Update 17.12.2020: Der Bundestag hat das Jahressteuergesetz 2020 am 16.12.2020 in der vom Finanzausschuss geänderten Fassung beschlossen.
Am 1.9.2020 hat die Bundesregierung den Entwurf des Jahressteuergesetzes 2020 (JStG 2020) beschlossen, der zahlreiche Neuerungen des Umsatzsteuergesetzes (UStG) vorsieht. Relevante Änderungen ergeben sich insbesondere für den grenzüberschreitenden Online-Handel.
In Hinblick auf die zunehmende Bedeutung des Cross-Border-Handels und des jährlichen Mehrwertsteuerverlusts der Mitgliedstaaten von ca. 5 Mrd. € bei Online-Umsätzen, hat der Europäische Rat bereits am 5.12.2017 das sog. E-Commerce-Paket beschlossen. Als Teil dieses Pakets wurde die Richtlinie (EU) 2017/2455 in Bezug auf bestimmte mehrwertsteuerliche Pflichten für die Erbringung von Dienstleistungen und für Fernverkäufe von Gegenständen verabschiedet.
Diese wurde nun durch den nationalen Entwurf des Jahressteuergesetzes 2020 (JStG) umgesetzt. Ursprünglich hätten die umsatzsteuerrechtlichen Neuregelungen bereits zum 1.1.2021 in Kraft treten sollen. Auf Vorschlag der Europäischen Kommission hat der Rat jedoch infolge der Corona-Pandemie eine Verschiebung des Inkrafttretens zum 1.7.2021 beschlossen. Dieser Zeitpunkt ist in der deutschen Umsetzung ebenfalls berücksichtigt. Das Gesetzgebungsverfahren ist zwar noch nicht vollständig abgeschlossen, größere Änderungen sind jedoch nicht zu erwarten.
Im Falle des grenzüberschreitenden Handels innerhalb der EU gilt bisher gem. § 3 Abs. 6 UStG, dass Online-Händler die Umsatzsteuer in dem Mitgliedstaat abzuführen haben, aus dem die Waren an Verbraucher versendet werden.
Dies gilt nach der sog. Versandhandelsregelung gem. § 3 c Abs. 3 UStG jedoch nur, wenn die länderspezifischen Lieferschwellen zwischen 35.000 - 100.000 € nicht überschritten werden. Im Falle der Überschreitung einer Lieferschwelle muss sich ein Unternehmer im jeweiligen Empfängerland der Warensendungen steuerrechtlich registrieren und dort die Umsatzsteuer abführen.
Beispiel: Ein deutscher Online-Händler versendet jährlich an österreichische Verbraucher Waren im Wert von 50.000 € ( netto). Die Lieferschwelle für den Versand nach Österreich beträgt jedoch 35.000 €. Demzufolge muss sich der Händler in Österreich steuerrechtlich registrieren und die dortige Umsatzsteuer in Höhe von 20 % abführen.
Online-Händler müssen also die länderspezifische Lieferschwellen berücksichtigen. Bei Überschreitung der Lieferschwellen sind umsatzsteuerrechtliche Registrierungen sowie die Zahlung des (ggf. höheren) Umsatzsteuersatzes im jeweiligen Bestimmungsland erforderlich.
Voraussichtlich ab dem 1.7.2021 entfällt die bisherige Lieferschwellenregelung und wird durch die sog. Fernverkaufsregelung ersetzt. Diese regelt gem. § 3c Abs. 1 - 3 UStG-E, dass Online-Händler die Umsatzsteuer an dem Ort, an dem sich ein Gegenstand bei Beendigung der Versendung oder Beförderung an den Verbraucher befindet, zu entrichten haben. Dies gilt jedoch nur, wenn Online-Händler eine Lieferschwelle in Höhe von 10.000 € pro Kalenderjahr innerhalb der gesamten EU überschreiten oder gem. § 3a Abs. 4 UStG-E auf die Lieferschwellen-Regelung verzichtet haben. Wird die Schwelle von 10.000 € einmal überschritten, müssen sich Online-Händler in jedem Mitgliedstaat, in den anschließend Lieferungen erfolgen, registrieren lassen und dort die Umsatzsteuer abführen. Bei der Ermittlung des Schwellenwertes werden hingegen nicht nur die Nettowerte für Waren errechnet, sondern zusätzlich erbrachte Dienstleistungen auf elektronischem Wege addiert. Darunter fallen beispielsweise kostenpflichtige Webinare, Downloads von eBooks oder Fotos. Online-Händler, die sowohl Waren als auch elektronische Dienstleistungen verkaufen, müssen die Nettowerte der Waren und Dienstleistungen somit zusammenrechnen. Sollte die Lieferschwelle von 10.000 € hingegen nicht erreicht worden sein, ist die Umsatzsteuer wie bisher im Ursprungsland abzuführen.
