Das OLG München hat mit Beschluss vom 12.12.2006 (Az: 6 W 2908/06) entschieden, dass die vor einiger Zeit auch in der Presse kritisierte Vorgehensweise von Media Markt, eine Vielzahl von Online-Händlern wegen gleichartiger Verstöße abzumahnen, nicht rechtsmissbräuchlich ist. Damit wurde eine Entscheidung der 33. Zivilkammer des LG München I aufgehoben, die entsprechende Abmahnungen durch Media Markt für unzulässig erklärt hatte. Ein solches Vorgehen sei nicht deshalb rechtsmissbräuchlich, weil es sich gegen eine Vielzahl von Wettbewerbern richtet und die Abmahnschreiben im Wesentlichen gleich formuliert sind. Eine zahlenmäßige Beschränkung sehe das Gesetz nicht vor.
In dem Verfahren ging es um Abmahnungen diverser Media Märkte gegen Online-Händler, die auf Preisvergleichsportalen mit niedrigeren „Ab“-Versandkosten warben, d.h. es wurden auf dem Portal z.B. mit Versandkosten „ab 7 Euro“ geworben, obwohl die Versandkosten für dieses Produkt tatsächlich z.B. mindestens 30 Euro betragen. Dies geschieht häufig deshalb, weil in einigen Preissuchmaschinen technisch nicht zwischen verschiedenen Produkten wie Waschmaschinen einerseits und MP3-Playern andererseits differenziert wird, sondern die Versandkosten nur für alle eingestellten Produkte einmal angegeben werden können. Gegen diese Praktik gingen beim Landgericht München I etwa 80 ähnlich lautende Anträge verschiedener Media Märkte gegen mehrere Händler ein.
Das LG München I lehnte die Anträge auf Erlass einstweiliger Verfügungen wegen Rechtsmissbräuchlichkeit (§ 8 Abs. 4 UWG) ab. In dieser Vorschrift heißt es:
„Die Geltendmachung der in Absatz 1 bezeichneten Ansprüche ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen.“
Das Landgericht sah diese Voraussetzungen als gegeben an. Die 33. Zivilkammer stützte ihre Auffassung, das Vorgehen von Media Markt sei bei einer Gesamtwürdigung als rechtsmissbräuchlich einzuordnen, auf die Zusammenschau verschiedener Gesichtspunkte, wie: die Anzahl eingegangener Anträge; die Tatsache, dass durch die abwechselnde Adressierung an Kammern für Handelssachen und Zivilkammern, der Eindruck erweckt wird, die Gesamtzahl der Anträge solle nicht zu offensichtlich werden; die Höhe der Streitwerte; die Tatsache, dass die Antragsschriften textbausteinartig aufgebaut und über große Strecken wortidentisch sind; und die Tatsache, dass in jedenfalls 12 Fällen die Antragstellerin noch vor Abschluss des einstweiligen Verfügungsverfahrens bereits das Hauptsacheverfahren eingeleitet habe. Die Kammer zog hieraus die Schlussfolgerung, dass das Verhalten insgesamt als rechtsmissbräuchlich einzuordnen sei.
Erkennbar dominiere das Gebührenerzielungsinteresse derart, dass etwaige Interessen der äußerst marktstarken Antragsteller an einer widerspruchsfreien Wiedergabe der Versandkosten hier zurückzustehen hätten. Auch die Tatsache, dass auf Seiten der Elektromarktkette verschiedene rechtlich selbständige Märkte als Antragstellerinnen aufträten, ändere hieran nichts, sondern spreche eher für die Missbrauchsabsicht, da angesichts der Tatsache, dass alle Abmahnungen zentral von der selben Kanzlei aus versandt würden, die Verwendung verschiedener Antragstellerinnen erkennbar dazu diene, mit rein formalistischen Mitteln dem Vorwurf der Rechtsmissbräuchlichkeit entgegenzuwirken.
Die sofortige Beschwerde von Media Markt führte nun zur Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung.
Die Begründung des OLG München ist kurz und knackig:
„Das Vorgehen der Antragstellerin ist auch nicht nach § 8 Abs. 4 UWG etwa deshalb als rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig zu bewerten, weil sie eine Vielzahl von Wettbewerbern wegen gleichartiger Verhaltensweise im geschäftlichen Verkehr angeht. Nach §§ 3, 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG kann jeder Mitbewerber andere Mitbewerber bei einer Zuwiderhandlung auf (Beseitigung und gegebenenfalls auf) Unterlassung in Anspruch nehmen. Eine zahlenmäßige Beschränkung sieht das Gesetz nicht vor.
Daraus folgt, dass ein Wettbewerber auch eine Vielzahl von Mitbewerbern belangen kann, wenn sich eben eine Vielzahl von Mitbewerbern wettbewerbswidrig (weil z.B. irreführend) verhält. Dass damit finanzielle Nachteile für den Gegner und Einnahmen für die Anwälte beider Parteien verbunden sind, liegt in der Natur der Sache. Die Antragstellerin selbst hat jedenfalls keine finanziellen Vorteile. Immerhin trägt sie bei Zahlungsunfähigkeit des Gegners das Risiko, für Gerichts- und Anwaltskosten zu haften.“
Mit anderen Worten: Wer täglich hunderte gleichartige Abmahnungen ausspricht und dafür jedes Mal Anwaltskosten in vierstelliger Höhe berechnet, handelt völlig legal, weil es im Internet nun mal so viele Rechtsverstöße gibt. Traurig, dass die mutigen Beschlüsse des Landgerichts München I nun gekippt wurden. Die konsequente Anwendung des § 8 Abs. 4 UWG könnte dazu beitragen, dass das an sich begrüßenswerte deutsche Abmahnwesen durch wenige Vielfach-Abmahner in Verruf gebracht wird. Die Alternative zur Abmahnung wäre, dass man gleich verklagt werden kann oder eine Behörde mit staatsanwaltschaftlichen Befugnissen einschreitet. Oder Wildwuchs im Markt entsteht, z.B. Händler, die ungestraft ganz ohne Widerrufsrecht verkaufen und sich so einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Das will ja auch niemand.
Aber könnte man nicht die Kosten gesetzlich deckeln? Nicht mehr als 200 Euro für die erste Abmahnung, ähnlich dem Zypries-Modell bei Urheberrechtsverstößen durch Privatpersonen? Es hat jedenfalls nichts mit Verbraucherschutz zu tun, wenn eine unklare Rechtslage zu Preisangaben oder zum Widerrufsrecht zu Lasten der Unternehmer ausnutzt oder dieser mit geballter Finanzkraft großer Hanelsketten in die Knie prozessiert wird. Das liegt nicht „in der Natur der Sache“, sondern am Fehlen eines wirksamen Instruments gegen missbräuchliche Abmahnungen im deutschen Wettbewerbsrecht. (cf)
Siehe zum Thema auch:
FAZ: Media-Markt überzieht Konkurrenz mit Abmahnungen
LG München bestätigt Vorwurf der Rechtsmissbräuchlichkeit gegen Media-Markt
ZDF-Magazin WISO berichtet kritisch über Media-Markt Abmahnungen