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EuGH: Inbox-Werbung nur mit vorheriger Einwilligung zulässig

An zulässige Werbung werden hohe Anforderungen gestellt. Der EuGH entschied nun (Urt. v. 25.11.2021 – C‑102/20) im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens, dass das Einblenden von Werbenachrichten im Posteingang eines kostenlosen E-Mail-Postfachs in einer Form, die tatsächlichen E-Mails ähnelt, Werbung darstelle. Diese Werbeeinblendungen seien nur mit vorheriger Einwilligung der Empfänger zulässig.

Der Beklagte beauftragte eine Werbeagentur mit der Schaltung von Werbeeinblendungen in E-Mail-Postfächern von Nutzern eines kostenlosen E-Mail-Dienstes. Die Werbeanzeige erschien im E-Mail-Postfach eingereiht in den neu eingegangenen E-Mails und konnte durch Anklicken des „x“ weggeklickt werden; durch Klicken auf das Anzeigefeld und den in der Anzeige hinterlegten Hyperlink konnte die detaillierte Werbung des Beklagten auf der Zielseite aufgerufen werden. Der Kläger ist ein Mitbewerber des Beklagten und forderte von diesem Unterlassung. Die Werbung sei wettbewerbswidrig und stelle eine Irreführung und unzumutbare Belästigung der Nutzer dar, da es sich bei den Werbeeinblendungen um Versendung elektronischer Post i.S.v. § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG handle. Diese sei nur rechtmäßig, wenn vorher die Einwilligung des Empfängers eingeholt wurde.

Das OLG Nürnberg (Urt. v. 15.1.2019 – 3 U 724/18) kam in der Vorinstanz zu dem Ergebnis, dass die Werbung nicht rechtswidrig sei. Hiergegen legte der Kläger Revision ein. Der BGH stellte daraufhin fest, dass es unklar sei, ob die in Rede stehende Inbox-Werbung die Voraussetzungen einer elektronischen Post i.S.d. Richtlinie erfülle und legte die entsprechenden Fragen dem EuGH vor.

Verbreitung über elektronische Post

Zunächst führte der EuGH aus, dass zu prüfen sei, ob Inbox-Werbung als Kommunikationsmittel von Art. 13 Abs. 1 der EU-Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation erfasst sei. Die in der Richtlinie aufgeführten Kommunikationsmittel seien nicht abschließend. Es sei sicherzustellen, dass der Schutz personenbezogener Daten und der Privatsphäre gewährleistet werde. Aus diesem Grunde sei ein weiter und aus technologischer Sicht entwicklungsfähiger Begriff für die Art der Kommunikation geboten. Die in Rede stehende Werbenachricht sei unter Verwendung elektronischer Post verbreitet worden und folglich erfasst, so das Gericht.

Was erstens die elektronischen Kommunikationsmittel anbelangt, mit denen Direktwerbung durchgeführt wird, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass […] die Liste der im 40. Erwägungsgrund und in Art. 13 Abs. 1 dieser Richtlinie angeführten Kommunikationsmittel nicht erschöpfend ist.[…]

Zum anderen muss […] das Ziel, sicherzustellen, dass den Nutzern der öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienste der gleichen Grad des Schutzes personenbezogener Daten und der Privatsphäre geboten wird, „unabhängig von der zugrunde liegenden Technologie“ gewährleistet sein, was bestätigt, dass ein weiter und aus technologischer Sicht entwicklungsfähiger Begriff der von dieser Richtlinie erfassten Art von Kommunikation geboten ist.

Allerdings ist festzustellen, dass im vorliegenden Fall die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Werbenachricht an die betroffenen Personen unter Verwendung eines der in Art. 13 Abs. 1 der RL 2002/58 ausdrücklich genannten Kommunikationsmittel, nämlich der elektronischen Post, verbreitet wurde.

Inbox-Werbung ähnlich wie Spam-Mails

Weiterhin führte das Gericht aus, dass Nutzer von E-Mail-Systemen zunächst den Inhalt von Werbenachrichten überprüfen müssten, um einen Überblick über das private E-Mail-Postfach zu erhalten. Im Gegensatz zu Werbebannern oder Pop-up-Fenstern behindere Inbox-Werbung die Liste privater E-Mails in ähnlicher Weise wie Spam-E-Mails. Wie bei unerbetenen E-Mails müsse zunächst der Entschluss des Nutzers gefasst werden, wie mit der Nachricht weiter verfahren wird.

Insoweit wird die Werbenachricht aus der Sicht des Adressaten nämlich in der Inbox des Nutzers des E-Mail-Systems, d. h. in einem normalerweise privaten E-Mails vorbehaltenen Bereich, angezeigt. Der Nutzer kann diesen Bereich erst nach Überprüfung des Inhalts der Werbenachricht und nur durch aktives Löschen derselben freimachen, um einen Überblick über seine ausschließlich privaten E-Mails zu erhalten. Klickt der Nutzer auf eine Werbenachricht wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, so wird er zu einer Website mit der betreffenden Werbung weitergeleitet, anstatt mit dem Lesen seiner privaten E-Mails fortfahren zu können.

