OLG Zweibrücken: Warnhinweise können bereits auf Kategorieseite erforderlich sein

Bei Desinfektionsmitteln handelt es sich um Produkte, für die neben speziellen Kennzeichnungsvorschriften auch besondere Vorgaben für die Werbung gelten. Nach Art. 72 der Biozid-VO muss beispielsweise in jeder Werbung für Biozid-Produkte ein zwingender Hinweis enthalten sein: „Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformation lesen.“ Das OLG Zweibrücken (Urt. v. 31.3.2022 – 4 U 201/21) entschied nun, dass die Produktübersichtsseite einer Online-Apotheke, die alle für einen Kaufabschluss notwendigen Angaben enthält und den Bestellvorgang von dort direkt über den virtuellen Warenkorb ermöglicht, als Werbung einzustufen sei und einen entsprechenden Hinweis enthalten müsse.

Die Beklagte vertreibt in ihrer Online-Apotheke unter anderem Desinfektionsmittel. In dem Online-Shop können Produkte direkt über die Produktübersichtsseite in den virtuellen Warenkorb gelegt werden, ohne dass die Produktdetailseite nochmals aufgerufen werden muss. Der nach Art. 72 Biozid-VO erforderliche Gefahrenhinweis befand sich jedoch lediglich auf den Produktdetailseiten, nicht aber auf den Produktübersichtsseiten. Die Klägerin, ein Wettbewerbsverein, beanstandete dies wegen eines Verstoßes gegen Art. 72 Biozid-VO als wettbewerbswidrig und klagte auf Unterlassung.

Das LG Frankenthal (Urt. v. 28.10.2021 – 2 HK O 23/21) wies die Unterlassungsklage zunächst ab, da es sich nach der Auffassung des Gerichts bei der Produktübersichtsseite nicht um Werbung i.S.v. Art. 72 Biozid-VO handele. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung vor dem OLG Zweibrücken hatte nun Erfolg.

Rechtlicher Hintergrund

Bei Desinfektionsmitteln handelt es sich um Biozidprodukte. Sie fallen daher in den Anwendungsbereich der Biozid-VO (VO [EU] Nr. 528/2012). Anhang V der Verordnung enthält eine Liste der unter diese Verordnung fallenden Arten von Biozidprodukten mit ihrer Beschreibung. Zur Hauptgruppe 1 zählen Desinfektionsmittel.

Neben den allgemeinen Vorschriften gelten mit Art. 72 Biozid-VO zusätzliche Anforderungen an die Werbung für Biozide. Nach Abs. 1 ist folgender Hinweis bei jeder Werbung erforderlich: „Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformationen lesen.“ Der Begriff Werbung wird in Art. 3 Abs. 1 lit. y Biozid-VO als „ein Mittel zur Förderung des Verkaufs oder der Verwendung von Biozidprodukten durch gedruckte, elektronische oder andere Medien“ definiert.

Warenpräsentation auf Produktübersichtsseite ist Werbung

Zunächst führte das Gericht aus, dass es sich bei Art. 72 der Biozid-VO um eine Marktverhaltensregel i.S.d. § 3a UWG handele, da die Regelung von Gesundheits- und Sicherheitsaspekten auch im Interesse der Verbraucher liege. Anschließend führte das Gericht aus, dass die Produktübersichtsseite als Werbung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. y Biozid-VO einzuordnen sei, da durch die Darstellung der Biozid-Produkte der Absatz gefördert werden solle. Der Käufer erhalte auf der Produktübersichtsseite alle notwendigen Angaben für den Kauf und werde müsse nicht weiter auf die einzelnen Detailseiten der Waren klicken, um seinen Kauf abzuschließen. Zudem greife der Vergleich mit einem Kunden im Ladengeschäft, der eine Ware aus dem Regal nehme nicht. Durch die Preisangabe und die direkte Möglichkeit, die Ware in den Warenkorb zu legen, werde die Absatzförderungsabsicht schon auf der Produktübersichtsseite offenkundig.

Entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichts stellt sich die Warenpräsentation auf der Produktübersichtsseite der Beklagten als Werbung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 y) Biozid-VO dar. Danach bezeichnet der Ausdruck „Werbung“ für die Zwecke dieser Verordnung ein Mittel zur Förderung des Verkaufs oder der Verwendung von Biozid-Produkten durch gedruckte, elektronische oder andere Medien. Unter den Begriff „Werbung“ sind sonach sämtliche Formen der Online-Veröffentlichung von Biozid-Produkten einzuordnen, wenn durch die Darstellung deren Absatz gefördert werden soll. Bei der Produktübersichtsseite der Online-Apotheke der Beklagten handelt es sich um Werbung. Denn es sind dort für einen potentiellen Kaufinteressenten alle notwendigen Angaben für den Kauf der jeweiligen Ware vorhanden: genaue Warenbezeichnung, Packungsgröße und Preis. Der potentielle Käufer muss nach Aufruf der Übersichtsseite auch nicht weiter auf die Detailseite für einzelne Waren klicken, um seinen Kauf abzuschließen. Eine Veranlassung oder Aufforderung wird ihm dazu nicht gegeben. Der Vergleich mit dem Kunden, der im Ladengeschäft eine Ware aus dem Regal nimmt, greift damit zu kurz. Denn durch die Preisangabe und die Möglichkeit das Produkt sogleich in den „virtuellen“ Warenkorb zu legen, wird die Absatzförderungsabsicht schon der Produktübersichtsseite offenkundig.

