Vor etwa einem Jahr sorgten das Kammergericht Berlin und das OLG Hamburg durch Entscheidungen, nach denen die Länge der Widerrufsfrist bei Verkäufen über eBay einen Monat statt zwei Wochen betrage, für eine bislang beispiellose Abmahnwelle. Tausende eBay Händler hatten daraufhin ihre Widerrufsbelehrung angepasst und ein einmonatiges Widerrufsrecht eingeräumt. Genauso viel Aufsehen könnte nun eine Entscheidung des fünften Zivilsenats des OLG-Hamburg (Beschluss vom 19.6.2007, Az. 5 W 92/07) verursachen, nach der auch eBay-Händler Wertersatz für die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Ware verlangen können. Denn der Senat begründet dies mit der systematischen Vorrangigkeit der Vorschrift des § 312c BGB gegenüber den §§ 355 ff. BGB. Dies würde bedeuten, dass auch die Mitteilung der Belehrung in Textform erst mit Lieferung der Ware erfolgen müsste, um eine zweiwöchige Frist sowie einen Wertersatzanspruch auszulösen. Die Abmahnungen von eBay-Händlern, die ein zweiwöchiges Widerrufsrecht einräumen, könnten dann unter Verweis auf die Rechtsprechung des OLG Hamburg zurückgewiesen werden.
Im entschiedenen Streitfall hatte ein eBay-Händler einen Konkurrenten abgemahnt und den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, weil dieser Konkurrent im Zusammenhang mit der Information zum fernabsatzrechtlichen Widerrufsrecht darauf hingewiesen hatte, es könne eine Wertersatzpflicht vermieden werden, indem die Sache nicht wie ein Eigentümer in Gebrauch genommen werde. Ein solcher Anspruch ist gemäß § 357 Abs. 3 BGB jedoch nur möglich, wenn der Verbraucher "spätestens bei Vertragsschluss in Textform“ auf diese Rechtsfolge hingewiesen wird. Bei eBay ist der Vertrag jedoch bereits im Moment der Bestellung des Kunden geschlossenen, so dass die Textform-Belehrung (zum Beispiel E-Mail) nach dem Wortlaut des Gesetzes eine "juristische Sekunde" spät erfolgt, um Wertersatz für die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme verlangen zu können. Demzufolge hatte zum Beispiel das Landgericht Berlin entschieden, dass bei eBay Verkäufen ein solcher Wertersatzanspruch nicht bestehe.
Der fünfte Zivilsenat des OLG Hamburg schließt sich in seiner Entscheidung zwar der Auffassung des dritten Zivilsenates des OLG Hamburg sowie der Auffassung des Kammergerichts Berlin an, dass im Internet bereitgehaltenen Informationen nicht dem Textformerfordernis des §§ 126b BGB entsprechen, so dass die Belehrung bei eBay nicht „spätestens bei“ Vertragsschluss in Textform erfolgt. Gleichwohl sei ein solcher Wertersatzanspruch denkbar, da die Regelungen in § 312c BGB, nach denen eine Belehrung erst spätestens mit Lieferung der Ware erfolgen muss, systematisch vorrangig seien. Wörtlich führt das Gericht hierzu aus:
„Indessen enthalten die §§ 355 ff BGB nur allgemeine Vorschriften für alle Gesetze, nach denen dem Verbraucher ein Widerrufsrecht eingeräumt ist. Speziell für den Fernabsatz ist in § 312 c BGB näher festgelegt, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form die Widerrufsbelehrung mit dem in § 1 Abs. 1 Nr. 10 BGB-InfoV niedergelegten Inhalt zu erfolgen hat…
