Die Abmahnung war ursprünglich dazu gedacht, für fairen Wettbewerb zu sorgen. Leider wird sie jedoch immer wieder von Händlern und ihren Anwälten dafür missbraucht, Gebühren geltend machen zu können. Das LG Frankfurt a.M. (Urt. v. 13.2.2018 – 3-06 O 118/17) entschied, dass die Grenze zum Rechtsmissbrauch überschritten sei, wenn ein Anwalt sich Blankovollmachten ausstellen lässt und seine Mandanten von jedem Kostenrisiko freistellt.
Der Abgemahnte vertreibt über eBay Software bzw. gebrauchte Softwarelizenzen. Am 8.11.2017 wurde er durch den Anwalt des Klägers u.a. wegen fehlender Hinweise auf die OS-Plattform und einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung abgemahnt. Am 9.11.2017 wurde er von einer weiteren Partei B wegen der gleichen Verstöße abgemahnt, die durch den gleichen Anwalt wie der Kläger vertreten wurde. In der Abmahnung fand sich allerdings fälschlicherweise im Betreff und in der Vollmacht noch eine weitere Partei C. Die geforderte Unterlassungserklärung wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Abmahnung rechtsmissbräuchlich sei, woraufhin der Kläger eine einstweilige Verfügung erwirkte.
Der Beklagte beantragte, diese einstweilige Verfügung aufzuheben, da der Kläger rechtsmissbräuchlich handle. Er habe kein Unterlassungsinteresse, sondern ausschließlich sein Anwalt ein Gebühreninteresse. Zudem wurde dessen Vollmacht bestritten. Der Kläger hingegen behauptete, bei der mehrfachen Abmahnung habe es sich um ein Büroversehen gehandelt und die Sache sei nicht weiter verfolgt worden, um gerade keine Mehrfachabmahnung auszulösen. Der Kläger beantragte, die einstweilige Verfügung aufrechtzuerhalten.
Das LG Frankfurt a.M. hob die einstweilige Verfügung auf. Die Geltendmachung der Unterlassungsansprüche sei rechtsmissbräuchlich.
Zunächst stellte das Gericht klar, unter welchen Umständen ein Rechtsmissbrauch auszugehen sei. Ein Rechtsmissbrauch könne bei einer umfangreichen Verfolgungstätigkeit, die in einem objektiven Missverhältnis zum Umfang der eigenen Geschäftstätigkeit muss, angenommen werden. Dies allein reiche jedoch noch nicht aus.
Vielmehr setzt der im vorliegenden Fall erhobene Vorwurf, vorwiegend Aufwendungsersatzansprüche entstehen lassen zu wollen, den Vorwurf eines kollusiven Zusammenwirkens bei dem beauftragten Anwalt in der Weise voraus, dass der Anwalt zum Zwecke der Erzeugung eigener Gebührenansprüche seinen Mandanten vollständig oder zum größten Teil von den mit der Führung des Prozesse verbundenen Kostenrisiken freistellt, das heißt die Partei nur als „Strohmann“ ihres Anwalts fungiert […].
Ein solcher Fall sei hier anzunehmen.
Der Beklagte hatte behauptet, dass der Anwalt des Klägers auf reiner Erfolgsbasis arbeite – zahle der Gegner nicht, werde der Antragssteller freigestellt. Dieser Umstand wurde im Verfahren nicht bestritten.
Unstreitig handelt es sich bei dem Verfügungskläger um einen Händler mit geringer Vertriebstätigkeit und marginalen Umsätzen. Er wird – was im Termin nicht bestritten wurde – von den Kosten seitens seines Verfahrensbevollmächtigten freigestellt, wenn der Gegner nicht zahlt, das heißt, die Anwaltstätigkeit erfolgt auf Honorarbasis.
Der Beklagte hatte zudem die Vollmacht des Anwalts bestritten. Der Kläger und die anderen Abmahner seien nicht auf die Verstöße aufmerksam geworden. Vielmehr habe ihr Anwalt entweder eine abstrakte Blankovollmacht, für die Parteien in Eigenregie Verstöße zu verfolgen, oder die Parteien wüssten nichts davon.
Aus den Abmahnungen im streitgegenständlichen Verfahren sowie der Abmahnung Anlage F1 ergibt sich, dass es drei Unterlassungsgläubiger in Bezug auf die streitgegenständlichen Verstöße gab: der Verfügungskläger, die Firma […] sowie die Firma […]. Hinzu kommt, dass – wie sich aus den Abmahnschreiben vom 08.11.2017 und 09.11.2017 gegenüber dem Verfügungsbeklagten ergibt – es Sache des Verfahrensbevollmächtigten war, zu koordinieren, für welchen Mandanten die festgestellten Verstöße geltend gemacht werden sollten […]. Hierfür spricht, dass die Abmahnung vom 09.11.2017, die im Namen der Firma […], nicht weiter verfolgt wurde. Dabei blieb unbestritten, dass eine abstrakte Blankvollmacht vorgelegen habe, für die drei Parteien in Eigenregie Verstöße zu verfolgen.
In dem sich anschließenden Verfahren (LG Düsseldorf, Urt. v. 20.12.2019 – 34 O 6/19) wurden die abmahnenden Parteien und deren Anwalt erfolgreich auf Ersatz der entstandenen Kosten in Anspruch genommen. In diesem Verfahren bestätigte sich erneut der Vorwurf der rechtsmissbräuchlichen Abmahnung.
Denn der Beklagte zu 1) [im oben genannten Fall der Kläger] hatte dem Beklagten zu 3) [abmahnender Anwalt] ohne ein eigenes Unterlassungsinteresse telefonisch eine Blanko-Vollmacht zur Abmahnung in seinem Namen erteilt. Wie der Beklagte zu 1) in der mündlichen Verhandlung am 25.9.2019 selbst ausgeführt hat, hatte er dem Beklagten zu 3) telefonisch erklärt, dass der Beklagte zu 3) in seinem Namen Abmahnungen verschicken dürfe. Im Gegenzug hatte der Beklagte zu 3) ihn, dem Beklagten zu 1), die Kosten der gegen ihn gerichteten Abmahnung erlassen.
Die Urteile wurden uns von Rechtsanwalt Jörg Faustmann der Kanzlei FAUSTMANN.RECHT mitgeteilt. Er hatte den Beklagten vertreten.
Der Vorwurf „Rechtsmissbrauch“ wird bei vielen Abmahnungen schnell erhoben, in den wenigsten Fällen erkennen die Gerichte diesen Einwand allerdings an. Dieser Fall zeigt jedoch, dass es Fälle des Rechtsmissbrauchs durchaus gibt. Vorliegend ging es nicht um die Sache, sondern nur ums Geld. Damit wurden sachfremde und keine schutzwürdigen Interessen verfolgt.
Der Fall zeigt zugleich, dass sich Widerstand auszahlt. Nach einer Abmahnung ist dringend anwaltliche Beratung zu empfehlen – und zwar durch einen Anwalt, der auf Abmahnungen im E-Commerce spezialisiert ist.
MIND AND I/Shutterstock.com