Die Abmahnung war ursprünglich dazu gedacht, für fairen Wettbewerb zu sorgen. Leider wird sie jedoch immer wieder von Händlern und ihren Anwälten dafür missbraucht, Gebühren geltend machen zu können. Das OLG Köln (Urt. v. 27.11.2020 – 6 U 65/20) entschied, dass für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs neben den äußeren Umständen des Einzelfalls zusätzlich ein Wissens- bzw. Willenselemente Voraussetzung ist. Hieran fehle es, wenn ein Wettbewerbsverstoß zum Zeitpunkt der ersten Abmahnung übersehen und erst in einer zweiten Abmahnung beanstandet wurde.

Die Klägerin und die Beklagte vertreiben beide als Testsieger prämierte Matratzen. Die Klägerin mahnte Google-Werbungen der Beklagten wegen wettbewerbswidriger Aussagen ab und erwirkte infolgedessen eine einstweilige Verfügung. Anschließend mahnte die Klägerin die Beklagte aufgrund der Werbeaussage „100,- € günstiger als 299,- €“ ab. Die zuvor angegriffenen Google-Werbungen enthielten diesen Slogan bereits in der Überschrift und wurden weder im Rahmen der Abmahnungen noch während der ersten gerichtlichen Verhandlung durch die Klägerin beanstandet.

Die Beklagte vertrat die Auffassung, die Klägerin handle rechtsmissbräuchlich, da sie gegen die Werbeaussage bereits gemeinsam mit den Abmahnungen wegen anderweitiger Wettbewerbsverstöße hätte vorgehen können. Dies habe sie nicht getan, sodass ein einheitlicher Lebenssachverhalt auf zwei Gerichtsverfahren aufgeteilt worden sei, obwohl eine Bündelung möglich gewesen wäre und sich somit die Kosten für die Rechtsverteidigung nicht erhöht hätten. Die Klägerin erwiderte, dass sie im ersten Gerichtsverfahren den streitgegenständlichen Slogan schlichtweg übersehen habe und diesen daher erst in einem zweiten Verfahren rüge.

Das OLG Köln hielt die Geltendmachung des Anspruchs im vorliegenden Fall nicht für rechtsmissbräuchlich, da es der Klägerin an der erforderlichen Absicht fehle. Für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs sei auch immer ein Wissens- bzw. Willenselement entscheidend. Allein die Tatsache, dass die Klägerin bereits andere Werbeanzeigen der Beklagten abgemahnt und gerügt habe, die den streitgegenständlichen Slogan enthalten, ohne sich jedoch gegen den Slogan zu wenden, begründe nicht die Annahme einer Rechtsmissbräuchlichkeit. Es könne vorliegend nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin die streitgegenständliche Werbeaussage tatsächlich übersehen habe.

Das Urteil erging noch nach alter Rechtslage vor Änderung des UWG durch das Anti-Abmahngesetz.

Voraussetzungen eines Rechtsmissbrauchs

Zunächst stellte das Gericht klar, dass ein Rechtsmissbrauch anzunehmen sei, wenn mit der Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs überwiegend sachfremde Motive verfolgt würden. Zur Feststellung müssen alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden.

Von einem Rechtsmissbrauch ist auszugehen, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs überwiegend sachfremde, das heißt für sich gesehen nicht schutzwürdige Gesichtspunkte verfolgt und diese das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung darstellen […]. Ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt, ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu beurteilen […]. Maßgeblich sind hierbei die Interessen und Zwecke des Anspruchsstellers, die sich in der Regel nur aus äußeren Umständen erschließen lassen.

Kostenbelastungsinteresse durch erhöhte Prozesskosten

Eine missbräuchliche Geltendmachung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen sei u.a. anzunehmen, wenn es dem Anspruchsteller vor allem darum gehe, den Anspruchsgegner mit hohen Prozesskosten zu belasten, so das Gericht.

Das Gesetz nennt in § 8 Abs. 4 S. 1 Hs. 2 Alt. 2 UWG insbesondere das Kostenbelastungsinteresse als ein sachfremdes, rechtsmissbräuchliches Interesse des Anspruchsstellers. Von einem Kostenbelastungsinteresse ist auszugehen, wenn es dem Anspruchsberechtigten überwiegend darum geht, den Verletzer mit möglichst hohen Prozesskosten und Risiken zu belasten und seine personellen und finanziellen Kräfte zu binden […]. Es ist dabei unerheblich, ob die Kostenbelastung für den Verletzer eine konkrete Behinderung im Wettbewerb darstellt. Ansonsten würden allein die Größe und finanzielle Leistungsfähigkeit des Verletzers den Anspruchsberechtigten von jedem Missbrauchsvorwurf entlasten.

Ein solches Kostenbelastungsinteresse als vordergründiges Motiv könne angenommen werden, wenn ein einheitlicher oder ähnlich gelagerter Wettbewerbsverstoß in getrennten Verfahren angestrebt würde, ohne dass dafür ein sachlicher Grund vorliege.

