BGH: Bei Nahrungsergänzungsmitteln in Kapselform ist der Grundpreis anzugeben

Bei Produkten, die nach Gewicht, Volumen, Länge oder Fläche zu einem festen Preis angeboten werden, besteht gem. § 4 Abs. 1 PAngV die Pflicht, einen Grundpreis anzugeben. Gilt dies jedoch auch für Nahrungsergänzungsmittel in Kapselform? Ja, entschied nun der BGH (Urt. v. 23.3.2023 – I ZR 17/22) und klärte damit eine bereits länger umstrittene Frage.

Der Beklagte betreibt eine Apotheke und bot über seinen Onlineshop Aminosäureprodukte in Kapselform an, ohne dabei den Grundpreis anzugeben. Der Kläger, ein Mitbewerber, mahnte den Beklagten und 24 weitere Wettbewerber mit wortlautidentischen Schreiben vom 5.2.2019 wegen der fehlenden Grundpreisangabe ab. Die geforderte Unterlassungserklärung gab er jedoch nicht ab und der Kläger beantragte erfolgreich eine einstweilige Verfügung. Noch vor Abschluss des Verfügungsverfahrens hat der Kläger das Hauptsacheverfahren gegen den Beklagten eingeleitet. Das LG Hamburg (Urt. v. 26.3.2021 – 416 HKO 106/19) hatte der Klage in erster Instanz stattgegeben, die Berufung des Beklagten vor dem OLG Hamburg (Urt. v. 20.1.2022 – 3 U 66/21) blieb ohne Erfolg. Gegen diese Entscheidung richtete er seine Revision.

Der BGH entschied nun, dass eine Pflicht zur Grundpreisangabe auch bei Nahrungsergänzungsmitteln in Kapselform bestehe.

Anzahl der Abmahnungen nicht rechtsmissbräuchlich

Zunächst musste das Gericht die Frage klären, ob die Abmahntätigkeit des Klägers rechtsmissbräuchlich erfolgte. Ein Rechtsmissbrauch sei anzunehmen, wenn sich der Gläubiger bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs von sachfremden, für sich genommen nicht schutzwürdigen Interessen und Zielen leiten lässt, so der BGH. Hierzu reichten die 25 identischen Schreiben des Klägers jedoch nicht aus.

Ein Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, wenn sich der Gläubiger bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs von sachfremden, für sich genommen nicht schutzwürdigen Interessen und Zielen leiten lässt. Diese müssen jedoch nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die sachfremden Ziele überwiegen (stRspr; vgl. nur BGH GRUR 2021, 84 Rn. 17 = WRP 2021, 192 – Verfügbare Telefonnummer, mwN). Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs erfordert eine sorgfältige Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände (BGH GRUR 2019, 199 Rn. 21 = WRP 2019, 180 – Abmahnaktion II, mwN). Hat ein Beklagter in ausreichendem Umfang Indizien vorgetragen, die für eine missbräuchliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sprechen, obliegt es dem Kläger, diese Umstände zu widerlegen (BGH GRUR 2006, 243 Rn. 21 = WRP 2006, 354 – MEGA SALE, mwN).[…]

Wie das BerGer. seiner Entscheidung richtig zugrunde gelegt hat, reicht der Umstand allein, dass der Kl. im ersten Halbjahr 2019 insgesamt 39 Abmahnungen in drei Komplexen ausgesprochen hat, wovon der zweite Komplex die 25 wortlautidentischen Abmahnungen vom 5.2.2019 wegen Verstößen gegen die Verpflichtung zur Grundpreisangabe betraf, für sich genommen nicht aus, um ein rechtsmissbräuchliches Verhalten anzunehmen (vgl. BGH GRUR 2013, 176 Rn. 25 = WRP 2013, 336 – Ferienluxuswohnung; BGH GRUR 2019, 1044 Rn. 18 = WRP 2019, 1475 – Der Novembermann, mwN). Zu einer umfangreichen Abmahntätigkeit oder einer Vielzahl von Abmahnungen gegen Wettbewerber wegen gleichartiger Verhaltensweisen müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten, damit der Schluss auf ein Überwiegen sachfremder Ziele gerechtfertigt erscheint (vgl. BGHZ 144, 165 = GRUR 2000, 1089 Rn. 34 – Missbräuchliche Mehrfachverfolgung; BGH GRUR 2019, 966 Rn. 45 = WRP 2019, 1182 – Umwelthilfe). Dass im Streitfall derartige Umstände gegeben sind, hat das BerGer. zu Recht verneint.

