EuGH zum Widerrufsrecht beim Online-Kauf von Tickets

Das Gesetz kennt in § 312g BGB einige Ausnahmen vom Widerrufsrecht. Dazu zählen u.a. Verträge über Dienstleistungen im Zusammenhang mit Freizeitbetätigungen, wenn der Vertrag für die Erbringung einen spezifischen Termin oder Zeitraum vorsieht. Ungeklärt war bislang, ob diese Ausnahme auch gilt, wenn der Verkauf über einen Zwischenhändler erfolgt. Der EuGH hat nun entschieden (Urt. v. 31.03.2022 – C-96/21), dass auch beim Online-Kauf von Eintrittskarten für Kultur- und Sportveranstaltungen über einen Vermittler kein Widerrufsrecht besteht, sofern das wirtschaftliche Risiko der Ausübung des Widerrufsrechts den Veranstalter treffen würde.

Die Beklagte CTS Eventim ist eine Ticketsystemleisterin und vertreibt über ihr Online-Buchungsplattform Tickets für Veranstaltungen. Ein Verbraucher kaufte bei der Beklagten ein Konzertticket. Das Konzert, das im März 2020 in Braunschweig stattfinden sollte, wurde aufgrund der Einschränkungen, die die deutschen Behörden im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erlassen haben, abgesagt. Infolgedessen stellte der Veranstalter dem Verbraucher einen Gutschein über den Kaufpreis der Eintrittskarte aus. Damit gab sich der Verbraucher allerdings nicht zufrieden, sodass er die Beklagte aufforderte, den Kaufpreis zurückzuzahlen und weitere Kosten zu ersetzen. Da die Parteien keine Einigung erzielen konnten, klagte der Verbraucher vor dem zuständigen AG Bremen.

Nach der Verbraucherrechterichtlinie (VRRL; RL 2011/83/EU) ist das Widerrufsrecht ausgeschlossen, wenn eine Dienstleistung im Zusammenhang mit Freizeitbetätigungen erbracht wird und der Vertrag dafür einen spezifischen Termin vorsieht. Angesichts dessen, dass CTS Eventim nicht selbst Veranstalterin des Konzerts war, sondern die Eintrittskarten zwar auf Rechnung des Veranstalters, aber in eigenem Namen verkaufte, legte das AG Bremen (Beschl. v. 8.1.2021 – 19 C 277/20) im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens dem EuGH die Frage vor, ob diese Ausnahme auch in einem solchen Fall greift.

Ticket ist Dienstleistung im Zusammenhang mit der Freizeitbetätigung

Anschließend stellte der EuGH klar, dass die Ausnahmevorschrift grundsätzlich alle Dienstleistungen erfasse, die im Bereich der Freizeitbetätigung erbracht werden. Auch die Abtretung eines Zugangsrechts (z.B. durch eine Eintrittskarte) unterfalle somit der Regelung.

Da Art. 16 Buchst. l der Richtlinie 2011/83 somit grundsätzlich alle Dienstleistungen erfasst, die im Bereich der Freizeitbetätigungen erbracht werden, ergibt sich aus der Verwendung des Begriffs „Zusammenhang“, dass sich die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme nicht allein auf Dienstleistungen beschränkt, mit denen unmittelbar eine Freizeitbetätigung als solche durchgeführt werden soll. Daher ist festzustellen, dass die Abtretung eines Rechts auf Zugang zu einer Freizeitbetätigung als solche eine Dienstleistung im Zusammenhang mit dieser Betätigung im Sinne von Art. 16 Buchst. l der Richtlinie 2011/83 darstellt.

Auch Vermittler kann Dienstleistung erbringen

Die Dienstleistung stehe auch dann im Zusammenhang mit der Freizeitbetätigung, wenn sie nicht durch den Veranstalter selbst, sondern durch einen in seinem Auftrag handelnden Vermittler erbracht werde, so das Gericht.

Dagegen geht aus dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht hervor, inwieweit eine solche Dienstleistung, die unter diese Bestimmung fällt, von einer anderen Person als dem Veranstalter der Freizeitbetätigung selbst erbracht werden kann.

Insoweit ist zum Kontext von Art. 16 Buchst. l der Richtlinie 2011/83 festzustellen, dass nach deren Art. 6 Abs. 1 Buchst. c und d ein Unternehmer den Verbraucher, bevor dieser durch einen Vertrag im Fernabsatz oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, gegebenenfalls u. a. über die Identität des Unternehmers, in dessen Auftrag er handelt, zu informieren hat.

So sieht die Richtlinie 2011/83 ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass ein in ihren Geltungsbereich fallender Vertrag von einem Unternehmer im Rahmen der Erfüllung eines Vertragsverhältnisses geschlossen werden kann, aufgrund dessen er im Auftrag eines anderen Unternehmers handelt.

Folglich steht der Umstand, dass eine Dienstleistung nicht vom Veranstalter einer Freizeitbetätigung selbst, sondern von einem in seinem Auftrag handelnden Vermittler erbracht wird, dem nicht entgegen, dass eine solche Dienstleistung als eine Dienstleistung im Zusammenhang mit dieser Betätigung angesehen werden kann.

