Die Berechnung des Wertersatzes nach einem Widerruf stellt Unternehmer immer wieder vor Herausforderungen. Gerade bei Dienstleistungen stellt sich die Frage, ob die Berechnung nur zeitbezogen erfolgen darf. Der BGH (Urt. v. 17.6.2021 – III ZR 125/19) entschied im vorliegenden Fall, dass sich die Höhe des Wertersatzes für die bis zum Widerruf erbrachten Dienste grundsätzlich nach der Nutzungsdauer bemesse.
Die Beklagte betreibt eine Online-Partnervermittlungsplattform. Die Klägerin schloss eine 12-monatige Premium-Mitgliedschaft zum Preis von 265,68 € ab, mit der es möglich war, Kontakt zu anderen Premium-Mitgliedern aufzunehmen. Zudem wurden auf der Grundlage eines Algorithmus Partnervorschläge unterbreitet, die auf einem computererstellten Persönlichkeitsgutachten beruhen. Die Klägerin wurde ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht belehrt und forderte die Beklagte auf, sofort mit der Ausführung der Leistungen zu beginnen. Sie konnte die Plattform vollumfänglich nutzen. Einen Tag später widerrief die Klägerin den Vertrag. Für diesen Zeitraum verlangte die Beklagte für die bis zum Widerruf erbrachten Leistungen 199,26 €. Hiergegen wandte sich die Klägerin.
Das AG Hamburg (Urt. v. 7.1.2019 – 16 C 76/18) entschied, dass die Klägerin nicht verpflichtet sei, die geforderten 199,26 € zu zahlen, sondern nur 1,46 €. Auf die Berufung der Beklagten hin hat das LG Hamburg (Urt. v. 30.9.2019 – 320 S 20/19) den Feststellungsausspruch auf 49,62 € reduziert.
§ 357 Abs. 8 BGB regelt die Wertersatzpflicht des Verbrauchers bei Dienstleistungsverträgen. Danach schuldet der Verbraucher dem Unternehmer Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachte Leistung, wenn der Verbraucher von dem Unternehmer ausdrücklich verlangt hat, dass dieser mit der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt und der Unternehmer den Verbraucher nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 3 EGBGB ordnungsgemäß informiert hat.
Hiermit wird Art. 14 Abs. 3 VRRL umgesetzt:
(3) Übt ein Verbraucher das Widerrufsrecht aus, nachdem er ein Verlangen gemäß Artikel 7 Absatz 3 oder Artikel 8 Absatz 8 erklärt hat, so zahlt er dem Unternehmer einen Betrag, der verhältnismäßig dem entspricht, was bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher den Unternehmer von der Ausübung des Widerrufsrechts unterrichtet, im Vergleich zum Gesamtumfang der vertraglich vereinbarten Leistungen geleistet worden ist. Der anteilige Betrag, den der Verbraucher an den Unternehmer zu zahlen hat, wird auf der Grundlage des vertraglich vereinbarten Gesamtpreises berechnet. Ist der Gesamtpreis überhöht, so wird der anteilige Betrag auf der Grundlage des Marktwerts der erbrachten Leistung berechnet.
Beide Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall erfüllt. Die Klägerin wurde entsprechend belehrt und verlangte durch Anklicken eines entsprechenden Feldes auf der Homepage der Beklagten vor der erstmaligen Nutzung der Mitgliedschaft ausdrücklich, dass die Beklagte ihre Leistung bereits vor Ablauf der Widerrufsfrist erbringt.
Der EuGH hatte letztes Jahr zur Art der Berechnung bei Dienstleistungen entschieden, dass sich die Höhe des Wertersatzes für die bis zum Widerruf erbrachten Dienste grundsätzlich nach der Nutzungsdauer bemesse. Es seien jedoch Vereinbarungen möglich, dass bestimmte Leistungen gleich zu Beginn und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden.
Der BGH hat nun die erstinstanzliche Entscheidung des AG Hamburg wiederhergestellt. Der Beklagten stehe dem Grunde nach ein Anspruch auf Wertersatz zu. Durch den Abschluss des Vertrages mit der Klägerin hat die Beklagte einen Vergütungsanspruch erlangt, so dass auch ein Anspruch auf Ersatz des Wertes ihrer Leistungen gemäß § 357 Abs. 8 S. 1 BGB begründet werden konnte, ohne dass es darauf ankomme, dass die Klägerin die Vergütung noch nicht gezahlt hatte. Die Entscheidung liegt noch nicht im Volltext vor, das Gericht hat jedoch bereits eine Pressemitteilung veröffentlicht.
