Update 12.2.2021: Gegen das Urteil des OLG Schleswig hat der Kläger Revision eingelegt. Der BGH (Az. I ZR 135/20) wird am 17.6.2021 hierzu verhandeln.
§ 1 Abs. 4 PAngV bestimmt, dass ein Pfand nicht in den Gesamtpreis einzubeziehen ist, sondern dessen Höhe neben dem Preis anzugeben ist. Die Vorschrift findet allerdings keine Grundlage im Unionsrecht und ist deshalb nach Ansicht einiger Gerichte nicht mehr anwendbar. Das OLG Schleswig (Urt. v. 30.7.2020 – 6 U 49/19) entschied nun, dass wegen einer separaten Ausweisung des Pfands nach geltendem Recht kein Unterlassungsanspruch bestehe.
Die Beklagte vertreibt Lebensmittel und bewarb in einem Prospekt u.a. Getränke in Pfandflaschen und Joghurt in Pfandgläsern. Das Pfand war in die angegebenen Preise nicht einberechnet, sondern mit dem Zusatz „zzgl. […] € Pfand“ angegeben. Der Kläger, ein Wettbewerbsverein, hielt diese Darstellung für unzulässig und nahm die Beklagte auf Unterlassung dieser Werbung in Anspruch. Er ist der Ansicht, dass ein Gesamtpreis einschließlich des Pfandes anzugeben sei und § 1 Abs. 4 PAngV mangels Grundlage im Unionsrecht nicht mehr angewendet werden dürfe.
Das LG Kiel (Urt. v. 26.6.2019 – 15 HKO 38/18) hatte der Klage stattgegeben. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte erfolgreich Berufung ein. Das OLG Schleswig wies die Klage des Wettbewerbsvereins ab. Die Vorschrift sei zwar europrechtswidrig aber noch gültig – das Gericht sehe sich „aus rechtsstaatlichen Gründen an einer Stattgabe des Klageantrags gehindert“.
Zunächst stellte das Gericht noch einmal klar, dass es sich bei der Pflicht nach § 1 Abs. 1 S. 1 PAngV, in der geschäftsmäßigen Bewerbung von Waren den Gesamtpreis anzugeben, um eine Marktverhaltensregelung nach § 3a UWG handelt. Dann ging das Gericht auf den Begriff des Gesamtpreises ein.
Der Gesamtpreis ist nach § 1 Abs. 1 S. 1 PAngV der Preis, der einschließlich der Umsatzsteuer und sonstigen Preisbestandteile zu zahlen ist. […] Der Gesamtpreis bildet die Gegenleistung, die erbracht werden muss, um die Leistung - die angebotene Ware oder Dienstleistung - erwerben zu können. Bei in Mehrweggebinden gelieferter Ware besteht diese Gegenleistung einerseits in dem Geldbetrag für die Ware selbst und andererseits in dem Geldbetrag, der für die Gebinde gezahlt werden muss. Werden beide Beträge zusammengerechnet, führt dies aber zu einem verzerrten Ergebnis. Der Wert der als Pfand erbrachten Gegenleistung ist niedriger als der Nominalbetrag des Pfandes, denn der Kunde kann sich den Betrag durch Rückgabe der Pfandbehälter zurückerstatten lassen. Der Wert des Pfandes besteht deshalb nur in dem Wert, den die Nutzung der Sicherheit für den Verkäufer - oder die fehlende Nutzungsmöglichkeit für den Käufer - hat und mit dem außerdem das Risiko des endgültigen Verfalls des Pfandes wegen Verlusts des Pfandguts zu bemessen ist. Dieser Wert ist im Voraus allerdings nicht berechenbar und bräuchte - und könnte - deshalb nicht in den anzugebenden Gesamtpreis einbezogen zu werden.
Wegen des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung komme es letztlich jedoch darauf an, wie der europarechtliche Begriff des „Verkaufspreises“ in Art. 2 a) PreisangabenRL zu verstehen ist. Dies könne das Gericht jedoch nicht zweifelsfrei beantworten. Weder aus der UGP-RL noch aus der PAngRL ließen sich Hinweise dazu entnehmen, wovon der europäische Gesetzgeber ausging. Ebenso fehle bislang eine Entscheidung des EuGH dazu, ob das Pfand als Teil des Verkaufspreises oder als eigenständig daneben stehender Betrag gelten soll. Das Gericht verwies hierbei auch auf die zuletzt ergangene Entscheidung des OLG Köln zu dieser Frage.
