Mit Inkrafttreten des Anti-Abmahn-Gesetzes wurden in § 8c Abs. 2 UWG bestimmte Fallgruppen missbräuchlicher Abmahnungen aufgenommen, u.a. auch dann, wenn ein Mitbewerber den Gegenstandswert für eine Abmahnung zu hoch ansetzt oder eine offensichtlich überhöhte Vertragsstrafe gefordert wird. Außerdem wurden in § 13 Abs. 2 UWG inhaltliche Anforderungen an Abmahnungen normiert, deren Einhaltung Voraussetzung für den Aufwendungsanspruch des Abmahnenden ist. Das LG Traunstein befasste sich nun (Urt. v. 23.9.2022 – 1 HK O 436/22) ausführlich mit den Formalien einer Abmahnung und stellte klar, welche Umstände im Einzelfall für das Vorliegen einer rechtsmissbräuchlichen Abmahnung sprechen können.

Beide Parteien vertreiben über Amazon Textilien. Am 20.10.2021 mahnte die Klägerin die Beklagte wegen einer von ihr angebotenen Fleecedecke auf Amazon ab, weil sie eine Etikettierung ohne Information über den Hersteller des Produkts und dessen Sitz verwendete. Außerdem habe die Beklagte mit einer ÖkoTex-Zertifizierung geworben, obwohl der Artikel nicht zertifiziert sei. Die Klägerin forderte die Beklagte in der Abmahnung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf, in der sie sich verpflichten sollte, bei Amazon keine Produkte ohne ordnungsgemäße Herstellerkennzeichnung zu veräußern und zu keinem Artikel die Behauptung aufzustellen, er sei ÖkoTex-zertifiziert, wenn dies nicht der Fall sei.

Mit Schreiben vom 17.1.2022 mahnte die Klägerin die Beklagte erneut ab, da die Beklagte bei einem Angebot bei Amazon vergleichende und irreführende Werbung betrieben haben soll, indem sie ihre Produkte als „Erste Wahl bei Fleecedecken“ bezeichnet und besondere Eigenschaften nur ihren eigenen Produkten, nicht aber Produkten anderer Hersteller, zugeschrieben habe. Außerdem sei der Unternehmensgegenstand der Beklagten falsch im Handelsregister angegeben worden, dies solle zu einer Irreführung von Verbrauchern geführt haben.

In beiden Abmahnung forderte die Klägerin die Beklagte mit einer Frist von 7 Tagen zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Nach der würde sich die Beklagte verpflichten, bei Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe von 10.000 € unter Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs zu zahlen. Daneben sollte die Beklagte die Zahlungspflicht für die klägerseits entstandenen Rechtsanwaltskosten für die Abmahnung anerkennen, welche sich nach den Gegenstandswerten berechneten. Für die erste Abmahnung wurde ein Gegenstandswert von 100.000 €, für die zweite Abmahnung ein Gegenstandswert von 50.000 € angesetzt.

Die Beklagte gab keine der beiden geforderten Unterlassungserklärung ab und hielt die jeweiligen Abmahnungen für rechtsmissbräuchlich. Sie beantragte zudem im Wege der Widerklage Ersatz ihrer Kosten für die Rechtsverteidigung nach §§ 13 Abs. 5, 8c Abs. 3 UWG.  Danach steht dem Abgemahnten im Falle einer missbräuchlichen Geltendmachung ein Gegenanspruch zu und er kann Ersatz der für seine Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen fordern. Unsere Partnerkanzlei Internetrecht-Rostock.de hat sie in diesem Verfahren erfolgreich vertreten.

Rechtsmissbräuchliche Abmahnungen

Zunächst stellte die Kammer fest, dass beide Abmahnung der Klägerin rechtsmissbräuchlich seien und ihr daher kein Anspruch auf Zahlung der entstandenen Abmahnkosten zustehe. Insofern könne dahinstehen, ob das Verhalten, auf die sich die jeweiligen Abmahnungen stützen, jeweils wettbewerbswidrig sei. Aus der Gesamtschau ergebe sich viel mehr, dass mit den Abmahnungen vorwiegend monetäre Interessen verfolgt würden, so das Gericht.

