Das LG Halle hat mit Urteil v. 13.5.2005 (1 S 28/05) entschieden, dass die vom Bundesjustizministerium zur Verfügung gestellte Muster-Widerrufsbelehrung (§ 14 Abs. 1 BGB- InfoV einschließlich seiner Anlage 2) rechtswidrig und mangels hinreichender Verordnungsermächtigung nichtig ist. § 14 Abs. 2 BGB- InfoV und dessen Anlage 2 stimmten nicht mit den gesetzlichen Regelungen in §§ 355 Abs. 2, 187 Abs. 1 BGB überein. Damit habe das Ministerium den Rahmen der Verordnungsermächtigung in Art. 245 EGBGB zum Nachteil des Verbrauchers überschritten.
Im entschiedenen Fall ging es um ein Haustürgeschäft, für das jedoch die gleiche Musterbelehrung gilt wie für Internet-Geschäfte. Am 1.12.2003 erschien ein Mitarbeiter der Verkäuferin, die Zahlung des Kaufpreises begehrt, unangemeldet in der Wohnung des beklagten Verbrauchers und bot diesem an, Bücher zu einem hohen Kaufpreis zu kaufen. Im Bestellformular wurde das amtliche Belehrungsmuster wie folgt verwendet:
"Der Käufer kann die Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) oder durch Rücksendung der Sache widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs oder der Sache. Der Widerruf ist zu richten an: …"
Die Bücher wurden unmittelbar nach Lieferung vom Kunden am 20.12.2003 wieder zurück geschickt. Das Unternehmen vertrat die Auffassung, die Widerrufsfrist habe jedoch schon am 1.12.2003 zu laufen begonnen (der Fristbeginn ist bei Haustürgeschäften strittig) und klagte den Kaufpreis nebst Inkassokosten ein. Dabei berief sich das Unternehmen auf den Inhalt der Belehrung auf dem Bestellformular "Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung".
Der Verbraucher vertrat die Auffassung, dass bei einem Haustürgeschäft über die Lieferung von Waren nach § 355 Abs. 3 Satz 2 BGB der Tag des Eingangs der Ware beim Empfänger für den Fristbeginn maßgebend ist. Daher sei die Rücksendung der erst am 20.12.2003 zugegangenen Bücher am selben Tage fristgerecht erfolgt.
Das Amtsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, mit der Rücksendung der Bücher am 20.12.2003 sei ein fristgerechter Widerruf erfolgt, weil bei Haustürgeschäften über die Lieferung von Waren der Tag des Eingangs der Waren beim Verbraucher für den Fristbeginn ausschlaggebend sei.
Aber auch unabhängig davon sei der in der Rücksendung liegende Widerruf nicht verfristet gewesen, weil die Widerrufsbelehrung nicht den gesetzlichen Anforderungen des BGB genüge, und zwar ungeachtet dessen, dass der Wortlaut der Belehrung dem Muster in Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB- InfoV entspreche.
Aus dem Text der Musterwiderrufsbelehrung gehe nicht zweifelsfrei der genaue Beginn der Widerrufsfrist hervor, so dass der Verbraucher nicht in die Lage versetzt werde, von seinem Widerrufsrecht uneingeschränkt Gebrauch zu machen.
Das Landgericht wies die Berufung und damit den Kaufpreisanspruch des Unternehmens zurück und setzt sich dabei ausführlich und gut begründet mit den Unzulänglichkeiten der amtlichen Musterbelehrung auseinander.
Es könne dahinstehen, ob für den Beginn der Widerrufsfrist bei Haustürgeschäften die Regelung des § 355 Abs. 3 Satz 2 BGB und damit der Zeitpunkt des Eingangs der Bücher beim Kunden maßgebend ist oder ob es nur auf den Erhalt der Belehrung in Textform ankommt. Jedenfalls sei der mit der Rücksendung der Bücher am 20.12.2003 erfolgte Widerruf nicht verspätet erfolgt.
Denn das Unternehmen habe den Kunden nicht ordnungsgemäß belehrt, so dass die Widerrufsfrist noch gar nicht in Gang gesetzt war. Zwar sei die amtliche Belehrung des Bundesjustizministeriums (Muster in der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB- InfoV) verwendet worden. Weil diese Regelungen und das Muster allerdings - zum Nachteil des Verbrauchers - nicht mit den gesetzlichen Regelungen in §§ 355 Abs. 2, 187 Abs. 1 BGB übereinstimmten und damit den Rahmen der Verordnungsermächtigung in Art. 245 EGBGB überschritten, sei § 14 Abs. 1 BGB- InfoV einschließlich seiner Anlage 2 rechtswidrig und mangels hinreichender Verordnungsermächtigung nichtig.
Das wiederum habe zur Folge, dass die Klägerin sich nicht auf Verwendung des amtlichen Musters berufen könne.
Grundsätzlich sei zwar richtig, dass der Verordnungsgeber (BMJ) im Hinblick auf die Vielzahl an denkbaren Konstellationen im Bereich der Verbraucherverträge eine typisierte Musterwiderrufsbelehrung im Interesse der Rechtssicherheit des Unternehmers entwickeln sollte und durfte.