Ein sachlicher Grund für eine Aufspaltung liegt vor, wenn die getrennte Anspruchsverfolgung aufgrund von möglichen Unterschieden in der rechtlichen Beurteilung oder Beweisbarkeit des jeweiligen Verstoßes als der prozessual sicherste Weg zur Durchsetzung des Rechtschutzbegehrens erscheint.“

Sachlicher Grund für die Aufspaltung?

Vorliegend hätte die Klägerin gleichzeitig verschiedene potentiell wettbewerbswidrige Aspekte der Werbung der Beklagten angreifen und dadurch die Kostenlast minimieren können, ohne dass ihr Nachteile durch die Inanspruchnahme in einem einheitlichen Verfahren entstanden wären. Ein sachlicher Grund für die Aufspaltung sei nicht ersichtlich, so das Gericht. Auch in verschiedenen Verfahrensarten könne nur ein sachlicher Grund liegen, wenn sie durch ein nachvollziehbares Motiv indiziert seien. Andernfalls könne der Einwand des Rechtsmissbrauchs umgangen werden, indem für verschiedene Verfahren unterschiedliche Verfahrensarten gewählt würden.

Für die vorgenommene Aufspaltung ist auch kein sachlicher Grund ersichtlich. Zwar hat die Klägerin die anderen Google-Werbungen in einem einstweiligen Verfügungsverfahren angegriffen und hinsichtlich des hier streitgegenständlichen Slogans ein Hauptsacheverfahren angestrengt. Doch kann in den unterschiedlichen Verfahrensarten kein sachlicher Grund liegen, wenn sie nicht durch ein nachvollziehbares Motiv indiziert sind. Ansonsten könnte ein Anspruchsinhaber den Rechtsmissbrauchseinwand umgehen, indem er für verschiedene Verfahren unterschiedliche Verfahrensarten wählt, sofern die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Ein nachvollziehbares Motiv, weshalb die Klägerin diesen Unterlassungsantrag neben den anderen einstweiligen Verfügungsverfahren nicht auch im einstweiligen Rechtschutz gestellt hat, ist nicht ersichtlich.

Absicht entscheidend

Für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs sei jedoch auch immer ein Wissens- bzw. Willenselement entscheidend, um mögliche sachfremde Motive feststellen zu können. Hieran fehle es im vorliegenden Fall, so das Gericht. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin die streitgegenständliche Werbeaussage tatsächlich übersehen habe, sodass nicht auf ein Kostenbelastungsinteresse zu schließen sei. Die Beklagte müsse andernfalls nachweisen, dass die Klägerin die Werbeaussage nicht übersehen habe.

Voraussetzung für den Rechtsmissbrauch ist – trotz Abstellens auf äußere Umstände – allerdings immer auch ein Wissens- bzw. Willenselement. Denn nur in diesem Fall können überwiegend sachfremde und nicht schutzwürdige Interessen und Zwecke des Anspruchsberechtigten angenommen werden. Die Klägerin behauptet, den streitgegenständlichen Slogan erst nach den Abmahnungen gegen die Google-Werbungen gesehen zu haben. Zuvor habe sie den Slogan schlicht übersehen. Es ist fraglich, ob die Klägerin nicht auch schon damals auf den Slogan aufmerksam geworden ist. Denn beide Parteien beobachten sich als unmittelbare Wettbewerber seit geraumer Zeit äußerst kritisch. Allerdings kann hier nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin den Werbeslogan tatsächlich zunächst übersehen hat. Dafür spricht, dass nicht alle von ihr gerügten Google-Werbungen den Slogan enthielten und das Hauptaugenmerk bei den Abmahnungen auf dem Anzeigentext und nicht der Werbeüberschrift lag. Gegen die Kenntnis des Slogans spricht auch die Vehemenz, mit der die beiden Parteien bei potentiellen Wettbewerbsverstößen bisher gegeneinander vorgegangen sind. Wettbewerbsverstöße wurden in der Regel zeitnah gerügt, um der Gegenseite die Vorteile aus einer wettbewerbswidrigen Werbung nicht zukommen zu lassen. Mithin kann die Beklagte, zu deren Lasten die Nichtnachweisbarkeit der Kenntnis geht, die Kenntnis der Klägerin von dem Slogan nicht nachweisen, weshalb kein Kostenbelastungsinteresse und deshalb auch kein Rechtsmissbrauch vorliegen.

Fazit

Das Urteil erging noch nach alter Rechtslage vor Änderung des UWG durch das Anti-Abmahngesetz. Der Missbrauchstatbestand findet sich nun in § 8c UWG. Die Fallgestaltung des missbräuchlichen Kostenbelastungsinteresses wurde in § 8c Abs. 2 Nr. 1 UWG aufgenommen, die Fallgruppe der Mehrfachabmahnung in § 8 Abs. 2 Nr. 6 UWG. Nach wie vor ist hier eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände erforderlich.

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