KG: Verzicht auf Ordnungsgeldverfahren gegen Zahlung rechtsmissbräuchlich

Wenn ein gerichtlicher Unterlassungstitel ergangen ist, muss der Gläubiger im Falle eines erneuten Verstoßes bei Gericht die Verhängung eines Ordnungsgeldes beantragen. Das KG Berlin (Beschl. v. 17.12.2020 – 5 W 1038/20) entschied, dass der Gläubiger rechtsmissbräuchlich handelt, wenn er dem Schuldner vor Einleitung dieses Ordnungsmittelverfahrens anbietet, gegen Zahlung an ihn darauf zu verzichten.

Der Gläubiger erwirkte in der Vergangenheit einen gerichtlichen Unterlassungstitel gegen die Schuldnerin. Als der Gläubiger von einem weiteren Verstoß hiergegen erfuhr, beantragte er nicht bei Gericht die Verhängung eines Ordnungsmittels, sondern hatte der Schuldnerin mittels eines Anwaltsschreiben angeboten, gegen Zahlung von 1.500 € an ihn auf das gerichtliche Ordnungsgeldverfahren zu verzichten. Als die Schuldnerin nicht zahlte, beantragte der Gläubiger das Ordnungsmittel bei Gericht. Das LG Berlin (Beschl. v. 5.5.2020 – 102 O 113/18) wies den Antrag ab. Hiergegen richtete der Gläubiger seine sofortige Beschwerde.

Das KG wies diese Beschwerde nun zurück. Die gerichtliche Verfolgung des Titelverstoßes sei rechtsmissbräuchlich und ein Ordnungsgeld deshalb nicht zu verhängen.

Kriterien für einen Rechtsmissbrauch

Das KG stellte klar, dass das Landgericht den Antrag zu Recht abgewiesen habe. Er sei unzulässig, da die Rechtsverfolgung durch den Gläubiger rechtsmissbräuchlich sei. Zunächst fasste das Gericht die Kriterien für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs zusammen:

Ein Ordnungsmittelantrag nach § 890 ZPO kann rechtsmissbräuchlich sein (vgl. etwa Senat KGR Berlin 1996, 273; Gruber in: MünchKomm.ZPO, § 890 Rn. 31, m.w.N.). Die Ausübung von Befugnissen, die nicht den gesetzlich vorgesehenen, sondern anderen und rechtlich zu missbilligenden Zwecken dient, ist nach § 242 BGB missbräuchlich (BGH GRUR 2018, 1166, Rn. 40 - Prozessfinanzierer I). Rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig ist auch die Ausübung prozessualer Befugnisse, wie im Vollstreckungsverfahren, wenn sie nicht den gesetzlich vorgesehenen, sondern anderen, nicht notwendig unerlaubten, aber funktionsfremden und rechtlich zu missbilligenden Zwecken dient (vgl. BGHZ 172, 218, Rn. 12).

Verzicht gegen Zahlung rechtsmissbräuchlich

Von einem solchen missbräuchlichen Verhalten sei hier auszugehen. Durch das Angebot über den Verzicht auf das Ordnungsgeldverfahren an die Schuldnerin habe der Gläubiger klargemacht, dass es ihm nicht um die Unterbindung weiterer Verstöße ging, sondern um die Erzielung von Einnahmen.

Danach ist hier die Einleitung des Ordnungsmittelverfahrens als missbräuchlich anzusehen. Denn zeitlich davor hat der Gläubiger der Schuldnerin mit Anwaltsschreiben vom 10. Januar 2020 (Anlage AG 1 = Blatt 126-129) Gelegenheit gegeben, 1.500 € an ihn zu zahlen, und angeboten, im Gegenzug auf das gerichtliche Ordnungsgeldverfahren zu verzichten. Er hat dabei, wie die Beschwerde betont, einen „deutlich niedrigeren Betrag gefordert als in einem Ordnungsgeldverfahren ausgeurteilt worden wäre.“ Damit ist klar, dass es ihm vorrangig nicht um die nachhaltige Unterbindung weiterer Verstöße, sondern die Erzielung eigener Einnahmen ging. Denn gerichtliche Ordnungsmittel werden im Rahmen des Erforderlichen verhängt, um weitere Verstöße zu unterbinden, eine Titelverletzung soll sich für den Schuldner nicht lohnen (BGHZ 156, 335 - Euro-Einführungsrabatt). Der Gläubiger war also bereit, die Sanktion für die Schuldnerin „deutlich niedriger“ (so die Beschwerde) als zur Unterbindung weiterer Verstöße tatsächlich erforderlich ausfallen zu lassen. Die Gefahr weiterer Verstöße wurde dadurch also „deutlich“ erhöht, und zwar um der pekuniären Interessen des Gläubigers willen. Damit dient die Einleitung des Zwangsvollstreckungsverfahrens nicht dem gesetzlich vorgesehenen Zweck (Durchsetzung des Unterlassungstitels), sondern - mittels Aufbau weiteren Drucks bzw. auch „generalpräventiv“ - anderen und rechtlich zu missbilligenden Zwecken, nämlich letztlich einer Bereicherung des Gläubigers.

