OLG Hamm: Geöffnete CDs können zurück gegeben werden

Dass das Öffnen einer Cellophanhülle, mit der eine CD oder DVD versiegelt ist, das Widerrufsrecht ausschließt, entsprach bislang der Vorstellung von Händlern und Verbrauchern, da der hier einschlägige § 312d Abs. 4 Nr. 2 BGB Raubkopien verhindern soll. Anders entschied nun überraschend das OLG Hamm: Auch bei geöffneter Cellophanhülle bestehe das Widerrufsrecht weiter.

Die Geschichte begann mit einer Abmahnung eines Onlinehändlers durch den einschlägig bekannten Abmahnanwalt Espey. Zum einen verwendete der Unternehmer die 40-€-Klausel nur unter "Widerrufsfolgen" in den AGB und nicht noch einmal separat. Zweitens wies er mit folgender Klausel auf einen Ausschluss des Widerrufsrechtes nach § 312d Abs. 4 Nr. 2 BGB hin:

"Das Widerrufsrecht besteht nicht bei Lieferungen von ... Software, sofern die gelieferten Datenträger von Ihnen entsiegelt worden sind (z.B. Software-CDs, bei denen die Cellophanhülle geöffnet wurde)."

LG Bochum gibt Abmahner Recht

Der abgemahnte Händler sah die Abmahnung in beiden Punkten als unberechtigt an und gab keine Unterlassungserklärung ab. Auf Antrag des Abmahnanwalts erließ das LG Bochum mit Beschluss v. 7.9.2009 (I-17 O 108/09) eine einstweilige Verfügung und gab dem Abmahner in beiden Punkten Recht. Hiergegen legte der abgemahnte Händler Widerspruch ein, auch dieser blieb jedoch erfolglos.

Daraufhin ging der abgemahnte Händler in Berufung. Die Verhandlung fand am 30.3.2010 vor dem OLG Hamm statt, das die Berufung vollumfänglich zurückwies (Urteil v. 30.3.2010, 4 U 212/09). Diesen Termin verfolgten wir als Zuschauer staunend und berichten an dieser Stelle ausführlich aus dem Gerichtssaal.

OLG Hamm äußert sich zur Revision

Bereits der Beginn der mündlichen Verhandlung war kurios. Der vorsitzende Richter am OLG Knippenkötter erklärte nämlich sehr ausführlich, dass der Senat die Revision nicht zulassen werde, da mehrere Oberlandesgerichte in Sachen 40-Euro- Klausel bereits im Sinne des OLG Hamm entschieden hätten, es der Herstellung einheitlicher Rechtssprechung also nicht bedürfe.

In der Sache mögen die Ausführungen korrekt gewesen sein. Ein Blick in die Zivilprozessordnung hätte den Richtern jedoch deutlich gemacht, dass in einem einstweiligen Verfügungsverfahren gar keine Revision möglich ist (§ 542 Abs. 2 ZPO).

OLG-Richter verhandelt über Onlineshop-AGB

In der Frage zur 40-Euro-Klausel machten die Richter deutlich, dass sie an ihrer bisherigen Rechtsprechung festhalten werden, was keine Überraschung war. Soll der Verbraucher die Kosten der Rücksendung tragen, müsse die Klausel sowohl in der Widerrufsbelehrung als auch in AGB auftauchen.

Ein recht erstaunliches zusätzliches Argument für das Erfordernis, die 40-€-Klausel unbedingt in AGB zu vereinbaren, brachte allerdings der stellvertretende vorsitzende Richter am OLG Bähr vor:

"Die Belehrung kann der Verbraucher nicht streichen. Wenn man mit AGB nicht einverstanden ist, kann man die Klausel ja herausstreichen."

An dieser Stelle konnte ich ein Lachen kaum unterdrücken, da der Richter zu vergessen schien, dass es hier um Fernabsatz geht. Wer bitte telefoniert oder verhandelt mit einem Onlinehändler oder Katalogversender über die AGB und "streicht" hieraus Passagen? Offenbar nur jemand, der noch nie etwas im Fernabsatz bestellt hat.

