EuGH muss entscheiden: Ist Inbox-Werbung in E-Mail-Postfächern zulässig?

An zulässige
Werbung werden hohe Anforderungen gestellt. Nun hat der BGH (Beschl. v.
30.1.2020 – I ZR 25/19) die Frage, ob es sich bei Inbox-Werbung in kostenlosen
E-Mail-Postfächern um Werbung handelt, dem EuGH vorgelegt.

Der Beklagte beauftragte eine Werbeagentur mit der Schaltung von Werbeeinblendungen in E-Mail-Postfächern von Nutzern eines kostenlosen E-Mail-Dienstes. Die Werbeanzeige erschien im E-Mail-Postfach eingereiht in den neu eingegangenen E-Mails und konnte durch Anklicken des „x“ weggeklickt werden; durch Klicken auf das Anzeigefeld und den in der Anzeige hinterlegten Hyperlink konnte die detaillierte Werbung des Beklagten auf der Zielseite aufgerufen werden. Der Kläger ist ein Mitbewerber des Beklagten und fordert von diesem Unterlassung. Die Werbung sei wettbewerbswidrig und stelle eine Irreführung und unzumutbare Belästigung der Nutzer dar, da es sich bei den Werbeeinblendungen um Versendung elektronischer Post i.S.v. § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG handle. Diese sei nur rechtmäßig, wenn vorher die Einwilligung des Empfängers eingeholt wurde.

Das OLG Nürnberg (Urt. v. 15.1.2019 – 3 U 724/18) kam in der Vorinstanz zu dem Ergebnis, dass die Werbung nicht rechtswidrig sei. Hiergegen legte der Kläger Revision ein. Der BGH stellte nun fest, dass es unklar sei, ob die in Rede stehende Inbox-Werbung die Voraussetzungen einer elektronischen Post i.S.d. Richtlinie erfüllt und legte die entsprechenden Fragen dem EuGH vor.

Was ist elektronische Post?

Dreh- und
Angelpunkt ist der Begriff der „elektronischen Post“. In Art. 2 S. 2 lit. h
EU-Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (RL 2002/58/EG), der §
7 Abs. 2 Nr. 3 UWG zugrunde liegt, wird elektronische Post definiert als

jede über ein öffentliches Kommunikationsnetz verschickte Text-, Sprach-, Ton- oder Bildnachricht, die im Netz oder im Endgerät des Empfängers gespeichert werden kann, bis sie von diesem abgerufen wird.

Die
Auslegung dieses Begriffs ist entscheidend für die Annahme einer unzumutbaren
Belästigung nach § 7 UWG, der Art. 13 der EU-Datenschutzrichtlinie umsetzt.

Die in Frage
stehende Werbung war nach Ansicht der Vorinstanz nicht als elektronische Post
zu qualifizieren. Es handle sich vielmehr um eine besondere Form eines
Werbebanners und nicht um eine elektronische Nachricht. Die Werbung sei damit
nicht gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. a UWG unzulässig.

Wurde die
Nachricht verschickt?

Der BGH
stellte fest, dass es sich zwar um eine „Nachricht“ in diesem Sinne handle,
jedoch sei fraglich, ob diese auch „verschickt“ wurde. Das Berufungsgericht
orientierte sich hierbei an den Merkmalen einer E-Mail und verneinte dieses
Merkmal. Die Inbox-Werbung sei nicht von einem Nutzer an die elektronische
Anschrift des zweiten Nutzers übersandt worden.

Der BGH
hingegen plädiert für eine weite Auslegung des Begriffs „verschicken“. Die
Nutzer sollen vor einer Verletzung ihrer Privatsphäre durch unerbetene
Nachrichten für Zwecke der Direktwerbung geschützt werden.

