Verbietet der EuGH Wertersatz für Nutzung der Ware während der Widerrufsfrist?

Bald kostenloses Frittieren möglich?In Deutschland wurde schon heftig über den Sinn der Regelung diskutiert, dass eBay-Verkäufer im Gegensatz zu Online-Shops keinen Wertersatz für die sog. bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme verlangen können. Wenn der EuGH so entscheidet, wie nun die Gereralanwältin Verica Trstenjak empfohlen hat, droht eine mittlere Katastrophe. Denn dann dürfen Onlinehändler generell keinen Wertersatz für Nutzung der Ware während der Widerrufsfrist mehr verlangen.

Lesen Sie mehr über die Schlussanträge der EuGH-Generalanwältin zum Thema Wertersatz.

Kürzlich hat der BGH in einem Verfahren des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen gegen den Versender Quelle entschieden, dass der Umtausch einer mangelhaften Ware kostenlos möglich sein muss. Quelle darf, so eine Vorgabe des EuGH, dem Kunden deshalb keine Gebühr für die Nutzung der mangelhaften Ware in Rechnung stellen. Doch wie sieht es eigentlich aus, wenn die Ware nicht mangelhaft ist, sondern im Rahmen des Widerrufs retourniert wird? Das AG Lahr hat bereits vor einiger Zeit diese Frage dem EuGH vorgelegt.

Der zugrundeliegende Fall

Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits ist die Rückabwicklung eines Fernabsatzvertrags. Die Parteien des Ausgangsverfahrens streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, im Rahmen der Rückgewähr des Kaufpreises diesen um den Wertersatz einer durch die Klägerin erfolgten Nutzung zu vermindern.

Aufgrund eines Internet-Angebots der Beklagten erwarb die Klägerin bei ihr am 2. Dezember 2005 ein gebrauchtes Notebook zum Kaufpreis von 278,00 Euro. Im August 2006 kam es zu einem Defekt des Displays des Computers. Am 7. November 2006 wurde durch die Klägerin der Widerruf des Kaufvertrags erklärt, und das Notebook wurde der Beklagten Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises angeboten.

Die Beklagte hat gegen die Klageforderung eingewandt, dass die Klägerin jedenfalls für ihre Nutzung des Notebooks für ca. acht Monate Wertersatz zu leisten habe. Bei einem vergleichbaren Notebook liege der Mietpreis im Marktdurchschnitt bei 118,80 Euro für drei Monate, so dass sich für die Nutzungszeit der Klägerin ein Wertersatz von 316,80 Euro ergebe, was dem geltend gemachten Zahlungsanspruch entgegengehalten werden könne.

Das vorlegende Gericht geht davon aus, dass der Widerruf der Klägerin vor Ablauf der Widerrufsfrist erfolgte, da der Klägerin keine wirksame Widerrufsbelehrung zugegangen sei. Das AG Lahr erläutert, dass die Entscheidung über den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Betrags in Höhe von 278,00 Euro von der Beantwortung der Frage abhängt, ob die Beklagte berechtigt ist, im Rahmen der Rückgewähr des Kaufpreises diesen um den Wertersatz der durch die Klägerin gezogenen Nutzungen des Verbrauchsguts zu vermindern.

Schlussanträge der EuGH-Generalanwältin

Nun liegen die Schlussanträge der EuGH-Generalanwältin zu dieser Frage vor. Und die lassen nichts Gutes ahnen, folgt doch der EuGH in aller Regel diesen Anträgen. Gereralanwältin Verica Trstenjak empfiehlt dem EuGH, die Vorlagefrage des Amtsgerichts Lahr wie folgt zu beantworten:

Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz ist dahin gehend auszulegen, dass er einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegensteht, die generell besagt, dass der Verkäufer im Falle des fristgerechten Widerrufs durch den Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des gelieferten Verbrauchsguts verlangen kann.

Die Vorlagefrage des AG Lahr

Das AG Lahr hatte dem Gerichtshof folgende Frage vorgelegt:

Sind die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 zu bestimmten Aspekten des Verbraucherschutzes bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz dahin auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die besagt, dass der Verkäufer im Falle des fristgerechten Widerrufes durch den Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des gelieferten Verbrauchsgutes verlangen kann?

Argumente der Verfahrensbeteiligten

Die deutsche und die österreichische Regierung sind der Ansicht, dass die Richtlinie 97/7 eine nationale Regelung zum Wertersatz für tatsächlich gezogene Nutzung zulasse. Sie lasse offen, ob und inwieweit der Verbraucher zum Ersatz der gezogenen Nutzung verpflichtet sei. Bei einem Nutzungsentgelt handele es sich weder um „Kosten“ im Sinne des Erwägungsgrundes 14 bzw. von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7 noch um eine „Strafzahlung“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 dieser Richtlinie. Die Zahlung eines solchen Nutzungsentgelts werde also von der Richtlinie 97/7 nicht untersagt, sondern unterliege dem Ermessen der Mitgliedstaaten.

Die Europäische Kommission ist ebenso wie die deutsche und die österreichische Regierung der Auffassung, dass eine Regelung zum Wertersatz für Nutzung wie die hier interessierende deutsche Regelung nicht unter den Begriff der „Kosten“ subsumiert werden könne.

