Seit dem 2.12.2020 gilt das neue Anti-Abmahngesetz. Danach wird unter anderem nach § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG der fliegende Gerichtsstand bei Verstößen eingeschränkt, die in Telemedien oder im elektronischen Geschäftsverkehr begangen werden. Das LG Stuttgart entschied nun (Beschl. v. 27.10.2021 – 11 O 486/21), dass der fliegende Gerichtsstand bei Wettbewerbsverstößen rein virtueller Sachverhalte nicht greife.
Zuletzt entschieden mehrere Gerichte, dass eine einschränkende Auslegung des § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG vorzunehmen sei. Dieser Auffassung erteilte das LG Stuttgart eine klare Absage.
Zunächst führte das Gericht aus, dass es örtlich nicht zuständig sei, da der fliegende Gerichtsstand gem. § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG für rein virtuelle Sachverhalte nicht gelte.
Die Entscheidung beruht auf § 281 Abs. 1 ZPO. Das angegangene Gericht ist örtlich unzuständig, da der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand i. S. von § 14 Abs. 2 S. 1 UWG im Landgerichtsbezirk Kiel hat und der sog. fliegende Gerichtsstand gem. § 14 Abs. 2 S. 2 UWG nach § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG für den hier rein virtuellen Sachverhalt nicht gilt […].
Anschließend bezog das LG Stuttgart Stellung zu zwei ergangenen Beschlüssen des LG und OLG Düsseldorf, die sich mit der Thematik des fliegenden Gerichtsstandes beschäftigten und von Klägerseite aus vorgetragen wurden. Nachdem das LG Düsseldorf versucht hatte, die neue Einschränkung des fliegenden Gerichtsstands unterlaufen, war das OLG Düsseldorf dieser Auffassung mit deutlichen Worten entgegengetreten. Das LG Stuttgart schließt sich dieser Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf an und hält die im Beschluss formulierte Kritik an der Einschränkung des § 14 Abs. 2 S. 3 UWG, die in der zuvor ergangenen Entscheidung des LG Düsseldorf angenommen wurde, für stichhaltig.
Die vom Kläger […] vorgebrachten Argumente […] vermögen die Kammer im Ergebnis nicht zu überzeugen. Vielmehr erachtet die Kammer die vom OLG Düsseldorf […] formulierte Kritik an der vom LG Düsseldorf erstmals bereits in seinem Beschluss vom 15.01.2021 vertretenen, erheblichen Einschränkung des § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG für stichhaltig […].
Weitere Entscheidungen, die den fliegenden Gerichtsstand bei virtuellen Sachverhalten bejahen, würden lediglich die Argumentationen zur einschränkenden Auslegung des LG Düsseldorf aufgreifen, sie fortsetzen oder vertiefen, so das LG Stuttgart. Das Gericht bezog sich dabei auf ergangene Entscheidungen des LG Düsseldorf, LG Frankfurt a.M., LG Hamburg und des OLG Frankfurt a.M..
Die vom Kläger genannten weiteren Entscheidungen der Landgerichte Düsseldorf und Frankfurt a. M. (sowie nunmehr LG Hamburg, […] sowie OLG Frankfurt […]) greifen die Argumentation zur einschränkenden Auslegung lediglich auf, setzen sie fort und vertiefen sie.
Nach Auffassung des Gerichts sei der Wortlaut des § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG eindeutig und weiche von § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG ab. Sinn und Zweck der Regelung gebieten keine vom Wortlaut abweichende Einschränkung, so das Gericht. Der Gesetzgeber habe die jeweiligen Regelungen bewusst unterschiedlich ausgestaltet.
Der Wortlaut von § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG ist indes eindeutig und weicht von jenem des § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG gerade ab. Ausweislich der jeweiligen Gesetzesbegründungen hat der Gesetzgeber die Regelungen in § 13 UWG einerseits und § 14 UWG andererseits bewusst unterschiedlich ausgestaltet. Vor diesem Hintergrund gebieten auch Sinn und Zweck der Neuregelung keine vom Wortlaut abweichende weitere Einschränkung oder teleologische Reduktion[…].
Ferner stellte das Gericht fest, dass es bei der Beschränkung des Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 UWG vor allem darum ging, die Abmahnindustrie aus reinen Gewinnerzielungsinteressen zu begrenzen. Der Gesetzgeber hätte ausdrücklich Verstöße im Online-Handel gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten im Blick gehabt. Dies entspreche auch dem Gesetzeswortlaut.
Bei der Beschränkung des Kostenerstattungsanspruchs in § 13 UWG ging es darum, das ausufernde Abmahnwesen zu begrenzen, das bei einfach und automatisiert festzustellenden Online-Verstößen gegen die zahlreichen Informationspflichten rein aus Gebührenerzielungsinteresse um sich griff. Hierbei hatte der Gesetzgeber ausdrücklich nur „Verstöße im Online-Handel“ und zwar „gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten“ im Blick (BT-DS. 19/12084, S. 32). Dies findet sich dementsprechend auch im Gesetzeswortlaut wieder.