Nach § 8c I UWG ist die Geltendmachung der in § 8 I UWG bezeichneten Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände rechtsmissbräuchlich ist. Das ist der Fall, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen […]. Die Annahme eines derartigen Rechtsmissbrauchs erfordert eine sorgfältige Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände. Dabei ist vor allem auf das Verhalten des Gläubigers bei der Verfolgung des Verstoßes abzustellen; ebenso zu berücksichtigen sind aber auch die Art und Schwere des Wettbewerbverstoßes sowie das Verhalten des Schuldners nach dem Verstoß […]. Der Gesetzgeber hat hierbei in § 8c II UWG Umstände aufgezählt, denen Indizwirkung zukommt.

Geforderte Vertragsstrafe zu hoch

Sodann gingen die Richter im Einzelnen auf Umstände ein, aus denen sich die Missbräuchlichkeit der Abmahnung ergebe. Zuerst spreche für ein vordergründiges Kosteninteresse der Abmahnung, dass im Falle einer Zuwiderhandlung der Unterwerfungserklärung eine Vertragsstrafe von 10.000 € vorgesehen sei. Dies sei angesichts des beanstandeten (Erst-)Verstoßes eine außergewöhnlich hohe Strafe.

Die Abmahnung enthält in Bezug auf die gerügten Wettbewerbsverstöße eine vorformulierte Unterwerfungserklärung, in der für den Fall jeder Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe von 10.000 Euro vorgesehen wird. Diese Vertragsstrafe ist angesichts der hier in Rede stehenden Verstöße bereits für sich ungewöhnlich hoch; auch liegt ein sogenannter Erstverstoß vor, so dass sie als offensichtlich überhöht anzusehen ist (§ 8c II Nr. 4 UWG).

Klägerin wollte „abkassieren

Ferner wurde die Vertragsstrafe so ausgestaltet, dass der Fortsetzungszusammenhang ausgeschlossen sei und sie produktbezogen anfalle. Demnach hätte der die Beklagte bei Zuwiderhandlung für jedes einzelne Produkt 10.000 € Vertragsstrafe zahlen müssen. Obwohl die Klägerin ein konkretes Produkt beanstandet habe, habe sie generalisierend sämtliche Produkte der Beklagten zum Gegenstand der Unterlassungserklärung gemacht. Dies spreche nach Ansicht des Gerichts für die vorwiegend monetären Interessen der Klägerin.

Die Vertragsstrafe wurde so ausgestaltet, dass der Fortsetzungszusammenhang ausgeschlossen ist und sie produktbezogen anfällt. Nach der konkret geforderten Vertragsstrafe hätte der Abgemahnte auch im Fall einer Handlungseinheit bei Zuwiderhandlung für jedes einzelne Produkt 10.000 Euro Vertragsstrafe zahlen müssen […]. Berücksichtigt man weiter, dass die Klägerin ein konkretes Produkt – eine Fleecedecke – beanstandet hat, dann aber generalisierend sämtliche Produkte der Beklagten zum Gegenstand der Unterlassungserklärung gemacht hat, bestätigt die Annahme, dass Hoffnung und Motiv der Klägerin war, bei Abgabe der Unterlassungserklärung und einem darauffolgenden Verstoß Vertragsstrafen pro Produkt abkassieren zu können. Auch besteht für die Beklagte bei einem solch pauschalen Verbot ein erhöhtes Risiko – gerade auch im Internet -, bis wirklich alle Angebote auf allen Seiten erfolgreich angepasst wurden.

Erstattung der Abmahnkosten als erkennbares Ziel

Außerdem sei ein unangemessen hoher Gegenstandswert angesetzt worden, aus dem die Abmahnkosten berechnet werden wurden. Zudem spiegle der Streitwert erkennbar nicht die wirtschaftliche Bedeutung für die Klägerin wider.

Der Klägerin ging es zudem erkennbar um Erstattung von Abmahnkosten. Das folgt aus dem unangemessen hoch angesetzte Gegenstandswert von 100.000 Euro, aus dem die Abmahnkosten berechnet werden (§ 8c II Nr. 3 UWG). Der Betrag ist für die hier vorliegenden Verstöße – Angabe des Herstellers, fehlende Angabe der ÖkoTex-Zertifizierung – im Hinblick darauf, dass die Klägerin nur ein einziges Produkt beanstandet hat, weit überhöht. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände wäre bereits ein Gegenstandswert von 10.000 Euro sportlich, aber noch hinnehmbar; die Klägerin hat jedoch das Zehnfache angesetzt: Hinzu kommt, dass der Klägerin bewusst war, dass der Vertrieb einer Fleecedecke im Wert von drei bis vier Euro keinen erheblichen Umsatz generiert hat; der Streitwert spiegelt damit erkennbar nicht die wirtschaftliche Bedeutung für die Klägerin wider (§ 51 II UWG). Die Rechtsprechung stellt hierbei auf den „Angriffsfaktor ab und die drohenden Gewinneinbußen des Anspruchstellers, sollte das wettbewerbswidrige Verhalten fortgesetzt werden. Die fehlende wirtschaftliche Bedeutung wurde gerügt, gravierende Umsatzeinbußen sind fernliegend und wurden auch nicht dargelegt und belegt.

