EuGH muss entscheiden: Müssen Online-Händler eine Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung nennen?

Seit 2014 können Verbraucher ihre Bestellung auch telefonisch widerrufen. Seitdem herrscht Unsicherheit darüber, ob Online-Händler eine Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung nennen müssen. Nun hat der BGH (Beschl. v. 7.3.2019 – I ZR 169/17) Stellung genommen und die Frage dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt.

Im betreffenden Fall hatte ein Anbieter von Erotikartikeln bei einem Konkurrenten beanstandet, dass dieser die
Muster-Widerrufsbelehrung verwendet hat, ohne dort eine Telefonnummer anzugeben.
Im Impressum sowie im Footer der Startseite wurde jedoch eine Telefonnummer genannt.
Sowohl das LG Arnsberg als auch das OLG Hamm sahen darin einen Verstoß gegen
die gesetzlichen Informationspflichten.

Der BGH schließt sich dieser Auffassung im Grunde an. Da es aber
entscheidend auf die Auslegung der einschlägigen Vorschriften der
Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU ankommt, setzte der Senat richtigerweise
das Verfahren aus und legte die Frage dem EuGH vor.

Keine ausdrückliche Informationspflicht im Gesetz

Nach Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB hat der Unternehmer den
Verbraucher u. a. über das Verfahren zur Ausübung des Widerrufsrechts nach §
355 Abs. 1 BGB aufzuklären. Beide Normen enthalten keine näheren Hinweise, welche
Informationen konkret zu Verfügung zu stellen sind. Seine Informationspflicht
kann der Unternehmer dadurch erfüllen, dass er das gesetzliche Belehrungsmuster
verwendet. Hierzu lautet der Gestaltungshinweis 2 des Musters:

Fügen Sie Ihren Namen, Ihre Anschrift und, soweit verfügbar, Ihre Telefonnummer, Telefaxnummer und E-Mail-Adresse ein.

Die Verwendung der Musterbelehrung ist für den Händler jedoch nicht zwingend.
Somit bleibt es unklar, ob eine gesetzliche Pflicht zur Angabe der
Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung besteht oder nicht.

Diese Unsicherheit findet sich auch in der Rechtsprechung wieder. Bisher haben sich nur das OLG Düsseldorf (Urt. v. 18.2.2016 – I-15 U 54/15) und das LG Schweinfurt (24.2.2017 – 5 HK O 43/16 eV) gegen eine solche Pflicht ausgesprochen. Nach der Mehrheit der deutschen Gerichte ist der Online-Händler allerdings verpflichtet, seine Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung zu nennen. Das LG Bochum (Urt. v. 6.8.2014 – 13 O 102/14), das OLG Frankfurt (Beschl. v. 4.2.2016 – 6 W 10/16) und das OLG Schleswig (Urt. v. 10.1.2019 – 6 U 37/17) gehen von einer gesetzlichen Pflicht aus, während nach Auffassung des OLG Hamm (Urt. v. 10.8.2017 – 4 U 101/15; Beschl. v. 3.3.2015 – I-4 U 171/14; Beschl. v. 24.3.2015 – I-4 U 30/15) die Verwendung des gesetzlichen Musters ohne Angabe der Telefonnummer beim Verbraucher den falschen Eindruck erwecke, er könne seinen Widerruf nur in Textform erklären.

Wann ist eine Telefonnummer „verfügbar“?

In allen bisher entschiedenen Fällen hatte der Unternehmer tatsächlich eine Telefonnummer. Diese war entweder in seinem Impressum oder an anderer Stelle im Online-Shop zu sehen. So auch im vorliegenden Fall. Einigkeit besteht in der Rechtsprechung jedenfalls darin, dass die Telefonnummer nur dann zu nennen ist, wenn sie „verfügbar“ im Sinne des Gestaltungshinweises 2 des Belehrungsmusters ist.

Daher betrifft die erste Vorlagefrage des BGH die Auslegung des Begriffs der Verfügbarkeit:

1. Ist eine Telefonnummer im Sinne des Gestaltungshinweises zur Muster-Widerrufsbelehrung gemäß Anhang I Teil A der Richtlinie 2011/83/EU „verfügbar“, wenn der Unternehmer die Telefonnummer im Rahmen des Impressums nennt oder auf der Startseite seines Internetauftritts klar und deutlich darstellt?

Nach Ansicht des BGH ist diese Frage zu bejahen.

Ein Unternehmer, der eine Telefonnummer im Rahmen des Impressums nennt oder auf der Startseite seines Internetauftritts klar und deutlich darstellt, erweckt damit gegenüber dem Verbraucher den Anschein, dieser könne über diese Telefonnummer mit ihm Kontakt aufnehmen und gegenüber ihm Erklärungen abgeben.

Stellt ein solcher Unternehmer nicht durch einen entsprechenden Hinweis klar, dass diese Telefonnummer nicht für die Entgegennahme von Widerrufserklärungen bestimmt ist, muss er sich an dem von ihm erweckten Eindruck festhalten lassen, die Telefonnummer könne auch zur Abgabe von Widerrufserklärungen verwendet werden. Eine solche Telefonnummer ist dann im Sinne des Gestaltungshinweises zur Muster-Widerrufsbelehrung gem. Anh. I Teil A der RL 2011/83/EU „verfügbar“ und muss an der dafür vorgesehenen Stelle der Muster-Widerrufsbelehrung eingefügt werden.