Weiterhin führte das LG Stuttgart aus, dass zunächst der vollständige Ausschluss des fliegenden Gerichtsstandes in § 14 UWG geregelt werden sollte, um der allgemeinen Missbrauchsgefahr entgegenzutreten. Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde die Einschränkung des fliegenden Gerichtsstandes sodann auf die besonders missbrauchsanfälligen Verstöße in Telemedien und im elektronischen Geschäftsverkehr beschränkt. Eine weitere Einschränkung von Verstößen gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten sei nicht beabsichtigt worden, da die allgemeinen Missbrauchsgefahren des fliegenden Gerichtsstands bei allen Internet-Verstößen gleichermaßen bestünden.
Der zunächst angedachte, fast vollständige Ausschluss des fliegenden Gerichtsstands in § 14 UWG beruhte hingegen auf anderen Gründen. Insoweit führte der Gesetzgeber eine allgemeine „Missbrauchsgefahr“ an, da sich der Kläger insb. bei Verstößen im Internet durch die Möglichkeit, quasi „überall“ hiergegen vorgehen zu können, „etliche Vorteile sichern“ könne. So könne er sich ein Gericht aussuchen, das besonders klägerfreundlich sei oder bereitwillig einstweilige Beschlussverfügungen ohne Anhörung des Gegners erlasse oder hohe Streitwerte festsetze. Mit der Androhung einer Klage an einem weit entfernten Ort könne zudem oft die Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung erreicht werden (BT-DS. 19/12084, S. 35 f.). Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde die Einschränkung des fliegenden Gerichtsstands sodann „auf die in diesem Zusammenhang besonders missbrauchsanfälligen Verstöße beschränkt, die auf Telemedien oder im elektronischen Geschäftsverkehr begangen werden“ (BT-DS. 19/22238, S. 18). Von Verstößen gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten war an dieser Stelle, anders als bei § 13 UWG, gerade nicht die Rede. Dies ist auch folgerichtig, weil die dargestellten allgemeinen Missbrauchsgefahren des fliegenden Gerichtsstands bei allen Internet-Verstößen gleichermaßen bestehen.
Weiterhin vertrat das Gericht den Standpunkt, dass der Gesetzgeber generelle Kritik an der Geltung des fliegenden Gerichtsstandes im Lauterkeitsrecht äußerte. Diese Kritik sei nicht auf Informations- und Kennzeichnungspflichten beschränkt gewesen und belege, dass § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG gerade nicht eingeschränkt werden sollte.
Dem steht auch nicht der vom Kläger zitierte, persönlich verfasste Beitrag des Berichterstatters der CDU/CSU-Fraktion Jung (GRUR 2021, 984, 986) entgegen. Eine positive und dezidierte Aussage, dass der Gesetzgeber nur und allein die Fälle des § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG im Blick hatte, lässt sich dem Beitrag gerade nicht entnehmen. So heißt es lediglich, dass die Regierungsfraktionen „vor allem“ den Musterfall eines einfachen Verstoßes vor Augen hatten, der nur zum Zweck der Abmahnung unter Androhung einer Vertragsstrafe per Webcrawler automatisiert ermittelt werde. Man werde „kaum“ andere Beispiele finden als die Verstöße gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten im Internet. Der Gesetzgeber müsse sich aber auch aus seiner Sicht „die Frage gefallen lassen, warum er in beiden Regelungen unterschiedliche Formulierungen gewählt bzw. warum er nicht einfach auf § 13 IV Nr. 1 UWG verwiesen hat“. Wie oben dargestellt und auch von Jung einleitend in seinem Beitrag ausgeführt, äußerte der Gesetzgeber allerdings umfassende Kritik an der Geltung des fliegenden Gerichtsstands im Lauterkeitsrecht in verschiedenen Fallkonstellationen. Diese Kritik greift losgelöst von den beispielhaft angeführten Verstößen gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten und belegt die andersartige Stoßrichtung der Einschränkung in § 14 UWG.
Im Anschluss befand das LG, dass keine Bedenken wegen Wertungswidersprüchen bei medienübergreifenden Verstößen anzunehmen seien. Der fliegende Gerichtsstand werde auf rein „virtuelle“ Verstöße beschränkt. Bei einem Verstoß, der nicht ausschließlich im Internet begangen werde, könne der fliegende Gerichtsstand unter Umständen greifen.
Den vom Kläger anhand von mehreren Beispielsfällen, die zu vermeintlich „grotesken Ergebnissen“ führten, geäußerten Bedenken wegen Wertungswidersprüchen bei medienübergreifenden Verstößen […] lässt sich schließlich anderweitig begegnen. So bietet sich bei solchen medienübergreifenden Verstößen wegen des vom Gesetzgeber in den Blick genommenen Missbrauchspotentials des fliegenden Gerichtsstands im Falle von Internet-Verstößen ausnahmsweise eine einschränkende Auslegung an, wonach die Neuregelung auf rein „virtuelle“ Verstöße beschränkt wird. Wird der Verstoß also nicht ausschließlich im Internet, sondern auch auf anderen Verbreitungswegen verwirklicht, und handelt es sich um einen einheitlichen Streitgegenstand, ist die Neuregelung nicht anwendbar.
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