Forderung von Verzugszinsen unzulässig

Des Weiteren habe die Klägerin entgegen langjähriger höchstrichterlicher Rechtsprechung Verzugszinsen von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz angesetzt, obwohl Abmahnkosten keine verzinslichen Entgeltforderungen seien. Dies spreche für ihr primäres Gelderzielungsinteresse.

Hinzu kommt, dass die Klägerin – entgegen langjähriger höchstrichterlicher Rechtsprechung – eine Verzugszinsforderung von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ansetzt, obwohl Abmahngebühren keine Entgeltforderung sind […]. Der bewusste Verstoß gegen eine langjährige höchstrichterliche Rechtsprechung verdeutlicht das primäre Gelderzielungsinteresse der Klägerin.

Unterlassungsverpflichtung zu weit gefasst

Zudem sei das Regelbeispiel des § 8c Abs. 2 Nr. 5 UWG erfüllt. Danach ist im Zweifel ein Rechtsmissbrauch anzunehmen, wenn eine vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtung offensichtlich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht. Die Klägerin forderte vorliegend nämlich nicht nur Unterlassung für Verbraucherprodukte, sondern für alle Produkte.

Die Klägerin hat in der streitgegenständlichen Abmahnung vom 20.10.2021 einen Verstoß gegen § 6 I S. 1 ProdSG geltend gemacht, der aber nur für Verbraucherprodukte gilt. In der Unterlassungserklärung fordert sie von der Beklagten aber, sie soll künftig generell keine Produkte mehr ohne Herstellerkennzeichnung anbieten. Die Forderung keine Produkte anzubieten, geht weit über das Verbot hinaus, Verbraucherprodukte anzubieten. Auch verkennt die Klägerin, dass über den Internetshop Amazon durchaus auch Händler einkaufen, wie man am Beispiel der Maskenkäufe in der Coronapandemie gesehen hat. Diese Ausweitung der Unterlassungsverpflichtung stellt eine zusätzlich „Einnahmequelle“ dar, da unter die Unterlassungserklärung und damit auch unter die Vertragsstrafenforderung somit auch andere, als die abgemahnten Verstöße fallen können.

Die Klägerin hat ferner den Vertrieb einer Fleecedecke beanstandet, aber eine Unterlassung in Richtung aller Produkte gefordert.

Inhaltliche Anforderungen nicht gewahrt

Das Gericht entschied zudem, dass die Widerklage der Beklagten begründet sei. Die Abmahnung erfolgte rechtsmissbräuchlich und damit unberechtigt, weshalb der Beklagten ein Anspruch auf Ersatz der für ihre Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen zustehe. Außerdem führte die Kammer aus, dass die Abmahnung nicht den seit dem 2.12.2020 geltenden Formerfordernissen i.S.d. § 13 Abs.2 UWG entspreche. Auch aus diesem Grund bestehe ein Ersatzanspruch. In der Abmahnung sei nicht klar und verständlich über die Anspruchsvoraussetzungen gem. § 8 Abs. 3 UWG informiert worden. Nach dieser Vorschrift sei durch den Abmahnenden darzulegen, dass ein Wettbewerbsverhältnis bestehe und Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichen Maße und nicht nur gelegentlich vertrieben werden. In der Abmahnung sei unverlangt jedenfalls die Größenkategorien der Zahl der Verkäufe anzugeben, die hinreichend aussagekräftig seien.