Entschieden hat der EuGH zwar, dass die Überführungskosten bei einem Fahrzeug einen unvermeidbaren und vorhersehbaren Bestandteil des Preises ausmachten und deshalb in den Verkaufspreis einzuberechnen seien (EuGH GRUR 2016, 945, 946 Rn. 40 - Citroën). Für die Frage, wie es sich bei einem Pfand verhält, gibt diese Entscheidung nichts her. Das OLG Köln ist davon ausgegangen, dass der Verkaufspreis das Pfand nicht erfasse. Verkaufspreis sei nach der Rechtsprechung des EuGH die Summe der unvermeidbaren und notwendigen Bestandteile des Preises, die obligatorisch vom Verbraucher zu tragen seien, und die Gegenleistung in Geld für den Erwerb des betreffenden Erzeugnisses bilde. Das Pfand sei eine reine Sicherheit im Interesse der Wiederverwertung des Gebindes, kein Bestandteil des Warenwertes und stelle als „rückerstattbare Sicherheit“ gerade keine Gegenleistung in Geld für den Erwerb des betreffenden Erzeugnisses dar (OLG Köln wrp 2020, 846, 848 Rn. 20). Schilling (in Büscher, UWG, 2019, § 1 PAngV Rn. 58), auf den sich das OLG Köln dabei bezieht, bezeichnet es allerdings nur als „zweifelhaft“, dass der EuGH das Pfand als Teil des Verkaufspreises ansähe.
Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung verstieße die Preisauszeichnung der Beklagten gegen § 1 Abs. 1 S. 1 PAngV, weil das Pfand gesondert ausgewiesen wurde.
Das OLG Schleswig stellte jedoch auch fest, dass kein Verstoß gegen die PAngV vorliege, wenn die entsprechende Ausnahmevorschrift in § 1 Abs. 4 PangV zur Anwendung käme. Diese Vorschrift sei jedoch wegen Europarechtswidrigkeit nicht mehr anwendbar.
§ 1 Abs. 4 PAngV findet weder in der UGP-RL noch der PAng-RL eine Grundlage. Bis zum 12.06.2013 war dies unschädlich. Art. 3 Abs. 5 UGP-RL gestattete es den Mitgliedstaaten, für einen Zeitraum von sechs Jahren ab dem 12.06.2007 in dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich nationale Vorschriften beizubehalten, die restriktiver oder strenger sind als die Richtlinie, zur Umsetzung von Richtlinien erlassen wurden und die Klauseln über eine Mindestangleichung enthalten. § 1 Abs. 4 PAngV gilt als strenger als Art. 3 Abs. 1 PAng-RL, wonach der Verkaufspreis als Endpreis angegeben werden muss. Bis zum Ablauf der Frist konnte § 1 Abs. 4 PAngV deshalb noch auf die Übergangsregelung in Art. 3 Abs. 5 UGP-RL gestützt werden. Nachdem diese Grundlage mit Fristablauf weggefallen ist, ist die Regelung zur Preisangabe in § 1 Abs. 4 PAngV ohne europarechtliche Grundlage. Sie verstößt damit gegen das insbesondere Art. 4 UGP-RL zu entnehmende Gebot der Vollharmonisierung in diesem Bereich.
Zugleich machte das Gericht jedoch auch die Folgen einer solchen Richtlinienwidrigkeit des § 1 Abs. 4 PAngV deutlich. Die Folge sei nicht, dass die Vorgaben der PreisangabenRL jetzt unmittelbar für die Beklagte gelten, denn eine Richtlinie begründe niemals Pflichten zwischen Privaten. Wegen dieser fehlenden unmittelbaren Wirkung liege kein Verstoß vor.
Folge der Richtlinienwidrigkeit des § 1 Abs. 4 PAngV ist vielmehr, dass die Vorschrift nicht mehr angewandt werden darf (KG wrp 2018, 226, 229 Rn. 33; Köhler wrp 2013, 723 und ders. u.a./ders. § 1 PAngV Rn. 28). Eine vorrangige richtlinienkonforme Auslegung dahingehend, dass das Pfand in den Gesamtpreis einzuberechnen sei, kommt angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift und ihrer eindeutig gegenteiligen Zweckrichtung nicht in Betracht. Das Gebot richtlinienkonformer Auslegung darf nicht zu einer Auslegung contra legem des nationalen Gesetzes führen (EuGH NJW 2006, 2465, 2467 Rn. 110; BGH NJW-RR 2018, 424, 426 Rn. 19 - Energieausweis).
Auf die Frage, ob nach einer richtlinienkonformen Auslegung das Pfand in den Gesamtpreis einzurechnen ist, komme es jedoch nicht an, weshalb auch eine Vorlage dieser Frage an den EuGH nicht notwendig sei.