Zudem ist es inhaltlich auch falsch, denn striche man die 40-€-Vereinbarung aus den AGB, müsste auch die Widerrufsfolgenbelehrung entsprechend angepasst, also insoweit "gestrichen" und um den Zusatz ergänzt werden, dass der Unternehmer die Kosten der Rücksendung trägt.

Allerdings war schon vor Beginn der Verhandlung abzusehen, dass der Senat hier an seiner Auffassung festhalten wird, so dass über diesen Punkt nicht weiter verhandelt wurde.

Ist eine Cellophanhülle ein Siegel?

Mit Spannung erwarteten wir jedoch die Entscheidung zu der Frage, ob eine Cellophanhülle um einen Datenträger ein Siegel i.S.d. § 312 d Abs. 4 Nr. 2 BGB darstellt. Das Gesetz lautet hier:

"Das Widerrufsrecht besteht ... nicht bei Fernabsatzverträgen zur Lieferung von Audio- oder Videoaufzeichnungen oder von Software, sofern die gelieferten Datenträger vom Verbraucher entsiegelt worden sind."

Sieht man die Cellophanhülle richtigerweise als Siegel im Sinne dieser Vorschrift an, ist die Folge, dass das Zerreißen der Cellophanhülle das Widerrufsrecht für z.B. CDs ausschließt.  So vertritt es z.B. der (wohlgemerkt verbraucherfreundliche) Professor Tonner im "Handkommentar Vertriebsrecht" (§ 312d Rn 32):

"Der Begriff der Versiegelung ist herkömmlich zu verstehen, also in der Regel die Entfernung einer Folie, in die die Ware eingeschweißt ist"

Auf Literatur oder Rechtsprechung, die schriftlich in das Verfahren eingebracht wurde, ging das Gericht jedoch generell nicht ein, sondern entschied allein aus vermeintlich vorhandener eigener Weisheit.

Primär Schutz vor Kratzern und Schmutz

Aufschlussreich war auch das zugrunde gelegte Verbraucherleitbild. Die Richter des 4. Zivilsenats meinten, der Verbraucher verstehe die Cellophanhülle als Schutz vor Staub und Kratzern, aber nicht so, dass das Zerreißen der Cellophanhülle dazu führe, dass er die CD behalten muss.

Dies mag ein Verbraucher denken, der zuletzt in den 70er Jahren Schallplatten in der Bochumer Fußgängerzone gekauft hat, nicht aber jemand, der CDs im Onlinehandel bestellt. Hier gebietet es schon das Anstandsgefühl, solche aufgerissene und potenziell raubkopierte Datenträger nicht wieder zurückzusenden.

Zweck der Ausnahmevorschrift verkannt

Das Gericht verkennt hierbei, dass das Siegel von CDs eben nicht dem Oberflächenschutz dient (diese Funktion hat die CD-Hülle), sondern dem Schutz der Urheberrechte am Inhalt. Ist die Cellophanhülle durch den Verbraucher aufgerissen worden, kann nicht sicher davon ausgegangen werden, dass der Verbraucher sich nicht den Inhalt der CD kopiert hat und dann den Vertrag widerruft und somit den Inhalt der CD quasi kostenlos erhält.

Deswegen schließt das Gesetz das Widerrufsrecht auch nicht generell für Datenträger aus, die der Verbraucher entsiegelt hat, sondern vielmehr für Verträge, welche die Lieferung von Audio- oder Videoaufzeichnung bzw. Software zum Gegenstand haben, sofern die gelieferten Datenträger vom Verbraucher entsiegelt worden sind.

Auf diesen Zweck der Ausnahmevorschrift des § 312d Abs. 4 Nr. 2 BGB (vgl. BT-Drucks. 14/2658, S. 44) ging der Senat jedoch mit keinem Wort ein, sondern konzentrierte sich nachfolgend auf unerhebliche Argumente, die mit der Siegelthematik überhaupt nichts zu tun haben.