Nach dieser Vorschrift, die seit dem 02.12.2020 gilt, muss die Klägerin als Abmahnende darlegen, dass sie eine Mitbewerberin der Beklagten ist, die Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichen Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt. Insoweit ist mit der gesetzlichen Neuregelung eine Verschärfung der Anforderungen an die Anspruchsberechtigung nach § 8 III Nr. 1 und 2 UWG erfolgt, woraus eine Steigerung der Darlegungslast in der Abmahnung folgt. Auch wenn sich bei einem Mitbewerber die Anspruchsberechtigung aus den Umständen ergeben wird, sind mit Blick auf § 8 III Nr. 1 UWG Angaben darüber erforderlich, dass der abmahnende Mitbewerber die Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichen Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt. In der Abmahnung sind daher unverlangt jedenfalls Größenkategorien der Zahl der Verkäufe anzugeben und diese Angaben müssen hinreichend aussagekräftig sei […]. Es dürfen aber keine überzogenen Anforderungen gestellt werden und konkrete Umsatzzahlen oder Steuerbescheinigungen müssen z.B. nicht vorgelegt werden. Die bloße Behauptung der Mitbewerbereigenschaft ist jedoch nicht ausreichend, ansonsten die gesetzliche Neuregelung bzw. Verschärfung ins Leere liefe. Der Gesetzgeber hat dabei darauf abgezielt, das Mitbewerber, die ihre Geschäftstätigkeit gerade erst begonnen haben oder bei denen das Insolvenzverfahren bereits eröffnet ist, sich nur in Ausnahmefällen auf eine solche Abmahnberechtigung berufen können […].

Umfang der Vertriebsgröße nicht dargelegt

Die Abmahnung der Klägerin erfülle die Formerfordernisse nicht. Sie führe lediglich aus, dass sie Mitbewerberin der Beklagten sei, Ausführungen zum Umfang der Vertriebstätigkeit würden gänzlich fehlen. Zwar sei es im Einzelfall treuwidrig, wenn der Unterlassungsverpflichtete konkrete Angaben der Mitbewerberstellung fordere, obwohl er diese bereits kenne. Dies sei vorliegend allerdings nicht durch die Klägerin vorgetragen worden. Die frühere Abmahnung der Klägerin stehe dem nicht entgegen. In dieser Abmahnung seien ebenso wenig Ausführungen zur Vertriebstätigkeit gemacht worden.

Die Klägerin führt lediglich aus, dass die Beklagte eindeutig Mitbewerberin der Klägerin sei; es fehlen aber jegliche Ausführungen zum Umfang der Vertriebstätigkeit. Das ist nach den gesetzlichen Vorgaben ungenügend. § 242 BGB steht dem nicht entgegen und die Beklagte kann sich auf Verletzung der vorgenannten Anschrift berufen. Soweit sich beispielsweise Parteien kennen oder es sich um allgemein bekannte Marktakteure handelt, kann es im Einzelfall treuwidrig sein, soweit der Unterlassungsverpflichtete konkrete Angaben in Richtung der Mitbewerberstellung fordert, da er diese bereits kennt. In diese Richtung trägt die aber Klägerin nichts vor. Der Kammer ist die Klägerin jedenfalls nicht als Marktakteurin allgemein bekannt. Der bloße Umstand, dass die Klägerin drei Monate zuvor am 20.10.2021 bereits eine Abmahnung – in der sie ebenfalls keinerlei Ausführungen zu ihrer Vertriebstätigkeit machte – gegen die Beklagte ausgesprochen hat, genügt nicht. Auch wurde erstmals im gegenständlichen Verfahren die frühere Abmahnung gerichtlich geprüft.

Fazit

Erfahrungsgemäß wird der Vorwurf „Rechtsmissbrauch“ bei vielen Abmahnungen schnell erhoben, in den wenigsten Fällen erkennen die Gerichte diesen Einwand allerdings an. Aus diesem Grund ist das Urteil des LG Traunstein besonders erfreulich und zeigt, dass rechtsmissbräuchlichen Abmahnungen erfolgreich entgegengetreten werden kann. Mit Inkrafttreten des Anti-Abmahngesetzes am 2.12.2020 wurden in § 8c UWG gewisse Fallgestaltungen für die Annahme rechtsmissbräuchlicher Abmahnungen ins Gesetz aufgenommen. Ihnen kommt jedoch nur Indizwirkung für einen Missbrauch zu. Erforderlich ist hier eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände. Eine Beratung durch einen auf Abmahnungen im E-Commerce spezialisierten Anwalt ist dringend zu empfehlen.

sergign/Shutterstock.com

image_pdfPDFimage_printDrucken