Nach wie vor
ist umstritten,
ob Verstöße gegen die DSGVO abgemahnt werden können. Nachdem das LG
Stuttgart diese Frage verneint hat, kam die Berufung vor dem OLG Stuttgart
(Urt. v. 27.2.2020 – 2 U 257/19) nun zu einem anderen Ergebnis. Hintergrund ist
die Frage, inwiefern die DSGVO die Durchsetzung dieser Rechte abschließend
regelt und ob es sich bei den Vorschriften der DSGVO um Marktverhaltensregeln
handelt.
Im entschiedenen Fall vertrieb ein Händler Kraftfahrzeugteile über eBay, ohne die Nutzer jedoch über Art, Umfang und Zweck der Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten zu informieren. Hierfür wurde er von einem Wettbewerbsverband abgemahnt. Das LG Stuttgart hatte die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil ging der Verband in Berufung.
Der Kläger stützte seinen Hauptantrag auf § 13 TMG. Hierzu stellte das OLG Stuttgart fest, das Landgericht habe zu Recht entschieden, dass diese nationale Regelung seit der ab dem 25.5.2018 geltenden DSGVO keinen Anwendungsbereich mehr hat. Daher konnte der Beklagte am 16.7.2018 nicht mehr gegen diese Vorschrift verstoßen.
Diese gesetzliche Regelung wird verdrängt durch die Bestimmungen der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten (Datenschutz-Grundverordnung, DSGVO). […] Demnach genießen zwar nationale Bestimmungen weiterhin Vorrang, mit denen die Richtlinie 2002/58/EG umgesetzt wurden. Die hier fragliche Regelung in § 13 Absatz 1 TMG setzt allerdings nicht die Richtlinie 2002/58/EG um, sondern Artikel 10 der Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG […]. Nachdem die Datenschutz-Richtlinie gemäß Artikel 94 Absatz 1 DSGVO zum 25. Mai 2018 aufgehoben wurde, genießt die Datenschutz-Grundverordnung nunmehr Anwendungsvorrang […].
Der Hilfsantrag des Klägers war jedoch auf Art. 13 DSGVO gestützt und erfolgreich. Das Gericht ging zunächst auf die Frage ein, ob Wettbewerbsverbände nach der DSGVO klagebefugt sind. Das OLG Stuttgart entschied, dass die DSGVO die Rechtsbehelfe nicht abschließend regle und die Bestimmungen des UWG anwendbar bleiben, wenn es sich um einen Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung handelt. Wenn eine Verordnung nicht ausdrücklich den Erlass weitergehender nationaler Vorschriften vorsehe, können Mitgliedstaaten nationale Normen auch dann anwenden, wenn diese die unmittelbare Anwendbarkeit der Verordnung nicht vereiteln und die Ausübung des durch die betreffende Verordnung verliehenen Ermessens innerhalb der Grenzen dieser Vorschriften konkretisieren.
Dabei ist unter Bezugnahme auf die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung zu prüfen, ob diese Bestimmungen, ausgelegt im Licht ihrer Ziele, es den Mitgliedstaaten verbieten, gebieten oder gestatten, bestimmte nationale Normen anzuwenden, und insbesondere im letztgenannten Fall, ob sie sich in den Rahmen des den einzelnen Mitgliedstaaten eingeräumten Wertungsspielraums einfügen […]. Bei der Auslegung der Verordnung zur Frage, ob sie den Mitgliedsstaaten die Anwendung bestimmter nationaler Normen zur Rechtsdurchsetzung gestattet, ist von dem maßgeblichen Interesse eines jeden Normgebers auszugehen, dass die von ihm erlassenen Bestimmungen von allen Adressaten befolgt werden.
Bei der näheren Ausgestaltung der Durchsetzung der DSGVO seien die Mitgliedstaaten frei.
Dabei gibt die Verordnung lediglich vor, dass dem einzelnen ein Zugang zum Rechtsschutz gewährt werden muss durch ein Klagerecht bzw. ein Recht auf Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde. Daraus folgt, dass die nähere Ausgestaltung der Rechtsdurchsetzung in die Verantwortung der Mitgliedstaaten fällt.
Das OLG Stuttgart
stellte fest, dass es den Mitgliedstaaten aufgrund der DSGVO nicht verwehrt
sei, Wettbewerbsverbänden eine Klagebefugnis einzuräumen.
Die Rechtsdurchsetzung auf dem zivilen Rechtsweg wird durch die Verordnung in keiner Weise eingeschränkt. Zwar kommt den Aufsichtsbehörden eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung der Datenschutz-Grundverordnung zu. Die Verordnung beschneidet aber auch nicht die Rechtsdurchsetzung privater Rechte auf dem Zivilrechtsweg. Vielmehr stehen Maßnahmen der Aufsichtsbehörde, die u.a. Sanktionen verhängen kann, und die privatrechtliche Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen unabhängig nebeneinander und sind gleichrangig. […] Eine Einschränkung bestehender Befugnisse zur Rechtsdurchsetzung war nicht bezweckt. Vielmehr sollte durch die Datenschutz-Grundverordnung ersichtlich nur ein Mindeststandard für den Rechtsschutz der betroffenen Person und desjenigen, dem durch Verstöße gegen die Verordnung ein Schaden entstanden ist, geregelt werden.