Produktübersichtsseite gleicht einem werbenden Schaufenster

Eine geschäftliche Entscheidung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG erfasse neben der Entscheidung über den (Nicht-)Erwerb auch damit unmittelbar zusammenhängende Entscheidungen. Hier liege die geschäftliche Entscheidung darin, sich mit einem im Internet angebotenen Produkt über den Zugang durch die Produktübersichtsseite im Detail zu beschäftigen. Bei der Produktübersichtsseite handele es sich gerade nicht um eine Informationsübermittlung über eine passive Darstellungsform, stattdessen gleiche die Übersichtsseite einem werbenden Schaufenster.

So ist eine geschäftliche Entscheidung nach der Definition des § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG jede Entscheidung eines Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er ein Geschäft abschließen, eine Zahlung leisten, eine Ware oder Dienstleistung behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit einer Ware oder Dienstleistung ausüben will, unabhängig davon, ob der Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer sich entschließt, tätig zu werden. Der Begriff „geschäftliche Entscheidung“ erfasst außer der Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb auch damit unmittelbar zusammenhängende Entscheidungen wie insbesondere das Betreten eines Geschäfts oder - wie hier - den Zugang zu einem im Internet angebotenen Produkt über eine Übersichtsseite, um sich mit dem Produkt im Detail zu beschäftigen […]. Entgegen der Berufungserwiderung […] dient damit auch bereits die Übersichtsseite in werbender Weise der Absatzförderung. Die seitens der Beklagten in Bezug genommene Entscheidung des EuGH […] steht dem nicht entgegen. Denn es geht vorliegend nicht um eine Informationsübermittlung über eine passive Darstellungsplattform. Vielmehr gleicht die Übersichtsseite einem werbenden Schaufenster.

Gefahrenkennzeichnung erforderlich

Anschließend hielt der Senat die rechtlich gebotene Gefahrenkennzeichnung i.S.d. Art. 72 der Biozid-VO auch auf Produktübersichtsseiten für erforderlich, da für den Kunden bereits auf dieser Seite ermöglicht werde, das Produkt in den Warenkorb zu legen, ohne die Gefahrenkennzeichnung zu Gesicht zu bekommen. Ein Verstoß gegen die Gefahrenkennzeichnung sei regelmäßig geeignet, den Wettbewerb zum Nachteil von Mitbewerbern und Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen.

Im Weiteren hält der Senat, worauf in der Verfügung vom 18.02.2022 hingewiesen worden ist, den von dem Kläger eingenommen Rechtsstandpunkt für zutreffend, dass eine - wie bei den hier interessierenden Desinfektionsmitteln - rechtlich gebotene Gefahrenkennzeichnung von Biozid-Produkten im Internet auf der Produktübersichtsseite erfolgen muss, wenn aus dieser heraus - wie im Streitfall - für den Kunden bereits ein „in den Warenkorb legen“ möglich ist, ohne die Gefahrenkennzeichnung zu Gesicht zu bekommen. Ein Verstoß gegen Art. 72 Abs. 1 Biozid-VO ist regelmäßig, so auch hier, geeignet, den Wettbewerb zum Nachteil von Mitbewerbern und Verbrauchern im Sinne des § 3 Abs. 1, § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen. Es handelt sich um eine unionsrechtliche Informationspflicht. Wird sie missachtet, wird dem Verbraucher eine Information vorenthalten, die der Unionsgesetzgeber als wesentlich erachtet, was eine Spürbarkeit der Beeinträchtigung ohne weiteres nach sich zieht. Außerdem ist bei einem Verstoß gegen Bestimmungen, die - wie Art. 72 Abs. 1 Biozid-VO - dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher dienen, grundsätzlich von einer spürbaren Beeinträchtigung im Sinne besagter Regelungen auszugehen […].

Fazit

Händler von Biozidprodukten sollten unbedingt auf auf eine richtige Platzierung der erforderlichen Pflichtangaben oder Warnhinweise in ihren Online-Shops achten. Sobald auf Produktübersichtsseiten sämtliche für einen Kaufabschluss relevanten Angaben enthalten sind und der Bestellvorgang direkt über den virtuellen Warenkorb abgeschlossen werden kann, müssen bereits dort auch die entsprechenden Hinweise vorgehalten werden. Wenn ein Abschluss des Bestellvorgangs erst von der Produktdetailseite aus möglich ist, genügt es, den Warnhinweis erst dort zu darzustellen.

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26.09.22