EuGH: Desinfektionsmittel dürfen nicht als „hautfreundlich“ beworben werden

Noch immer sind Desinfektionsmittel stark nachgefragt. Hierbei handelt es sich jedoch um Produkte, für die neben speziellen Kennzeichnungsvorschriften auch besondere Vorgaben für die Werbung gelten. Der EuGH (Urt. v. 20.6.2024 – C-296/23) entschied nun, dass es unzulässig sei, Desinfektionsmittel als „haufreundlich“ zu bewerben.

Darum ging es in dem Verfahren

Die Beklagte, eine Drogeriemarktkette, bewarb auf ihrer Internetseite ein Desinfektionsmittel mit der Aussage „ökologisches Universal-Breitband-Desinfektionsmittel“. Neben dieser Aussage waren zudem auf dem Etikett die Angabe „Hautfreundlich“ und „Bio“ zu lesen. Die Klägerin, die Wettbewerbszentrale, mahnte sie wegen dieser Darstellung ab. Die Beklagte zahlte weder die Abmahngebühren noch gab sie die geforderte Unterlassungserklärung ab. Der Hersteller des Produkts ist dem Streit im Laufe des Verfahrens als Nebenintervenient beigetreten.

Das LG Karlsruhe hatte die Beklagte zur Unterlassung verurteilt. Die beanstandeten Werbeaussagen seien irreführend und verstießen gegen die Biozid-VO. Auf die Berufung der Beklagten hin hatte das OLG Karlsruhe entschieden (Urt. v. 6.2.2022- 6 U 95/21), dass der Begriff „hautfreundlich“ kein „ähnlicher“ und damit ein zulässiger Begriff im Sinne des Art. 72 Abs. 3 S. 2 Biozid-VO sei und wies die eingelegte Berufung zurück.

Mit ihrer anschließenden Revision verfolgt die Klägerin ihren Unterlassungsantrag hinsichtlich der Werbeaussage „hautfreundlich“ weiter. Der BGH (Vorlagebeschluss v. 20.4.2023 – I ZR 108/22) hatte das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die entsprechende Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Rechtlicher Hintergrund

Bei Desinfektionsmitteln handelt es sich um Biozidprodukte. Sie fallen daher in den Anwendungsbereich der Biozid-VO (VO [EU] Nr. 528/2012). Anhang V der Verordnung enthält eine Liste der unter diese Verordnung fallenden Arten von Biozidprodukten mit ihrer Beschreibung. Zur Hauptgruppe 1 zählen Desinfektionsmittel.

Neben den allgemeinen Vorschriften gelten mit Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO zusätzliche Anforderungen an die Werbung für Biozide. Danach darf das Produkt nicht in einer Weise dargestellt werden, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend ist und diese verharmlost.

(3) In der Werbung für Biozidprodukte darf das Produkt nicht in einer Art und Weise dargestellt werden, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend ist. Die Werbung für ein Biozidprodukt darf auf keinen Fall die Angaben „Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial“, „ungiftig“, „unschädlich“, „natürlich“, „umweltfreundlich“, „tierfreundlich“ oder ähnliche Hinweise enthalten.

Vorlagefrage an den EuGH

Der BGH stellte klar, dass der Erfolg der von der Klägerin eingelegten Revision davon abhängig sei, wie der Begriff der in einer Werbung für Biozidprodukte verbotenen „ähnlichen Hinweise“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 S. 2 Biozid-VO über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten auszulegen sei. Demzufolge wurde dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind „ähnliche Hinweise“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 nur solche in einer Werbung enthaltenen Hinweise, die genauso wie die in dieser Vorschrift ausdrücklich aufgezählten Begriffe die Eigenschaften des Biozids hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit in pauschaler Weise verharmlosen, oder fallen unter „ähnliche Hinweise“ alle Begriffe, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit einen den konkret aufgezählten Begriffen vergleichbaren verharmlosenden, nicht aber zwingend auch einen generalisierenden Gehalt wie diese aufweisen?

