Die Textilkennzeichnungsverordnung (VO [EU] Nr. 1007/2011) enthält bestimmte Vorschriften, wie Textilerzeugnisse gekennzeichnet werden müssen. Diese gelten auch im Online-Handel. Das OLG Frankfurt (Urt. v. 14.1.2021 – 6 U 256/19) entschied nun, dass die Bezeichnung „Acryl“ statt „Polyacryl“ zwar gegen die TextilkennzVO verstoße, die Verbraucherinteressen hierdurch jedoch nicht spürbar beeinträchtigt werden.

Die Beklagte vertreibt online Textilien. Hierfür hatte sie einen Partnershop auf der Plattform der Beklagten eröffnet. Die Angaben zu den vertriebenen Artikeln stammten von der Beklagten. Die Klägerin wurde 2018 von einer Dritten wegen der Materialangabe „Acryl“ im Partnershop abgemahnt. Eine solche Angabe ist in der TextilkennzVO nicht vorgesehen, sondern stattdessen der Begriff „Polyacryl“. Hierauf forderte die Klägerin die Beklagte zur Änderung der Materialbezeichnung sowie zur Freistellung hinsichtlich des durch die Abmahnung entstandenen Schadens auf. Nachdem die Beklagte sich weigerte und den Shop der Klägerin abschaltete, mahnte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 11.9.2018 ab. Zeitgleich sprach die Klägerin Abmahnungen gegenüber zwölf Shop-Partnern der Beklagten aus, die alle die Bezeichnung „Acryl“ betrafen. Das LG Frankfurt a.M. (Urt. v. 19.11.2018 – 2-3 O 408/18) hatte die Beklagte zur Unterlassung und zum Ersatz der Abmahnkosten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtete sich die Berufung der Beklagten.

Das OLG Frankfurt entschied nun, dass die Materialangabe „Acryl“ zwar gegen die TextilkennzVO verstoße, wenn es sich bei dem verwendeten Material tatsächlich um Polyacryl handelt, der Verstoß jedoch nicht spürbar i.S.d. § 3a UWG sei. Der angesprochene Verkehr wird keine Veranlassung zu der Annahme haben, es handele sich bei “Acryl” um eine andere Faser als “Polyacryl”.

Bezeichnung von Textilfasern

Nach Art. 5 Abs. 1 TextikennzVO dürfen für die Beschreibung der Faserzusammensetzung nur die in Anhang I der Verordnung aufgeführten Begriffe verwendet werden. Die Bezeichnung „Acryl“ findet sich jedoch nicht in der deutschen Fassung, stattdessen wird in Anhang I Nr. 26 der Begriff „Polyacryl“ verwendet. Damit habe die Beklagte gegen die Pflicht zur Kennzeichnung verstoßen. Der Wortlaut sei eindeutig, eine abweichende Auslegung komme nicht in Betracht.

Allerdings hat die Beklagte durch das Angebot von Textilien unter der Materialbezeichnung „Acryl“ gegen Art. 5 Abs. 1, 15 Abs. 3, 16 Abs. 1 und 3 TextilKennzVO verstoßen.

Aus dem Anhang I Nr. 26 ergibt sich, dass die zu verwendenden Bezeichnungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich sind. Während z.B. in den Niederlanden die Bezeichnung „Acryl“ und in den anderen Mitgliedstaaten ähnliche Begriffe vorgegeben sind, ist der deutsche Begriff mit „Polyacryl“ angegeben. Der Wortlaut ist insoweit eindeutig.

Soweit die Beklagte aus telelogischen Gründen eine abweichende Auslegung vornehmen will, die auch die Verwendung des Wortes „Acryl“ erlaubt, überzeugt dies nicht. Der Gesetzgeber hat bewusst die verschiedenen Sprachgewohnheiten in den Ländern berücksichtigt und offensichtlich angenommen, dass dem Verkehr im deutschen Sprachraum der Begriff „Polyacryl“ bekannter ist als der Begriff „Acryl“. Auch die Gesetzgebungshistorie spricht dafür. Ursprünglich war in der deutschen Sprachfassung irrtümlich dort der Begriff „Seide“ enthalten. Dieses Versehen hat der Gesetzgeber beseitigt und dies dahingehend berichtigt, dass statt „Seide“ der Begriff „Polyacryl“ verwendet wurde. Dass bei dieser bewussten Änderung erneut ein Irrtum vorgekommen sein sollte, wie die Beklagte meint, ist fernliegend.

Kein Verstoß gegen europäisches Recht

Die Beklagte versuchte sich damit zu verteidigen, dass eine in einem Mitgliedstaat zugelassene Bezeichnung in einem anderen Mitgliedstaat nicht zugelassen und damit unlauter sei, mit dem Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung nach Art. 34 AEUV unvereinbar sei. In den Niederlanden bspw. sieht die TextilkennzVO den Begriff „Acryl“ statt „Polyacryl“ vor. Dieser Ansicht folgte das Gericht jedoch nicht.