Es ist nicht ersichtlich, dass der Richtliniengeber angesichts der absehbar rasch fortschreitenden technischen Entwicklung den Begriff der elektronischen Post statisch auf die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie bekannten "klassischen" Formen der E-Mail, der SMS oder der MMS festschreiben wollte. Näherliegend ist, dass er im Interesse des Schutzes der Privatsphäre der Nutzer einen dynamischen und technikneutralen Begriff gewählt hat […], der es beispielsweise ermöglicht, auch die erst in jüngerer Zeit relevant gewordenen elektronischen Mitteilungen im Rahmen von sozialen Netzwerken zu erfassen […]. Da die Privatsphäre der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel nicht nur durch im Wege der klassischen Formen der elektronischen Individualkommunikation wie E-Mail, SMS oder MMS übersandten unerbetenen Nachrichten beeinträchtigt werden kann, sondern ebenso durch neue Formen der elektronischen Massenkommunikation, erscheint es sachgerecht, den Begriff des Verschickens nicht orientiert an den herkömmlichen Formen elektronischer Kommunikation im Sinne eines Versendens von einem bestimmten Nutzer an einen anderen im vorhinein bestimmten Nutzer, sondern funktional im Sinne eines Verbreitens auszulegen […].

Die erste
Vorlagefrage lautet daher:

1. Ist der Begriff des Verschickens im Sinne von Art. 2 Satz 2 Buchst. h der Richtlinie 2002/58/EG erfüllt, wenn eine Nachricht nicht von einem Nutzer eines elektronischen Kommunikationsdienstes an einen anderen Nutzer durch ein Dienstleistungsunternehmen an die elektronische "Anschrift" des zweiten Nutzers übersandt wird, sondern infolge des Öffnens der passwortgeschützten Internetseite eines E-Mail-Kontos automatisiert von Adservern auf bestimmten dafür vorgesehene Flächen in der E-Mail-Inbox eines nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Nutzers angezeigt wird (Inbox-Werbung)?

Reicht ein
Erscheinen für ein Abrufen aus?

Zudem
stellte der BGH fest, dass die Frage, welche Anforderungen an die Voraussetzung
zu stellen ist, dass die Nachricht im Netz oder im Endgerät des Empfängers
gespeichert werden kann, bis sie von diesem abgerufen wird, nicht zweifelsfrei
zu beantworten sei. Auch hier orientierte sich das Berufungsgericht am Fall
einer E-Mail und nahm an, dass kein Abrufen in diesem Sinne vorliege. In diesem
Punkt könne Inbox-Werbung jedoch durchaus mit E-Mail-Werbung verglichen werden,
so der BGH.

Mit Blick auf diesen Zweck erscheint es kaum überzeugend, zwischen einer zweifelsfrei unter den Begriff der elektronischen Post fallenden - gegebenenfalls massenhaft versendeten - E-Mail mit werblichem Inhalt und der streitgegenständlichen werblichen Nachricht zu unterscheiden. Beide Nachrichten erscheinen in der Inbox und damit in dem Bereich der vom Nutzer zum Zwecke der Kenntnisnahme seiner E-Mails geöffneten Internetseite, in der bestimmungsgemäß E-Mails angezeigt werden. [...] Maßgeblich dürfte vielmehr wiederum weniger eine technische, sondern eine funktional am Schutzzweck orientierte Auslegung sein, die einer den Nutzer belastenden Wirkung einer Werbeform Rechnung trägt. Diese könnte sich daraus ergeben, dass die angegriffene Werbung in der Inbox des E-Mail-Accounts und damit in einen Bereich übermittelt und angezeigt wird, in dem der Nutzer nur die individuell an ihn gerichteten E-Mail-Nachrichten erwartet.

Die zweite
Vorlagefrage des BGH lautet daher:

2. Setzt ein Abrufen einer Nachricht im Sinne von Art. 2 Satz 2 Buchst. h der Richtlinie 2002/58/EG voraus, dass der Empfänger nach Kenntniserlangung vom Vorliegen einer Nachricht durch ein willensgetragenes Abrufverlangen eine programmtechnisch vorgegebene Übermittlung der Nachrichtendaten auslöst oder genügt es, wenn das Erscheinen einer Nachricht in der Inbox eines E-Mail-Kontos dadurch ausgelöst wird, dass der Nutzer die passwortgeschützte Internetseite seines E-Mail-Kontos öffnet?

