an.

Einschränkende Auslegung sei geboten

Das OLG Hamburg legte § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG dahingehend aus, dass von der Beschränkung des aus § 14 Abs. 2 S. 2 UWG resultierenden Wahlrechts jedenfalls diejenigen Fälle ausgenommen seien, in denen nicht von einer besonderen Gefahr des Missbrauchs in Form eines massenhaften Vorgehens auszugehen sei.

Nach Auffassung des Senats ist § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG dahingehend auszulegen, dass von der Beschränkung des Wahlrechts aus § 14 Abs. 2 S. 2 UWG im elektronischen Geschäftsverkehr und in Telemedien jedenfalls diejenigen Fälle ausgenommen sind, in denen nicht von einer besonderen Gefahr des Missbrauchs in Form eines massenhaften Vorgehens auszugehen ist.

Das Gericht griff die Regelungen des § 14 Abs. 2 S. 1 u. S. 2 UWG auf und stellte fest, dass im gegenständlichen Sachverhalt die Zuwiderhandlung auch in Hamburg begangen worden war. Bei über das Internet verbreiteten Inhalten sei der Erfolgsort überall dort, wo der Inhalt abgerufen werden könne.

Für alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, mit denen ein Anspruch auf Grund des UWG geltend gemacht wird, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, § 14 Abs. 2 S. 1 UWG. Gem. § 14 Abs. 2 S. 2 UWG ist […] außerdem das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Zuwiderhandlung begangen wurde. Vorliegend wurde die Zuwiderhandlung auch in Hamburg begangen. Mit dem Begehungsort ist sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort gemeint (Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 14 Rn. 16). Erfolgsort ist der Ort, an dem das durch die fragliche Norm geschützte Rechtsgut nach dem Vortrag des Klägers verletzt wurde (Tolkmitt in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl., § 14 Rn. 100). Bei über das Internet verbreiteten Inhalten ist der Erfolgsort überall dort, wo der Inhalt abgerufen werden kann.

Nach Auffassung des Gerichts stehe § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG der Zuständigkeit der Hamburger Gerichte nicht entgegen.

§ 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG steht der Zuständigkeit der Hamburger Gerichte nicht entgegen. Gem. § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG gilt § 14 Abs. 2 S. 2 UWG nicht für „Rechtsstreitigkeiten wegen Zuwiderhandlungen im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien“. Vorliegend handelt es sich nicht um eine hiervon umfasste Rechtsstreitigkeit.

Auslegung der Begrenzung des fliegenden Gerichtsstands ist umstritten

Das OLG stellte die verschiedenen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur dar und betonte, dass die Frage, ob die in § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG enthaltene Begrenzung des „fliegenden Gerichtsstands“ einschränkend auszulegen ist, umstritten sei.

Das Gericht selbst legt § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG dahingehend aus, dass von der Beschränkung des Wahlrechts im elektronischen Geschäftsverkehr und in Telemedien jedenfalls diejenigen Fälle ausgenommen seien, in denen nicht von einer besonderen Gefahr des Missbrauchs in Form eines massenhaften Vorgehens auszugehen sei. Es stützt sich dabei auf die Historie der Gesetzesentstehung, den Sinn und Zweck der Vorschrift und die Abwägung der widerstreitenden Interessen. Es führte aus, dass es dem Gesetzgeber darum gegangen sei, die Einschränkung des fliegenden Gerichtsstands auf besonders missbrauchsanfällige Fälle zu begrenzen.

Nach Auffassung des Senats ist § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG dahingehend auszulegen, dass von der Beschränkung des Wahlrechts aus § 14 Abs. 2 S. 2 UWG im elektronischen Geschäftsverkehr und in Telemedien jedenfalls diejenigen Fälle ausgenommen sind, in denen nicht von einer besonderen Gefahr des Missbrauchs in Form eines massenhaften Vorgehens auszugehen ist.

Zwar lässt der Wortlaut des § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG bei isolierter Betrachtung eine solche Beschränkung der Ausnahme vom fliegenden Gerichtsstand nicht erkennen. Auch ist bei einer systematischen Betrachtung festzustellen, dass der Wortlaut des § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG vom Wortlaut des § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG abweicht, wonach der Anspruch auf Ersatz der für eine Abmahnung erforderlichen Aufwendungen ausgeschlossen ist bei im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien begangenen Verstößen gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten.

Allerdings ergibt sich aus der Historie der Gesetzesentstehung und dem Sinn und Zweck der Vorschrift eine Auslegung, wonach jedenfalls solche Fälle von Zuwiderhandlungen im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien vom Anwendungsbereich ausgenommen sind, in denen nicht von einer besonderen Gefahr des Missbrauchs in Form eines massenhaften Vorgehens auszugehen ist.“  […]

Die Begründung des Ausschusses für die Änderung des § 14 Abs. 2 UWG macht deutlich, dass es darum ging, die Einschränkung des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung „auf die in diesem Zusammenhang besonders missbrauchsanfälligen Verstöße […], die auf Telemedien oder im elektronischen Geschäftsverkehr begangen werden“ zu begrenzen.