Kein wirtschaftliches Missverhältnis zwischen Kosten der Rechtsverfolgung und Tätigkeit

Nach § 8c Abs. 2 Nr. 2 UWG kann sich ein Rechtsmissbrauch auch daraus ergeben, dass die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht. Ein solches Missverhältnis konnte das Gericht vorliegend nicht erkennen.

Das BerGer. hat erkannt, dass sich ein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Rechtsverfolgung unter anderem daraus ergeben kann, dass die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht (§ 8c II Nr. 2 UWG nF sowie stRspr; vgl. BGH GRUR 2016, 961 Rn. 15 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; BGH GRUR 2019, 199 Rn. 21 – Abmahnaktion II, jew. mwN), und dies nach den Umständen des Streitfalls rechtsfehlerfrei verneint. Das BerGer. hat erkannt, dass sich ein Anhaltspunkt für eine missbräuchliche Rechtsverfolgung unter anderem daraus ergeben kann, dass die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht (§ 8c II Nr. 2 UWG nF sowie stRspr; vgl. BGH GRUR 2016, 961 Rn. 15 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; BGH GRUR 2019, 199 Rn. 21 – Abmahnaktion II, jew. mwN), und dies nach den Umständen des Streitfalls rechtsfehlerfrei verneint.

Es hat gemeint, durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass die möglichen Kosten etwaiger Prozesse zu einer Existenzbedrohung des Kl. führen könnten, seien weder dargetan noch sonst ersichtlich. Ebenso wenig ergebe sich ein wirtschaftliches Missverhältnis zwischen den Kosten der Rechtsverfolgung und der gewerblichen Tätigkeit des Kl. Es sei von einem maximalen Prozesskostenrisiko für die erste Instanz von insgesamt 159.537,30 EUR (für 39 Abmahnungen bei beiderseitiger anwaltlicher Vertretung) auszugehen. Der Kl. habe glaubhaft gemacht, mit seinem kaufmännischen Einzelunternehmen im Jahr 2019 einen Umsatz von mehr als 700.000 EUR durch den Onlinevertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln erzielt zu haben. Es sei anzunehmen, dass der Kl. durch sein Ladengeschäft sowie als Großhändler weiteren Umsatz mit Nahrungsergänzungsmitteln generiert habe. Eine Existenzbedrohung durch die Kosten der ausgesprochenen Abmahnungen sowie durch etwaige gerichtliche Verfahren oder ein wirtschaftliches Missverhältnis zwischen diesen Kosten und der gewerblichen Tätigkeit des Kl. könne auf dieser Grundlage nicht festgestellt werden. Die hiergegen von der Revision erhobenen Rügen greifen nicht durch.

Pflicht zur Grundpreisangabe

Der BGH hat im Ergebnis zwar den Anspruch des Klägers verneint, jedoch nur, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung kein konkretes Wettbewerbsverhältnis mehr bestand. Das Gericht stellte jedoch klar, dass eine Pflicht zur Angabe des Grundpreises nach § 2 Abs. 1 PAngV a.F. (seit dem 28.5.2022 ist die Pflicht zur Grundpreisangabe in § 4 Abs. 1 PAngV geregelt) bestand.

Das BerGer. hat weiter zutreffend angenommen, dass die beanstandete Handlung wegen eines Verstoßes gegen § 2 I PAngV in der bis zum 27.5.2022 geltenden Fassung (aF) zum Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung rechtswidrig war. Sie stellt daher ein nach § 5a II 1 und IV UWG in der bis zum 27.5.2022 gültigen Fassung (aF) unlauteres Verhalten dar.