Kein konkret
feststehender Empfänger

Zudem sei
fraglich, ob eine elektronische Post auch dann vorliege, wenn eine Nachricht
nicht an einen bereits vor der Übermittlung konkret feststehenden individuellen
Empfänger erfolgt, sondern deren Einblendung wie vorliegend nach dem
Zufallsprinzip vorgenommen wird. Hierzu dient die dritte Vorlagefrage:

3. Liegt eine elektronische Post im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG auch dann vor, wenn eine Nachricht nicht an einen bereits vor der Übermittlung konkret feststehenden individuellen Empfänger verschickt wird, sondern in der Inbox eines nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Nutzers eingeblendet wird?

Belastung
oder nur Belästigung?

Das
Berufungsgericht hatte angenommen, dass der Nutzer durch das Einblenden der
Werbung im Posteingang belästigt werde, eine darüber hinausgehende Belastung
oder ein Kostenaufwand liege hingegen nicht vor. Diese Auslegung sei für den
BGH ebenfalls nicht zwingend. Daher lautet seine vierte Vorlagefrage:

Liegt die Verwendung einer elektronischen Post für die Zwecke der Direktwerbung im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG nur dann vor, wenn eine Belastung des Nutzers festgestellt wird, die über eine Belästigung hinausgeht?

Hartnäckiges
Ansprechen?

Gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG ist eine unzumutbare Belästigung im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 UWG stets anzunehmen bei einer Werbung unter Verwendung eines in den Nummern 2 und 3 dieser Bestimmung nicht aufgeführten, für den Fernabsatz geeigneten Mittels der kommerziellen Kommunikation, durch die ein Verbraucher hartnäckig angesprochen wird, obwohl er dies erkennbar nicht wünscht. Es sei nicht hinreichend geklärt, welche Anforderungen an dieses „Ansprechen“ zu stellen sind. So könne es neben einem Kontakt zwischen Absender und Empfänger per Telefon, Fax oder E-Mail auch ausreichen, wenn der Kontakt dadurch hergestellt wird, dass die Werbung in der Inbox eines privaten E-Mail-Kontos und damit in einem Bereich angezeigt wird, an dem der Kunde individuell an ihn gerichtete Nachrichten erwartet. Daher lautet die fünfte Vorlagefrage des BGH:

Liegt eine die Voraussetzungen eines "Ansprechens" erfüllende Individualwerbung im Sinne von Nr. 26 Satz 1 des Anhangs I der Richtlinie 2005/29/EG nur dann vor, wenn ein Kunde mittels eines herkömmlich zur Individualkommunikation zwischen einem Absender und einem Empfänger dienenden Mediums kontaktiert wird, oder reicht es aus, wenn - wie bei der im Streitfall in Rede stehenden Werbung - ein Individualbezug dadurch hergestellt wird, dass die Werbung in der Inbox eines privaten E-Mail-Kontos und damit in einem Bereich angezeigt wird, in dem der Kunde individuell an ihn gerichtete Nachrichten erwartet?

Fazit

Es wird nun also zunächst auf europäischer Ebene geklärt, ob es sich bei Inbox-Werbung um elektronische Post i.S.d. Richtlinie handelt und ob durch diese Art der Werbung der Nutzer direkt angesprochen wird, sodass eine unlautere Geschäftspraktik vorliegen könnte. Nach Klärung dieser Fragen wird der BGH über den Fall entscheiden. Damit ist das Schicksal der Inbox-Werbung weiterhin unklar. Auch wenn das OLG Nürnberg nachvollziehbare Gründe für die Zulässigkeit dieser Art von Werbung vorgebracht hat, scheint der BGH dazu zu tendieren, Inbox-Werbung ohne vorherige Einwilligung als rechtswidrig einzustufen. Letztendlich hängt die Entscheidung von der Auslegung des EuGH ab.

Marian
Weyo/Shutterstock.com

20.03.20