Auch dann nämlich, wenn alle Voraussetzungen des Rechtsbruchtatbestandes vorlägen, sähe sich der Senat gehindert, dem Unterlassungsantrag stattzugeben. Einerseits nämlich ist § 1 Abs. 4 PAngV nicht mehr anwendbar (s. o.). Gleichwohl ist die Vorschrift geltendes Recht. Es wäre mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren, die Beklagte zu verurteilen, weil sie sich daran gehalten hat.
Dieser Widerspruch aus der Nichtanwendbarkeit der Vorschrift einerseits und ihrer Gültigkeit andererseits sei nicht auflösbar.
Die Folge des nicht auflösbaren Widerspruchs zwischen Nichtanwendbarkeit und Gültigkeit des § 1 Abs. 4 PAngV kann nur die Klagabweisung sein.
Trotz ihrer Richtlinienwidrigkeit sei § 1 Abs. 4 PAngV geltendes Recht und für den Einzelnen bindend. Unanwendbar sei sie nur für die Träger öffentlicher Gewalt , also für Behörden und Gerichte.
Die von der Beklagten vorgenommene Preisauszeichnung entspricht damit dem, was von Rechts wegen von ihr verlangt wird. Ein rechtlich gebotenes Verhalten kann aber niemals Grundlage einer Verurteilung sein, in der unter Androhung von Ordnungsmitteln aufgegeben wird, dieses Verhalten zu unterlassen. Eine solche Verurteilung wäre mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren. In einem Rechtsstaat muss der Einzelne im Voraus nachvollziehen können, ob sein Verhalten geduldet oder geahndet wird. Wer sich rechtstreu verhält, muss die Gewissheit haben, dafür nicht belangt zu werden. Eben dazu käme es aber, wenn die Beklagte wegen der § 1 Abs. 4 PAngV entsprechenden Preisauszeichnung verurteilt würde und sie überdies in allen künftigen Fällen vorschriftsmäßiger Preisauszeichnung einem Ordnungsmittelverfahren ausgesetzt wäre.
Das Gericht erkennt auch die Gefahr, dass seine Rechtsauffassung zu unterschiedlichen Preisangaben bei Pfandartikeln führe. Diese Folge sei jedoch hinzunehmen.
Der an sich vorrangige § 1 Abs. 4 PAngV kann ihnen nicht entgegengehalten werden, weil er wegen Richtlinienwidrigkeit nicht zu ihren Lasten angewandt werden darf (so im o. g. Fall des KG Berlin). Unternehmen, die das Pfand gesondert ausweisen, können sich hingegen auf § 1 Abs. 4 PAngV stützen, weil die Vorschrift trotz Richtlinienwidrigkeit geltendes Recht bleibt. Diese unbefriedigende Situation ist jedoch hinzunehmen. Sie ist unvermeidbare Folge dessen, dass bislang nicht geklärt ist, ob der Verkaufspreis im Sinne des Art. 2 a PAng-RL das Pfand mit umfasst und - falls ja - es an einer europarechtskonformen nationalen Regelung zur Preisauszeichnung von „Pfandwaren“ fehlt.
Die Revision wurde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
Die Frage, ob ein Pfand entgegen § 1 Abs. 4 PAngV in den Gesamtpreis einzubeziehen ist oder gerade kein Bestandteil des Gesamtpreises darstellt, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Unstreitig ist jedenfalls, dass die Vorschrift keine Grundlage im Unionsrecht findet.
Zuletzt entschied das OLG Köln ebenfalls, dass ein Pfand nicht in den Gesamtpreis einbezogen werden muss, begründete seine Entscheidung allerdings damit, dass es das geltende Recht gebunden und nicht befugt sei, eine bestehende Vorschrift zu ignorieren. Das OLG Schleswig hält die Vorschrift des § 1 Abs. 4 PAngV hingegen für unanwendbar. Trotzdem sei die Vorschrift geltendes Recht und für den Einzelnen bindend. Ein rechtlich gebotenes Verhalten könne aber nicht die Grundlage für eine Verurteilung sein, in der unter Androhung von Ordnungsmitteln aufgegeben werde, dieses Verhalten zu unterlassen.
Das OLG Dresden (Urt. v. 17.9.2019 – 14 U 807/19), LG Leipzig (Urt. v. 29.3.2019 – 1 HK O 325/19) und LG Bonn (Urt. v. 3.7.2019 – 12 O 85/18) haben ebenfalls entschieden, dass ein Pfand kein Bestandteil des Gesamtpreises sei. Andere Gerichte haben die Frage zur Darstellung des Pfandbetrags jedoch auch anders entschieden (LG Essen; LG Berlin, Urt. v. 10.9.2019 – 91 O 127/18; LG Frankfurt a.M., Urt. v. 22.11.2019 – 3-10 O 50/19).
Bis zu einer endgültigen Klärung wird leider weiterhin Rechtsunsicherheit herrschen.
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