Anders als Werbebanner oder Pop-up-Fenster, die am Rand der Liste mit privaten Nachrichten bzw. separat von diesen erscheinen, behindert die Einblendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Werbenachrichten in der Liste der privaten E-Mails des Nutzers somit den Zugang zu diesen E-Mails in ähnlicher Weise wie dies bei unerbetenen E-Mails (auch als „Spam“ bezeichnet) der Fall ist, da ein solches Vorgehen die gleiche Entschlussfassung seitens des Teilnehmers erfordert, was die Behandlung dieser Nachrichten betrifft.

Elektronische Post zum Zweck der Direktwerbung

Die Beklagte und der beteiligte E-Mail-Provider nutzen das private Postfach des Nutzers, um ihre Direktwerbung zu platzieren, indem sie diese wie echte E-Mails gestalten. Diese Vorgehensweise stelle eine Verwendung elektronischer Post dar, die geeignet ist, die Privatsphäre der Nutzer durch unerbetene Nachrichten zu beeinträchtigen.

Das bedeutet, dass die Beklagte und die Streithelferin des Ausgangsverfahrens sowie der beteiligte E-Mail-Provider die Existenz der Liste der privaten E-Mails unter Berücksichtigung des Interesses und des besonderen Vertrauens des Teilnehmers in Bezug auf diese Liste nutzen, um ihre Direktwerbung zu platzieren, indem sie diese wie eine echte E-Mail aussehen lassen.

Eine solche Vorgehensweise stellt eine Verwendung elektronischer Post im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der RL 2002/58 dar, die geeignet ist, das mit dieser Bestimmung verfolgte Ziel, die Nutzer vor einer Verletzung ihrer Privatsphäre durch unerbetene Nachrichten für Zwecke der Direktwerbung zu schützen, zu beeinträchtigen.

Übermittlung über elektronisches Postfach

Anschließend stellte das Gericht klar, dass es für Werbenachrichten unerheblich sei, ob sie selbst als elektronische Post zu qualifizieren seien. Entscheidend sei, dass sie den betroffenen Nutzern über ihr E-Mail-Postfach und somit über ihre elektronische Post übermittelt würden.

Unter diesen Umständen wird die Frage, ob Werbenachrichten wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden selbst die Kriterien erfüllen, die es erlauben würden, sie als „elektronische Post“ im Sinne von Art. 2 Buchst. h dieser Richtlinie einzustufen, überflüssig, da sie den betroffenen Nutzern über ihr E-Mail-Postfach und damit über ihre elektronische Post übermittelt wurden.

Zufallsprinzip für Empfänger unerheblich

Außerdem stellte das Gericht fest, dass es ohne Belang sei, ob die Werbenachricht an einen individuell vorbestimmten Empfänger oder massenhaft nach dem Zufallsprinzip verbreitet werde. Entscheidend sei, dass Kommunikation zu kommerziellen Zwecken vorliege, die einen bzw. mehrere Nutzer von E-Mail-Diensten individuell erreiche.

[Die] zufällige oder vorbestimmte Auswahl des Empfängers [ist] keine Voraussetzung für die Anwendung von Art. 13 Abs. 1 der RL 2002/58 ist. Das bedeutet, dass es unerheblich ist, ob die betreffende Werbung an einen individuell vorbestimmten Empfänger gerichtet ist oder ob es sich um eine massenhafte und nach dem Zufallsprinzip vorgenommene Verbreitung gegenüber zahlreichen Empfängern handelt. Entscheidend ist, dass eine zu kommerziellen Zwecken vorgenommene Kommunikation vorliegt, die einen oder mehrere Nutzer von E-Mail-Diensten direkt und individuell erreicht, indem sie in der Inbox des E-Mail-Kontos dieser Nutzer eingeblendet wird.

Einwilligungserfordernis

Grundsätzlich stünden Werbenachrichten unter einem Einwilligungsvorbehalt. Die Einwilligung müsse den Anforderungen des Art 2 lit h der Datenschutzrichtlinie bzw. des Art 4 Nr. 11 DSGVO genügen, je nachdem, welche der beiden Vorschriften in zeitlicher Hinsicht auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar ist. Vorliegend sei bei dem E-Mail-Dienstanbieter die Errichtung eines kostenpflichtigen und eines kostenlosen Postfachs möglich. Letzteres werde durch die Schaltung von Werbung finanziert. Nutzer, die sich für diese Variante entscheiden, seien mit Werbeeinblendungen einverstanden, um kein Entgelt zahlen zu müssen, so das Gericht.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass eine solche Einwilligung zumindest in einer Willensbekundung zum Ausdruck kommen muss, die ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage erfolgt.

Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass der E-Mail-Dienst T-Online bei der Registrierung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden E-Mail-Adresse den Nutzern in Form zweier Kategorien von E-Mail-Diensten angeboten wird, nämlich zum einen unentgeltlichen E-Mail-Dienst, der durch Werbung finanziert wird, und zum anderen einen entgeltlichen E-Mail-Dienst ohne Werbung. Somit sind die Nutzer, die wie im Ausgangsverfahren die unentgeltliche Variante wählen, damit einverstanden, Werbeeinblendungen zu erhalten, um kein Entgelt für die Nutzung dieses E-Mail-Dienstes zahlen zu müssen.

Vorherige Einwilligung? Klärung durch BGH erforderlich

Dennoch führte der EuGH aus, dass durch den BGH zu überprüfen sei, ob eine wirksame Einwilligung in Werbeeinblendungen durch die Nutzer der kostenfreien Variante des E-Mail-Dienstes vorliege. Vor allem müsse festgestellt werden, ob Nutzer klar und verständlich darüber informiert wurden, dass Webenachrichten in der Liste der privat empfangenen E-Mails erscheinen. Außerdem bedürfe es einer Klärung, ob die Einwilligung in voller Kenntnis der Sachlage erfolgt sei.

Insoweit ist es jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob der betroffene Nutzer, der sich für die unentgeltliche Variante des E-Mail-Dienstes T-Online entschieden hat, ordnungsgemäß über die genauen Modalitäten der Verbreitung einer solchen Werbung informiert wurde und tatsächlich darin einwilligte, Werbenachrichten wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zu erhalten. Insbesondere muss zum einen festgestellt werden, dass dieser Nutzer klar und präzise u. a. darüber informiert wurde, dass Werbenachrichten in der Liste der empfangenen privaten E-Mails angezeigt werden, und zum anderen, dass er seine Einwilligung, solche Werbenachrichten zu erhalten, für den konkreten Fall und in voller Kenntnis der Sachlage bekundet hat.

Belastung des Empfängers nicht erforderlich

Da Inbox-Werbung in den Anwendungsbereich des Art. 13 Abs. 1 der Datenschutz-Richtlinie falle, müsse nicht überprüft werden, ob die Belastung des Empfängers über eine Belästigung hinausgehe. Dies sei von der Richtlinie nicht vorgesehen.

Schließlich ist zur Beantwortung der vierten Frage, mit der das vorlegende Gericht wissen möchte, ob für die Einstufung einer Werbemaßnahme wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden als „Verwendung … elektronischer Post für die Zwecke der Direktwerbung“ im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der RL 2002/58 festgestellt werden muss, dass die Belastung des Nutzers über eine Belästigung hinausgeht, klarzustellen, dass diese Richtlinie die Einhaltung eines solchen Erfordernisses nicht vorschreibt.[…] ergibt sich nämlich aus dem 40. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, dass das in der genannten Bestimmung vorgesehene Erfordernis der vorherigen Einwilligung seine Erklärung u. a. darin findet, dass für die Zwecke der Direktwerbung vorgenommene unerbetene Nachrichten „eine Belastung und/oder einen Kostenaufwand für den Empfänger bedeuten“ können. Da solche Nachrichten in den Anwendungsbereich von Art. 13 Abs. 1 der RL 2002/58 fallen, braucht somit nicht geprüft zu werden, ob die Belastung, die sich daraus für den Empfänger ergibt, über eine Belästigung hinausgeht.

Aggressive Geschäftspraxis: Hartnäckiges, unerwünschtes Ansprechen

Anschließend bezog das Gericht Stellung zu der Frage, ob es sich bei Inbox-Werbung um unerwünschtes, hartnäckiges Ansprechen handele. Ein unerwünschtes Ansprechen sei bei Fehlen einer vorherigen Einwilligung anzunehmen. Sollte eine Inbox-Werbung häufig und regelmäßig eingeblendet werden, sei die Einstufung als hartnäckiges Ansprechen möglich.

Nach alledem ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass Anhang I Nr. 26 der RL 2005/29 dahin auszulegen ist, dass ein Vorgehen, das darin besteht, in der Inbox eines Nutzers eines E-Mail-Dienstes Werbenachrichten in einer Form, die der einer tatsächlichen E-Mail ähnlich ist, und an derselben Stelle wie eine solche E-Mail einzublenden, unter den Begriff des „hartnäckigen und unerwünschten Ansprechens“ der Nutzer von E-Mail-Diensten im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn die Einblendung dieser Werbenachrichten zum einen so häufig und regelmäßig war, dass sie als „hartnäckiges Ansprechen“ eingestuft werden kann, und zum anderen bei Fehlen einer von diesem Nutzer vor der Einblendung erteilten Einwilligung als „unerwünschtes Ansprechen“ eingestuft werden kann.

Fazit

Inbox-Advertising ist als elektronische Post einzustufen und bedarf einer vorherigen Einwilligung des Empfängers. Auch wenn das Urteil des EuGH Leitprinzipien für Inbox-Werbung normiert, steht die Entscheidung des BGH noch aus. Dieser wird sich vor allem mit der Frage beschäftigen müssen, ob eine wirksame Einwilligung in Werbenachrichten bei der unentgeltlichen Variante des E-Mails-Dienstes vorliegt.

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