BGH: Die geschäftliche Nutzung reicht aus

Mit seiner zweiten Vorlagefrage möchte der Senat wissen, ob eine Telefonnummer „verfügbar“ im Sinne des Gestaltungshinweises ist, wenn sie zwar geschäftlich genutzt, aber nicht für den Abschluss von Fernabsatzverträgen verwendet und daher auch nicht für die Entgegennahme von Widerrufserklärungen bereitgehalten wird.

2. Ist eine Telefonnummer im Sinne des Gestaltungshinweises zur Muster-Widerrufsbelehrung gemäß Anhang I Teil A der RL 2011/83/EU „verfügbar“, wenn der Unternehmer den Telefonanschluss zwar geschäftlich nutzt, aber nicht für den Abschluss von Fernabsatzverträgen verwendet und daher auch nicht zur Rückabwicklung von Fernabsatzverträgen in Form einer Entgegennahme von Widerrufserklärungen vorhält?

Auch diese Frage ist nach Ansicht des BGH zu bejahen.

Eine Telefonnummer ist im Sinne des Gestaltungshinweises zur Muster-Widerrufsbelehrung gemäß Anhang I Teil A der Richtlinie 2011/83/EU „verfügbar“, wenn der Unternehmer diese Telefonnummer geschäftlich nutzt. Der Umstand, dass der Unternehmer eine geschäftlich genutzte Telefonnummer nicht für den Abschluss von Fernabsatzverträgen verwendet, rechtfertigt es nicht, dass dieser Unternehmer die Telefonnummer nicht für die Entgegennahme von Widerrufsbelehrungen bereithält.

Kein Eingriff in die unternehmerische Freiheit

Diese Auffassung überrascht, da der BGH (Beschl. v. 5.10.2017 – I ZR 163/16) sich in seiner Entscheidung „Rückrufsystem“ für die Berücksichtigung der unternehmerischen Freiheit ausgesprochen hat und eine Pflicht des Unternehmers zur Angabe seiner Telefonnummer im Impressum nur für den Fall bejahen wollte, dass der Unternehmer die Telefonnummer  gerade für die Kommunikation mit Verbrauchern einsetzte. Diese Auffassung wurde inzwischen vom EuGH (Urt. v. 10.7.2019 – C-649/17) bestätigt.

Die Fälle seien aber nicht vergleichbar, so der BGH.

Im Streitfall geht es demgegenüber lediglich um die Inempfangnahme von Widerrufserklärungen im Unternehmen der Klägerin und deren Dokumentation. Diese Tätigkeiten erfordern generell keinen höheren Aufwand in dem Unternehmen, an das die Widerrufserklärung gerichtet ist, als in den Fällen, in denen der Widerruf durch einen Brief oder durch die Rücksendung der Ware mit einer entsprechenden begleitenden Erklärung erfolgt.

Nun muss der EuGH entscheiden

Ob der EuGH diese strenge Ansicht der deutschen Richter bestätigen wird, erscheint zweifelhaft. Erst vor kurzem haben die luxemburgischen Richter zu der vorvertraglichen Nennung der Telefonnummer entschieden (EuGH, Urt. v. 10.7.2019 – C-649/17) . Diese sei nur dann zwingend, wenn der Unternehmer über eine Telefonnummer gerade für die Kommunikation mit Verbrauchern verfügt.

In der Entscheidung wird ausdrücklich auf die Ausübung des Widerrufsrechts verwiesen:

Insbesondere ist die Möglichkeit für den Verbraucher, mit dem Unternehmer schnell Kontakt aufzunehmen und effizient mit ihm zu kommunizieren, wie dies in Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83 vorgesehen ist, von grundlegender Bedeutung für die Wahrung und wirksame Durchsetzung der Verbraucherrechte, insbesondere des Widerrufsrechts, dessen Modalitäten und Ausübungsvoraussetzungen in den Art. 9 bis 16 dieser Richtlinie genannt werden.

Aus diesem Grund übrigens sieht Teil A („Muster-Widerrufsbelehrung“) des Anhangs I der Richtlinie 2011/83, der in dessen Teil B („Muster-Widerrufsformular“) zum Teil übernommen wird, die Angabe der Anschrift des Unternehmers und soweit verfügbar seiner Telefonnummer, seiner Faxnummer und seiner E‑Mail-Adresse vor.

Diese Entscheidung des EuGH ist daher bei der
Auslegung des Begriffs der Verfügbarkeit in Gestaltungshinweis 2 zu
berücksichtigen.

Fazit

Es bleibt abzuwarten, ob sich der EuGH der strengen Auffassung des BGH anschließen oder seine unternehmerfreundliche Rechtsprechung aus der „Rückrufsystem“-Entscheidung fortsetzen wird. Jedenfalls wird die Entscheidung für Rechtssicherheit sorgen. Bis zur endgültigen Klärung sollten Online-Händler eine Telefonnummer in die Widerrufsbelehrung aufnehmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Telefonnummer im Impressum oder an anderer Stelle im Online-Shop genannt wird.

Alexander Kirch/Shutterstock.com

01.08.19
Tanya Stariradeff

Tanya Stariradeff