Ziel des Ausschlusses: Schutz des Unternehmers vor wirtschaftlichen Risiken

Anschließend gingen die Luxemburger Richter auf das Ziel der Ausnahmevorschrift ein. Dieses bestehe darin, Veranstalter vor wirtschaftlichen Risiken zu schützen. Ein Widerrufsrecht sei ausgeschlossen, da der Unternehmer Kapazitäten bereitstelle, die er im Falle eines Widerrufs anderweitig nicht mehr nutzen könne. Unerheblich sei in diesem Zusammenhang auch, dass betroffene Eintrittskarten hätten weiterverkauft werden können. Der Schutz der Ausnahmevorschrift könne nicht von Umständen des Einzelfalls abhängig sein. Folglich falle eine Eintrittskarte, welche über einen Vermittler erworben wurde, nur dann unter die Ausnahmeregelung, wenn die wirtschaftlichen Folgen des Widerrufs den Veranstalter treffen.

Ferner ist zu dem mit Art. 16 Buchst. l der Richtlinie 2011/83 verfolgten Ziel darauf hinzuweisen, dass dieses Ziel, wie aus dem 49. Erwägungsgrund der Richtlinie hervorgeht, darin besteht, den Unternehmer gegen das Risiko im Zusammenhang mit der Bereitstellung bestimmter Kapazitäten, die er im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts möglicherweise nicht mehr anderweitig nutzen kann, u. a. bei Kultur- oder Sportveranstaltungen, zu schützen. […]

Aus den beiden vorstehenden Randnummern ergibt sich, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme vom Widerrufsrecht nur für Dienstleistungen gelten kann, die in Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung gegenüber dem Verbraucher erbracht werden, deren Erlöschen im Wege des Widerrufs gemäß Art. 12 Buchst. a der Richtlinie 2011/83 dem Veranstalter der betreffenden Betätigung das Risiko in Verbindung mit der Bereitstellung der hierdurch frei gewordenen Kapazitäten auferlegen würde. Folglich kann die Abtretung eines Zugangsrechts zu der betreffenden Betätigung durch einen Vermittler nur insoweit eine Dienstleistung im Zusammenhang mit dieser Betätigung im Sinne von Art. 16 Buchst. l der Richtlinie 2011/83 darstellen, als dieses Risiko beim Veranstalter der betreffenden Tätigkeit liegt.

Insoweit ist es unerheblich, ob es dem Unternehmer gegebenenfalls möglich wäre, zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt, die dadurch frei gewordenen Kapazitäten anderweitig zu nutzen, u. a., indem er die betreffenden Eintrittskarten an andere Kunden weiterverkauft. Die Anwendung von Art. 16 Buchst. l der Richtlinie 2011/83 kann nämlich nicht von einer solchen Beurteilung der Umstände des Einzelfalls abhängen.

Konzertticket als termingebundene Dienstleistung

Abschließend stellte der EuGH klar, dass das Konzertticket eine termingebunden Dienstleistung darstelle, da sich das Zugangsrecht auf ein konkretes Datum beziehe. Unbeachtlich sei vor diesem Hintergrund, dass das Zugangsrecht nicht vom Veranstalter selbst, sondern über einen Vermittler erworben wurde.

[Es] ist festzustellen, dass ein Vertrag über die Abtretung eines Rechts auf Zugang zu einer Freizeitbetätigung aufgrund seines Gegenstands notwendigerweise in dem Zeitraum zu erfüllen ist, der zwischen dem Abtretungszeitpunkt und dem Zeitpunkt liegt, an dem die Betätigung stattfinden soll, zu der das abgetretene Recht den Zugang gewährt.

Hierbei ist es unerheblich, ob das Zugangsrecht vom Veranstalter der Freizeitbetätigung selbst oder von einem Vermittler abgetreten wird.

Infolgedessen ist ein Vertrag über die Abtretung eines Rechts auf Zugang zu einer Freizeitbetätigung, der von einem Vermittler im eigenen Namen, aber für Rechnung des Veranstalters dieser Betätigung abgeschlossen wird, als ein Vertrag anzusehen, der für die Erbringung einen spezifischen Termin oder Zeitraum vorsieht, da die Betätigung zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einem bestimmten Zeitraum stattfinden soll. Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, ist dies im Ausgangsverfahren der Fall, da das Konzert, für das das Zugangsrecht von CTS Eventim an DM abgetreten wurde, an einem genauen Datum stattfinden sollte.

Fazit

Der EuGH hat durch seine Entscheidung klargestellt, dass Online-Tickets, welche sich auf einen konkreten Zeitpunkt beziehen auch dann nicht wiederrufen werden können, wenn sie über einen zwischengeschalteten Vermittler erworben wurde. Voraussetzung für den Ausschluss des Widerrufs ist jedoch, dass das wirtschaftliche Risiko den Veranstalter selbst trifft. Im konkreten Fall muss nun das AG Bremen den Rechtsstreit unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils entscheiden.

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12.04.22