An sich ist die Abmahnung dazu gedacht, für einen fairen Wettbewerb zu sorgen. Leider wird sie jedoch immer wieder von Händlern und ihren Anwälten dafür missbraucht, Gebühren geltend machen zu können. Der BGH (Urt. v. 26.4.2018 – I ZR 248/16) entschied, dass eine missbräuchliche Rechtsverfolgung vorliege, wenn im Verhältnis zum Jahresgewinn des Abmahnenden ein existenzbedrohender Verfolgungsaufwand bestehe und für ihn daran kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse bestehe.
Die Beklagten betreiben Baumärkte und sind Gesellschafter der entsprechenden Zentrale. Die Beklagten vertreiben u.a. Briefkästen der Streithelferin. Die Klägerin im vorliegenden Verfahren hatte vor dem LG Hagen bereits eine einstweilige Verfügung gegen die Streithelferin erwirkt, denn die streitgegenständlichen Briefkästen trugen einen Hinweis „umweltfreundlich produziert“ und ein Siegel mit der Aufschrift „geprüfte Qualität“. Gegen diese einstweilige Verfügung hatte die Streithelferin Berufung eingelegt, die sie jedoch im Laufe des Verfahrens zurücknahm. Während das Verfahren jedoch noch lief, hat die Klägerin die Zentralgesellschaft der Beklagten wegen der wettbewerbswidrigen Kennzeichnung der Briefkästen abgemahnt. Alle 327 Franchisenehmer der Zentralgesellschaft sollten eine Unterlassungserklärung abgegeben. Diese Aufforderung wies sie zurück. Daraufhin mahnte die Klägerin unmittelbar 203 Baumärkte erfolglos ab. Neben der Abgabe einer Unterlassungserklärung forderte sie jeweils zur Erstattung der Abmahnkosten i.H.v. 984,60 € zuzüglich 20 € Auslagenpauschale auf.
Das LG München
II hatte die auf Unterlassung sowie Erstattung der Abmahnkosten gerichtete
Klage wegen Rechtsmissbrauchs als unzulässig abgewiesen. Die hiergegen
gerichtete Berufung der Klägerin hatte Erfolg und die Beklagte wurde antragsgemäß
verurteilt. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Revision ein.
Die Revision hatte
Erfolg und der BGH entschied, dass die Abmahnungen der Franchisenehmer
rechtsmissbräuchlich erfolgten.
Zunächst
stellte das Gericht klar, dass nach § 8 Abs. 4 UWG die Geltendmachung des
Unterlassungsanspruchs unzulässig sei, wenn sie unter Berücksichtigung der
gesamten Umstände missbräuchlich ist. Das sei der Fall, wenn sie vorwiegend
dazu diene, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz der Kosten
oder Aufwendungen entstehen zu lassen.
Von einem Missbrauch iSv § 8 IV 1 UWG ist auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind. Diese müssen allerdings nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein. Es reicht aus, dass die sachfremden Ziele überwiegen.
Die Annahme
eines solchen Rechtsmissbrauchs erfordere eine sorgfältige Prüfung und Abwägung
der maßgeblichen Umstände im jeweiligen Einzelfall. Hierbei kämen mehrere
Anhaltspunkte in Betracht.
Ein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Rechtsverfolgung kann sich daraus ergeben, dass die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht, der Anspruchsberechtigte die Belastung des Gegners mit möglichst hohen Prozesskosten bezweckt oder der Abmahnende systematisch überhöhte Abmahngebühren oder Vertragsstrafen verlangt. Weiteres Indiz für ein missbräuchliches Vorgehen ist es, wenn der Abmahnende an der Verfolgung des beanstandeten Wettbewerbsverstoßes kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse haben kann, sondern seine Rechtsverfolgung aus der Sicht eines wirtschaftlich denkenden Gewerbetreibenden allein dem sachfremden Interesse der Belastung seiner Mitbewerber mit möglichst hohen Kosten dient. Das ist etwa der Fall, wenn der Prozessbevollmächtigte des Kl. das Abmahngeschäft „in eigener Regie“ betreibt, allein um Gebühreneinnahmen durch die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen zu erzielen.
Dieser Prüfung
hielt die Beurteilung des OLG München nicht stand.
Ob sich diese
Rechtsverfolgung als missbräuchlich darstelle, sei aus Sicht eines
wirtschaftlich denkenden Unternehmers zu beurteilen, denn kein kaufmännisch
handelnder Unternehmer gehe Kostenrisiken für sein Unternehmen in
existenzbedrohender Höhe durch eine Vielzahl von Abmahnungen ein, wenn er an
der Unterbindung der begangenen Verstöße kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse
hätte.
Vorliegend
hatte die Klägerin 50 Internethändler, 203 Gesellschafter und weitere Baumärkte
abgemahnt. Durch das Vorgehen nicht nur gegen die Zentrale, sondern auch gegen
die einzelnen Gesellschafter seien der Klägerin Anwaltskosten in sechsstelliger
Höhe entstanden. Im Jahr 2013 hatte sie jedoch nur einen Gewinn von unter 6000
€ erzielt. Zudem wurde seit mehr als zehn Jahren vor der Abmahnaktion kein
Briefkasten der Klägerin mehr in den abgemahnten Baumärkten vertrieben. Damit
sei nicht erkennbar, dass die beanstandeten Wettbewerbsverstöße zulasten der
Umsätze der Klägerin gehen konnten.