Nutzung und Probe

Zuerst wird von der Generalanwältin der Unterschied zwischen „Nutzung“ und „Probe“ herausgearbeitet. Zur Probe gehörten die Ansicht, die Anprobe und auch das Ausprobieren. Denn Bestandteil einer Kaufentscheidung sei im Hinblick auf viele Waren, beispielsweise Kleidung und technische Geräte, auch eine Beurteilung ihrer Gebrauchseigenschaften. Beispielsweise gehe es beim Anprobieren von Kleidung und Schuhen nicht nur um das Ansehen, sondern auch um das Anziehen und probeweise Tragen. Dem Verbraucher die kostenlose Prüfung der im Fernabsatz bestellten Ware zu ermöglichen, sei Hauptziel des Widerrufsrechts nach der Richtlinie.

In der Praxis dürfte es jedenfalls häufig schwer sein, die Grenze zwischen Probe einerseits und Nutzung andererseits zu ziehen. Vermutlich kann es sich dabei in vielen Fällen gar nicht um eine deutlich sichtbare Grenzziehung handeln, sondern um eine erhebliche Grauzone, die der Einzelfallentscheidung bedarf.

Allein die Abgrenzung zwischen „Probe“ und „Nutzung“ reiche jedoch nicht aus. Auch der Begriff der „Nutzung“ sei zu hinterfragen. Geht es um tatsächliche Nutzung (in Stunden oder Tagen), oder reicht bereits die Nutzungsmöglichkeit (Zeitspanne zwischen Erhalt und Rückgabe der Sache)? Kann also der bloße Besitz der Ware während des Laufs der Widerrufsfrist eine ersatzpflichtige Nutzung darstellen(was praktisch auf eine nachträgliche Leihgebühr hinausliefe)? Ist sodann jegliche tatsächliche Nutzung zu vergüten (was ebenfalls praktisch auf eine nachträgliche Leihgebühr hinausliefe) oder nur diejenige, die Spuren der Abnutzung hinterlassen hat?

Wertersatz ist keine verbotene Strafzahlung

Ein Wertersatz wie der im Ausgangsverfahren verlangte könnte nur dann unter den Begriff der Strafzahlung fallen, wenn dieser Begriff überaus weit ausgelegt würde und als Oberbegriff für sämtliche tatsächlich anfallenden Kosten angesehen würde, deren Zahlung der Verbraucher als strafend empfinden könnte und die deshalb die Wirkung haben könnten, dass der Verbraucher Abstand von seinem Recht auf Widerruf nimmt. Mit einer solchen weiten Auslegung wäre verbunden, dass der Begriff der Kosten nahezu gänzlich im Begriff der Strafzahlung aufgehen würde. Dafür spricht jedoch nichts im Wortlaut der Richtlinie. Aus Sicht der Generalanwältin könne also Wertersatz nicht als Strafzahlung verstanden werden.

Wertersatzansprüche sind verbotene Kosten

Die Generalanwältin meint aber, Wertersatzansprüche stellten Kosten dar, die dem Verbraucher nicht auferlegt werden dürften. Sinn und Zweck der Bestimmungen in Art. 6 der Richtlinie 97/7 zum Widerrufsrecht des Verbrauchers im Fernabsatz sprächen dafür, dem Kostenbegriff eine weite Bedeutung zu geben, die den Wertersatz für Nutzung einschließt. Insbesondere der 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 gebe diesbezüglich Aufschluss. Darin werde hervorgehoben, dass die Frage, ob das Widerrufsrecht als ein funktionierendes Verbraucherrecht wirkt, insbesondere davon abhängt, welche finanziellen Auswirkungen mit seiner Inanspruchnahme verbunden sind.

Damit werde dieser Wertersatz in Deutschland entgegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 97/7 infolge der Ausübung des Widerrufsrechts auferlegt.

Insbesondere die strukturelle Gefahr eines eventuellen (Rechts?)Streits darüber, ob der Verbraucher die Sache nur auf ihre Tauglichkeit für seine Zwecke hin überprüft oder darüber hinaus Nutzungen (gegebenenfalls welche) aus ihr gezogen hat, könnte den Verbraucher davon abhalten, seine Rechte wahrzunehmen. Einerseits könnte es ihn in der Praxis bereits vorsorglich davon abhalten, eine tatsächliche Überprüfung der Ware vor Rücksendung vorzunehmen, z. B. durch Zerreißen einer schützenden Plastikfolie. Denn eine unversehrte Plastikschutzfolie dokumentiert eindeutig Nichtnutzung, aber sie verhindert auch das Ansehen und Prüfen der Ware.

Andererseits könnte er Abstand davon nehmen, den Vertrag zu widerrufen, wenn er feststellt, dass die Ware nicht seinen Vorstellungen entspricht oder nicht für seine Bedürfnisse geeignet ist. Unter diesen Umständen würde das Recht des Verbrauchers, die Ware nach Vertragsschluss überprüfen zu können, entgegen dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 zu einem bloß formalen Recht verkommen. Dies würde dem Sinn und Zweck der Richtlinie 97/7 widersprechen.

