Wieder OLG Frankfurt: Rechtsmissbrauch bei 243 Abmahnungen in einem Jahr

Die Abmahnung war ursprünglich dazu gedacht, für fairen Wettbewerb zu sorgen. Sie wird jedoch leider immer wieder von Händlern und ihren Anwälten dafür missbraucht, Gebühren geltend machen zu können. Das OLG Frankfurt a.M. (Urt. v. 12.11.2020 – 6 U 210/19) entschied nun, dass bereits eine hohe Anzahl an Abmahnungen (über 240 in einem Jahr) für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen spreche. Entsprechend entschied das Gericht bereits in einem anderen Fall.

Die Klägerin ist eine 2017 in Hamburg gegründete GmbH. Die Beklagte betreibt ein Reisebüro und bietet über ihre Website Reisedienstleistungen an. Die Beklagte wies auf ihrer Website nicht auf die Streitbeilegungsplattform der EU-Kommission hin. Die Klägerin mahnte die Beklagte ab, verlangte Unterlassung und die Erstattung der Abmahnkosten. Die Beklagte gab jedoch weder die geforderte Unterlassungserklärung ab noch erstattete sie die Abmahnkosten. Das Landgericht (LG Frankfurt a.M., Urt. v. 23.8.2019 – 3-10 O 27/19) hatte die Klage bereits abgewiesen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin.

Das OLG Frankfurt wies die Berufung nun zurück. Die Abmahnungen seien rechtsmissbräuchlich.

Kriterien für einen Rechtsmissbrauch

Das Gericht stellte klar, dass das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen habe. Sie sei unzulässig, da die Rechtsverfolgung durch die Klägerin rechtsmissbräuchlich ist. Auch in diesem Fall fasste das Gericht noch einmal die Kriterien für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs zusammen:

Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG ist die Geltendmachung der in § 8 Abs. 1 UWG bezeichneten Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung wegen einer unzulässigen geschäftlichen Handlung unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Von einem Missbrauch ist auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind. Diese müssen allerdings nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein. Es reicht aus, dass die sachfremden Ziele überwiegen. Die Annahme eines derartigen Rechtsmissbrauchs erfordert eine Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände. Ein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Rechtsverfolgung kann sich daraus ergeben, dass die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht (BGH GRUR 2016, 961 Rn 15 - Herstellerpreisempfehlung bei Amazon - m.w.N.). Weiteres Indiz für ein missbräuchliches Vorgehen ist es, wenn der Abmahnende an der Verfolgung des beanstandeten Wettbewerbsverstoßes kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse haben kann, sondern seine Rechtsverfolgung aus der Sicht eines wirtschaftlich denkenden Gewerbetreibenden allein dem sachfremden Interesse der Belastung seiner Mitbewerber mit möglichst hohen Kosten dient (vgl. BGH GRUR 2001, 260, 261 - Vielfachabmahner; BGH GRUR 2019, 199 Rn 21 - Abmahnaktion II).

Hohe Anzahl an Abmahnungen

Die Klägerin hat zwischen Februar 2018 und Februar 2019 über 240 Abmahnungen aussprechen lassen. Bereits diese hohe Zahl an Abmahnungen spreche für ein missbräuchliches Vorgehen, so das Gericht. Zudem ging es in fast allen Fällen um die fehlende Verlinkung zur OS-Plattform oder um die Verletzung anderer Pflichten von Diensteanbietern. Hierbei handle es sich um leicht zu ermittelnde Verstöße, die die Klägerin in ihrer Geschäftstätigkeit jedoch nicht beeinträchtigen.

Die Klägerin hat nach dem unstreitigen Vortrag des Beklagten über 240 Abmahnungen ausgesprochen, wobei es in fast allen Fällen entweder um die fehlende Verlinkung zur OS-Plattform oder um die Verletzung anderer Pflichten von Diensteanbietern geht. Hierbei handelt es sich um leicht ermittelbare Verstöße, die durch ein systematisches Durchforsten des Internets auffindbar sind. Die Klägerin wird durch diese Verstöße in ihrer wirtschaftlichen Betätigung nicht unmittelbar berührt. Die Verstöße, namentlich die fehlende Verlinkung zur OS-Plattform, betreffen die Rechtsbeziehungen der abgemahnten Reiseunternehmen zu ihren Kunden. Sie erschweren den Marktzugang für die Klägerin nicht. Zwar liegt es im Interesse eines lauter handelnden Unternehmens, dass auch Mitbewerber die Regeln des lauteren Wettbewerbs einhalten. Mit diesem Interesse lässt sich jedoch das massenhafte und flächendeckende Abmahnen von Bagatellverstößen innerhalb eines kurzen Zeitraums nicht erklären.

