Beim Vertrieb von Lebensmitteln finden die Vorschriften der Lebensmittelinformations-Verordnung (LMIV) Anwendung. Diese regelt in Art. 9 Abs. 1 lit. l LMIV, dass nach Maßgabe der Artikel 30 ff. LMIV eine Nährwertdeklaration für vorverpackte Lebensmittel verpflichtend anzugeben ist. Der BGH entschied nun (Urt. v. 7.4.2022 - I ZR 143/19), dass Hersteller gegen die Lebensmittelinformationsverordnung verstießen, wenn sie die vorgeschriebenen Nährwertangaben wie Brennwert, Zucker oder Kohlenhydrate pro 100 Gramm auf der Rückseite einer Produktverpackung angeben und zugleich auf der Vorderseite der Packung Nährwertangaben wiederholen, diese sich jedoch auf eine andere Portionsmenge des zubereiteten Produkts beziehen.
Die Beklagte stellt ein Müsli-Produkt her und verkauft dieses in einer quaderförmigen Kartonverpackung. Die rechte Schmalseite der Verpackung enthält unter der Überschrift „Nährwertinformation“ Angaben zum Brennwert und zu den Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Salz, und zwar zum einen bezogen auf 100 Gramm des Produktes zum Zeitpunkt des Verkaufs (d.h. des nicht verzehrfertig mit Milch zubereiteten Produktes) und zum anderen bezogen auf eine Portion des zubereiteten Lebensmittels (bestehend aus 40 g des Produktes und 60 ml Milch mit einem Fettgehalt von 1,5 %). Auf der Vorderseite der Verpackung werden die Angaben zum Brennwert und zu den Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz, und zwar bezogen auf eine Portion des zubereiteten Lebensmittels (bestehend aus 40 g des Produktes der Beklagten und 60 ml Milch mit einem Fettgehalt von 1,5 %), wiederholt, wobei zusätzlich noch das Gewicht einer solchen Portion mit 100 g angegeben wird. Sonstige Nährwertangaben befinden sich auf der Vorderseite der Verpackung nicht.
Der Kläger, ein Wettbewerbsverband, sah darin einen Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 LMIV und mahnte die Beklagte erfolglos ab.
Das LG Bielefeld gab der Klage in erster Instanz statt und entschied, dass es nicht ausreiche, die Angabe auf eine 100-Gramm-Portion zu beziehen, wenn diese nur eine kleinere Menge des Produkts enthalte.
Hingegen wies das OLG Hamm als Berufungsinstanz die Klage ab und urteilte, dass sich aus Art. 33 Abs. 2 UAbs. 2 LMIV keine Pflicht der Beklagten ergebe, auf der Vorderseite noch einmal den Brennwert von 100 g des nicht zubereiteten Müslis anzugeben. Dagegen legte der Kläger Revision beim BGH ein. Der BGH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH u.a. die Frage vor, ob Art. 31 Abs. 3 LMIV dahin auszulegen sei, dass die Regelung allein für Lebensmittel gilt, bei denen eine Zubereitung erforderlich und die Zubereitungsweise vorgegeben sei. Der EuGH bejahte die Vorlagefrage.
Entgegen der bisherigen Rechtsprechung bemesse sich unlauteres Verhalten in Fällen der Informationsverletzung der Verbraucher in kommerzieller Kommunikation nur nach § 5a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 UWG a.F. – nicht mehr nach § 3a UWG.
Das Schutzniveau des § 5a UWG mit der Gewährung eines Schadensersatzanspruchs sei höher als das des § 3a UWG, da diese Vorschrift nur mit dem Unterlassungsanspruch bewehrt sei. Nur Informationspflichten nichtkommerzieller Art könnten in Zukunft nach § 3a UWG bemessen werden, so das Gericht.
