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LG Stuttgart: Postwerbung nach der DSGVO zulässig

Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist gem. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist und die Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person im Rahmen einer Abwägung nicht überwiegen. Das LG Stuttgart (Urt. v. 25.02.2022 – 17 O 807/21) entschied nun, dass die Datenverarbeitung zur postalischen Direktwerbung mit dem Ziel der Pflege von Bestandskunden und der Gewinnung von Neukunden danach rechtmäßig sei und daher keinen Schadensersatzanspruch des Empfängers nach Art. 82 DSGVO begründen könne.

Der Kläger erhielt an seiner Wohnanschrift postalische Werbung für Produkte einer Lebensversicherung. Diese Werbung wurde nicht von der Versicherung direkt, sondern von der Beklagten als Dienstleisterin für Werbetreibende an ihn versendet. Daraufhin machte der Kläger gegenüber der Beklagten von seinem Recht auf Löschung gemäß Art. 17 DSGVO Gebrauch und forderte sie auf, ihm Auskunft zur Verwendung seiner Daten zu erteilen sowie die bei der Beklagten vorhandenen personenbezogenen Daten des Klägers zu löschen. Die Beklagte antwortete hierauf und teilte u.a. mit, dass sie die Daten des Klägers von einer Firma mit Sitz in der Schweiz für Werbezwecke erhalten habe. In der Folge erhob der Kläger außergerichtlich Schadensersatzansprüche wegen Verletzung seiner Rechte aus der DSGVO, welche die Beklagte zurückwies. Der Kläger ist der Ansicht, dass die Beklagte gegen das Recht auf Löschung seiner Daten nach Art. 17 DSGVO verstoßen habe, nachdem sie diese nicht vollständig gelöscht habe. Außerdem sei die persönlich adressierte Briefsendungen als Form der Direktwerbung hier nicht zulässig gewesen. Denn Direktwerbung setze nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO eine bereits bestehende Kundenbeziehung voraus, weil sie nur dann im berechtigten Interesse des Verantwortlichen liege.

Rechtmäßige Datenverarbeitung zur Wahrung „berechtigter Interessen“

Zunächst führte das Gericht aus, dass dem Kläger gegen die Beklagte wegen der Zusendung des streitgegenständlichen Werbeschreibens kein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO zustehe. Es liege kein Verstoß gegen die DSGVO vor, da die Zusendung des Werbeschreibens und die dem zu Grunde liegende Verarbeitung der Adressdaten i.S.d. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO rechtmäßig gewesen sei.

Nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 f) DS-GVO ist eine Verarbeitung personenbezogener Daten nur rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt. Vorliegend kann die Beklagtenseite als datenschutzrechtliche „Verantwortliche“ ihre Interessen und die ihres Kunden („eines Dritten“) – der X Lebensversicherung AG – an der streitgegenständlichen Werbemaßnahmen als „berechtigte Interessen“ iSd Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DS-GVO anführen. Es ist anerkannt und wird im Erwägungsgrund Nr. 47 zur Verordnung explizit benannt, dass auch wirtschaftliche Interessen, insb. das Vermitteln gewerblicher Informationen ein berechtigtes Interesse im Sinne dieser Vorschrift sein können […].

Datenverarbeitung war erforderlich

Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Klägers sei auch im Sinne des Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO erforderlich gewesen. Erforderlich sei eine Datenverarbeitung, wenn kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung stehe, die Interessen des Verantwortlichen zu erreichen. Die Beklagte habe ausreichend dargelegt, dass Werbebriefe ein notwendiges Mittel seien, um überhaupt mit potenziellen Kunden in Kontakt zu treten und Bestandskunden zu pflegen bzw. Neukunden zu gewinnen. Angesichts der hohen Portokosten werde eine solche Werbemaßnahme ohnehin schon begrenzt.

Die Verarbeitung der persönlichen Daten des Kl. war vorliegend auch „erforderlich“ iSv Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DS-GVO. Erforderlich ist eine Datenverarbeitung dann, wenn kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung steht, um die Interessen des Verantwortlichen zu erreichen […]. Die Tatsachengrundlagen, die die Erforderlichkeit der Datenverarbeitung stützen sollen, sind vom Verantwortlichen darzulegen […]. Letzteres hat die Bekl. hier getan. Sie hat plausibel und vom Kl. unbestritten dargelegt, dass Werbebriefe wie der vorliegende ein notwendiges Mittel sind, um einerseits Bestandskunden zu pflegen, andererseits aber auch – wie hier – Neukunden zu gewinnen. Die postalische Werbung ist daher ein aus der Sicht der Bekl. und ihrer Kunden notwendiges Mittel, um überhaupt in Kontakt mit potenziellen (Dritt-)Kunden zu kommen. Dabei legt die Bekl. schlüssig dar, dass bereits die hohen Kosten von Briefwurfsendungen mit Werbung die Zahl solcher Werbemaßnahmen begrenze. Wie die Bekl. und ihre Kunden auf andere Weise ebenso wirksam mit möglichen Neukunden in Kontakt kommen können, legt der Kl. nicht dar, sodass die Datenverarbeitung auch als erforderlich iSv Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DS-GVO anzusehen ist.