Dabei stellte der BGH klar, dass aus seiner Sicht die Bewerbung eines „hautfreundlichen“ Desinfektionsproduktes zulässig sei. Eine pauschale Verharmlosung des Risikopotenzials beim Einsatz und der Verwendung von Biozidprodukten sei gerade nicht anzunehmen. Stattdessen würde sich die Werbung auf spezifische Aspekte des Produkts beziehen und damit potenzielle Nebenwirkungen nicht negieren.

Die Entscheidung des EuGH

Der EuGH entschied nun, dass die Bewerbung eines Biozidprodukts als „hautfreundlich“ dazu geeignet sei, etwaige schädliche Nebenwirkungen zu relativieren bzw. sogar andeute, dass das entsprechende Produkt für die Haut sogar nützlich sein könne. Eine solche Angabe sei nach Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO irreführend und unzulässig. Damit folgte er nicht der Einschätzung des BGH.

Im vorliegenden Fall genügt in Bezug auf die in der Werbung für das betreffende Biozidprodukt verwendete Angabe „hautfreundlich“ der Hinweis, dass eine solche Angabe, die auf den ersten Blick eine positive Konnotation hat und die Erwähnung jeglicher Risiken vermeidet, geeignet ist, die schädlichen Nebenwirkungen dieses Produkts zu relativieren, oder, wie die griechische Regierung und die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen vortragen, anzudeuten, dass dieses Produkt für die Haut sogar von Nutzen sein könnte. Eine solche Angabe ist irreführend im Sinne von Art. 72 Abs. 3 der Verordnung Nr. 528/2012, so dass das Verbot ihrer Verwendung in der Werbung für dieses Produkt gerechtfertigt ist. […]

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 dahin auszulegen ist, dass der Begriff „ähnliche Hinweise“ im Sinne dieser Bestimmung jeden Hinweis in der Werbung für Biozidprodukte umfasst, der – wie die in dieser Bestimmung genannten Angaben – diese Produkte in einer Art und Weise darstellt, die hinsichtlich der Risiken dieser Produkte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder ihrer Wirksamkeit irreführend ist, indem er diese Risiken verharmlost oder sogar negiert, ohne jedoch zwingend allgemeinen Charakter zu haben.

Allgemeine und spezifische Angaben erfasst

Der EuGH stellte klar, dass die in Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO genannten Angaben Beispiele für Aussagen darstellen, die hinsichtlich dieser Risiken irreführend und damit unzulässig sind. Hiervon würden sowohl allgemeine als auch spezifische Hinweise erfasst.

Die in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 genannten Angaben einschließlich der „ähnlichen Hinweise“ stellen Beispiele für Angaben dar, die hinsichtlich dieser Risiken offensichtlich irreführend sind und für die daher das in Art. 72 Abs. 3 dieser Verordnung vorgesehene Verbot der Verwendung in der Werbung für Biozidprodukte gilt.

Daraus folgt für die Erheblichkeit des angeführten allgemeinen Charakters der in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 dieser Verordnung genannten Angaben, dass sowohl ein allgemeiner als auch ein spezifischer Hinweis hinsichtlich der mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken offensichtlich irreführend sein kann, indem er die Risiken dieser Biozidprodukte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit verharmlost oder diese Risiken sogar negiert, so dass ein solcher allgemeiner Charakter für die Feststellung, ob ein Hinweis, der sich auf ein Biozidprodukt bezieht, unter den Begriff „ähnliche Hinweise“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 dieser Verordnung fällt, nicht von Belang sein kann.

Schutz der Gesundheit und Umwelt

Die Biozid-VO verfolge das Ziel, die Gesundheit von Mensch und Tier und die Umwelt zu schützen. Zu diesem Zweck wollte der Unionsgesetzgeber mit Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO die Formulierung der Angaben über die mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken in der Werbung für diese Erzeugnisse eingehend und umfassend regeln.

Der Unionsgesetzgeber wollte somit den freien Verkehr von Biozidprodukten und ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt in einen spezifischen Ausgleich bringen (Urteil vom 19. Januar 2023, CIHEF u. a., C‑147/21, EU:C:2023:31, Rn. 64).