Infolge der niedrigen Schwellenwerte für innergemeinschaftliche Lieferungen entsteht für Händler ein erhöhter Registrierungsaufwand im EU-Ausland. Es besteht jedoch die Möglichkeit, das sog. One-Stop-Shop Verfahren (kurz: OSS-Verfahren) zu nutzen. Das Verfahren ermöglicht es Online-Händlern, sich nicht mehr kostenpflichtig in mehreren Mitgliedstaaten registrieren zu müssen. Stattdessen können sie sich beim deutschen Bundeszentralamt für Steuern anmelden und die anfallenden, ausländischen Umsatzsteuern zentral abführen. Eine Nutzung des OSS-Verfahrens erfolgt auf freiwilliger Basis. Sollte das OSS-Verfahren nicht genutzt werden, entstehen durch die Regelungen neue Registrierungsverpflichtungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten.
Online-Händler, die Telekommunikations-, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen oder auf elektronischem Weg erbrachte Dienstleistungen an Privatpersonen innerhalb der EU anbieten, können bereits am sog. Mini-One-Stop-Shop Verfahren (kurz: MOSS-Verfahren) teilnehmen und ausländische Umsatzsteuern direkt beim Bundeszentralamt für Steuern abführen. Das bisherige MOSS-Verfahren wird jedoch durch das OSS-Verfahren ersetzt.
Von den neuen Regelungen sind zunächst Online-Händler betroffen, die grenzüberschreitend innerhalb der EU Waren oder elektronische Dienstleistungen verkaufen. Weiterhin berühren die Neuregelungen gem. § 3a Abs. 5 UStG nur den B2C-Handel. Der B2B-Verkehr bleibt bislang außen vor.
Bereits seit dem 1.1.2019 wurde mit § 25e UstG eine Regelung eingeführt, mit der bei der Nutzung elektronischer Marktplätze Umsatzsteuerhinterziehungen verhindert werden sollen. Danach haftet der Betreiber eines elektronischen Marktplatzes für die nicht entrichtete Steuer aus der Lieferung eines Unternehmers, die auf dem von ihm bereitgestellten Marktplatz rechtlich begründet wurde. Ziel dieser Regelung ist es, die Betreiber neben ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen unter bestimmten Voraussetzungen auch für die aus diesen Aktivitäten entstandene und nicht an den Fiskus abgeführte Umsatzsteuer in die Verantwortung zu nehmen. Der Betreiber eines elektronischen Marktplatzes kann dieser Haftung grundsätzlich entgehen, wenn er eine entsprechende Erfassungsbescheinigung der Online-Händler nach § 22f UstG vorlegt.
Die Regelungen zur Marktplatzhaftung gelten weiterhin, werden durch den Entwurf des JStG jedoch noch verschärft. § 3 Abs. 3a UstG-E sieht vor, dass Online-Marktplätzte unter bestimmten Voraussetzungen Steuerschuldner für Lieferungen der Online-Händler werden, indem ein Reihengeschäft fingiert wird. Nach dieser Fiktion werden Unternehmer, die Lieferungen von Gegenständen durch die Nutzung ihrer elektronischen Schnittstelle unterstützen, so behandelt, als hätten sie selbst Gegenstände erhalten und geliefert. Eine elektronische Schnittstelle ist dabei anch § 3 Abs. 3a S. 3 UmStG-E ein elektronischer Marktplatz, eine elektronische Plattform, ein elektronisches Portal oder Ähnliches.
Erfasst werden dabei gem. § 3 Abs. 3a S. 1 UstG-E Lieferungen von Waren eines nicht in der EU ansässigen Online-Händlers, dessen Versendung von Waren innerhalb der EU beginnt und endet. Dies gilt z.B. für in China ansässige Unternehmer, die Waren aus Warenlagern innerhalb der EU an Verbraucher in der EU versenden. Außerdem werden nach § 3 Abs. 3a S. 2 UstG-E Fernverkäufe eingeführter Waren mit einem Sachwert bis zu 150 € aus Drittländern erfasst. Hierunter fallen beispielsweise Warensendungen von Unternehmern aus China mit einem Wert bis zu 150 € an Verbraucher innerhalb der EU. In diesen Fällen findet die Regelung der Erfassungsbescheinigung nach § 22 f Abs. 1 S. 2 UstG keine Anwendung.
