Heute fand die Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Bundestages zum Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs statt, das missbräuchliche Abmahnungen bekämpfen soll. Wir waren live vor Ort und berichten, wie die Anhörung lief und wie es nun weitergeht.
Seit mehreren Jahren versuchen wir, nicht nur auf das Problem des Abmahnmissbrauchs hinzuweisen, sondern auch politisch dagegen vorzugehen. Nachdem wir an einem Verbändepapier und einem parlamentarischen Abend zum Thema mitgewirkt und vor allem zahlreichen Abmahnumfragen durchgeführt haben, legte die Bundesregierung im Juli endlich einen Gesetzentwurf zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vor.
Vor einem alternativen Entwurf der AfD-Fraktion und zwei Anträgen von FDP und Grünen, über die heute auch im Rechtsausschuss beraten wurde, gab es bereits eine erste Lesung im Bundestag und Anfragen zum Gesetzentwurf.
Heute fand nun die zugehörige Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages statt. Nicht nur wir waren etwas verwundert, dass fast ausschließlich Anwälte als Sachverständige geladen wurden, die naturgemäß einem Gesetz, das ihnen das Leben schwerer macht, kritisch gegenüberstehen. So nahmen nicht nur wir diesmal auf der Zuschauertribüne statt auf der Sachverständigenbank platz, sondern u.a. auch Vera Dietrich, die im April letzten Jahres als betroffene Händlerin eine Bundestagspetition zu Thema mit großem Erfolg gestartet hatte.
Im Verlauf der Debatte wunderte sich dann auch eine anwesende Parlaments-Abgeordnete, warum nur "Profis" als Sachverständige geladen wurden und keine betroffenen Kaufleute. Dementsprechend verlief auch die Anhörung.
Bereits im Vorfeld wurde das Gesetz in der Anwaltschaft stark kritisiert. Insbesondere die Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz behauptete, es gebe das Problem überhaupt nicht. Wir wurden sogar persönlich angegriffen, weil unsere seit acht Jahren durchgeführte Abmahnumfrage, die in zahlreichen Stellungnahmen zitiert wurde, nicht wissenschaftlich sei.
Dies hatten wir auch nie behauptet, meinen gleichwohl, dass eine an ca. 60.000 Online-Händler gerichtete Umfrage, an der über 3.000 Händler teilnehmen, durchaus einen guten Eindruck zum Zustand des Abmahnunwesens liefern kann. Wir werden daher nicht müde, die Umfrage weiterhin durchzuführen, und zwar erneut mit großer Beteiligung.
Am Anfang der Anhörung hatten die Sachverständigen Gelegenheit, ein vierminütiges Statement abzugeben, die meisten hielten diese Zeit auch ein. Hier auszugsweise die Eröffnungsaussagen der Experten:
Die Sachverständige Rechtsanwältin Nina Diercks betonte, es gebe keine DSGVO-Abmahnwelle. Daher sei es nicht nötig, einen besonderen Schutz gegen solche Abmahnungen einzuführen.
Dr. Martin Fries vom Max-Pack-Institut betonte, es sei richtiger, materielle Infrmationspfichten zu reduzieren statt die Rechtsverfolgung durch Abmahnungen einzuschränken.
Rechtsanwalt Dr. Martin Jaschinkski vertrat die Ansicht, Wettbewerbsrecht sei Verbraucherschutzrecht und habe sich bewährt. Eine Einschränkung gefährde den Verbraucherschutz.
Prof. Dr. Köhler sahe keine Notwendigkeit, DSGVO-Abmahnungen auszuschließen, da diese ohnehin nicht denkbar seien. Er schlug ein zentrals Melderegister für Abmahnungen vor.
Für Dr. Ottmar Lell vom vzbv sind die vorgeschlagegen Neuregelungen zur Klagebefugnis insgesamt ausgewogen. Das Gesetz sei richtig, da das grundsätzlich bewährte Abmahnwesen durch wenige Akteure in Verruf geraten sei.
Dr. Peter J. Schröder vom HDE meinte, der Gesetzentwurf sei ein großer Schritt nach vorn, der endlich Eindämmung des Abmahnunwesens bringe. Die Maßnahmen seien geeignet, insbesondere die Einschränkung des fliegenden Gerichtsstandes. Es handele sich um einen überfälligen Durchbruch nach zehnjähriger Debatte. Dr. Schröder war der einzige Sachverständige, der sich energisch für ein Gesetz gegen Abmahnmissbrauch einsetzte.