Missverhältnis zur wirtschaftlichen Tätigkeit

Zudem stellte das Gericht fest, dass die Klägerin nur vorbereitend und in sehr speziellen Segmenten des Reisevermittlungsmarkts tätig sei. Ihren eigenen Angaben nach befänden sich die meisten ihrer angeblichen Tätigkeiten im Planungsstadium und dies seit mehreren Jahren. Der BGH hat bereits entschieden, dass die Frage, ob sich eine Rechtsverfolgung als missbräuchlich darstelle, aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers zu beurteilen sei, denn kein kaufmännisch handelnder Unternehmer gehe Kostenrisiken für sein Unternehmen in existenzbedrohender Höhe durch eine Vielzahl von Abmahnungen ein, wenn er an der Unterbindung der begangenen Verstöße kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse hätte. Auf dieses Urteil nahm auch das OLG Frankfurt Bezug:

Selbst wenn man auf Grundlage der vagen Angaben der Klägerin von einer geplanten Tätigkeit als Reisevermittlerin ausgehen wollte, lässt sich in diesem Stadium aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Gewerbetreibenden die massenhafte Abmahnung von potentiellen Mitbewerbern nicht mit lauteren Interessen erklären. Kein kaufmännisch handelnder Unternehmer wird Kostenrisiken in einer für sein Unternehmen existenzbedrohenden Höhe durch eine Vielzahl von Abmahnungen oder Aktivprozessen eingehen, wenn er an der Unterbindung der beanstandeten Rechtsverstöße kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse hat (BGH GRUR 2019, 199 Rn 21 – Abmahnaktion II). Dies gilt ungeachtet der Behauptung der Klägerin, dass sie über erhebliche Mittel verfügt und hinsichtlich der Kostenrisiken Rückstellungen gebildet hat.

Abmahnungen nur als Einnahmequelle

Das Gericht fand in diesem Fall deutliche Worte und stellte fest, dass es der Klägerin im Zusammenwirken mir ihrem Prozessbevollmächtigten nur darum gehe, durch die Abmahnungen Einnahmen zu generieren, sei es durch die Erstattung der Abmahnkosten oder durch die Geltendmachung von Vertragsstrafeansprüchen.

Das Verhalten der Klägerin lässt daher nur den Schluss zu, dass es ihr in erster Linie darum geht, sich im Zusammenwirken mit ihrem Prozessbevollmächtigten durch die Abmahntätigkeit eine Einnahmequelle zu erschließen, sei es durch die Generierung von Vertragsstrafeansprüchen oder von Erstattungskosten hinsichtlich der Abmahnkosten.

Fazit

Der Vorwurf „Rechtsmissbrauch“ wird bei vielen Abmahnungen schnell erhoben, in den wenigsten Fällen erkennen die Gerichte diesen Einwand allerdings an. Dieser Fall zeigt jedoch, dass es Fälle des Rechtsmissbrauchs durchaus gibt. Zu begrüßen sind die deutlichen Worte des Gerichts, dass die Abmahnung vorliegend nur als „Einnahmequelle“ genutzt wurde. Ein fehlender Link auf die OS-Plattform ist häufig ein Grund für Abmahnungen. Dies bestätigt nicht nur unser monatlicher Abmahnradar, sondern auch unsere Abmahnumfrage.

Mit Inkrafttreten des Anti-Abmahngesetzes am 2.12.2020 wurden in § 8c UWG nun auch gewisse Fallgestaltungen für die Annahme rechtsmissbräuchlicher Abmahnungen ins Gesetz aufgenommen. Ihnen kommt jedoch nur Indizwirkung für einen Missbrauch zu. Erforderlich ist jedoch auch hier eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände.

Nach einer Abmahnung ist dringend anwaltliche Beratung zu empfehlen – und zwar durch einen Anwalt, der auf Abmahnungen im E-Commerce spezialisiert ist.

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07.12.20