Die beanstandete Sprachenvorgabe in Art. 16 Abs. 3 Unterabs. 1 Textil-KennzVO dient der Sicherstellung von Erwägungsgrund 3 der TextilKennzVO (Vereinheitlichung der Textilfaserbezeichnungen, um Hindernisse für das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts zu beseitigen) und Erwägungsgrund 10 der Textil-KennzVO (Gewährleistung von korrekten und einheitlichen Informationen) und ist damit letztlich aus Erwägungen des Allgemeinwohls zwingend erforderlich. Würden andernfalls nämlich Textilfaserbeschreibungen in einer Landessprache der Europäischen Union, die in diesem Land daher rechtmäßig in Verkehr gebracht werden, für das Inverkehrbringen von Textilerzeugnissen im gesamten Unionsgebiet genügen, wäre der Schutzzweck der TextilKennzVO in keiner Weise sichergestellt. Dies lässt sich zwanglos an den Beispielen von bulgarischen Textilfaserbeschreibungen in kyrillischer Schrift, griechischen Beschreibungen in griechischem Alphabet oder aber ungarischen oder finnischen Kennzeichnungen verdeutlichen, die für den größten Teil der Bevölkerung der anderen EU-Mitgliedstaaten komplett unverständlich bleiben (OLG München GRUR-RR 2017, 11 Rn 61-64). Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der BGH in seiner Entscheidung „Textilkennzeichnung“ festgestellt hat, dass – freilich in Bezug auf die dort in Frage stehende Regelung in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 und 2 TextilKennzVO – keine vernünftigen Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts bestünden, so dass ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV nicht veranlasst sei (BGH GRUR 2016, 1068 Rn 21 – Textilkennzeichnung).

Verbraucherinteressen nicht spürbar beeinträchtigt

Das Gericht kam allerdings zu dem Ergebnis, dass der Verstoß gegen die TextilkennzVO nicht dazu geeignet sei, die Interessen von Verbrauchern i.S.v. § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen. Hierbei verwies es auf eine Entscheidung des BGH, der entsprechend zur Verwendung des Begriffs „Cotton“ statt „Baumwolle“ entschieden hat.

Besteht der Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung darin, dass dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthalten wird, ist dieser Verstoß nur dann spürbar nach § 3a UWG, wenn er die ihm vorenthaltene wesentliche Information je nach den Umständen benötigt, um eine informierte Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte (BGH GRUR 2019, 82 Rn 30, 31 – Jogginghosen).

Mache der Unternehmer geltend, dass dies im Einzelfall nicht der Fall sein sollte, treffe ihn eine sekundäre Beweislast.

Den Unternehmer, der geltend macht, dass der Verbraucher – abweichend vom Regelfall – eine ihm vorenthaltene wesentliche Information für eine Kaufentscheidung nicht benötigt und das Vorenthalten dieser Information den Verbraucher nicht zu einer anderen Kaufentscheidung veranlassen kann, trifft insoweit eine sekundäre Darlegungslast. Der Verbraucher wird eine wesentliche Information im Allgemeinen für eine informierte Kaufentscheidung benötigen. Ebenso wird, sofern im konkreten Fall keine besonderen Umstände vorliegen, grundsätzlich davon auszugehen sein, dass das Vorenthalten einer wesentlichen Information, die der Verbraucher nach den Umständen benötigt, um eine informierte Entscheidung zu treffen, geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er bei der gebotenen Information nicht getroffen hätte […].

„Acryl“ wird umgangssprachlich verwendet

Solche besonderen Umstände lägen in diesem Fall jedoch vor, so das Gericht. Der angesprochene Verkehr verwende den Begriff „Acryl“ umgangssprachlich als Abkürzung für Polyacryl.

Im vorliegenden Fall liegen besondere Umstände im diesem Sinne vor. Der angesprochene Verkehr, zu dem auch die Mitglieder des erkennenden Senates gehören, wird keine Veranlassung zu der Annahme haben, es handele sich bei „Acryl“ um eine andere Faser als „Polyacryl“. Der Verkehr wird vielmehr umgangssprachlich den Begriff „Acryl“ als Abkürzung für Polyacryl verwenden. Dies schon deshalb, weil dem Verkehr keine andere Acrylfaser bekannt ist. Soweit der Kläger darauf verweist, dass Anhang I in Nr. 29 auch die Faserbezeichnung „Modacryl“ aufführt, so dass für den Verbraucher die zusätzliche Unsicherheit entstehen könne, ob der Begriff „Acryl“ nicht auch für „Modacryl“ steht, ist dies nicht geeignet, eine Spürbarkeit zu begründen. Der juristisch nicht gebildete Verkehr wird sich nämlich bei seiner Anschauung nicht an der Anlage zur TextilKennzVO orientieren, sondern am allgemeinen Sprachgebrauch.

Das Vorenthalten dieser Information sei daher nicht geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er bei Angabe des Begriffs „Polyacryl“ nicht getroffen hätte.

Fazit

Die TextilkennzVO bestimmt eindeutig, wie Textilien zu kennzeichnen sind. Neben einer Kennzeichnung in deutscher Sprache sind dabei nur die in Anhang I der Verordnung aufgezählten Begriffe zu verwenden. Auch wenn der BGH bereits entschieden hat, die Bezeichnung „Cotton“ statt „Baumwolle“ habe sich mittlerweile eingebürgert, oder wie vorliegend das OLG Frankfurt, der Begriff „Acryl“ werde umgangssprachlich als Abkürzung für Polyacryl verwendet, kann die Beurteilung bei anderen Bezeichnungen schon wieder anders aussehen. Das OLG Stuttgart hat z.B. entschieden, dass die Verwendung des englischen Begriffs „Elastane“ statt „Elasthan“ unzulässig ist. Daher sollten nur die in der Verordnung vorgesehenen Begriffe verwendet werden, um Abmahnungen zu vermeiden.

MIND AND I/Shutterstock.com

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