Rechtsanwalt Steinhöfel, der von der AfD benannt wurde und als schillernde Persönlichkeit als MediaMarkt Anwalt und Werbefigur bekannt ist, vertrat die Ansicht, der Entwurf verfehle das gesetzgeberische Ziel. Es gebe keine seriöse Datengrundlage, der Entwurf beruhe auf Mutmaßungen und Spekulationen. Vielmehr gebe es offenbar ein Vollzugsdefizit im Onlinehandel, weil Vorschriften massenhaft nicht eingehalten werden. Der Verbraucherschutz sei durch das Gesetz gefährdet.
Auch nach Ansicht der Sachverständigen Selonke (VSW) und RA Dr. Timmann sei ein Gesetz nicht nötig und erschwere die Rechtsdurchsetzung über Gebühr.
Im Anschluss stellten die Abgeordneten den Sachverständigen ihre Fragen. Dabei ging es bemerkenswert oft um den fliegenden Gerichtsstand und DSGVO-Verstöße. Aus meiner Sicht eher politische Themen als solche mit praktischer Relevanz bei der Bekämpfung des Abmahnunwesens.
Der fliegende Gerichtsstand sollte m.E. nicht angetastet werden, weil diese Maßnahme nur ein Tropfen auf den heißen Stein im Kampf gegen Missbrauch ist, jedeoch dazu führen würde, dass sich unkundige Gerichte häufiger mit Wettbewerbsrecht befassen müssten, was zu längeren und teureren Prozessen führen würde.
Eine DSGVO-Abmahnwelle gibt es nicht, daher muss dazu nichts geregelt werden. Das Thema scheint aber insbesondere zwischen SPD und CSU zum Politikum geworden zu sein.
Vielleicht sollte man diese Themen aus dem Gesetzentwurf ausklammern, um zu einem Konsens zu finden. Ob dieser hinsichtlich der übrigen Punkte vorhanden ist, war jedoch unklar, da die Themen Gerichtsstand und DSGV zu viel Raum einnahmen.
Zu Detailfragen kam auch durchaus berechtigte Kritik. So wies der VSW darauf hin, dass die Verfolgung verbraucherrelevanter Verstöße wie irreführender Aussagen zu Heilmitteln in Fernsehwerbespots sehr viel schwerer würde. Auch würden seriösen Verbänden zahlreiche bürokratische Pflichten auferlegt.
Dr. Schröder vom HDE setzte "große Hoffnung" in die Regelung, dass Abmahnvereine sich überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen und nicht Abmahngebühren und Vertragsstrafen finanzieren sollten, wies aber zugleich darauf hin, dass der fragwürdige IDO Verband möglicherweise auf die Liste der legitimierten Verbände eingetragen würde. Dieser Verband hatte laut der Trusted Shops Umfrage von 2018 mehr als die Hälfte aller Abmahnungen ausgesprochen, und zwar auf durchaus fragwürdige Art und Weise.
Rechtsanwalt Steinhöfel schlug vor, zunächst repräsentative Zahlen zu Abmahnungen zu erheben, z.B. bei den spezialisierten Gerichten und sich dann in einem Jahr nochmal zu dem Gesetz zu treffen.
Der Bundestag wird wohl noch dieses Jahr über den Gesetzentwurf abstimmen. Bei dem kontroversen Meinungsstand ist jedoch unklar, mit welchem Inhalt genau. Nachbesserungen werden insbesondere beim fliegenden Gerichtsstand, dem DSGVO-Thema, aber auch den neuen Missbrauchs-Vermutungsregeln und der Kostenerstattungspflicht gefordert.
Möglicherweise wird auch gar kein Gesetz kommen, wenn sich die Politik nicht einigen kann. Oder aber Verbände wie der IDO können mit staatlicher Legitimation ihr Unwesen weiter treiben. Das wäre angesichts der wirtschaftlichen Schäden, die das Abmahnunwesen verursacht, sehr bedauerlich. Wir halten Sie informiert.