Die aus dem Jahr 1997 stammende europäische Fernabsatzrichtlinie zählt abschließend Ausnahmen vom Widerrufsrecht auf, die in das deutsche Recht (§ 312d Abs. 4 BGB) nahezu unverändert übernommen wurden. Viele Fälle der Versandhandelsrealität, in denen die Rücknahme dem Unternehmer wirtschaftlich unzumutbar ist, werden aber nicht abgedeckt. So fehlen z.B. klare Regelungen für Downloads oder angebrochene Kosmetika. Den Ausweg suchen Händler häufig über einen Wertersatzanspruch. Das LG Dortmund (Urteil v. 14.3.2007, 10 O 14/07) hat nun jedoch entschieden, dass eine Klausel, wonach der Kunde beim Öffnen eines Nahrungsergänzungsmittels pauschal 100% Wertersatz schuldet, unzulässig ist.
Lesen Sie hier über die unzulässige Klausel und die Begründung des Gerichtes.
Gegenstand des Verfahrens war eine einstweilige Verfügung, die das Gericht nach einer Abmahnung gegen eine Händler von Nahrungsergänzungsmitteln erlassen hatte. Dieser Händler verwendete bei Geschäften mit Endverbrauchern folgende AGB-Klausel:
"Soweit der Kunde Nahrungsergänzungsmittel, Muskelaufbauprodukte und sonstige Diät- und Lebensmittel öffnet und den Vertragsschluss widerruft, sind wir berechtigt, eine pauschale Wertminderung von 100% des Verkaufspreises zu verlangen. Der Kunde ist berechtigt, nachzuweisen, dass eine Wertminderung nicht eingetreten ist oder wesentlich niedriger als die Pauschale liegt."
Ein Konkurrent mahnte dies ab und vertrat dabei die Ansicht, mit dieser Klausel werde das gesetzliche Widerrufsrecht unzulässig eingeschränkt. Der Unternehmer wälze die ihn nach § 357 Abs. 2 BGB treffende Beweislast für eine evtl. eingetretene Verschlechterung der Ware unzulässig auf den Kunden ab. Im Ergebnis führe dies zu einem vollständigen Ausschluss des Widerrufsrechtes, obwohl dem Verbraucher andererseits suggeriert werde, dass er die Möglichkeit habe, Wertersatz von weniger als 100% zu beweisen. Der Ausschluss des Widerrufsrechtes sei abschließend in § 312d Abs. 4 BGB geregelt. Schließlich werde auch das Prüfungsrecht des Kunden gem. § 357 Abs. 3 S. 2 BGB unzulässig eingeschränkt.
Das LG Dortmund kam auch auf Widerpruch der Beklagten in der Hauptsacheverhandlung zu keinem anderen Ergebnis als im einstweiligen Verfügungsverfahren und untersagte ihr weiterhin die Verwendung der Klausel. Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch gem. §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1; 4 Nr. 11 UWG zu, da die Klausel gegen die Regelung des § 309 Nr. 12 BGB verstoße. Das Gericht führt hierzu aus:
"Durch die Regelung in § 9 Abs. 2 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen wälzt die Beklagte die Beweislast auf die Verbraucher ab. Sie legt pauschal für alle Einzelfälle die Höhe des Wertersatzes mit 100% des Verkaufspreises fest und überlässt es den Verbrauchern nachzuweisen, dass keine oder nur eine wesentlich geringere Wertminderung eingetreten ist. Damit obliegt es im Einzelfall dem Verbraucher, die tatsächliche Höhe der Wertminderung im Streitfall nachzuweisen."
Überdies verstoße die Klausel auch gegen § 305c Abs. 1 BGB, da sie überraschend sei, so das Gericht:
"Der Verbraucher geht aufgrund der Widerrufsbelehrung davon aus, dass das gesetzliche Widerrufsrecht uneingeschränkt Geltung hat. Durch die hier in Rede stehende Pauschalierungsklausel, die der Beklagten einen Wertersatzanspruch in Höhe von 100% des Verkaufspreises einräumt, wird dieses Recht jedoch für den Verbraucher faktisch entwertet, da er sich im Regelfall nicht in der Lage sehen wird, den nach der Klausel erforderlichen Gegenbeweis zu führen."
Die Entscheidung macht deutlich, dass es dringend explizite Ausnahmetatbestände für angebrochene Lebensmittel, Kosmetika u.ä. geben muss, wie sie auch von zahlreichen Verbänden im Rahmen der Konsultation über die Fernabsatzrichtlinie gefordert wurden. Die oft bemühte Fallgrupe "nicht für eine Rücksendung geeignet" lässt einen Ausschluss in solchen Fällen nicht mit Sicherheit zu. Werden angebrochene Nahrungsergänzungsmittel pauschal vom Widerruf ausgenommen, ist dies mit Abmahnrisiken verbunden. Gleiches gilt aber auch, wenn in den AGB von 100% Wertersatz ausgegangen wird, wie diese Entscheidung zeigt.
Die sicherste Lösung dürfte derzeit sein, im Vorfeld gar nichts über den Ausschluss oder Höhe des Wertersatzes in diesen Fällen zu sagen und im konkreten Fall Wertersatz in Abzug zu bringen. Das LG Wuppertal hat z.B. angenommen, dass Wertersatz in solchen Fällen geschuldet werde, weil mit dem Öffnen jedes Behältnisses, in dem sich Kosmetika oder Pflegemittel befinden, deren Verbrauch beginne. Im geschäftlichen Verkehr seien solche Produkte nach einer solchen Öffnung nicht mehr marktfähig und wie nicht mehr vorhanden (untergegangen) anzusehen. Hierüber müsse der Kunde nicht gesondert belehrt werden. Besonders transparent und verbraucherfreundlich ist eine solche Vorgehensweise allerdings nicht. (cf)
Vielen Dank an Rechtsanwalt Rolf Albrecht, Kanzlei Volke 2.0, für die Übersendung des Urteils.