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LG Arnsberg: Rechtsmissbrauch, wenn bei Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung Reaktion des Gegners nicht vorgelegt wird

Bei einer Abmahnung bietet es sich häufig an, keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Dies ist insbesondere dann eine sinnvolle Reaktion, wenn die Abmahnung nicht berechtigt ist oder wenn eine strafbewehrte Unterlassungserklärung nicht sicher eingehalten werden kann, wie z.B. bei fehlenden Grundpreisen.

Wenn keine Unterlassungserklärung abgegeben wird, kann der Abmahner die Unterlassungsansprüche gerichtlich durchsetzen. Dies geschieht in der Regel im Wege einer sogenannten einstweiligen Verfügung. Die einstweilige Verfügung wird vom Gericht in der Regel ohne mündliche Verhandlung und Anhörung des Abgemahnten erlassen. Die Sanktionen in einer einstweiligen Verfügung sind weitreichend: Bei Nichteinhaltung droht ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 € oder ersatzweise bis zu sechs Monate Ordnungshaft.

Aufgrund dieser weitreichenden Sanktionen sowie dem Umstand, dass das Gericht den Abgemahnten in der Regel nicht anhört, muss sich das Gericht darauf verlassen, dass ihm in dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung sämtliche Informationen vorgelegt werden, die auch dem Abmahner vorliegen.

In der Rechtsprechung ist daher anerkannt, dass das Verschweigen der Reaktion des Abgemahnten Rechtsmissbrauch zur Folge haben kann. Das Bundesverfassungsgericht (BverfG, Beschl. v. 3.12.2020 – 1 BvR 2575/20) hat erst vor kurzem bestätigt, dass das Verschweigen der Reaktion auf eine Abmahnung zur Rechtsmissbrauch führen kann. Die prozessuale Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO verpflichtet den Antragsteller zur vollständigen Erklärung über die tatsächlichen Umstände. Anderenfalls liegt eine planmäßige gezielte Gehörs-Vereitelung zur Erschleichung eines Titels vor, mit der Folge, dass der Verfügungsantrag dann als rechtsmissbräuchlich zurückzuweisen ist. Das Bundesverfassungsgericht weist darauf hin, dass dem Gericht erst bei Vorliegen der gesamten vorgerichtlichen Korrespondenz eine sachgerechte Entscheidung möglich ist.

LG Arnsberg: Rechtsmissbrauch, wenn bei Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung die Reaktion des Abgemahnten verschwiegen wird

Das LG Arnsberg (Urteil v. 24.6.2021 – I 8 O 17/21, n. rkr.) hat eine einstweilige Verfügung wegen des Verschweigens der Reaktion des Abgemahnten wegen Rechtsmissbrauch aufgehoben. Wir von Internetrecht-Rostock.de hatten in diesem Verfahren den Abgemahnten vertreten.

Nach Ablauf der in der Abmahnung gesetzten Frist zur Abgabe einer Unterlassungserklärung wurde am 12.3.2021 um 11:30 Uhr der Prozessbevollmächtigte der Klägerin angeschrieben, die Abmahnung wurde zurückgewiesen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin stellte am gleichen Tag nach 18:00 Uhr den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung. Die Stellungnahme wurde nicht erwähnt. Die Zeiten der Übersendung, sowohl des Schreibens an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin wie aber auch des Antrags auf Erlass der einstweiligen Verfügung bei Gericht, ließen sich über das Besondere Elektronische Anwaltspostfach (BeA) nachvollziehen.

Die einstweilige Verfügung wurde daraufhin vom Landgericht Arnsberg wegen Rechtsmissbrauchs aufgehoben.

