Bei Bestellungen im Internet oder über Telefon steht dem Verbraucher grundsätzlich ein 14-tägiges Widerrufsrecht zu. Dies gilt auch, wenn der Verbraucher zuvor im Ladengeschäft des Händlers eine Beratung genoss. Dies entschied das LG Berlin. Die Vorinstanz sah dies noch anders.
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Zunächst ging es vor dem AG Mitte (Urt. v. 24.1.2012, 14 C 464/10) um die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über eine Lederjacke nach erfolgtem Widerruf.
Der Kläger ist Verbraucher und besuchte im September 2009 das Ladengeschäft des beklagten Händlers. Dort ließ er sich wegen diverser Kleidungsstücke beraten. Ob die später vom Käufer gekaufte Lederjacke ebenfalls Gegenstand der Beratung war, ist zwischen den Parteien strittig geblieben.
Im Oktober 2009 bestellte der Kunde dann eine Lederjacke zum Preis von 6.150 Euro. Diese wurde am 21. Oktober geliefert. Anschließend kam es zur Rückabwicklung des Vertrages.
Am 11. Dezember 2009 bestellte der Kläger die Jacke erneut zu einem reduzierten Kaufpreis von 3.075 Euro. Die Jacke wurde am 14. Dezember geliefert, der Kläger schickte sie am 28. Dezember zurück. Die Beklagte verweigerte die Rückzahlung. Sie lieferte die Jacke erneut an den Kläger, der schickte sie aber wieder zurück.
Der Kläger behauptet, dass er auf die Jacke erst im Internet aufmerksam wurde. Er habe diese Jacke nicht bereits im September 2009 im Ladengeschäft anprobiert. Zwar sei er im Laden beraten worden, allerdings nicht zu dieser Jacke.
Im Oktober - also bei der ersten Bestellung der Jacke - habe er diese gar nicht ausgepackt, sondern sie in der Originalverpackung zurückgeschickt.
Er meint, es handle sich hier um einen Fernabsatzvertrag, sodass er zum Widerruf berechtigt war.
Der beklagte Händler behauptet dagegen, dass der Kläger die Jacke bereits beim Besuch im Ladengeschäft anprobiert habe. Bei der telefonischen Bestellung im Dezember sei der Kläger außerdem darauf hingewiesen worden, dass "reduzierte Ware vom Umtausch ausgeschlossen sei".
Das AG Mitte hat in erster Instanz die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe kein Widerrufsrecht zu, da die Regelungen über Fernabsatzverträge im vorliegenden Fall keine Anwendung fänden.
"Zwar ist der Kaufvertrag zwischen den Parteien unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems der Beklagten abgeschlossen worden, dennoch sind die Vorschriften über den Fernabsatzvertrag im konkreten Fall nicht anwendbar, da der Kläger die Kenntnis aller für den Abschluss des Vertrages erforderlichen Informationen nicht ausschließlich durch Fernkommunikationsmittel erlangt hat."
Sinn und Zweck der Vorschriften über Fernabsatzverträge sei es, den Verbraucher vor den Gefahren zu schützen, die sich aus der Unsichtbarkeit des Vertragspartners und des Produktes ergeben. Für die Beurteilung, ob ein Fernabsatzvertrag vorliegt, sei auch die Phase der Vertragsanbahnung mit einzubeziehen.
"Hat der Verbraucher sich während der Vorverhandlungen über alle für den Vertragsschluss wesentlichen Umstände informiert und kommt der Vertrag in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem persönlichen Kontakt zum Verkäufer zustande, ist die Anwendbarkeit der §§ 312b ff. BGB ausgeschlossen.
Das gilt auch, wenn der Verbraucher die notwendigen Informationen anlässlich eines persönlichen Kontaktes bei einem früheren gleichartigen Vertragsschluss erhalten hat."
In diesem Fall kam es dem Gericht im Wesentlichen nicht darauf an, dass der Kläger im September 2009 die Jacke bereits im Ladengeschäft anprobiert und sich über das Produkt informiert hatte. Vielmehr sei entscheidend gewesen, dass der Verbraucher die Jacke bereits aufgrund der Bestellung im Oktober 2009 kannte und somit über sämtliche kaufentscheidende Informationen verfügte.
"Er hatte sie im Besitz und war somit in der Lage, die Jacke zu prüfen und auch anzuprobieren.
Dass er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, ist dabei nach Auffassung des Gerichts unerheblich.
Aber selbst wenn es darauf ankäme, wäre der Kläger für seine Behauptung, die Lederjacke aus der Originalverpackung nicht herausgenommen zu haben, so dass er deren Beschaffenheit nicht kannte, beweispflichtig geblieben."
Auch der zeitliche Zusammenhang war im vorliegenden Fall noch gegeben, so das Gericht.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt. Daraufhin hob das LG Berlin (Urt. v. 12.3.2013, 83 S 52/12) das Urteil auf und verurteilte den beklagten Händler zur Rückzahlung des Kaufpreises.
"Er ist der Ansicht, dass er trotz der Umstände, die dem telefonischen Vertragsschluss vorangegangen sind und im einzelnen - wie im Urteil dargestellt- zum Teil streitig sind, den Vertrag mit der Beklagten habe wirksam widerrufen können, da ein Fernabsatzvertrag vorliege."
