Nach dem Anti-Abmahngesetz enthält § 8c Abs. 2 UWG bestimmte Indizien, bei deren Vorliegen von einem Rechtsmissbrauch ausgegangen werden kann. Im nun vom LG Bochum (Urt. v. 18.7.2023 – I-17 O 22/23) entschiedenen Fall kamen mehrere Indizien zusammen, die für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs sprachen. Unsere Partnerkanzlei Internet-Rostock.de hat den Beklagten in diesem Verfahren erfolgreich vertreten.

Die Parteien sind Mitbewerber. Im Rahmen eines Angebots des Verfügungsbeklagten für ein USB-Ladekabel bei eBay fanden sich dort am 26.5.2023 unter der Überschrift „Rücknahmebedingungen“ zwei unterschiedliche Fristen („30 Tage“ bzw. „vierzehn Tage“). Der Verfügungsbeklagte, der zu diesem Zeitpunkt nicht bei der Stiftung Elektro-Altgeräte Register (ear) registriert war, gab in diesem Angebot eine tatsächlich nicht registrierte WEEE-Nummer an. Nach einem bei ihm durchgeführten Testkauf versandte der Verfügungsbeklagte eine Rechnung, die keine Angaben zur WEEE-Nummer enthielt. Schließlich war der vom Verfügungsbeklagten in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgehaltene Link zur OS-Plattform nicht klickbar. Daraufhin ließ ihn der Verfügungskläger am 5.6.2023 abmahnen und setzte ihm hinsichtlich des Eingangs einer Unterlassungserklärung eine Frist bis zum 13.6.2023 und fügte insoweit den Entwurf einer „Unterlassung-und Verpflichtungserklärung“ bei, die sich auf alle oben genannten Punkte mit Ausnahme des nicht klickbaren Links auf die OS-Plattform bezog. Er forderte den Verfügungsbeklagten im Rahmen der Abmahnung ferner zur Erstattung der Abmahnkosten auf und berechnete diese nach einem Gegenstandswert von 80.000,00 €.

Unter dem Datum vom 13.6.2023 erstellte der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsbeklagten eine Stellungnahme im Hinblick auf die Abmahnung und sandte sie an diesem Tag per BeA an den Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers, wo sie um 16:50 Uhr in dessen elektronischem Postfach einging.

Ebenfalls am 13.6.2023 reichte der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers um 18:07 Uhr per BeA einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Hinblick auf die in der Abmahnung monierten Punkte mit Ausnahme des nicht klickbaren Links auf die OS-Plattform ein. Die Stellungnahme des Verfügungsbeklagten vom 13.6.2023 leitete der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers jedoch nicht an das Gericht weiter. Am 14.06.2023 hat das erkennende Gericht um 13:04 Uhr die einstweilige Verfügung erlassen.

Das LG Bochum hat die einstweilige Verfügung nun aufgehoben und den Antrag des Verfügungsklägers auf deren Erlass wegen Rechtsmissbrauchs zurückgewiesen.

Kriterien des Rechtsmissbrauchs

Zunächst stellte das LG Bochum noch einmal klar, wann von einem Rechtsmissbrauch auszugehen sei.

Gemäß § 8c Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG ist die Geltendmachung der in § 8 Abs. 1 UWG bezeichneten Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände rechtsmissbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Von einem Rechtsmissbrauch ist auszugehen, wenn sich der Gläubiger bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs von sachfremden Gesichtspunkten leiten lässt. Diese müssen jedoch nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die sachfremden Ziele überwiegen. Die Bestimmung des § 8c Abs. 1 UWG bezieht sich dabei nicht nur auf die gerichtliche Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche, sondern – wie schon ihr Wortlaut nahelegt – generell auf die Geltendmachung und insbesondere auch die vorgerichtliche Geltendmachung solcher Ansprüche (BGH, Urteil vom 21.01.2021, Az. I ZR 17/18 m. w. N.).