Zu diesem Zweck wollte der Unionsgesetzgeber mit Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 die Formulierung der Angaben über die mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken in der Werbung für diese Erzeugnisse eingehend und umfassend regeln, da dieser Artikel einen obligatorischen Hinweis vorsieht, ausdrücklich bestimmte Angaben verbietet und ganz allgemein darauf abzielt, jede hinsichtlich der Risiken solcher Erzeugnisse irreführende Werbeaussage zu verbieten (Urteil vom 19. Januar 2023, CIHEF u. a., C‑147/21, EU:C:2023:31, Rn. 63).

Verharmlosende Aussagen sind unzulässig

Der EuGH entschied, dass es nicht erlaubt sei, Werbeaussagen für Biozidprodukte zu verwenden, die sich auf das Fehlen von Risiken oder ein geringes Risiko oder auf bestimmte positive Wirkungen dieser Produkte beziehen, um diese Risiken zu verharmlosen oder sie sogar zu negieren. Zugleich stellte das Gericht klar, dass von Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO solche Hinweise, die die Risiken dieser Biozidprodukte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit weder verharmlosen noch ausschließen, nicht erfasst werden.

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass, wie sich aus Rn. 33 des vorliegenden Urteils ergibt, Hinweise, die die Risiken dieser Biozidprodukte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit weder verharmlosen noch ausschließen, grundsätzlich nicht unter das in Art. 72 Abs. 3 dieser Verordnung vorgesehene Verbot der Verwendung in der Werbung für Biozidprodukte fallen.

Dagegen kann es nicht erlaubt sein, Werbeaussagen für Biozidprodukte zu verwenden, die sich auf das Fehlen von Risiken oder ein geringes Risiko oder auf bestimmte positive Wirkungen dieser Produkte beziehen, um diese Risiken zu verharmlosen oder sie sogar zu negieren. Wie die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen ausgeführt hat, können solche Angaben eine übermäßige, nachlässige oder fehlerhafte Verwendung dieser Produkte fördern, was dem Ziel zuwiderläuft, ihren Einsatz zu minimieren.

„Hautfreundlich“ ist unzulässig

Die Bewerbung eines Biozidprodukts als „hautfreundlich“ sei dazu geeignet, etwaige schädliche Nebenwirkungen zu relativieren bzw. sogar andeute, dass das entsprechende Produkt für die Haut sogar nützlich sein könne. Eine solche Angabe sei nach Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO irreführend und unzulässig. An dieser Auslegung ändere auch der nach Art. 72 Abs. 1 Biozid-VO erforderliche Warnhinweis nichts. Vielmehr könnte die Aufmerksamkeit der Verbraucher durch weitere Aussagen von diesem Warnhinweis abgelenkt werden.

Im vorliegenden Fall genügt in Bezug auf die in der Werbung für das betreffende Biozidprodukt verwendete Angabe „hautfreundlich“ der Hinweis, dass eine solche Angabe, die auf den ersten Blick eine positive Konnotation hat und die Erwähnung jeglicher Risiken vermeidet, geeignet ist, die schädlichen Nebenwirkungen dieses Produkts zu relativieren, oder, wie die griechische Regierung und die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen vortragen, anzudeuten, dass dieses Produkt für die Haut sogar von Nutzen sein könnte. Eine solche Angabe ist irreführend im Sinne von Art. 72 Abs. 3 der Verordnung Nr. 528/2012, so dass das Verbot ihrer Verwendung in der Werbung für dieses Produkt gerechtfertigt ist.

Diese Auslegung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich der in Art. 72 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 528/2012 vorgesehene obligatorische Hinweis von der eigentlichen Werbung deutlich abheben und gut lesbar darauf hinweisen muss, dass Biozidprodukte vorsichtig zu verwenden und vor Gebrauch stets das Etikett und die Produktinformationen zu lesen sind. Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, könnte die Lektüre des Etiketts sogar die Aufmerksamkeit der Verbraucher von anderen Informationen auf dem Etikett ablenken.

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20.06.24