Vorliegend keine Missbrauchsgefahr

Eine Missbrauchsgefahr, die eine Einschränkung rechtfertige, bestehe vorliegend nicht. Eine Missbrauchsgefahr liege insbesondere dann vor, wenn konkrete Vorgaben für die Gestaltung von (Online-)Angeboten bestünden, z.B. bei Impressumspflichten, und Verstöße daher ohne größeren Aufwand festgestellt werden könnten. In derartigen Fällen würde es einen zusätzlichen Anreiz für ein massenhaftes Vorgehen darstellen, wenn es dem Anspruchsteller ermöglicht würde, die Verfahren an einem Gerichtsstand seiner Wahl zu bündeln. Hierzu verwies es auf eine Entscheidung des OLG Frankfurt, das ebenfalls davon ausgeht, dass nicht jedes unlautere Verhalten von der neuen Einschränkung des fliegenden Gerichtsstands erfasst sei.

Bestehe der Grund für die unterschiedliche Behandlung von jenseits des Internets begangenen Verletzungshandlungen und „online“ begangenen Verletzungshandlungen in diesem besonderen Missbrauchspotential, so entspräche es Sinn und Zweck der Norm, diejenigen Fälle auszunehmen, in denen nicht von einem solchen Missbrauchspotential auszugehen sei, schlussfolgerte das OLG.

Dass der Gerichtsstand des Ortes der Zuwiderhandlung im Grundsatz erhalten wird, aber im Bereich der Telemedien eine Einschränkung erfährt, ist allein mit der besonderen Missbrauchsanfälligkeit der Verfolgung entsprechender Verstöße zu begründen (so auch OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2022, 135 Rn. 11). Diese Missbrauchsgefahr realisiert sich vor allem in Fällen, in denen konkrete Vorgaben für die Gestaltung von (Online-)Angeboten bestehen – wie etwa bei den Impressumspflichten – und Verstöße daher ohne größeren Aufwand festgestellt werden können. In diesen Fällen würde es einen zusätzlichen Anreiz für ein massenhaftes Vorgehen darstellen, wenn der Anspruchsteller die Verfahren an einem Gerichtsstand seiner Wahl „bündeln“ könnte […]. Besteht der Grund für die unterschiedliche Behandlung von jenseits des Internets begangenen Verletzungshandlungen und „online“ begangenen Verletzungshandlungen in diesem besonderen Missbrauchspotential, so entspricht es Sinn und Zweck der Norm, diejenigen Fälle auszunehmen, in denen nicht von einem solchen Missbrauchspotential auszugehen ist.

Einschränkung nur bei Verstößen gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten?

Ob von § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG somit nur Verstöße gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten erfasst werden, ließ das Gericht offen. Im Zusammenhang mit Verstößen gegen § 4 Nr. 2, Nr. 4 UWG sei, so das Gericht, aber keine besondere Gefahr des Missbrauchs gegeben. Denn ob es sich bei Äußerungen um Tatsachenbehauptungen i.S.d. § 4 Nr. 2 UWG handle, die geeignet wären, den Betrieb des Unternehmens oder den Kredit des Unternehmers zu schädigen, bedürfe stets einer Bewertung und u.U. auch Abwägung im Einzelfall. Derartige Fälle seien für ein massenhaftes Vorgehen gegen Rechtsverstöße eher ungeeignet. Dasselbe gelte auch für das Vorliegen einer gezielten Behinderung i.S.d. § 4 Nr. 4 UWG.

Ob damit von § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG nur Verstöße gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten erfasst sind – wofür spricht, dass der Gesetzgeber ausweislich § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG in diesen Fällen von einem besonderen Missbrauchspotential ausgeht –, kann vorliegend offenbleiben.

Die besondere Gefahr des Missbrauchs in Form eines massenhaften Vorgehens ist bei vermeintlichen Verstößen gegen § 4 Nr. 2, Nr. 4 UWG nicht gegeben. Ob es sich bei Äußerungen um Tatsachenbehauptungen i.S.d. § 4 Nr. 2 UWG handelt, die geeignet sind, den Betrieb des Unternehmens oder den Kredit des Unternehmers zu schädigen, bedarf einer Bewertung und u.U. auch Abwägung im Einzelfall, sodass sich diese Fälle nicht für ein massenhaftes Vorgehen gegen Rechtsverstöße eignen.

Auch das Vorliegen einer gezielten Behinderung i.S.d. § 4 Nr. 4 UWG bedarf – jedenfalls in der vorliegend klägerseitig geltend gemachten Variante der Herabsetzung eines Mitbewerbers und seiner Dienstleistungen – einer Abwägung im Einzelfall.

Im Endeffekt verneinte das OLG Hamburg das Vorliegen einer unlauteren geschäftlichen Handlung nach § 4 Nr. 2 oder Nr. 4 UWG. Das Gericht entschiedaus, dass es sich bei den angegriffenen Äußerungen des Beklagten nicht um unwahre Tatsachenbehauptungen, sondern um zulässige Meinungsäußerungen handle.

Fazit

Das OLG Hamburg nimmt an, dass die Regelung einschränkend auszulegen sei und der fliegende Gerichtsstand daher nicht für sämtliche im Internet begangenen Verstöße ausgeschlossen werde, sondern nur für solche, die eine besondere Missbrauchsgefahr in Form eines massenhaften Vorgehens aufweisen. Damit liegt es auf einer Linie mit dem OLG FrankfurtLG DüsseldorfLG Frankfurt und dem LG Hamburg. Eine andere Ansicht vertreten hingegen das OLG Düsseldorf und das LG Stuttgart.

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