Wenn eine Abmahnung erfolglos bleibt, kann der Abmahner seinen Unterlassungsanspruch gerichtlich weiterverfolgen. Bekommt er Recht, muss er das Urteil vollstrecken, bevor er weitere Abmahnungen wegen desselben Anspruchs aussprechen kann, entschied das OLG Köln.
Gegenstand des Verfahrens (OLG Köln, Urt. v. 10.2.2017, 6 U 22/16) waren verschiedene Briefkästen-Modelle, die u.a. mit der Bezeichnung "umweltfreundlich produziert" beworben wurden. Eine Herstellerin und Importeurin u.a. auch von Briefkästen mahnte eine große deutsche Baumarktkette ab, die die fraglichen Produkte in einem Teil ihrer Märkte im Sortiment führte.
Bereits vor dem Verfahren hatte die Klägerin nach erfolgloser Abmahnung gerichtlich ihren Unterlassungsanspruch gegen die Herstellerin der streitgegenständlichen Briefkästen durchgesetzt. Diese Herstellerin war als Streithelferin ebenfalls an dem Prozess beteiligt.
Nachdem die Klägerin ihre Abmahnung an die Dachgesellschaft des Baumarkts gesendet hatte, erklärte diese, dass im Falle einer berechtigten Abmahnung alle Franchisenehmern eine unterzeichnete Unterlassungserklärung abgegeben würden. So sollte verhindert werden, dass weitere Abmahnungen ausgesprochen würden.
Der gemeinsame Rechtsanwalt der Dachgesellschaft und aller Gesellschafter lehnte die Abgabe einer Unterlassungserklärung ab. Er wollte das Ende des laufenden Rechtsstreits gegen die Herstellerin der Produkte abwarten. Daraufhin mahnte die Klägerin 71 Online-Händler sowie später noch 203 der insgesamt 327 Märkte des Unternehmens wegen der streitigen Werbeaussagen ab.
Das LG Köln bestätigte den Unterlassungsanspruch der Klägerin. Mit ihrer dagegen eingelegten Berufung stützten sich Beklagte und Streithelferin weiter auf den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs.
Allein durch die gegen die Baumarktkette geführten Abmahnungen war die Klägerin ein Kostenrisiko in Höhe von 200.000 Euro eingegangen. Die Kosten habe der Anwalt noch nicht in Rechnung gestellt, da die Klägerin diesen Betrag gar nicht bezahlen könne. Demgegenüber stand ein Jahresgewinn von ca. 5.500 Euro in den Jahren 2012 und 2013 sowie ein Verlust von 60.000 Euro in 2014.
Daraus schlossen die Beklagten, dass die Abmahnkosten nur in Rechnung gestellt würden, wenn die Abgemahnten entsprechend bezahlten. Dies ähnele einem Erfolgshonorar.
Kern der Annahme des Rechtsmissbrauchs war der Umstand, dass die Klägerin das erwirkte Urteil gegen die Streithelferin nicht nutzte. Durch Vollstreckungsmaßnahmen hätte sie nicht nur verhindern können, dass weitere Briefkästen mit der streitigen Bezeichnung in den Verkehr gelangen. Darüber hinaus hätte die Herstellerin auch die bei Zwischenhändlern gelagerten Produkte zurückrufen müssen.
"Wenn die Streithelferin aus dem Urteil im einstweiligen Verfügungsverfahren verpflichtet war, ihre Produkte auch von Groß- und Einzelhändlern zurückzurufen, hätte die Marktbereinigung, die die Klägerin mit ihren umfangreichen Abmahnungen zu erreichen versuchte, gleichermaßen - jedoch einfacher und schonender - durch die Vollstreckung des Urteils gegen die Streithelferin erreicht werden können.
Hätte sie aus dem Urteil vollstreckt, hätten der Klägerin Ordnungsmittel zur Verfügung gestanden, um die Streithelferin zum Rückruf zu zwingen."
Dass die Klägerin diese Möglichkeit hier nicht genutzt, sondern weiter Abmahnungen gegen Händler ausgesprochen hatte, deutete darauf hin, dass es ihr in Wahrheit nicht um die Marktbereinigung ging.
Schließlich stellte das Gericht die Frage die in diesem Verfahren grundsätzlich im Raum stand:
Wozu erstritt die Klägerin ein Urteil gegen den Hersteller, wenn es die daraus gewonnen Ansprüche nicht nutzt?
"Es habe der Klägerin freigestanden, den Abverkauf der Ware dadurch zu verhindern, dass sie die ihr zustehenden Unterlassungsansprüche auch gegen die Händler geltend macht.
Es steht dem Gläubiger selbstverständlich frei, aus einem erstrittenen Urteil vorzugehen oder darauf zu verzichten.
Wenn jedoch das, was mit dem Urteil durchgesetzt werden kann, dem Schuldner des Titels gegenüber nicht durchgesetzt wird, aber im Wege der Abmahnung und Verfahrenseinleitung gegenüber einer Vielzahl von Händlern durchzusetzen versucht wird, stellt sich die Frage, weshalb überhaupt ein Urteil gegen den Händler erstritten wurde, wenn dieses letztlich nicht genutzt wird."
Die Klägerin hatte sogar festgestellt und im Laufe des Verfahrens zugegeben, dass die Herstellerin trotz des Urteils weiter gegen die Unterlassungspflicht verstoßen hatte. Warum diese Verstöße von der Klägerin geduldet wurden, konnte sie nicht glaubhaft erklären.
Es schien ebenfalls fragwürdig, dass die Klägerin eine derart große Zahl an Baumärkten abmahnte. Aufgrund der Struktur des Unternehmens hätte bereits die Inanspruchnahme eines einzigen Marktes gereicht. Da die Gesellschafter an die Dachgesellschaft und ihre 100%-ige Tochter gebunden gewesen seien, hätten sie auch in diesem Fall für eine vollständige Beseitigung des Verstoßes sorgen müssen.
Denselben Effekt hätte die Inanspruchnahme der Dachgesellschaft allein gehabt, weil alle Märkte ihre Waren von dieser beziehen. Weiterhin habe bei 100 Märkten vor der Abmahnung keine Prüfung stattgefunden, ob der gerügte Verstoß überhaupt vorlag.
Das Argument der Klägerin, den Markt möglichst schnell bereinigen zu wollen, konnte somit nicht überzeugen.
Nicht jede Abmahnung ist berechtigt. Zwar ist nicht allein das Aussprechen mehrerer gleichartiger Abmahnungen gegen verschiedene Händler gleich Rechtsmissbrauch im Sinne des Gesetzes. Doch immer wieder zahlt sich Widerstand aus. In der vorliegenden besonderen Konstellation wurden zahlreiche Abmahnungen als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen.
Offenbar ging es hier weniger um die Sache, sondern mehr ums Geld. Zweck der rechtmäßigen Abmahnung ist jedoch, ein bestimmtes Verhalten zu unterbinden. Dies hätte hier durch die Vollstreckung eines Urteils erreicht werden können, statt dessen wurden weitere kostenpflichtige Abmahnungen ausgesprochen, die dem Mandanten nicht einmal in Rechnung gestellt wurden.
Gut, dass das Gericht dieser Praxis einen Riegel vorgeschoben hat. In jedem Fall sollte immer geprüft werden, ob die Abmahnung gänzlich unberechtigt oder zumindest in einem bestimmten Umfang unberechtigt ist. Das spart nicht nur Kosten, sondern erhält auch Handlungsspielräume für die Zukunft.