„Ein Verstoß gegen unionsrechtliche Informationspflichten in Bezug auf kommerzielle Kommunikation konnte nach der bisherigen Senatsrechtsprechung grundsätzlich sowohl nach § 5 a II 1 und IV UWG als auch nach § 3 a UWG verfolgt werden, ohne dass ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Normen bestand […]. Der Senat bejahte daher in Fällen der Verletzung einer Informationspflicht in Bezug auf kommerzielle Kommunikation neben oder anstelle einer Unlauterkeit gem. § 3 a UWG auch eine Unlauterkeit nach § 5 a II 1 und IV UWG […]. Der Gesetzgeber ist bei der Schaffung des § 5 a UWG ebenfalls davon ausgegangen, dass Verstöße gegen marktverhaltensregelnde gesetzliche Informationspflichten auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs nach § 4 Nr. 11 UWG aF zu würdigen seien. Soweit es dadurch zu Überschneidungen der Anwendungsbereiche komme, sei dies unschädlich und könne deshalb in Kauf genommen werden […]. An der gleichrangigen Prüfung von § 3 a UWG und § 5 a II und IV UWG hält der Senat in Fällen der Verletzung einer Informationspflicht in Bezug auf kommerzielle Kommunikation nicht länger fest. In diesen Fällen ist die Unlauterkeit vielmehr allein nach § 5 a II und IV UWG zu beurteilen.“
Anschließend führte das Gericht aus, dass es sich bei der Nährwertdeklaration um kommerzielle Kommunikation handele. Darunter fielen Mitteilungen in Form einer Lebensmittelwerbung, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes dieser Lebensmittel dienen, oder eines Werbeschreibens, das nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben enthalte.
„Die streitgegenständliche Nährwertdeklaration auf der Verpackung des Produkts der Bekl. stellt kommerzielle Kommunikation iSv Art. 7 V RL 2005/29/EG (§ 5 a IV UWG) dar.Unter kommerzieller Kommunikation in diesem Sinne sind in Anlehnung an Art. 2 lit. f RL 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr alle Formen der Kommunikation zu verstehen, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds eines Unternehmens, einer Organisation oder einer natürlichen Person dienen, die eine Tätigkeit in Handel, Gewerbe oder Handwerk oder einen reglementierten Beruf ausübt […]. Darunter fallen Mitteilungen in Form einer Lebensmittelwerbung, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes dieser Lebensmittel dienen, oder eines Werbeschreibens, das nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben enthält (vgl. EuGH GRUR 2016, 1090 Rn. 29 f. – Verband Sozialer Wettbewerb). Für die Nährwertdeklaration auf der Verpackung eines Lebensmittels gilt nichts Anderes.“
Zwar dürfe die Nährwertdeklaration auf der Verpackung des Produkts wiederholt werden. Jedoch sei sowohl im Falle verpflichtender, als auch im Falle freiwilliger wiederholender Angaben grundsätzlich gem. Art. 31 III UAbs. 1 LMIV der Brennwert und die Nährstoffmengen des Lebensmittels zum Zeitpunkt seines Verkaufs anzugeben, so die Karlsruher Richter.
"Enthält die Kennzeichnung eines vorverpackten Lebensmittels die verpflichtende Nährwertdeklaration gem. Art. 30 I LMIV, kann auf der Verpackung nach Art. 30 III lit. b LMIV der Brennwert zusammen mit den Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz wiederholt werden. Bei den – streitgegenständlichen – Angaben auf der Vorderseite der Verpackung des Produkts der Bekl. zu Energie, Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz handelt es sich um solche freiwilligen wiederholenden Angaben […].
Sowohl im Fall verpflichtender, als auch im Fall freiwilliger wiederholender Angaben sind grundsätzlich gem. Art. 31 III UAbs. 1 LMIV der Brennwert und die Nährstoffmengen des Lebensmittels zum Zeitpunkt seines Verkaufs anzugeben. Davon abweichend können sich diese Informationen gem. Art. 31 III UAbs. 2 LMIV „gegebenenfalls“ auf das zubereitete Lebensmittel beziehen, sofern ausreichend genaue Angaben über die Zubereitungsweise gemacht werden und sich die Informationen auf das verbrauchsfertige Lebensmittel beziehen. Der Brennwert und die Nährstoffmengen sind nach Art. 32 II LMIV grundsätzlich je 100 g oder je 100 ml anzugeben.“
Zwar erlaube Art. 31 III LMIV, die Nährstoffangaben auch auf das zubereitete Lebensmittel zu beziehen. Diese Bestimmung gelte laut EuGH jedoch allein für Lebensmittel, bei denen eine Zubereitung erforderlich und die Zubereitungsweise vorgegeben ist. Dies sei bei Müsli nicht der Fall, da das Produkt auf unterschiedliche Weise zubereitet werden könne, so das Gericht.