Angebot nach Gewicht

Bei den angebotenen Produkten handle es sich um Waren in Fertigverpackungen nach § 2 Abs. 1 S. 1 PAngV a.F., die nach Gewicht angeboten werden. Dieses Merkmal sei erfüllt, wenn Angaben zur Füllmenge der in einer Verkaufseinheit angebotenen Ware gesetzlich vorgeschrieben sind. Dies sei nach Art. 9 Abs. 1 e) i.V.m. Art. 23 Abs. 1 LMIV der Fall.

Der Begriff des Anbietens gem. § 2 I 1 PAngV aF (§ 4 I 1 PAngV nF) umfasst jede gezielt auf den Absatz eines bestimmten Produkts gerichtete werbliche Ankündigung, durch die der Verbraucher so viel über das Produkt und dessen Preis erfährt, dass er sich für den Kauf entscheiden kann (vgl. BGH GRUR 2014, 403 Rn. 8 = WRP 2014, 435 – DER NEUE; BGH GRUR 2022, 1163 Rn. 32 – Grundpreisangabe im Internet, jew. mwN). Dieses Merkmal ist im Streitfall ebenfalls erfüllt.

Das BerGer. hat weiter zu Recht angenommen, dass der Bekl. das Aminosäureprodukt wegen des Bestehens einer entsprechenden spezialgesetzlichen Pflicht (Art. 9 I Buchst. e der VO (EG) Nr. 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (Lebensmittelinformationsverordnung – LMIV)) auch iSv § 2 I 1 PAngV aF nach Gewicht angeboten hat.

Ausnahme nach LMIV greift nicht

Eine Ausnahme von dieser Pflicht enthält jedoch Anhang IX Nr. 1 c) LMIV. Danach ist die Angabe der Nettofüllmenge nicht verpflichtend bei Lebensmitteln, die normalerweise nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht werden, sofern die Stückzahl von außen leicht zu sehen und einfach zu zählen ist oder anderenfalls in der Kennzeichnung angegeben ist. Dieser Umstand beurteile sich nach der Verkehrsauffassung aus Sicht eines verständigen Durchschnittsverbrauchers und greife vorliegend nicht.

Zur Begründung hat das BerGer. ausgeführt, von der Ausnahmevorschrift des Art. 23 III LMIV iVm Nr. 1 Buchst. c des Anh. IX der LMIV erfasst seien „stückige“ Produkte wie Obst und Gemüse, Eier, aber auch Backwaren, mithin Produkte, bei denen aus Sicht der Verbraucher das Stück die „natürliche“ Mengeneinheit bilde. Aminosäureprodukte würden unstreitig in verschiedenen Formen (etwa als Pulver, Liquid, Tablette oder Kapsel) angeboten. Wie sich aus der Formulierung der Nr. 1c des Anh. IX der LMIV ergebe, sei Anknüpfungspunkt für die Ausnahme von der Kennzeichnungspflicht das Lebensmittel an sich, nicht hingegen seine vom Hersteller frei wählbare Darreichungsform. Die entgegenstehende Sichtweise verenge den Begriff des Lebensmittels von vornherein auf dessen jeweilige Darreichungsform. Diese werde aber in Nr. 1c des Anh. IX der LMIV weder als Kriterium erwähnt noch sei ersichtlich, warum darauf abgestellt werden solle. Wäre die Form für die Bestimmung, was als Lebensmittel iSv Nr. 1c des Anh. IX der LMIV anzusehen sei, von Relevanz, ließe dies Zweifel am Sinngehalt des Satzteils „die normalerweise nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht werden“ aufkommen. Aus der Antwort auf die Frage, was als Lebensmittel anzusehen sei, ergäbe sich zugleich, ob die genannte Ausnahme vorliege. Das Prüfkriterium liefe dann weitgehend leer. Außerdem wäre unter Zugrundelegung dieser Sichtweise bei Lebensmitteln, die in verschiedenen Darreichungsformen angeboten würden, von unterschiedlichen Lebensmitteln auszugehen, obwohl das Lebensmittel als solches identisch wäre. Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.