Damit ist im Rahmen der Abwägung der Gesamtumstände sowohl Verhalten im vorgerichtlichen Bereich als auch im gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen.

Verschweigen der Stellungnahme rechtsmissbräuchlich

Das Gericht ließ offen, ob der Verfügungskläger vor dem Absenden des Antrages an das Gericht bereits Kenntnis von der in seinem elektronischen Postfach schon eingegangenen Stellungnahme des Verfügungsbeklagten hatte oder nicht. Denn es war auch rechtsmissbräuchlich, die Stellungnahme nicht unaufgefordert nach Einreichung des Antrags an das Gericht nachzureichen.

Ob der Verfügungskläger vor dem Absenden des Antrages an das Gericht bereits Kenntnis von der in seinem elektronischen Postfach schon eingegangenen Stellungnahme des Verfügungsbeklagten hatte oder nicht, kann letztlich dahinstehen. Denn jedenfalls ist in diesem Zusammenhang maßgebend darauf abzustellen, dass der Verfügungskläger jedenfalls bereits wenige Minuten nach dem Versand des Antrages unstreitig Kenntnis von der Stellungnahme des Verfügungsbeklagten hatte. Insoweit kann rechtsmissbräuchliches Verhalten auch darin gesehen werden, eine nach Abreichung des Antrages eingegangene Stellungnahme des Gegners nicht unaufgefordert dem Gericht zur Kenntnis gebracht zu haben (vgl. OLG München, Beschluss vom 08.08.2019, Az. 29 W 940/19).

Hier hat der Prozessbevollmächtigte des Verfügungsklägers nach Erhalt der Stellungnahme diese nicht an das Gericht weitergeleitet. Dies wäre – ebenso wie zuvor die Antragsschrift – unmittelbar noch am 13.06.2023 per BeA einfach möglich gewesen. Dass dem Verfügungskläger kein Aktenzeichen vorlag, ist kein Grund davon abzusehen. Gerade im Hinblick auf den soeben abgesandten Antrag hätte ein Verweis auf diesen und die zeitliche Nähe hinreichend Gewähr gegeben, dass das Gericht davon Kenntnis bekommt. Ein Abwarten auf eine telefonische Kontaktaufnahme zu dem Gericht, um ein Aktenzeichen zu erfragen, war in der Situation des einstweiligen Verfügungsverfahrens hier schon deshalb untunlich, weil wegen des Eilcharakter des Verfahrens jederzeit mit einer Entscheidung des Gerichts – wie vom Verfügungskläger ausdrücklich beantragt – ohne mündliche Verhandlung zu rechnen war.

Nichtabwarten der Frist rechtsmissbräuchlich

Ein weiteres Indiz für einen Rechtsmissbrauch sei, dass der Verfügungskläger den Ablauf der selbst gesetzten Frist nicht abgewartet habe.

Als Indiz für Rechtsmissbrauch ist im Sinne von § 8c Abs. 1 UWG ferner heranzuziehen, dass der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung bereits vor Ablauf der selbst gesetzten Frist, die erst am 13.06.2023 um 24.00 Uhr ablief, erfolgte. Auch wenn es sich grundsätzlich um eine – so die gesetzliche Vermutung in § 12 Abs. 1 S. 2 UWG – dringliche Sache handelte, war hier ein Zuwarten von wenigen Stunden ohne Weiteres zumutbar. Ein sachgerechter Grund, hier einige Stunden sparen zu wollen, ist – auch unter Berücksichtigung der konkreten Verstöße – nicht ansatzweise ersichtlich. Diese nicht zu rechtfertigende Eile spricht somit für Rechtsmissbrauch.

Überhöhter Gegenstandswert spricht für Rechtsmissbrauch

Zudem spreche der deutlich überhöhte Gegenstandswert der Abmahnung für einen Rechtsmissbrauch, so das Gericht.