„Im Streitfall sind die Voraussetzungen des Art. 31 III UAbs. 2 LMIV für einen Bezug auf das zubereitete Lebensmittel nicht erfüllt. Die Bekl. hätte daher im Rahmen der freiwilligen wiederholenden Angabe des Brennwerts und der Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz auf der Vorderseite der Verpackung je 100 g des Lebensmittels zum Zeitpunkt seines Verkaufs angeben müssen. Diese Informationspflicht hat die Bekl. verletzt. Auf der Vorderseite der Verpackung ist allein der Brennwert je 100 g des zubereiteten Lebensmittels angegeben.Wie der EuGH auf die Vorlage des Senats im Streitfall entschieden hat, ist Art. 31 III UAbs. 2 LMIV dahin auszulegen, dass diese Bestimmung allein für Lebensmittel gilt, bei denen eine Zubereitung erforderlich und die Zubereitungsweise vorgegeben ist […].Dies ergibt sich aus dem Zweck des Art. 31 LMIV, Verbrauchern den Vergleich des Nährwerts von Lebensmitteln zu ermöglichen […].
Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Das Produkt der Bekl. kann auf unterschiedliche Weise zubereitet werden, nämlich unter anderem durch die Zugabe von Milch, Joghurt oder Quark mit unterschiedlichen Fettgehalten, Fruchtsäften, Früchten, Konfitüre oder Honig […]. Für das Produkt der Bekl. ist daher keine bestimmte Zubereitungsweise vorgegeben.“
Vorliegend werde Verbrauchern auf der Vorderseite entgegen § 5 a II, IV UWG die wesentliche Information des Brennwerts von 100 g vorenthalten. Die zusätzliche Nährwertdeklaration mit anderen Werten sei geeignet, den Verbraucher hinsichtlich der Vergleichbarkeit mit anderen Produkten noch mehr zu verwirren.
„[…] Im Übrigen steht der Umstand, dass der Brennwert je 100 Gramm des Produkts zum Zeitpunkt des Verkaufs im Rahmen der verpflichtenden Nährwertdeklaration auf der seitlichen Schmalseite der Verpackung zusammen mit dem Brennwert einer Portion des zubereiteten Lebensmittels angegeben wird, der geschäftlichen Relevanz des Fehlens der Information auf der Vorderseite der Verpackung nicht entgegen. Die zusätzlichen Deklarationen an anderer Stelle auf der Verpackung mit anderen Referenzmengen sind vielmehr lediglich geeignet, den Verbraucher hinsichtlich der Vergleichbarkeit mit anderen Erzeugnissen noch mehr zu verwirren […], zumal die Angaben mit Bezug auf das zubereitete Lebensmittel auch dort unzulässig sind.“
Zudem müsse der von der Beklagten gestellte Antrag auf Einräumung einer Aufbrauchfrist erfolglos bleiben. Im Rahmen der Interessenabwägung sei das Verschulden der Beklagten zu berücksichtigen, das ihr seit dem erstinstanzlichen Urteil vorzuwerfen sei. Spätestens aber nachdem der Senat dem EuGH Fragen zur Auslegung der LMIV mit deutlicher Tendenz vorgelegt hatte, habe die Beklagte ernstlich mit einer Verurteilung rechnen müssen. Eine Unverhältnismäßigkeit ergebe sich auch nicht dadurch, dass die nun zurückzurufenden Produkte womöglich vernichtet werden müssen. Eine Vernichtung könne durch Umetikettierung oder Neuverpackung vermieden werden. Auch könnten die Produkte karitativen Zwecken zugeführt werden.
„[…] Zwar hat sodann das BerGer. auf die Berufung der Bekl. die Klage abgewiesen. Nachdem der Senat dem EuGH durch Beschluss vom 23.7.2020 Fragen zur Auslegung der Lebensmittelinformationsverordnung mit deutlicher Tendenz vorgelegt hat, hat die Bekl. allerdings wieder ernstlich mit einer Verurteilung rechnen müssen[…].
Durch die Irreführung gem. § 5 a II 1 und IV UWG werden die Interessen der Verbraucher – anders als die Bekl. meint – nicht unerheblich beeinträchtigt. […]
Die Interessenabwägung fällt auch nicht deswegen zugunsten der Bekl. aus, weil zurückgerufene Packungen möglicherweise von ihr vernichtet werden. Soweit ihr daran gelegen ist, eine Vernichtung von Lebensmitteln zu vermeiden, stehen ihr die aus ihrer Sicht unwirtschaftlichen Alternativen einer Umetikettierung oder Neuverpackung gleichwohl zur Verfügung. Ihren in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erhobenen Einwand, der Einzelhandel nehme solche Packungen angesichts des verkürzten Mindesthaltbarkeitsdatums nicht zurück, hat sie nicht näher belegt. Unabhängig davon ist nicht ersichtlich, dass diese Packungen nicht als Sonderposten anderweitig zu kommerziellen oder karitativen Zwecken verwendet werden könnten.“
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