Ein Monatsumsatz von gerade mal 184,88 € ist für einen Online-Shop nicht viel. Lässt der Inhaber eines solchen Shops 8 Mitbewerber abmahnen und entstehen pro Abmahnung 717,81 € Anwaltskosten, ist das wirtschaftlich unvernünftig. Kommt dann auch noch heraus, dass der Anwalt der Onkel des Shopbetreibers ist und der Abmahnungsgrund nicht ein bewusster Wettbewerbsverstoß, sondern die alte Version der Musterbelehrung des Bundesjustizministeriums, ist etwas faul.
So entschied jetzt auch das LG Bielefeld auf Rechtsmissbrauch.
Nicht selten ist es vorteilhaft, einen Rechtsanwalt in der Familie zu haben. Das dachte sich auch ein Shopbetreiber aus Ahlen. Der beauftrage kurzerhand seinen Onkel, der Rechtsanwalt in Paderborn ist, mit der Abmahnung anderer Shopbetreiber. Einer wehrte sich und das LG Bielefeld gab ihm Recht.
Martin Rätze, Autor hier im Shopbetreiber-Blog, bewertet die Entscheidung in der Zeitschrift Medien Internet und Recht (MIR) positiv:
Hinsichtlich der Beurteilung der rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen (§ 8 Abs. 4 UWG) ist die Entscheidung wichtig für die Praxis. Da es das BMJ noch nicht geschafft hat, das rechtsmissbräuchliche Abmahnwesen zu begrenzen, sind die Gerichte gefragt, die Möglichkeiten des UWG voll auszuschöpfen.
Die abgemahnte Händlerin verwendete das alte Muster für die Widerrufsbelehrung Ende Juni 2008, also noch innerhalb der in der BGB-InfoV vorgesehen Übergangsfrist. Bereits das Kammergericht Berlin (Beschluss v. 11.4.2008 (5 W 41/08) sah in einer früheren Entscheidung in dem zwar fehlerhaften Muster einen Wettbewerbsverstoß, jedoch einen unterhalb der Bagatellgrenze, welcher also sanktionslos bleibt.
Neben dem verwandschaftlichen Verhältnis von Abmahner und Anwalt sah das Gericht in dem weit überhöht angesetzten Streitwert von 10.000,00 EUR, welcher Anwaltskosten in ca. 3,9-facher Höhe des Monatsumsatzes des Klägers entstehen ließ, ein weiteres Indiz für einen Rechtsmissbrauch.
Betrachtet man das gesamte Prozesskostenrisiko, immerhin 3.151,38 EUR bei nur einer Instanz, ist bereits das 17-fache des Umsatzes des Klägers erreicht. Bei 8 Abmahnungen beläuft sich das Risiko somit auf 25.211,04 EUR für eine Instanz. Selbst bei einem angenommenen Durchschnittsumsatz von 500,00 EUR monatlich müsste der Abmahner diesen über 50 Monate erreichen, um das Prozesskostenrisiko abzudecken.
Da liegt die Vermutung nahe, dass Onkel und Neffe gemeinsame Sache machen, im Juristendeutsch auch "Kollusion" genannt. Klartext: Das Abmahnschreiben, mit dem die Verwendung der veralteten Musterbelehrung gerügt wird, muss nur einmal erstellt werden. Lässt es sich dann achtmal verwenden und wird hierbei jeweils ein Honorar von 717,81 € kassiert, kann der erfolglose Neffe ruhig etwas davon abbekommen. Bleibt ja schließlich in der Familie.
Gegen das Urteil des LG Bielefeld legte der Abmahner Berufung ein, sodass jetzt die nächste Instanz - das OLG Hamm - am Zuge ist. Die Verhandlung dort wird voraussichtlich am 24.03.2009 statt finden. Heute am 12.2.2009 findet zudem in einem zweiten Fall gegen das Abmahnduo ein Prozess vor dem LG Bielefeld statt. Wir werden auch hierüber berichten.
Martin Rätze zieht in seinem Aufsatz folgendes Fazit:
Das LG Bielefeld hat hier zutreffend einen Rechtsmissbrauch angenommen und die Klage abgewiesen. Die Ausführungen zur Widerholungsgefahr in dieser besonderen Konstellation überzeugen ebenfalls. Es bleibt zu hoffen, dass sich das OLG Hamm dieser Entscheidung anschließen wird.
Über den Autor
Martin Rätze
Autor Martin Rätze ist Diplom-Wirtschaftsjurist (Universität Siegen) und Mitarbeiter der Trusted Shops Rechtsabteilung. Er ist u.a. zuständig für die Zertifizierung von Online-Shops nach den Trusted Shops Qualitätskriterien, Urteilsauswertung für den Shopbetreiber-Blog, Betreuung von Forenanfragen und Durchsetzung von Markenrechten.