Als weiteres Indiz ist im vorliegenden Fall im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 3 UWG der Gegenstandswert der Abmahnung heranzuziehen. So hat der Verfügungskläger im Text der Abmahnung den Betrag von 60.000,00 € genannt. Bei der konkreten Berechnung des geforderten Betrages hat er dann allerdings einen Wert von 80.000,00 € zugrunde gelegt und auch den sich danach ergebenden Betrag verlangt, was hier maßgebend ist. Für die in der Abmahnung genannten 5 Verstöße sind 80.000,00 € in der Hauptsache deutlich übersetzt. Das Gericht hat für die 4 Verstöße (ohne die fehlende Klickbarkeit des Links auf die OS-Plattform) im einstweiligen Verfügungsverfahren 30.000,00 € für angemessen erachtet, sodass sich ein Wert in der Hauptsache von 45.000,00 € ergibt. Auch unter Berücksichtigung des in der Abmahnung zusätzlich geltend gemachten Verstoßes (fehlende Klickbarkeit des Links auf die OS-Plattform) ist ein Gegenstandswert von mehr als 50.000,00 € keinesfalls gerechtfertigt, sodass eine erhebliche Überhöhung – auch unter Berücksichtigung eines gewissen Spielraums – gegeben ist.

Unberechtigte Forderung von Abmahnkosten

Nach § 13 Abs. 4 UWG kann ein Mitbewerber keinen Ersatz der Aufwendungen für seine Abmahnung verlangen, wenn es sich um Verstöße gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien handelt. Diese Vorschrift wurde mit dem Anti-Abmahn-Gesetz eingeführt. Trotzdem forderte der Verfügungskläger Ersatz der Abmahnkosten.

Ein Indiz für Rechtsmissbrauch ist es schließlich auch, wenn nach § 13 Abs. 4 UWG nicht geschuldete Abmahnkosten eingefordert werden (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. 2023, § 8c Rn. 19). Hier fordert der Verfügungskläger in der Abmahnung auch Kosten für den Verstoß in Bezug auf die OS-Plattform. Eine Differenzierung dergestalt, dass die auf diesen Verstoß entfallenden Kosten herausgerechnet werden, ist in der Abmahnung nicht vorhanden. Vielmehr wird dadurch, dass unter 3. b. der Abmahnung auf die „Ziffer I.“ Bezug genommen wird, deutlich, dass die nachfolgend geforderten Abmahnkosten sich auf alle zuvor gerügten Verstöße beziehen.

Nach § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG ist für Anspruchsberechtigte nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG, zu denen der Verfügungskläger als Mitbewerber gehört, eine Erstattung von Abmahnkosten für im elektronischen Rechtsverkehr begangene Verstöße gegen gesetzliche Informationspflichten ausgeschlossen. Die fehlende Klickbarkeit des Links zur OS-Plattform verstößt gegen Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 524/223 und ist damit ein solcher Verstoß.

Bei wertender Betrachtung aller zuvor genannten Umstände sei daher für das Gericht ein Überwiegen sachfremder Motive beim Verfügungskläger gegeben.

Fazit

Erfahrungsgemäß wird der Vorwurf „Rechtsmissbrauch“ bei vielen Abmahnungen schnell erhoben, in den wenigsten Fällen erkennen die Gerichte diesen Einwand allerdings an. Aus diesem Grund ist das Urteil des LG Bochum besonders erfreulich und zeigt, dass rechtsmissbräuchlichen Abmahnungen erfolgreich entgegengetreten werden kann. Mit Inkrafttreten des Anti-Abmahngesetzes am 2.12.2020 wurden in § 8c UWG gewisse Fallgestaltungen für die Annahme rechtsmissbräuchlicher Abmahnungen ins Gesetz aufgenommen. Ihnen kommt jedoch nur Indizwirkung für einen Missbrauch zu. Erforderlich ist hier eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände. Eine Beratung durch einen auf Abmahnungen im E-Commerce spezialisierten Anwalt ist dringend zu empfehlen.

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