Betreiber von Marktplätzen können gem. § 18j UStG-E künftig auch für Umsätze, die dieser Lieferfiktion unterliegen, das OSS-Verfahren in Anspruch nehmen.
Für Sendungen aus Drittländern mit einem Höchstwert von 150 €, die die direkt an einen Erwerber in der Union versandt werden, sieht § 21a UstG-E ein besonderes Verfahren zur Erhebung der Umsatzsteuer vor. Danach kann der Online-Händler die Anmeldung durch den Zusteller vornehmen lassen. Die aktuell geltende Steuerbefreiung für Kleinbetragssendungen bis 22 € nach § 1a EUStBV entfällt.
Die einheitliche Lieferschwelle i.H.v. 10.000 € für die gesamte EU hat natürlich Auswirkungen auf den Online-Shop – die unterschiedlichen Umsatzsteuersätze innerhalb der EU erschweren die Preiskalkulation. Drei Lösungsmöglichkeiten kommen bei Überschreiten in Betracht:
1.Anpassung der Brutto-Preise
Zunächst könnten die in Deutschland verlangten Brutto-Preise erhöht und an die anderen europäischen Umsatzsteuersätze angeglichen werden. Die Angabe der Mehrwertsteuer in konkreter Höhe ist nicht erforderlich. Die Preisangabenverordnung (PAngV) erfordert nur den Hinweis, dass die Umsatzsteuer enthalten ist. Die rechtlichen Vorgaben wären damit erfüllt. Auf diese Weise könnten Verluste durch höhere Steuersätze in anderen Mitgliedstaaten abgefangen werden. Eine Erhöhung der Preise bringt allerdings immer Wettbewerbsnachteile mit sich.
2. Beibehaltung der Bruttopreise
Die zweite Möglichkeit besteht darin, die deutschen Bruttopreise beizubehalten. Auch hier wären die Anforderungen nach der Preisangabenverordnung erfüllt. Die Angabe der Mehrwertsteuer in konkreter Höhe ist nicht erforderlich. Die rechtlichen Vorgaben wären damit erfüllt. Je nach Mitgliedstaat und dem dort geltenden Steuersatz liegen der Berechnung in diesem Fall jedoch niedrigere Nettopreise zugrunde und die Marge wird geringer.
3. Einrichtung von Ländershops
Die dritte Möglichkeit besteht in der Einrichtung von Ländershops. Diese Möglichkeit bringt jedoch einen höheren Aufwand mit sich, die Kunden bekämen jedoch den für sie angepassten Preis angezeigt.
Die Europäische Kommission rechnet jedenfalls mit einem Preisrückgang aufgrund des intensiveren Wettbewerbs und weniger Verwaltungsaufwand.
Hinweis: Bei der Angleichung bzw. der Beibehaltung der Brutto-Preise könnte es sich möglicherweise um einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 der Geoblocking-VO (VO [EU]) 2018/302) handeln. Danach müssen EU-Kunden in der Lage sein, unter denselben Bedingungen wie Staatsangehörige des Mitgliedstaats des
Anbieters erwerben zu können, einschließlich der Nettopreise. Zwar würden die Kunden dieselben Bruttopreis angezeigt bekommen, die zugrundeliegenden Nettopreise wären jedoch möglicherweise je nach Mitgliedstaat des Kunden unterschiedlich.
Mit dem JStG 2020 (Entwurf) werden die EU-Regelungen in der MwStSystRL zum E-Commerce-Paket umgesetzt. Das Ziel des Gesetzesentwurfs, bestehende Besteuerungslücken im E-Commerce zu schließen, ist grundsätzlich zu begrüßen. Die EU-weite Schwelle von 10.000 € wird jedoch schnell überschritten sein. Auch wenn durch das OSS-Verfahren die Registrierung und Abfuhr der Umsatzsteuern im EU-Ausland vereinfacht werden soll, indem die Meldepflichten in den jeweiligen Mitgliedstaaten entfallen, kann von einer Entlastung der Online-Händler keine Rede sein.
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