Vorenthalten wesentlicher Information

Nach § 5a Abs. 2 S. 1 UWG aF handelt unlauter, wer im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthält, die der Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Preisvergleiche seien für Verbraucher trotz unterschiedlicher Einnahmezwecke und Aminosäureprofile verschiedener Produkte möglich.

Nach Art. 7 V RL 2005/29/EG, deren Umsetzung § 5a IV UWG aF dient, gelten die im Unionsrecht festgelegten Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung oder Marketing, auf die in der nicht erschöpfenden Liste des Anhangs II verwiesen wird, als wesentlich. In der Liste des Anhangs II wird zwar lediglich die Pflicht zur Angabe des Grundpreises bei der Werbung unter Angabe von Preisen (Art. 3 IVRL 98/6/EG, § 2 I 2 PAngV aF), nicht aber die – hier in Rede stehende – Pflicht zur Angabe des Grundpreises beim Angebot von Waren (Art. 3 IRL 98/6/EG, § 2 I 1 PAngV aF) genannt. Dennoch gilt nach Art. 7 V RL 2005/29/EG nicht nur die Pflicht zur Angabe des Grundpreises bei der Werbung unter Angabe von Preisen, sondern auch die Pflicht zur Angabe des Grundpreises beim Angebot von Waren als wesentlich. […]

Das BerGer. hat ausgehend von diesen Grundsätzen gemeint, anhand des Grundpreises könne der Verbraucher das Preis-Mengen-Verhältnis erkennen und ohne Schwierigkeiten einen Preisvergleich vornehmen. Dem Vortrag des Bekl., wonach der Grundpreis für Verbraucher irrelevant sei, könne nicht gefolgt werden. Der Preis eines Produkts sei ein wesentliches Kriterium, das die Kaufentscheidung beeinflussen und den Verbraucher zu einer anderen Kaufentscheidung veranlassen könne. Ein einfacher Preisvergleich könne sowohl hinsichtlich der beworbenen Aminosäurekapseln selbst erfolgen, soweit diese von verschiedenen Anbietern in unterschiedlichen Packungsgrößen zu unterschiedlichen Gesamtpreisen angeboten würden, als auch in Bezug auf Aminosäurekapseln anderer Anbieter. Gleiches gelte bezüglich Aminosäureprodukten, die in anderen Darreichungs- oder Verpackungsformen angeboten würden. Dass Aminosäureprodukte unterschiedliche Aminosäureprofile aufwiesen und zu unterschiedlichen Zwecken eingenommen würden, rechtfertige nicht den Schluss, dass sie überhaupt nicht miteinander vergleichbar seien. Die Angabe eines Stückpreises pro Kapsel sei nicht geeignet, dem Verbraucher einen umfassenden und einfachen Preisvergleich, insbesondere auch mit Aminosäureprodukten in Pulverform, zu ermöglichen. Dass die Füllmenge des Nahrungsergänzungsmittels nicht mit dem Wirkstoff korreliere und die Wirkstoffkonzentration für den Verbraucher von besonderem Interesse sei, stehe der vertretenen Ansicht nicht entgegen. Die gewichtsbezogene Grundpreisangabe sei auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil Verbraucher anhand der Verzehrempfehlung nachvollziehen könnten, für wie viele Tage eine Packung ausreiche. Diese auf tatgerichtlichem Gebiet liegende Bewertung des BerGer. ist nicht zu beanstanden.

Fazit

Die Frage, ob bei Nahrungsergänzungsmitteln in Kapselform ein Grundpreis anzugeben ist, war bereits länger umstritten. U.a. sowohl das LG Düsseldorf als auch das OLG Düsseldorf hatten eine Pflicht zur Grundpreisangabe angenommen. Das OLG Celle u.a. hatte diese Frage jedoch anders beantwortet und entschied, dass kapselförmige Nahrungsergänzungsmittel von der Ausnahme in Anhang IX Nr. 1 c) LMIV erfasst werden. Der BGH hat die Frage nun endgültig geklärt. Beim Angebot von Nahrungsergänzungsmitteln in Kapselform muss der Grundpreis angegeben werden.

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12.09.23