Insbesondere enthalte Art. 80 DSGVO keine abschließende Regelung für die privatrechtliche Durchsetzung. Weder den Erwägungsgründen der DSGVO noch den Gesetzesmaterialien zur Entstehung der Verordnung könne entnommen werden, dass die DSGVO die Rechtsdurchsetzung und die Sanktionen abschließend regelt.
Aus dem Umstand, dass die Delegationen in dem Willensbildungsprozess als kleinsten gemeinsamen Nenner eine Regelung gefunden haben, die nur das ausdrückt, was allgemein anerkannt ist - nämlich, dass die Mitgliedstaaten Datenschutzverbänden eine Klagebefugnis einräumen können - kann jedoch nicht geschlossen werden, dass andere allgemein anerkannte Befugnisse der Mitgliedstaaten - die Einräumung noch weitergehender Klagebefugnisse - eingeschränkt werden sollten. Die Ratsdokumente enthalten keinen Hinweis darauf, dass eine derartige Regelung getroffen werden sollte.
Vielmehr diene
eine entsprechende Klagebefugnis der Wettbewerbsverbände der effektiven
Durchsetzung der DSGVO, die im Interesse des Verordnungsgebers liege.
Die jeweilige
Norm der DSGVO müsse konkret darauf überprüft werden müsse, ob es sich um eine
Marktverhaltensregelung handelt. Der Beklagte habe gegen Art. 13 DSGVO verstoßen,
da er die entsprechenden Informationen nicht vorgehalten hatte. Diese Vorschrift
weise den notwendigen Wettbewerbsbezug auf und diene auch dem Schutz der
wettbewerblichen Interessen der Marktteilnehmer.
Nach diesen Maßstäben, denen zufolge nicht nur die Interessen der Mitbewerber, sondern aller Marktteilnehmer einzubeziehen sind, liegt hinsichtlich aller Informationspflichten ein Marktbezug vor. Die Kenntnis des Namens und der Kontaktdaten des Verantwortlichen (Artikel 13 Absatz 1 lit. a DSGVO) hat eine verbraucherschützende Funktion und weist den erforderlichen wettbewerblichen Bezug auf. Sie erleichtert die Kommunikation mit dem Unternehmen […]. In diesem Sinne auch als verbraucherschützend mit Marktbezug zu werten sind die Information über die in Artikel 13 Absatz 2 lit. b DSGVO angesprochenen Rechte gegen den Verantwortlichen sowie der Hinweis auf das Beschwerderecht gegenüber der Aufsichtsbehörde (Artikel 13 Absatz 2 lit. d DSGVO). Einen nicht nur persönlichkeitsschützenden Charakter, sondern auch wettbewerblichen Bezug hat ferner die Information über die Zwecke, für die die personenbezogenen Daten verarbeitet werden sollen, sowie die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung (Artikel 13 Absatz 1 lit. c DSGVO) und darüber, ob die Bereitstellung der Daten gesetzlich oder vertraglich vorgeschrieben oder für einen Vertragsabschluss erforderlich ist, ob die betroffene Person verpflichtet ist, die personenbezogenen Daten bereitzustellen, und welche möglichen Folgen die Nichtbereitstellung hätte (Artikel 13 Absatz 2 lit. e DSGVO). Einen Marktbezug hat schließlich auch die Pflicht zur Erteilung der Information über die Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden oder, falls dies nicht möglich ist, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer (Artikel 13 Absatz 2 lit. a DSGVO).
Dieser Verstoß sei auch spürbar gewesen. Damit war die Klage begründet und dem Wettbewerbsverband stand der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Fragen, ob Wirtschaftsverbänden eine Klagebefugnis zusteht und ob es sich bei Art. 13 DSGVO um eine Marktverhaltensregel handelt, ließ das OLG Stuttgart ausdrücklich die Revision zum BGH zu.
Die Frage, ob Mitbewerber Datenschutzverstöße abmahnen können, ist von den Gerichten bislang unterschiedlich entschieden worden. Nachdem jedoch das OLG Hamburg entschieden hat, dass im Einzelfall geprüft werden müsse, ob die DSGVO-Norm, gegen die verstoßen wird, als sog. Marktverhaltensregel einzustufen ist, scheint sich diese Auffassung durchzusetzen. Bereits das OLG Naumburg schloss sich dieser Sichtweise ausdrücklich an. Auch das OLG Stuttgart entschied nun, dass es auf die jeweilige Vorschrift ankomme. Ist dies der Fall, steht einer Abmahnung nichts im Weg. Zumindest bis ein anderes OLG anders entscheidet, werden diese Urteile der Maßstab für die nächste Zeit sein.
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