Das LG Berlin ist der Ansicht, dass in dem Fall ein Widerrufsrecht bestand:
"Diese Bewertung beruht nicht allein auf dem Zustandekommen des Vertrages durch korrespondierende Willenserklärungen unter ausschließlicher Verwendung von Telekommunikationsmitteln im Sinne des § 312b Abs. 2, nämlich durch Telefonanruf.
Die Beklagte hat auch nicht vorgetragen, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems erfolgt sei.
Tatsächlich erfolgte die Bestellung im Rahmen des Handels der Beklagten mittels Telekommunikationsmitteln, bei dem sie Kunden zu Bestellungen über das Internet oder per Telefon einlädt und was sie neben ihrem Ladengeschäft betreibt.
Ausschlussgründe nach § 312b Abs. 3 BGB liegen nicht vor. Vielmehr bestehen auch darüber hinaus keine Bedenken gegen die Anwendungen der Bestimmungen über den Fernabsatzvertrag. Insbesondere ist unter genauer Betrachtung der Vertragsanbahnung von einer Fernabsatzsituation auszugehen."
Sinn und Zweck der Vorschriften über den Fernabsatz (einschließlich des Widerrufsrechtes) sei es, das durch die besondere Situation des aus der Ferne geschlossenen Vertrages eintretende Informationsdefizit gegenüber der klassischen Erwerbssituation in einem Ladengeschäft auszugleichen. Nur wenn der Verbraucher dieses Defizit vorher ausgleichen konnte, ist er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht schutzbedürftig.
Der Kläger konnte im vorliegenden Fall sein Informationsdefizit jedoch nicht ausgleichen, so das Gericht.
"Soweit grundsätzlich ein persönlicher Kontakt im Vorfeld des Zustandekommens eines Vertrages mittels Telekommunikationsmitteln der Anwendung der Fernabsatzvorschriften entgegenstehen kann, ist das hier doch nicht der Fall.
Der erste Kontakt der Parteien im Ladengeschäft der Beklagten im September 2009 hat zwar dazu geführt, dass sich der Kläger ein Bild von seinem Vertragspartner verschaffen konnte.
Damit ist ein Begründungsmoment für die Widerrufsmöglichkeit zum Schutze des Verbrauchers, der einen Vertrag mit einem ihm bis auf die Firmierung unbekannten Unternehmer schließt, dessen Seriosität er schwer einzuschätzen vermag, entfallen.
Dennoch hat sich mit der telefonischen Bestellung der Lederjacke am 11. Dezember 2009 die typische Gefahr eines Fernabsatzvertrages realisiert, da der Kläger nicht bereits zu diesem Zeitpunkt umfassend über alle wesentlichen Umstände informiert war:
Während Klarheit über Vertragspartner und Gegenleistung herrschten, konnte die umfassende Information über den Vertragsgegenstand nämlich erst nach Erhalt der bestellten Jacke erfolgen.
Der Kläger hat die wesentliche Information hinsichtlich des Kaufgegenstandes nicht bereits aus dem früheren Kauf erlangt.
Zwar hatte er nach Übersendung der Jacke im Oktober 2009 die Möglichkeit der Prüfung der Jacke und konnte, wobei streitig ist, ob er dies auch genutzt hat, ausprobieren, ob sie ihm gefällt. Allerdings steht der Annahme einer hinreichenden Information aus dem früheren Geschäft der Zeitablauf entgegen.
Dabei ist ganz entscheidend, dass es sich um den Kauf eines Kleidungsstücks handelt. Insoweit informiert sich der Käufer nicht allein über die Beschaffenheit an sich, sondern prüft insbesondere, ob es ihm von der Größe her passt und ihm auch steht.
Dabei vermittelt nach hiesiger Bewertung nur eine Anprobemöglichkeit, die im zeitlichen Rahmen von einigen Tagen Abstand zum Vertragsschluss liegt, die erforderliche Information.
Nur diese zeitnahe Information gewährleistet nämlich für den Erwerber, dass nicht nur das Kleidungsstück an sich sein Gefallen findet, sondern auch mit seinem Körper, der im Laufe von Wochen durchaus Schwankungen unterliegt, harmoniert."
Auch der Hinweis, dass reduzierte Ware vom "Umtausch" ausgeschlossen sei, half dem Händler in dem Fall nicht weiter:
"Der Widerruf war auch nicht zwischen den Parteien ausgeschlossen. Die Mitteilung der Mitarbeiterin der Beklagten, bei reduzierter Ware sei der Umtausch ausgeschlossen, kann sich allein auf die Bestimmungen zur Umtauschpraxis der Beklagten hinsichtlich eines Kulanzumtauschs beziehen; § 312g BGB verbietet ein Abweichen von den Regelungen der §§ 312 ff. BGB zum Nachteil des Verbrauchers."
Für Online-Händler, die parallel noch ein Ladengeschäft führen, ist diese Entscheidung von Bedeutung. Das Widerrufsrecht gilt grundsätzlich auch für Kunden, die vor der Bestellung das Ladengeschäft besucht haben. Nur in Ausnahmefällen mag etwas anderes gelten. (mr)