Kein Überwiegen der Interessen des Empfängers

Anschließend gelangte das Gericht im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung der widerstreitenden Interessen des Klägers und der Beklagten zu dem Schluss, dass ein Überwiegen der Interessen des Klägers vorliegend nicht anzunehmen sei. Bei gleichwertigen Interessen der Parteien dürfe die Datenverarbeitung stattfinden. Die DSGVO sehe das Interesse der Wirtschaft an Direktwerbung als schutzwürdig an, sodass dieses bei der Abwägung besondere Berücksichtigung finden müsse. Außerdem erfordere Direktwerbung entgegen der Ansicht des Klägers keine bestehende Kundenbeziehung. Dafür fehle es an einer gesetzlichen Grundlage.

Gemessen an den vorgenannten Grundsätzen überwiegen die Interessen des Kl. nicht die berechtigten Interessen der Bekl. als Verantwortliche bzw. die Interessen der (Werbe-)Kundin, für die [die] Bekl. im streitgegenständlichen Fall tätig war. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die DS-GVO das Interesse der Wirtschaft an Direktwerbung, wie sie hier erfolgt ist, als schutzwürdig ansieht […]. So ist im Erwägungsgrund 47 bestimmt, dass die „Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zwecke der Direktwerbung als eine einem berechtigten Interesse dienende Verarbeitung betrachtet werden kann“. Zwar ist damit noch nicht gesagt, dass jeder Fall der Direktwerbung über Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DS-GVO gerechtfertigt ist. Allerdings lässt sich dem Erwägungsgrund entnehmen, dass der Kl. und seine Werbekunden hieran ein berechtigtes Interesse haben, dem ggü. widerstreitende Interessen des Kl. überwiegen müssen. Denn anders als der Kl. meint, ist unter Direktwerbung iSd Erwägungsgrunds jede unmittelbare Ansprache der betroffenen Person etwa durch Zusendung von Briefen oder Prospekten, durch Telefonanrufe, E-Mails oder Übermittlung von SMS zu verstehen, unabhängig davon, ob zwischen Werbendem und Betroffenem zuvor ein Kundenverhältnis bestanden hat […]. Die gegenteilige Auffassung des Kl. findet keinerlei Stütze im Gesetz. Der Wortlaut der Vorschrift setzt kein bereits bestehendes Kundenverhältnis der Parteien voraus.

Zulässigkeit der Datenverarbeitung für Werbewiderspruch

Der Auffassung des Klägers, dass die Beklagte zur Umsetzung seines Widerspruchs keine Daten verarbeiten durfte, trat das Gericht unter Nennung der Rechtsgrundlage nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. c DSGVO entgegen.

Soweit der Kläger vorträgt, er sei von der Beklagten in dem streitgegenständlichen Werbeschreiben nicht über sein Widerspruchsrecht belehrt worden, hat er auch für diese Behauptung keinen Nachweis erbracht. Die Beklagte hat in ihrem Schriftsatz vom 17.02.2022 unter Randziffer 11 die „Datenschutzhinweise“ aufgeführt, die nach ihrem Vortrag auf dem Werbeschreiben abgedruckt waren. In diesen Hinweisen war auch eine Belehrung über das Widerspruchsrecht des Klägers enthalten. Zu diesem substantiierten Vorbringen der Beklagten hat sich der Kläger nicht verhalten. Er hat insbesondere auch nicht das ihm zugegangene Werbeschreiben der Beklagten zur Akte gereicht. Es kann daher auch diesbezüglich keine Rechtsverletzung der Beklagten angenommen werden. Soweit die Beklagte die Daten des Klägers noch zum Zwecke der Berücksichtigung des Widerspruchs des Klägers vorhält, ist dies nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 c) DS-GVO.

Fazit

Das Urteil des LG Stuttgart ist für das sog. Lettershop-Verfahren äußerst praxisrelevant und verdeutlicht nochmals, worauf es für die Zulässigkeit der Postwerbung auf Grundlage des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO ankommt. Außerdem bestätigt das Gericht die Zulässigkeit der Datenverarbeitung für die Umsetzung eines Werbewiderspruchs und somit das Führen einer sog. Blacklist. Gegen das Urteil wurde jedoch Berufung eingelegt, sodass es abzuwarten ist, ob Postwerbung unter den vorstehenden Voraussetzungen auch in der nächsten Instanz als rechtmäßig erachtet wird.

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