Verpflichtung zum wahrheitsgemäßen Vortrag auch dann, wenn Antragsschrift bereits fertiggestellt ist

Das Argument, die Reaktion des Abgemahnten sei kurz vor der Einreichung des bereits fertig gestellten Antrages auf Erlass der einstweiligen Verfügung erfolgt, ließ das Gericht nicht gelten:

Soweit die Bevollmächtigten der Klägerin nunmehr ausführen, selbst wenn eine Kenntnisnahme des vorprozessualen Schreibens der Bevollmächtigten der Beklagten vom 12.03.2021 kurz vor Absendung der Antragsschrift erfolgt wäre, sei die unmittelbare Einreichung der bereits Tage vorher diktierten und am 11.03.2021 ausgefertigten Antragsschrift als zulässige Form der effektiven und nachdrücklichen Durchsetzung eines Rechts anzusehen, folgt daraus, dass sie auch nach Kenntnisnahme vom Inhalt der Widerspruchsschrift weiterhin die aus § 138 Abs. 1 ZPO folgende Notwendigkeit, ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß anzugeben, negieren. In der Widerspruchsschrift sind die grundlegenden Entscheidungen zur vorliegenden Problematik von der Beklagten dargelegt worden, u. a. der Nichtnahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 03.12.2020. Aus dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich eindeutig, dass ein Verhalten, wie es der Klägerin im vorliegenden Fall zeigt, ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne des § 8 c UWG darstellt, so dass grundsätzlich dem Verfügungsantrag der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegensteht, wenn der jeweilige Antragsteller ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners nicht zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht eingereicht hat.

Vollständige Informationspflicht ohne wenn und aber

Auch die Behauptung, die Reaktion auf die Abmahnung sei unsubstantiiert, überzeugte das Gericht nicht:

Zum Vorbringen der Klägerin, der Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 12.03.2021 sei unsubstantiiert, sei dargelegt, dass selbst dann, wenn man diese Ansicht teilen will, dies nichts an der Pflicht änderte, dieses Schreiben zusammen mit der Antragsschrift zur Akte zu übersenden. Denn die rechtliche Beurteilung dieser Frage steht ebenso wie alle anderen rechtlichen Beurteilungen im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens allein dem Gericht zu, so dass es einer Partei – und dementsprechend auch ihren Bevollmächtigten – verwehrt ist, Äußerungen der Gegenseite, die grundsätzlich vorzulegen sind, nicht zur Akte zu übersenden mit dem anschließend zur Rechtfertigung dieses Verhaltens geäußerten Argument, die nicht übersandten Unterlagen seien als unsubstantiiert, unerheblich o. ä. einzuordnen. Zum Einwand der Klägerin, sie sei an der unmittelbaren Einreichung der bereits Tage vorher diktierten und am 11.03.2021 ausgefertigten Antragsschrift durch den kurz vor Absendung dieser Antragsschrift erfolgten Eingang des als Anlage B 1 zur Widerspruchsschrift zur Akte gereichten Schreibens vom 12.03.2021 nicht gehindert gewesen, sei dargelegt, dass diese Ausführungen war vom Ansatz her zutreffend sind. Jedoch wäre es unproblematisch möglich gewesen, dem Antragsschreiben vom 11.03.2021 die am 12.03.2021 eingegangene Stellungnahme der Beklagten beizufügen.

Nicht umsonst nimmt jetzt auch das Bundesverfassungsgericht an, dass bei einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung alles vorzulegen ist. Es geht um den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit und des rechtlichen Gehörs.

Wenn somit auf einer Abmahnung reagiert wird und dann eine einstweilige Verfügung beantragt wird, sollte immer geprüft werden, ob die Reaktion auf die Abmahnung dem Gericht auch vorgelegt wurde. Anderenfalls ist die einstweilige Verfügung wegen Rechtsmissbrauchs aufzuheben.

Über Johannes Richard

Rechtsanwalt Johannes Richard ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz und Partner der Kanzlei Richard & Kempcke. Er betreibt die Seite http://www.internetrecht-rostock.de und berät seit vielen Jahren Shopbetreiber und Abgemahnte.

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