Die Grenze werde aber dadurch gezogen, dass die Verordnungsermächtigung ausdrücklich dazu ermächtigt, den Inhalt "der dem Verbraucher gem. § 355 Abs. 2 Satz 1 (…) mitzuteilenden Belehrung" festzulegen. Die Bezugnahme auf diese Vorschrift sei verfassungskonform so zu verstehen, dass der Verordnungsgeber (nur) ermächtigt war, den Inhalt einer Belehrung festzulegen, die geeignet ist, dem Verbraucher i.S. von § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB "seine Rechte deutlich" zu machen, d.h. die sich in den Grenzen der gesetzlichen Vorgaben hält. Diese gesetzlichen Vorgaben würden in der Musterbelehrung jedoch in mehreren Punkten überschritten. Das Gericht führt hierzu überzeugend aus:
"a) So spricht das Muster in der Anlage 2 zu § 14 I und III BGB- InfoV davon, die Frist beginne "frühestens mit Erhalt dieser Belehrung", was nach § 187 I BGB, der zu den § 355 II BGB "ergänzenden Vorschriften des BGB" i.S. des § 14 I BGB- InfoV zählt, unrichtig ist. Die Widerrufsfrist beginnt frühestens am Tag nach Erhalt der Belehrung.
b) Es genügt auch nicht der Verordnungsermächtigung, wonach der Verordnungsgeber den Inhalt einer dem Verbraucher "seine Rechte deutlich" machenden Belehrung festlegen sollte, wenn nach dem Inhalt des Belehrungsmusters die Widerrufsfrist "frühestens mit Erhalt dieser Belehrung" beginnt. Diese Formulierung macht dem Verbraucher nicht seine Rechte "deutlich" (§ 355 II 1 BGB), sondern ist für den rechtlichen Laien undeutlich. Dem Verbraucher wird nicht hinreichend klar, dass und unter welchen Voraussetzungen er möglicherweise auch weit jenseits von zwei Wochen nach Erhalt der Widerrufsbelehrung die Möglichkeit hat, von seinem Widerrufsrecht Gebrauch zu machen.
c) Bei einem schriftlich abzuschließenden Vertrag (§ 492 I 1 BGB) weicht das Muster auch insofern zum Nachteil des Verbrauchers von den gesetzlichen Vorgaben ab, als § 355 II 3 BGB keine Berücksichtigung findet. Danach beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen, bevor dem Verbraucher auch eine Vertragsurkunde, der schriftliche Antrag des Verbrauchers oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Antrags zur Verfügung gestellt werden."
Weil sich Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV zum Nachteil des Verbrauchers nicht in den Grenzen der Verordnungsermächtigung (Art. 245 EGBGB) halte, sei die BGB-InfoV insoweit nichtig. Das habe zur Folge, dass sich das klagende Unternehmen nicht darauf berufen kann, es habe eine der BGB-InfoV genügende Widerrufsbelehrung verwendet, für die nach § 14 Abs. 1 BGB-InfoV die Vermutung der Ordnungsgemäßheit gelte. Die Frage der hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit der Belehrung sei - mangels Wirksamkeit des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV und der Anlage 2 - an den gesetzlichen Vorgaben selbst zu messen.
Denen genüge die verwendete Belehrung nicht, weil nicht "deutlich" über den Zeitpunkt des Beginns der Widerrufsfrist belehrt wurde ("frühestens"; "mit Erhalt dieser Belehrung"). Die Formulierung "frühestens" sei undeutlich, da der juristische Laie nicht wisse, wann in seinem konkreten Fall die Frist zu laufen beginnt, ob ein Fall des frühestmöglichen Beginns vorliegt oder ein Fall, in dem die Frist erst später zu laufen beginnt. Im Übrigen sei auch die Formulierung "mit Erhalt dieser Belehrung" irreführend, da die Belehrung eben nicht den gesetzlichen Vorgaben entspreche und somit die Ware mangels wirksamer Belehrung auch noch länger zurückgegeben werden könne.
Das Gericht entschied über einen Fall aus dem Jahr 2003 noch unter Geltung der alten Muster-Belehrung. Sollte sich dieses Urteil durchsetzen, könnten Verbraucher zumindest die Verträge, die vor dem 8.12.2004 unter Verwendung des amtlichen Musters geschlossen wurden, noch heute widerrufen. Aus Sicht von Trusted Shops ist das Urteil selbst in keiner Weise zu beanstanden, da es die Fehler der handwerklich schlechten Musterbelehrung aufdeckt und auf die entstehenden Probleme hinweist. Allerdings ist es geradezu skandalös, dass das Bundesjustizministerium die geltenden Gesetze nicht richtig umsetzen kann und Händler nun möglicherweise wegen Verwendung des amtlichen Musters wirtschaftliche Schäden erleiden.
Das amtliche Muster des Bundesjustizministeriums ist seit seiner Einführung Gegenstand der Kritik. Es ist nicht nur sprachlich hölzern und wird weder von Händlern noch Verbrauchern akzeptiert, sondern enthält eine Reihe von Fehlern, die schon seit geraumer Zeit in der juristischen Literatur kritisiert werden und von denen einige nun in dem Urteil des LG Halle aufgezeigt wurden.
Gleichwohl ist es aus unserer Sicht nach wie vor ratsam, die aktuelle Muster-Belehrung unverändert und vollständig (wichtig!) zu verwenden. Denn der in diesem Urteil für unwirksam erklärte § 14 Abs. 1 BGB-InfoV ist im Zuge der Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen in zulässiger Weise per Gesetz neu verkündet worden und hat daher nicht mehr den Rang einer Ministerialverordnung, sondern eines Parlamentsgesetzes. Dies führt nach unserer Ansicht dazu, dass § 355 BGB und § 14 BGB-InfoV auf derselben normenhierarchischen Ebene stehen. Das Muster hat also die gleiche Wirkung wie ein Gesetz. Diese Frage ist allerdings strittig.
Eine dauerhafte Lösung ist dieser Zustand natürlich nicht. Unklar ist, ob das Bundesjustizministerium Pläne hat, die Fehler zu korrigieren. Wir werden in der nächsten Auflage des Trusted Shops Praxishandbuches eine alternative Belehrung zur Verfügung stellen. Lesen Sie hierzu auch unsere FAQ zur amtlichen Muster-Widerrufsbelehrung.