Für die Finanzierung der Abmahnungen erhielt die Klägerin zudem eine Finanzierung des Alleingesellschafters, die jedoch vernünftigem kaufmännischen Verhalten widerspreche.
Bestand danach für die Abmahnaktion der Kl. gegen die H-Märkte kein vernünftiges wirtschaftliches Interesse, so ist unerheblich, ob – wie die Kl. geltend gemacht hat – ihr Alleingesellschafter und Geschäftsführer bereit und in der Lage war, sie hinsichtlich des Kostenrisikos aus den Abmahnungen und daraus folgenden Gerichtsverfahren durch Darlehen mit Rangrücktritt im sechs- bis siebenstelligen Bereich zu unterstützen. Eine solche Gesellschafterfinanzierung stünde in Widerspruch zu vernünftigem kaufmännischen Verhalten. Ein wirtschaftlich vernünftig denkender Kaufmann wird Gesellschafterdarlehen mit Rangrücktritt nur dann gewähren, wenn er sich davon einen Fortbestand der Gesellschaft und eine weitere gewinnbringende Geschäftstätigkeit verspricht. Die Finanzierung von Abmahnungen einer Geschäftspraktik, die sich auf den Absatz der Gesellschaft nicht oder jedenfalls nicht nennenswert auswirkt, ist dafür offensichtlich ungeeignet.
Zudem sei bei
der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits wegen der
Werbeaussagen eine einstweilige Verfügung gegen die Streithelferin erwirkt
habe.
Das BerGer. hat zutreffend angenommen, dass die Streithelferin aufgrund eines solchen Unterlassungstitels nicht nur verpflichtet gewesen sei, keine Ware mit der beanstandeten Werbung mehr auszuliefern, sondern auch darauf hinzuwirken, dass bereits – etwa an die Baumärkte der Bekl. – ausgelieferte Ware mit dieser Werbung nicht mehr im Handel angeboten wird. Unabhängig von ihren rechtlichen Möglichkeiten, einen solchen Rückruf durchzusetzen, war zu erwarten, dass die Händler einem solchen Rückruf Folge leisten würden, schon um eine eigene Inanspruchnahme zu verhindern.
Zwar stehe es
dem Kläger grundsätzlich frei, wegen der Eilbedürftigkeit für die Abbestellung
von Wettbewerbsverstößen neben oder statt des Herstellers auch die Händler der
beanstandeten Ware in Anspruch zu nehmen. Dies habe sich vorliegend jedoch
nicht als interessengerecht dargestellt.
War für die Klägerin mit einem vorübergehend weiteren Vertrieb der beanstandeten Briefkästen in den H. -Märkten aus den dargelegten Gründen kein oder jedenfalls kein nennenswerter Nachteil verbunden, so entsprach es kaufmännischer Vernunft, nicht durch Massenabmahnungen ein Kostenrisiko in sechsstelliger Höhe einzugehen, sondern den Ausgang des Verfügungsverfahrens abzuwarten. Der damit verbundene Zeitverlust bei der Rechtsdurchsetzung trat bei der gebotenen objektiven Beurteilung der Interessenlage der Klägerin unter den gegebenen besonderen Umständen deutlich hinter den existenzbedrohenden finanziellen Risiken infolge der Massenabmahnungen zurück.
Gründe, die die
Massenabmahnungen als nicht rechtsmissbräuchlich erscheinen ließen, waren für
den BGH nicht ersichtlich. In dem Schreiben an die Zentrale konnte das Gericht
nicht erkennen, dass die Klägerin versucht habe, die Abmahnung der einzelnen
Gesellschafter entbehrlich zu machen.
Fehlt, wie im Streitfall, jedes wirtschaftlich nennenswerte Interesse an der Rechtsverfolgung, so entfällt die Indizwirkung einer im Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit sehr umfangreichen Abmahntätigkeit für einen Rechtsmissbrauch nicht dadurch, dass der Abmahnende sich zuvor bemüht hat, die Wettbewerbsverstöße ohne ausufernde Abmahntätigkeit einfach und kostengünstig abzustellen. Führen diese Bemühungen aus Sicht des anspruchserhebenden Unternehmers unter solchen Umständen nicht zum Erfolg, so entfällt dadurch nicht die Indizwirkung unverhältnismäßiger Abmahntätigkeit. Bestand aus der Sicht der Kl., wie ausgeführt, keine Eilbedürftigkeit der Beseitigung der Rechtsverstöße in den H-Märkten, so bleibt es auch nach dem Scheitern der Bemühungen um eine einfache und kostengünstige Lösung dabei, dass für einen wirtschaftlich denkenden Unternehmer der Aufwand für die Massenabmahnungen im Hinblick auf die damit verbundenen, wirtschaftlich kaum tragbaren Risiken, denen keine nennenswerten Interessen an der Beseitigung des Rechtsverstoßes gegenüberstehen, unverhältnismäßig ist.
Bestünden
bereits ausreichende Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Rechtsverfolgung,
so komme es nicht mehr darauf an, ob noch weitere Anhaltspunkte dafür vorlägen.
Sowohl die
Abmahnungen als auch die mit der Klage verfolgten Unterlassungsansprüche
stellten sich damit als rechtsmissbräuchlich und unzulässig dar.
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