Die Erfüllung der Informationspflichten nach § 312 c Abs. 2 BGB hat … in Textform zu erfolgen, und zwar bei Waren - darum geht es hier - spätestens bis zur Lieferung an den Verbraucher (§ 312 c Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB). Diese Regelungen zur Widerrufsbelehrung im Fernabsatz sind als Spezialregelungen zum Zeitpunkt und zur Art und Weise der Belehrung über die Rechtsfolgen des Widerrufs anzusehen und gehen in ihrem Anwendungsbereich § 357 Abs. 3 S. 1 BGB vor (so auch LG Flensburg MMR 06, 686, 687). Somit kann der Antragsgegner sich die Haftung des Käufers für Verschlechterungen in der Weise erhalten, dass er innerhalb der Online-Auktion entsprechend der Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV über die Rechtsfolgen des Widerrufs informiert, sofern er noch spätestens bis zur Lieferung der Ware dem Verbraucher die Widerrufsbelehrung in Textform zukommen lässt.“
Folgt man der Ansicht dieses Senats des OLG Hamburg, wäre auch die Regelungen in § 355 Abs. 2 S. 2 BGB systematisch nachrangig gegenüber der Regelung in § 312c BGB. In § 355 Abs. 2 S. 2 BGB wird bestimmt, dass sich die Frist auf einen Monat verlängert, wenn die Belehrung erst nach Vertragsschluss erfolgt. Nach Auffassung des fünften Zivilsenats des OLG Hamburg würde sich bei Fernabsatzverträgen trotz Belehrung erst nach Vertragsschluss die Frist also nicht auf einen Monat verlängern. Diese Auffassung wurde bereits zuvor in der juristischen Literatur vertreten und nun vom OLG Hamburg aufgegriffen.
Bemerkenswert ist, dass sich der dritte und der fünfte Zivilsenat desselben Gerichts untereinander widersprechen. Der fünfte Zivilsenat hatte bereits zur Frage der Platzierung des Hinweises auf die enthaltene Mehrwertsteuer liberaler und unternehmerfreundlicher als der dritte Senat entschieden, dass es sich nur um einen Bagatellverstoß handele, wenn diese Angabe nicht neben jedem Preis, aber auf der Bestellseite vorhanden ist.
Mit der aktuellen Entscheidung wäre es also möglich, Abmahnungen bezüglich einer angeblichen Monatsfrist bei eBay ebenso zurückzuweisen wie solche Abmahnungen, nach denen das Verlangen von Wertersatz für die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Ware nicht möglich sein soll. Es wäre ausgesprochen erfreulich, wenn sich diese Gerichtsauffassung nun auch bei weiteren Gerichten durchsetzen würde. Das OLG Schleswig hatte vor einiger Zeit einmal bereits in einer mündlichen Verhandlung angedeutet, dass es ein anderes Textformverständnis habe (Texte im Internet können dem Textform Erfordernis genügen); auch nach diesem Gericht würde demnach eine zweiwöchige Frist greifen. Leider kam es in diesem Fall nicht zu einer Entscheidung, da die Klägerin nach der mündlichen Verhandlung die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg zurückgenommen hatte. Mit dem fünften Zivilsenat des OLG Hamburg wäre nun also schon ein zweites Oberlandesgericht der Auffassung, dass bei eBay eine zweiwöchige Widerrufsfrist gilt. Demnach wäre das Verhältnis der Oberlandesgerichte, die eine Monatsfrist befürworten und denen, die eine Zweiwochenfrist befürworten, ausgeglichen.
Wegen des fliegenden Gerichtsstandes im Internet ist jedoch nach wie vor zur Vorsicht zu raten. Denn nun werden Konkurrenten sicherlich häufiger nach Berlin als nach Hamburg gehen, um eine zweiwöchige Frist bei eBay abzumahnen. Die neue Entscheidung des OLG Hamburg könnte jedoch andere Gerichte dazu bewegen, die Frage nach der Länge der Widerrufsfrist noch einmal neu zu überdenken. In jedem Fall zeigt die Entscheidung, dass diese Frage alles andere als geklärt ist. Bleibt zu hoffen, dass hier der BGH in naher Zukunft eine Grundsatzurteil fällt. Bis dahin werden eBay-Händler nach wie vor nicht von Abmahnungen verschont bleiben. (cf)