Die Klägerin hatte argumentiert, dass dem Anspruch auf Wertersatz § 656 Abs. 1 BGB entgegenstehe. Diese Vorschrift bestimmt, dass durch das Versprechen eines Lohnes für den Nachweis der Gelegenheit zur Eingehung einer Ehe oder für die Vermittlung des Zustandekommens einer Ehe eine Verbindlichkeit nicht begründet wird, das auf Grund des Versprechens Geleistete jedoch nicht deshalb zurückgefordert werden kann, weil eine Verbindlichkeit nicht bestanden hat. Der BGH hatte bereits eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift sowohl auf Eheanbahnungs- und auch auf Partnerschaftsanbahnungsverträge angenommen. Eine Anwendung auf Online-Partnervermittlungsverträge komme jedoch nicht in Betracht.
Diese Gründe gelten für den verfahrensgegenständlichen Vertrag über eine „Online-Partnervermittlung“ jedoch nicht. Dort besteht die Leistungspflicht der Beklagten vor allem darin, ihren Kunden einen unbeschränkten Zugang zu der von ihr betriebenen Plattform zu gewähren, auf der diese aus eigener Initiative einen Kontakt zu möglichen Partnern herstellen können. Zwar stellt auch die Beklagte ihren Kunden Partnervorschläge zur Verfügung. Diese beruhen aber allein auf einem elektronischen Abgleich der nicht näher überprüften eigenen Angaben der Kunden. Eine individuelle, persönliche Auswertung findet nicht statt. Auch eine Gewähr für die Richtigkeit dieser Angaben und damit für die Qualität der Vorschläge übernimmt die Beklagte nicht. Es bestehen daher keine Anhaltspunkte dafür, dass durch einen Rechtsstreit über den Vergütungsanspruch der Beklagten in die Intimsphäre ihrer Kunden in einer Weise eingegriffen würde, die vergleichbar mit der Situation bei einem herkömmlichen Partnerschaftsvermittlungsvertrag wäre. Gleiches gilt für das sog. Persönlichkeitsgutachten, das ebenfalls automatisiert erstellt wird.
Der BGH stellte fest, dass der Wertersatzanspruch der Beklagten 1,46 € betrage und zeitanteilig zu berechnen sei. Für die Art der Berechnung verwies er auf ein vorheriges Urteil (BGH, Urt. v. 6.5.2021 – III ZR 169/20). Dort ist er den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen gefolgt, dass für die Berechnung des Wertersatzes auf den im Vertrag vereinbarten Preis für die Gesamtheit der vertragsgegenständlichen Leistungen abzustellen und der geschuldete Betrag zeitanteilig zu berechnen sei. Eine Ausnahme von einer zeitanteiligen Berechnung gelte nur, wenn der geschlossene Vertrag ausdrücklich vorsieht, dass eine oder mehrere der Leistungen gleich zu Beginn der Vertragsausführung vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden.
Der Anspruch der Beklagten auf Wertersatz für die von ihr erbrachten Leistungen aus § 357 Abs. 8 Satz 1 BGB beträgt jedoch lediglich 1,46 €. Der Wertansatz ist aus den bereits im Urteil des Senats vom 6. Mai 2021 - III ZR 169/20 - (vgl. Pressemitteilung 92/2021) dargelegten Gründen zeitanteilig zu berechnen. Nach diesen Vorgaben beläuft sich der Anspruch der Beklagten auf Wertersatz auf den genannten Betrag (265,68 € : 365 x 2 = 1,46 €).
Anbieter von Dienstleistungen müssen den Wertersatz grundsätzlich, aber nicht zwingend nur zeitanteilig berechnen. Die Voraussetzungen, unter denen eine andere Berechnung möglich ist, hat der EuGH bereits klargestellt: Sollen bereits erbrachte Leistungen dem Wertersatzanspruch zugrunde gelegt werden, ist eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung notwendig, die vorsieht, dass eine oder mehrere der Leistungen gleich zu Beginn der Vertragsausführung vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden.
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