Aufkleber oder Warnhinweis erforderlich

Der Senat verlangt als Siegel z.B. einen Aufkleber, wie ich ihn nur aus meiner Jugend vom Schallplattenkauf kenne, aber in den letzten 10 Jahren Onlinehandel nicht mehr gesehen habe. Auch der gegnerische Rechtsanwalt Espey argumentierte mit seinem letzten CD-Kauf im Saturn. Dort werde eine CD, die man verschenken wolle, mit einem Aufkleber versehen, den man nicht zerstören dürfe, wolle man sein Rückgaberecht nicht verlieren.

Dieses Argument ist schon deswegen an der Sache vorbei, da es bei Offline-CD-Händlern kein Widerrufsrecht gibt, sondern allenfalls ein freiwillig vereinbartes Umtauschrecht, dessen Bedingungen (z.B. Auflkleber-Bruch) der Händler frei definieren kann.

Hinsichtlich der Cellophanhülle äußerte der Senat dann noch die Ansicht, dass diese dann Siegelfunktion entfalten könnte, wenn auf der Hülle ein deutlicher Warnhinweis stehe, dass das Öffnen zum Kauf verpflichte.

Genau aus diesem Grund wies die Antragsgegnerin ja in der Widerrufsbelehrung auf den Umstand hin, dass das Zerreißen der Cellophanhülle zum Erlöschen des Widerrufsrechts führt, um den Verbraucher nicht durch bloße Wiederholung des Gesetzeswortlauts über die Entsiegelungshandlung im Unklaren zu lassen. Abgesehen davon hat das Gericht überhaupt nicht hinterfragt, ob ein solcher Hinweis auf der Hülle war, sondern nur über die Belehrung entschieden.

Denkt man dies zuende, müsste z.B. auf jeder Weinflasche, die im Fernabsatz erworben wird, ein Hinweis angebracht werden: "Achtung, austrinken verpflichtet zum Kauf." Die Hinweispflicht auf das Nichtbestehen nach § 312c BGB iVm § 1 Abs. 1 Nr. 10 BGB-InfoV gilt jedoch nicht für die Warenverpackung, sondern den Onlineshop und die E-Mail bzw. Lieferpapiere nach Bestellung.

Irrelevante Ausführungen zu Hardware und Treibersoftware

Nach diesen absonderlichen Ausführungen entglitt der Richter am OLG Fila dann völlig und argumentierte gegen die Siegel-Qualität einer Cellophanhülle damit, der Verbraucher könne annehmen, er dürfe den Vertrag über den Kauf von Hardware nicht widerrufen, wenn eine Treiber-CD beiliegt, was nicht der Fall sei.

Hierzu ist zweierlei anzumerken: Erstens soll das Widerrufsrecht ja explizit nur für die Software ausgeschlossen werden, von Hardware ist in der Klausel nicht die Rede. Zweitens: Was hat das mit dem Thema (Cellophanhülle = Siegel) zu tun?

Das Gesetz unterscheidet in § 312d Abs. 4 Nr. 2 BGB nicht zwischen „Verträgen von Software, die nicht frei im Internet verfügbar ist“ und „Verträgen von Software, die frei im Internet verfügbar ist“. Das Gesetz sagt lediglich, dass ein Widerrufsrecht nicht besteht bei z.B. Verträgen von Software, sofern der gelieferte Datenträger vom Verbraucher entsiegelt worden ist.

Selbst wenn man aus teleologischen Gründen annehmen würde, entgegen dem Gesetzeswortlaut bestünde ein Widerrufsrecht bei kostenlosen Treiberprogrammen, auch wenn deren Datenträger entsiegelt wurde, hätte im Fall des Widerrufs der Verbraucher keinen Anspruch auf Kaufpreisrückerstattung, weil das Programm ja gerade kostenlos ist.