Unsitte bleibt Unsitte

Der Gläubiger versuchte sich damit zu verteidigen, dass eine solche Vorgehensweise gängige Praxis sei. Hierzu fand das Gericht deutliche Worte.

Soweit besagte Vorgehensweise - wie die Beschwerde behauptet - „der gängigen Praxis“ entsprechen sollte (was dem Senat freilich nicht bekannt ist), würde auch das an besagter Beurteilung nichts ändern. Eine Unsitte bleibt eine solche, auch wenn sie „gängig“ sein sollte.

Auch habe der Zahlungsvorschlag nicht der gesamtheitlichen Beilegung des Streits gedient. Für einen Rechtsmissbrauch spreche auch die geforderte Abgabe einer Unterlassungserklärung. Eine solche stand ihm wegen des rechtskräftigen Unterlassungstitels nicht zu.

Soweit der Gläubiger in dem Schreiben auch wegen des hier in Rede stehenden Titelverstoßes eine (vertragsstrafbewehrte) Unterlassungserklärung forderte, spricht dies - entgegen der Beschwerde - nicht gegen, sondern im Gegenteil gleichfalls eher für einen Rechtsmissbrauch. Denn eine solche Unterlassungserklärung stand ihm - auch bei erneutem Verstoß - nicht zu, da er schon über einen rechtskräftigen Unterlassungstitel verfügt. Auch dieses Ansinnen unterstreicht also, dass es dem Gläubiger hier weniger um die Unterbindung weiterer Verstöße, sondern um die Generierung (künftiger) Geldforderungen zu seinen Gunsten im Verstoßfalle geht, welche ihm aber nicht zustehen.

Systematisches Abkaufen als Geldquelle

Zudem äußerte das Gericht den Verdacht, dass sich die Rechtsverfolgung auf Anwaltsebene zu verselbstständigen scheine, was zusätzlich für einen Rechtsmissbrauch spreche. Es sei gerichtsbekannt, dass der Gläubiger anderen Schuldnern entsprechende Angebote mache, einzig um hierdurch Einnahmen für sich zu generieren.

Wie dem Senat aus weiteren Verfahren bekannt ist, macht der Gläubiger auch anderen Titelschuldnern entsprechende Zahlungsangebote. Manchmal verliert er, bzw. sein Bevollmächtigter, hierbei ob der Vielzahl der Fälle auch den Überblick, wenn er beispielsweise beim hier in Rede stehenden Schreiben der Schuldnerin bei Fruchtlosigkeit androht, gegen sie einen Ordnungsmittelantrag „beim Landgericht Frankfurt“ zu stellen (Anlage AG 1 Seite 2 = Blatt 127 der Akten, vorletzter Abs.). Die Rechtsverfolgung scheint sich hier auf Anwaltsebene zu verselbstständigen (was zur Indizierung eines Missbrauchs gleichfalls beitragen könnte). Das alles legt den Gedanken nahe, dass der Gläubiger systematisch Schuldnerverstöße deshalb feststellen lässt, um sich die Einleitung diesbezüglicher Ordnungsmittelverfahren ebenso systematisch abkaufen zu lassen und sich auf diese Weise eine kontinuierlich sprudelnde Geldquelle zu eigenem Nutzen zu erschließen.

r.classen/Shutterstock.com

09.03.21