Die Generalanwältin führt aus:

Nach allem bin ich der Auffassung, dass im Rahmen der Richtlinie 97/7 Wertersatz für Nutzung unter einen weiten Kostenbegriff subsumiert werden kann. Fällt also Wertersatz unter den sowohl in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 als auch in Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 97/7 enthaltenen Begriff der Kosten, dann kann er dem Verbraucher nicht auferlegt werden, weil er nicht zu den unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren gehört.

Missbrauchsmöglichkeit sei kein Argument

Aufschlussreich sind die Ausführungen der Generalanwältin zu Missbrauchsmöglichkeiten:

Das von der Kommission vorgebrachte Argument, dass in manchen Fällen die Grenze zu ungerechtfertigter Bereicherung überschritten sein könnte, beispielsweise wenn eine Ware für einen speziellen Anlass im Fernabsatz bestellt und nach der anlassbezogenen Benutzung unter Widerruf des Vertrags wieder zurückgeschickt wird(88), kann nicht dafür herangezogen werden, eine alle Verbraucher belastende generelle Kostenregelung zu treffen.

Konsequenzen für die Praxis

Zunächst ist abzuwarten, ob auch der EuGH in diesem Sinne entscheidet. In den allermeisten Fällen schließt er sich jedoch den Anträgen der Generalanwältin an. Hoffentlich diesmal ausnahmsweise nicht, denn ich halte die rechtliche Würdigung für falsch.

Sollte der EuGH tatsächlich so entscheiden, müsste das deutsche Recht, die Musterbelehrung des Bundesjustizministeriums sowie jede einzelne Widerrufsbelehrung in Onlineshops der geänderten Rechtslage angepasst werden. Verbraucher könnten dann in Shops bestellen, die Ware nutzen und nach zwei Wochen bzw. 1 Monat ohne jede Zahlung von Wertersatz zurücksenden. Das wäre ein Albtraum für den Onlinehandel. (cf)

Das geltende Europarecht

Der 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 (Fernabsatzrichtlinie) lautet:

„Der Verbraucher hat in der Praxis keine Möglichkeit, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung im Einzelnen zur Kenntnis zu nehmen. Daher sollte ein Widerrufsrecht bestehen, sofern in dieser Richtlinie nicht etwas anderes bestimmt ist. Damit es sich um mehr als ein bloß formales Recht handelt, müssen die Kosten, die, wenn überhaupt, vom Verbraucher im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts getragen werden, auf die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren begrenzt werden.  ..."

Art. 6 der Richtlinie 97/7 bestimmt:

Widerrufsrecht

(1) Der Verbraucher kann jeden Vertragsabschluss im Fernabsatz innerhalb einer Frist von mindestens sieben Werktagen ohne Angabe von Gründen und ohne Strafzahlung widerrufen. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren. ...

(2) Übt der Verbraucher das Recht auf Widerruf gemäß diesem Artikel aus, so hat der Lieferer die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen kostenlos zu erstatten. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren. Die Erstattung hat so bald wie möglich, in jedem Fall jedoch binnen 30 Tagen zu erfolgen. ...

Die Rechtslage in Deutschland

Zur Umsetzung der Richtlinie 97/7 in das deutsche Recht dienen insbesondere die §§ 312 b ff. BGB sowie die BGB?InfoV.

§ 312 d BGB, mit der Überschrift „Widerrufs? und Rückgaberecht bei Fernabsatzverträgen“, lautet:

(1) Dem Verbraucher steht bei einem Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 zu. Anstelle des Widerrufsrechts kann dem Verbraucher bei Verträgen über die Lieferung von Waren ein Rückgaberecht nach § 356 eingeräumt werden. ...

§ 355 BGB, mit der Überschrift „Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen“, bestimmt:

(1) Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so ist er an seine auf den Abschluss des Vertrags gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden, wenn er sie fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten und ist in Textform oder durch Rücksendung der Sache innerhalb von zwei Wochen gegenüber dem Unternehmer zu erklären; zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung. ...

§ 357 BGB, mit der Überschrift „Rechtsfolgen des Widerrufs und der Rückgabe“, lautet:

(1) Auf das Widerrufs- und das Rückgaberecht finden, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt entsprechende Anwendung. …

(3) Der Verbraucher hat abweichend von § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Wertersatz für eine durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache entstandene Verschlechterung zu leisten, wenn er spätestens bei Vertragsschluss in Textform auf diese Rechtsfolge und eine Möglichkeit hingewiesen worden ist, sie zu vermeiden. Dies gilt nicht, wenn die Verschlechterung ausschließlich auf die Prüfung der Sache zurückzuführen ist. § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 findet keine Anwendung, wenn der Verbraucher über sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt worden ist oder hiervon anderweitig Kenntnis erlangt hat. ...

§ 14 Abs. 1 und 3 BGB?InfoV enthält Bestimmungen zur Form der Widerrufs? und Rückgabebelehrung und zur Verwendung eines Musters. Darauf Bezug nehmend ist in der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB?InfoV ein Muster für die Widerrufsbelehrung enthalten.

23.02.09