Daher macht es für den Verbraucher keinen Unterschied, ob ein Widerrufsrecht in diesem Fall besteht oder nicht, so dass es auch nicht erforderlich ist, über ein solch irrelevantes Detail aufzuklären. Ein Hinweis auf das Nichtbestehen, wie er nach § 312c Abs. 1 BGB i.V.m § 1 Abs. 1 Nr. 10 BGB-InfoV erforderlich ist, kann auch dadurch erfolgen, dass der Gesetzeswortlaut des § 312d Abs. 4 Nr. 2 BGB wiederholt wird, ohne dann hier nach Treibersoftware oder sonstigen Applikationen differenziert werden müsste.

Mit der Frage, ob eine Cellophanhülle ein Siegel ist oder nicht, hat dies abgesehen davon nicht im geringsten zu tun. Folgt man der Argumentation des OLG-Richters, wäre es schon verboten, allein den Wortlaut des Gesetzes zu wiederholen. Gerade hat jedoch der Bundesgerichtshof (Urteil vom 9. Dezember 2009 – VIII ZR 219/08) klargestellt, dass es für den Hinweis auf das Nichtbestehen des Widerrufsrechtes ausreicht, so zu verfahren.

Neue Abmahnwelle?

Da ein Hinweis auf das Öffnen der Cellophanhülle aus AGB schnell entfernt werden kann, erwarten wir zwar keine neue Abmahnwelle. Hier besteht allerdings bei einer Vielzahl von Händlern akuter Handlungsbedarf. So schreibt z.B. amazon derzeit in den AGB:

"Sie können jede Kassette, CD (auch Hörbücher) oder DVD/Blu-ray innerhalb von 30 Tagen nach Erwerb zurückgeben, sofern die Einschweißfolie unbeschädigt ist bzw. das Siegel intakt ist. Andernfalls können wir die Ware leider nicht zurücknehmen."

Dies sollte man - zumindest wenn man das OLG Hamm berücksichtigen will - ebenso unterlassen wie sämtliche weiteren Beispiele für Entsiegelungen, die den Verbraucher besser aufklären, als es der Gesetzeswortlaut vermag. Man sollte also nur noch schreiben:

"Das Widerrufsrecht besteht nicht bei Fernabsatzverträgen ... zur Lieferung von Audio- oder Videoaufzeichnungen oder von Software, sofern die gelieferten Datenträger vom Verbraucher entsiegelt worden sind ..."

Auch wenn unklar ist, was denn genau "Entsiegelung" bedeutet.

Freibrief für Raubkopierer

Dass nun sämtliche CD-Händler wegen der lebensfernen Ansicht des OLG Hamm die vom Großhändler gelieferten Datenträger aus der Cellophanhülle nehmen und bunte Aufkleber mit der Aufschrift "Achtung: Öffnen verpflichtet zum Kauf!" auf die CD-Hüllen kleben, halten wir für relativ unwahrscheinlich. Auch die CD-Industrie wird das unsinnige Urteil des OLG sicherlich nicht Ernst nehmen.

Dies würde auch dazu führen, dass viele CD-Händler nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können, denn Cellophanhüllen entfernen, Siegel-Aufkleber kaufen und neu verkleben verursacht erhebliche Personal- und Sachkosten. Damit greifen die Richter ganz erheblich in die Berufsausübungsfreiheit ein.

Daher ist das eigentliche Problem, dass das Urteil ein Freibrief für Raubkopierer ist. Diese müssen kein Filesharing mehr betreiben und befürchten, über ihre IP-Adresse gefunden zu werden. CD bestellen, aus der Hülle nehmen, kopieren und zurückschicken ist da wesentlich einfacher.

Übrigens: Dies ist kein Aprilscherz! Der 4. Zivilsenat des OLG Hamm hat am 30.3.2010 tatsächlich so entschieden.

Siehe auch die weiteren Berichte:

UPDATE:

Das Urteil des OLG Hamm liegt nun im Volltext vor:

http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2010/4_U_212_09urteil20100330.html

01.04.10